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– Beschlussabteilung B 10
Missbrauchsaufsicht bei Strom, Gas und Fernwärme-
Bonn
16.01.2008
Stadtwerke Lingen GmbH, Strompreis, Tariffestsetzung zum 01.01.2008
Tarifentwicklung 01.01.2003 bis 01.01.2008
Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt und erneuerbare Energien als Begründung
Sehr geehrte Damen und Herren,
in mehreren Pressemitteilungen wird berichtet, dass Sie zur Umsetzung der „Preismissbrauchsnovelle § 29 GWB“ eine neue Beschlussabteilung – B 10 – eingerichtet haben. Diese soll zusammen mit Landeskartellbehörden vor allem die Angemessenheit der Strom- und Gaspreise wettbewerbsrechtlich überprüfen.
„Jetzt geht es intensiver als bisher darum, unmittelbar zum Nutzen des Verbrauchers zu prüfen und – wo erforderlich – sicherzustellen, dass die Preise auf den Strom- und Gasmärkten wettbewerbsrechtlich sind.“
Der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, hat sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 26.10.2007 u.a. wie folgt geäußert: „…Die angekündigten Preiserhöhungen von Eon und RWE seien ‚dreist’. …Denn hinter einer Missbrauchsuntersuchung steht ja sehr deutlich der Vorwurf ,ihr handelt unredlich’. Die Reputation der Energiewirtschaft ist schon hinreichend ramponiert …“
Die Begründung der Erhöhung des Strompreises mit gestiegenen Bezugskosten – also Brennstoffpreise – bezeichnet der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, als „Vorwand“ (27.11.2007 energate Redaktion).
Die Monopolkommission spricht von „Vermachtete Marktstruktur... sieht in der bloßen Weitergabe von Kosten eines Quasi-Monopolisten eine große Gefahr, da diese Kosten in der Regel überhöht sind…\"
Es gibt also keine Begründung für eine weitere Erhöhung des Strompreises.
Die Energiewirtschaft hat bei den Verbrauchern jegliche Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Es ist nicht einzusehen, warum im Gesamtpreis der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ in 60 Monaten durch mehrmalige zweistellige Erhöhungen insgesamt um 163,0 Prozent gestiegen ist.
Sie erhalten nachstehend – auszugsweise – meinen Einwand gegen eine erneute Erhöhung des Stromtarifs durch den regionalen Stromversorger, die Stadtwerke Lingen GmbH.
Dazu erhalten Sie als Anhang-Datei (EXCEL-Format) auch die entsprechenden Berechnungen. Hier ist die unbillige Preisgestaltung des Versorgers ersichtlich.
Mit freundlichen Grüßen
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Stadtwerke Lingen GmbH
15.01.2008
Kundennummer …, Vertragsnummer …, Strom
Gesamtpreis, Einwand gem. § 315 BGB, Tariffestsetzung zum 01.01.2008
Ihr Schreiben vom 16.11.2007, Lingener Tagespost vom 15.11.2007 und 17.11.2007
Tarifentwicklung
vom 01.01.2003 bis 31.03.2006 Allgemeiner (Bestpreis-)Tarif „Familien-Mensch“,
vom 01.04.2006 bis 01.01.2008 Allgemeiner Tarif (Grundversorgung, Haushalt)
Sehr geehrte Damen und Herren,
…
Durch den Strom-Tarif netto (Gesamtpreis: Arbeits- und Grundpreis) beträgt die Mehrbelastung eines Haushaltskunden in der Grundversorgung der Stadtwerke Lingen GmbH - bei einem Musterverbrauch von 3.500 kWh/Jahr -
seit 01.01.2000 182,94 €/Jahr + 42,5 % und seit dem 01.01.2003 166,29 €/Jahr +37,2 %.
Anlage
Zur Beurteilung der Tarifentwicklung ist es erforderlich, die Tarif- und Preisbestanteile (Preisanteile) darzustellen:
Der Strom-Tarif besteht aus dem Arbeitspreis und dem Grundpreis.
Der Arbeitspreis netto setzt sich aus folgenden Anteilen zusammen:
Vertrieb und Gewinn, Netznutzung, Konzessionsabgabe, EEG-Umlage, KWK-Umlage, Stromsteuer.
Der Grundpreis netto hat folgende Anteile:
Vertrieb und Gewinn, Netznutzung, Messung, Abrechnung.
Zum Nettopreis kommt noch die Umsatzsteuer hinzu.
…
Der von den Stadtwerken Lingen insbesondere zu verantwortende, weil beeinflussbare Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ hat sich – bei einem Musterverbrauch von 3.500 kWh/Jahr - im Vergleich 01.01.2003 zum 01.01.2008 wie folgt verändert: Anlagen
Arbeitspreis netto: „NV“ nicht vergleichbar wegen Minusbetrag 01.03.2003
(01.01.2004 +388,0 %; 01.01.2005 +47,1 %; 01.04.2006 +185,8 %; 01.02.2007 +42,4 %;
01.01.2008 +8,6 %).
Grundpreis netto: - 80,7 %
(01.01.2004 -33,4 %; 01.04.2006 -71,0 %; 01.02.2007 + 5,2 %).
Gesamtpreis (Arbeit und Grund) netto: + 163,0 %.
(01.01.2004 +14,2 %; 01.01.2005 +16,0 %; 01.04.2006 +36,7 %; 01.02.2007 +38,0 %;
01.01.2008 +7,8 %).
Es ist nicht einzusehen, warum im Gesamtpreis der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ in 60 Monaten durch mehrmalige zweistellige Erhöhungen insgesamt um 163,0 Prozent gestiegen ist.
Der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ am Gesamtpreis (Arbeit und Grund) hat sich dadurch in der Zeit vom 01.01.2003 bis 01.01.2008 netto um 160,23 €/Jahr + 163,0 % erhöht.
Ebenfalls ist festzustellen, dass der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ im Gesamtnettopreis
vom 01.01.2003 von 22,0 % bis 01.01.2008 auf 42,2 % um 20,2 Prozentpunkte gestiegen ist.
Auch das ist außerordentlich und ein Indiz für die Unbilligkeit. Aufgabe der Billigkeitskontrolle ist die Prüfung, ob sich der Gewinnanteil im Äquivalenzverhältnis Vertriebsanteil zu Gewinnanteil unzulässig erhöht hat. Maßgebend sind die Gesamtkosten bei effizienter Betriebsführung. Nur diese rechtfertigen eine Tarifänderung. Anlagen
Der von Ihnen geforderte Strompreis besteht nicht nur aus Bezugskosten.
Das Netzentgelt der Stadtwerke Lingen GmbH wurde durch die Bundesnetzagentur (Beschluss vom 23.01.2007) zur Berechnung an die Endverbraucher ab 01.01.2007 insgesamt erheblich gekürzt:
Bundesnetzagentur, Beschlusskammer 8, Regulierung Netzentgelt Strom
Arbeitspreis: Netznutzung – 0,550 Cent/kWh -12,3 %;
Grundpreis: Netznutzung unverändert,
Messung - 0,56 €/Jahr - 4,9 %, Abrechnung – 0,51 €/Jahr -3,9 %.
Gesamtpreis (Arbeit und Grund) netto: Netznutzung – 11,2 %; Messung u. Abrechnung – 4,4 %.
Anlage
Damit war das Netzentgelt der Stadtwerke bis zum 31.12.2006 unbillig überhöht.
Die geänderten Netzentgelte sind von den Versorgern sofort anzuwenden. Die Genehmigung ist befristet bis zum 31.12.2007.
Die Stadtwerke Lingen GmbH hat die geänderten Netzentgelte ab 01.01.2007 nicht an die Kunden weitergegeben. In den Netzentgelten ist von der Bundesnetzagentur schon ein Gewinn einkalkuliert.
Durch diese unterlassene Preisreduzierung ist der Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ am Gesamtpreis zum 01.01.2007 im Verhältnis zum vorherigen Preisanteil gestiegen (+ 11,9 %).
…
Das von der Bundesnetzagentur um 0,550 Cent/kWh gekürzte verbrauchsabhängige Netzentgelt wurde dem Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ am Arbeitspreis zugeschlagen (+ 12,8 %).
Der Arbeitspreis ist insoweit um 0,550 Cent/kWh unbillig überhöht.
Das von der Bundesnetzagentur um 1,07 €/Jahr gekürzte verbrauchsunabhängige Netzentgelt - bestehend aus Grund-, Mess-, Abrechnungsentgelt – wurde dem Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ am Grundpreis zugeschlagen (+ 5,2 %).
Für den Preisanteil „Vertrieb und Gewinn“ am Grundpreis als verbrauchs- und lieferunabhängigen Grundpreis gibt es keine Berechtigung.
Es handelt sich insoweit um eine kartellrechtswidrige Entgeltbestimmung eines marktbeherrschenden Unternehmens. Die Eigenkapitalverzinsung und Substanzerhaltung des Netzes wird über die Netzentgelte gem. StromNEV abgegolten, die schon im Strompreis Arbeit enthalten sind.
Der Grundpreis ist um 21,57 €/Jahr unbillig überhöht.
Soweit der vorgelagerte Netzbetreiber im Genehmigungsverfahren seine Netzentgelte senkt, sind die genehmigten Entgelte unverzüglich anzupassen (Entscheidung BNetzAgentur vom 23.01.2007).
Presseberichten zu Folge hat die Bundesnetzagentur vor, Netzentgelte für 2008 massiv zu kürzen. Diese Kürzung betrifft die Übertragungsnetzbetreiber E.ON und RWE.
In Ihrem Schreiben vom 16.11.2007 begründen Sie die Neufestsetzung des Tarifs ab 01.01.2008 nunmehr wie folgt:
„Gründe für die Erhöhung sind die stetig steigenden Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt, die sich auch in den Einkaufspreisen der Stadtwerke niederschlagen. …Der immer größer werdende Anteil der erneuerbaren Energien erhöht somit den Strompreis zusätzlich.“
Es gibt derzeit keine Begründung für eine derartige Erhöhung des Strompreises:
Die Begründung der Erhöhung des Strompreises mit gestiegenen Bezugskosten – also Brennstoffpreise – bezeichnet der Präsident des Bundeskartellamtes, Bernhard Heitzer, als „Vorwand“ (27.11.2007 energate Redaktion).
Die Strombezugskosten (Großhandelspreise) betragen laut Branchenverband VDEW nicht mal ein Viertel des Strompreises für den Endverbraucher.
Strom-Erzeugung (Aufkommen): 25 % Atom, 24 % Braunkohle, 21 % Steinkohle, 11 % Erdgas, 8 % Wasser und Wärmekraft, 2 % Sonstige (= 91 %), 9 % Importe = 100 %.
Die Stromerzeugungskosten sind kaum teurer geworden, weil die Brennstoffkosten zur Stromerzeugung aus den heimischen Energieträgern nur geringfügig gestiegen sind.
BAFA Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle: „17.12.2007: G 10/2007 Erdgasimporte: Oktober 2007 …Der durchschnittliche Grenzübergangspreis ist im betrachteten zwölfmonatigen Zeitraum im Vergleich zur Referenzperiode um 2,9 % …gesunken.“
Erdöl wird zur Stromerzeugung nicht verwendet.
Der Anteil der Strombeschaffung über die Strombörse beträgt nur 15 %. Dieser Anteil ist höchstens um 10 % gestiegen. Dabei bereichern die höheren Erlöse an der Strombörse noch zusätzlich die Kraftwerksbetreiber (vor allem E.ON und RWE).
Die Erhöhung der EEG-Umlage ab 01.01.2008 (von 0,745 um 0,505) auf 1,250 Cent/kWh (+67,8%) wird angezweifelt.
Es ist erforderlich, diese Mehrbelastung exakt dazulegen und nachzuweisen.
Bundesminister Gabriel hatte eine Begründung zur Strompreiserhöhung mit einer hohen EEG-Umlage deutlich zurückgewiesen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit schreibt in „Hintergrundinformationen zum EEG-Erfahrungsbericht 2007“ u.a.
Seite 6 „Tabelle 1 Spalte EEG-Umlage 2006: 0,75 Cent/kWh…
Das EEG spielt gleichwohl für den jährlichen Strompreisanstieg bei Tarifkunden nur eine nachgeordnete Rolle. …
Seite 13 …Die EEG-Umlage steigt in dem derzeit zu Grunde gelegten Ausbaupfad von 0,75 Cent/kWh (2006) auf – real – rund 1,5 Cent/kWh im Maximum (2016). …“
…
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) vermutet, dass einige Energieversorger eine deutlich höhere EEG-Umlage abrechnen, als es das Gesetz vorsieht. Pressemitteilung vom 15.10.2007: „…Heute macht die Förderung von Strom aus Erneuerbaren Energien für den Durchschnittshaushalt mit 3.500 Kilowattstunden Jahresverbrauch allenfalls 2 Euro pro Jahr oder 0,7 Cent pro Kilowattstunde aus. Im kommenden Jahr [2008] wird sich diese Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nur minimal um etwa 0,1 Cent pro Kilowattstunde verändern…“
Der Bundesverband Neuer Energieanbieter (BNE), Gutachten LBD-Beratungsgesellschaft mbH, Berlin vom 16.10.2007: „EEG-Gutachten zur Angemessenheit der Aufwendungen … 2 Zusammenfassung, 2.1 Aufwand für die Veredelung der EEG-Einspeisungen – Die Untersuchungen zum Aufwand der Strukturierung der EEG-Strommengen und zur Deckung des Ausgleichsenergiebedarfs für die Jahre 2004 bis 2007 (erstes Halbjahr) zeigen, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland die Aufwendungen hierfür in der Vergangenheit generell zu hoch ansetzten. …“
Ihrem Schreiben vom 16.11.2007 ist nicht zu entnehmen, dass die KWK-Umlage ab 01.01.2008 um 31,1 % niedriger anzusetzen ist.
Die Versorgung von Haushaltskunden mit Strom und Gas erfolgt nach wie vor marktbeherrschend und unterliegt damit dem Verbot des Preishöhenmissbrauchs entsprechend dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Hierbei ist z.B. zu prüfen, ob der Tarif der Stadtwerke Lingen GmbH ungerechtfertigt höher ist als vergleichbare Versorger. Nach einem „Stern-Bericht (Thomas Stollberger vom 04.11.2007)“ hat „Verivox.de“ die Strompreise u. a. in der Grundversorgung untersucht und Unterschiede zwischen den Versorgern von bis 44 Prozent festgestellt.
Die Umsatzrendite der Stadtwerke Lingen GmbH ist auch ein Indiz für die unbillig überhöhten Energiepreise.
Ab Wirtschaftsjahr 2002 wird nur noch der Konzern-Jahresabschluss der Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH veröffentlicht. Die als Anlage beigefügte Tabelle zur Ermittlung der Umsatzrendite der Stadtwerke Lingen GmbH ist ab Wirtschaftsjahr 2002 im Wesentlichen aus den Konzernabschlüssen der Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH abgeleitet. Anlage
Die Umsatz-Renditen zeigen, dass die Stadtwerke Lingen GmbH aus den Gütern der Daseinsvorsorge Strom, Gas und Wasser in diesen Jahren einen unangemessen hohen Gewinn erzielt hat:
2001: 18,6%; 2002: 16,5%; 2003: 22,3%; 2004: 22,4%; 2005: 16,7%.
Hier ist eine Erklärung, warum ab 2003 der Gewinn der Stadtwerke Lingen GmbH derart gestiegen ist: weil mit den Preiserhöhungen ab 01.01.2003 nicht nur die Bezugskosten weitergegeben wurden.
…
Der Gewinnanteil des Unternehmens am Preis darf durch eine Preiserhöhung jedoch nicht erhöht werden. Das ist nach der Rechsprechung gerade „unbillig“. Das ist Gegenstand des Einwandes der Unbilligkeit der Energiepreise gemäß § 315 BGB.
Mit freundlichen Grüßen Anlagen