Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Aufsichtsrat möchte Gaspreiskalkulation nachvollziehen können  (Gelesen 5392 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline nomos

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 2.448
  • Karma: +0/-0
Wenn nicht einmal der Aufsichtrat die Gaspreiskalkulation kennt.
Vermutlich gibt es gar keine die man vorlegen könnte ;)

Offline enerveto

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 128
  • Karma: +0/-0
Aufsichtsrat möchte Gaspreiskalkulation nachvollziehen können
« Antwort #1 am: 28. Januar 2008, 20:34:00 »
Die Stadtwerke Lingen GmbH macht in ihrem Geschäftsgebaren in der Angelegenheit der Energiepreispolitik gegenüber ihren Kunden – die auch Bürger dieser Stadt sind - einen ungewöhnlichen Eindruck.

Gesellschafter der Stadtwerke Lingen GmbH sind zu 60 % die Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH und zu 40 % die RWE Westfalen-Weser-Ems AG. Alleiniger Gesellschafter der Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH ist die Stadt Lingen (Ems).
Geschäftsführer einer GmbH sind gegenüber ihrem/ihren Gesellschafter(n) weisungsgebunden. Hauptgesellschafter (60 %) der Stadtwerke Lingen GmbH ist vereinfacht die Stadt Lingen (Ems).
Zur Überwachung der Geschäftführung ist ein Aufsichtsrat bestellt. Von den fünfzehn Mitgliedern werden neun Mitglieder vom Rat der Stadt Lingen benannt. Die Stadt Lingen wird durch den Stadtrat kontrolliert. Der Stadtrat erteilt Weisungen an diese Aufsichtsratsmitglieder. Die Weisungen müssen auf der Grundlage von Beratungen anhand von entsprechenden Unterlagen und Informationen erfolgen. Das eigentliche

Der Aufsichtsrat hat hier aber offensichtlich keine Aufsichtfunktion und ist insoweit entbehrlich.

Die Stadtwerke Lingen sind in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfasst. Im Verhältnis von Kompetenz und Verantwortung – ohne Kompetenz keine Verantwortung – haben die Gesellschafter einer GmbH u.a. die Organisationskompetenz, sichtbar auch in der Ausgestaltung der Geschäftsführung. Zu den Grundlagenentscheidungen der Gesellschafter gehören auch die Grundsätze der Unternehmenspolitik.

Die der weisungsgebundenen Geschäftsführung übertragene Kompetenz steht unter dem Vorbehalt, dass die Gesellschafter im Einzelfall keine andere Weisung geben.
Die Gesellschafter haben als Vorgesetzte der Geschäftführer die Führungsverantwortung. Die Geschäftsführer haben ihm Rahmen ihrer Kompetenz die Handlungsverantwortung.
Die Geschäftsführung ist (nur) für die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters verantwortlich (§ 43 GmbHG). Das Unternehmensrisiko trägt die Gesellschaft.
Die Geschäftsführung hat u.a. eine Beratungs- und Informationsverantwortung gegenüber den Gesellschaftern, d.h. dass sie die Gesellschafter sachgemäß beraten und informieren.

Die Gesellschafter können durch Gesellschaftsvertrag (Satzung) Aufgaben der Führung und Überwachung der Geschäftsführer einem Aufsichtsrat übertragen.
Der Aufsichtsrat hat dafür einzustehen, dass er bei seiner Zustimmung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Überwachers (der Geschäftsführung) gewahrt hat (§ 52 GmbHG i.V.m. § 116 AktG).

§ 51a GmbHG „Die Geschäftsführer haben jedem Gesellschafter auf Verlangen unverzüglich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben und die Einsicht der Bücher und Schriften zu gestatten.“ Dieses Recht besteht nur gegenüber der Gesellschaft, so dass die Gesellschafterversammlung eine Entscheidung über das Auskunftsverlangen treffen muss.

Der (Mehrheits-)Gesellschafter Stadt Lingen (Ems) - vertreten durch den Oberbürgermeister - hat  im Rahmen der Gesellschafterversammlung die wesentliche Führungs- und Überwachungsaufgabe der Geschäftsführer der Stadtwerke Lingen GmbH.
Die Überwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat steht neben der Überwachung durch die Gesellschafterversammlung. Die Gesellschafter haben eine Entscheidung zu treffen, wer über welche Akte der Geschäftsführung die Kontrolle ausübt.

(„Die Geschäftsleitung der GmbH“, Prof. Dr. jur. Reinhard Höhn, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln).

Gesellschaftsvertrag der Stadtwerke Lingen GmbH
„§ 6 Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft
(2) Der Geschäftsführung obliegt die Führung der Geschäfte nach Maßgabe der Gesetzte und dieses Gesellschaftsvertrages sowie der Beschlüsse von Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat in eigener Verantwortung. Darüber kann durch den Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung beschlossen werden.
§ 8 Vorsitz, Einberufung und Beschlußfassung des Aufsichtsrates
(6) Der Aufsichtsrat fasst Beschlüsse mit einfacher Mehrheit, soweit sich nicht aus dem Gesetz oder diesem Gesellschaftsvertrag etwas anderes ergibt. Die von der Stadt Lingen (Ems) entsandten Aufsichtsratsmitglieder sind an die Weisungen des Rates der Stadt gebunden…
(10) Der Aufsichtsrat gibt sich eine Geschäftsordnung…
§ 9 Aufgaben des Aufsichtsrates
(1) Der Aufsichtsrat überwacht die Tätigkeit der Geschäftsführung.
(2) Geschäftsführung bedarf in folgenden Angelegenheiten der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrates:
a) Festsetzung und Änderung der allgemeinen Tarifpreise und allgemeinen Versorgungsbedingungen;
b) Abschluß, Änderung und Aufhebung von Bezugsverträgen;
c) Abschluß, Änderung und Aufhebung von Konzessionsverträgen; …
 (10) Der Aufsichtsrat berät im übrigen die der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung unterliegenden Angelegenheiten vor. Er spricht Empfehlungen aus. “

Hier einige Zitate aus der Lingener Tagespost (LT):
26.09.2005 „SPD-Stadtratsfraktion: ...Auch in der Aufsichtsratssitzung in der vorigen Woche seien keine schlüssigen und nachprüfbaren Zahlen vorgelegt worden. ... Aufsichtsrat Kastein: ... Einsicht in die Gaslieferverträge mit Erdgas Münster sei nicht entsprochen ...“;
12.10.2005 „...SPD-Fraktion R.Koop: ...hätten Kastein und Wiedorn (AR-Stadtwerke) Einsicht in die Vertragsunterlagen und Lieferverträge verlangt ... Dies sei ihnen mit Mehrheitsbeschluss unter Führung des Oberbürgermeister ... verwehrt worden ...  Aufsichtsräte Stadtwerke, Wiedorn und Kastein: ... Die SPD habe auf ihrer Sitzung beschlossen, die Einleitung eines Klageverfahrens der beiden Aufsichtsratsmitglieder Wiedorn und Kastein zu unterstützen. Die beiden Sozialdemokraten ließen gegenwärtig durch ein Osnabrücker Anwaltsbüro die Chancen einer Zivilklage prüfen, um ‚ihr Recht auf Einsicht in die Lieferverträge’ durchzusetzen.“;
08.12.2005 „SPD: Verzichten auf Klage – Gegen die Stadtwerke Lingen – Es würde Jahre dauern – Nach Beurteilung durch einen Osnabrücker Fachanwalt für Verwaltungsrecht für eine Klage auf Einsicht in die Vertragsunterlagen der Stadtwerke Lingen GmbH wegen Gaspreiserhöhungen teilte die SPD-Stadtratsfraktion jetzt der Presse mit, sie werde den Rechtsweg nicht weiter verfolgen… in einer sehr umfangreichen Stellungnahme mitgeteilt, dass die Erfolgsaussichten für eine Klage sehr gering sind…“
18.12.2005 „…Aufsichtsrat Wiedorn erklärte weiter, er halte die von der Geschäftsführung der Stadtwerke vorgelegten Informationen zur Kalkulation der Gaspreise nach wie vor für völlig unzureichend, um sachgerecht entscheiden zu können...“;
30.03.2006 „Beeck: Keine Abstimmung mehr? Kritik am OB …wird die positiv besetzte Preissenkung am Aufsichtsrat vorbei veröffentlicht. Abstimmungsgespräche mit dem Aufsichtsrat der Stadtwerke seinen vorher nicht geführt worden …“.
17.11.2007 „…Als nicht ausreichend begründet haben die Vertreter der Lingener SPD im Aufsichtsrat der Stadtwerke Lingen GmbH die zum 1. Januar 2008 geplanten Anhebungen der Gas- und Strompreise abgelehnt…“

Merkwürdig: „Es sollten die Chancen für eine Zivilklage … geprüft werden. …durch einen… Fachanwalt für Verwaltungsrecht… (?)
Die Firma Stadtwerke Lingen ist eine GmbH – hier wäre m.E. das GmbH-Gesetz zuständig.
In welcher „Schublade“ mag „die umfangreiche Stellungnahme“ wohl liegen?

Leserbrief Lingener Tagespost vom 05.10.2005:
Ein merkwürdiger Aufsichtsrat: Der eine Teil vermisst schlüssige Zahlen, der andere Teil weiß angeblich, dass eine Anhebung der Preise unausweichlich ist. Alle zusammen werden aber vor der Preiserhöhung überhaupt nicht informiert.

Wenn der Aufsichtsrat an die Weisungen des Stadtrates gebunden ist, müsste zunächst mal der Stadtrat die notwendigen Kenntnisse haben, um überhaupt Weisungen erteilen zu können?!
Damit wäre der Aufsichtsrat sozusagen der „verlängerte Arm“ des Stadtrates zur Wahrung der Interessen der Bürger der Stadt durch die Kontrolle der Geschäftsführung der Stadtwerke.

Offline enerveto

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 128
  • Karma: +0/-0
Aufsichtsrat möchte Gaspreiskalkulation nachvollziehen können
« Antwort #2 am: 28. Januar 2008, 23:37:01 »
Die Stadtwerke Lingen sind eine GmbH mit einem kommunalen Mehrheitsgesellschafter (60 % Stadt Lingen).
In einer GmbH haben die Gesellschafter \"das absolute Sagen\", hier also die Stadt Lingen (Ems). Die Geschäftsführer handeln nur weisungsgebunden.
Der Gesellschafter Stadt Lingen (Ems) hat sozusagen auch einen \"Geschäftsführer\" als Oberbürgermeister, der eigentlich auch weisungsgebunden durch den Stadtrat, als Vertreter der Bürger, handelt.
Ein Aufsichtsrat ist bei einer GmbH - anders bei einer AG - nicht zwingend erforderlich.
Aber die Stadt Lingen (Ems) muss ja irgendwie praktisch die Gesellschafteraufgaben wahrnehmen.
Das macht dann der Aufsichtrat, der von den Mitgliedern des Stadtrates gebildet wird, vermutlich entsprechend der Fraktionsstärke der Parteien.
Der Aufsichtsrat handelt auf Weisung des Stadtrates.
Der Oberbürgermeister ist automatisch im Aufsichtsrat, regelmäßig als Vorsitzender.
Es erscheint alles ein wenig paradox:
Der Stadtrat als Aufsichtsrat in der Funktion des Gesellschafters Stadt Lingen (Ems) beschränkt seine eigenen Befugnisse, indem er hier nicht seine Kontrollaufgabe durch Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen zur Preisbildung der Energiepreise wahrnimmt.
Das ist umso fragwürdiger, weil die Stadtwerke Lingen GmbH inzwischen drei Gerichtsverfahren wegen ihrer Preisgestaltung verloren hat, und deswegen durch Berufung in der nächsten Instanz in weiteren Prozessen und Risiken verwickelt ist.
Derartige Gerichtsverfahren sind in einer GmbH außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, die nicht alleine von den Geschäftsführern veranlasst werden können; dazu bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses, also wäre wieder der Stadtrat gefragt.
Letztlich müssen die Gesellschafter diese Risiken tragen, also die Bürger der Stadt Lingen (Ems).

Ein nachhaltiges politisches Interesse, die Verhältnisse und Zuständigkeiten zu beeinflussen oder zu ändern, ist nicht erkennbar.

Offline nomos

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 2.448
  • Karma: +0/-0
Aufsichtsrat möchte Gaspreiskalkulation nachvollziehen können
« Antwort #3 am: 29. Januar 2008, 10:16:09 »
@enerveto, leider ist das nicht nur an der Ems so. Auch hier an der Enz und bundesweit steckt die Intransparenz in der Logik des System.

Man wirbt bei den Bürgern um die Unterstützung für \"ihre Stadtwerke\". Will der Bürger aber Informationen über \"seine Stadtwerke\", dann findet man fadenscheinige Begründungen um ihm diese zu verweigern.

Selbst ein vom Bürger als Vertreter gewähltes Aufsichtsratsmitglied erhält keinen ausreichenden Einblick in das Konglomerat der Verflechtungen.

Da hat sich bundesweit in der kommunalen Wirtschaft etwas entwickelt, was keine Toleranz mehr verdient. Bei Stadtwerken  und anderen kommunale Unternehmen fehlt offensichtlich die erforderliche Aufsicht durch die Bürger. Die Beteiligungen vieler Städte und Gemeinden haben sich zu undurchsichtigen Konzernstrukturen entwickelt, die quasi ohne eine wirksame Kontrolle bleiben. Transparenz ist unverzichtbar und die Beteiligungsverhältnisse, Geschäftsberichte etc. müssen barrierefrei und Vollständig zur Verfügung stehen.

Verkaufen wir heute ein Stadtwerk, gehen wir über LOS und wo können wir kassieren? Monopoly! Aber leider Realität und kein Unterhaltungsspiel.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz