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Autor Thema: Energiewirtschaft – Politik – BGH - Energieverbraucher  (Gelesen 5068 mal)

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Offline enerveto

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BGH Urteil vom 28.03.2007 – VIII ZR 144/06 Strompreis
BGH Urteil vom 13.06.2007 – VIII ZR 36/06 Gaspreis

„…Nun wissen wir allerdings, daß es Revisionsrichter bisher noch immer geschafft haben, ihnen missliebige Urteile aufzuheben. Das hochkomplexe Revisionsrecht bietet dazu ausreichend Gelegenheit. …Wenn dem BGH die Richtung nicht passt, ist das Urteil verloren, egal wie sorgfältig es begründet ist und wie gewissenhaft verhandelt wurde….“
Prof. Dr. jur. Erich Schöndorf, Bad Vilbel, „Von Menschen und Ratten – Über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittel-Skandal“, Verlag die Werkstatt GmbH, 1998; mit einem Vorwort von Günter Wallraff; eine Innensicht der Dritten Gewalt, die Justiz; spannend wie ein Krimi.

„Das Hornberger Schießen“ in einer zweiten Kurz-Version: „Die Hornberger ergaben sich (1519), nachdem sie 100 Schuss nutzlos verfeuert hatten.“

In der Tat, hier macht einiges „stutzig“.

Wollte der 8. Senat – im Widerspruch zum Kartellsenat – nicht anders oder konnte er nicht anders entscheiden?
Ist das eine Tendenz: Anbieterwechsel, Bezugskosten, Wärmemarkt …?

Die provokative Transparentaktion (Mai 2007) im und am Gebäude Deutscher Reichstag könnte bei einer entsprechenden weiteren Entwicklung nach Karlsruhe weitergereicht werden:
„Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar“ und „Der deutschen Wirtschaft“.

BGH Urteil vom 28.03.2007 – VIII ZR 144/06 Strompreis
„b) Eine Strompreiskontrolle in entsprechender Anwendung des § 315 BGB scheidet aus, wenn der Stromkunde die Möglichkeit hat, Strom von einem anderen Anbieter seiner Wahl zu beziehen.“

RA Thomas Fricke, Jena, Bund der Energieverbraucher, Sonderheft 1 April 2006:
„…Die Rechtsprechung nimmt eine richterliche Inhaltskontrolle gegen den Missbrauch privatautonomer Gestaltungsmacht an… überprüft die Rechsprechung u.a. sowohl einseitig festgesetzte Vergütungen [Honorare], das Direktionsrecht des Arbeitgebers als auch Preisanpassungs- und Zinsänderungsklauseln bzw. Wertsicherungsklauseln…“
Ein Ausschluss von § 315 BGB bei einer „Wechselmöglichkeit“ ist hier nicht zu entnehmen.

Bund der Energieverbraucher, 04.06.2007
„Verbraucher sollten Neueinstufung widersprechen…Wegen der Abweichung zu bisherigen Urteilen und der anders lautenden Meinung des Kartellsenats ist zu erwarten, dass diese Entscheidung des VIII. Senates weder verallgemeinerungsfähig, noch als abschließend anzusehen ist…“

RA Thomas Fricke, Jena, 30.04./01.05./03.05.2007, Bund der Energieverbraucher, Internet-Forum:
 „…Man könne sich also aus einem oftmals kleinen, bunten Strauß überteuerter Strompreisangebote eines aussuchen und solle mit diesem dann nicht nur Vorlieb nehmen, sondern allein aufgrund der freien Wahl auch zufrieden sein…“
 „…Argumentation … unplausibel und nicht nachvollziehbar …falsch interpretiert … „Sachverhaltsquetsche“…nicht nachvollziehbar…widerspricht zugleich den Senatsentscheidungen …in sich widersprüchlich…eine divergierende Rechtsprechung zweier Senate des BGH…Die orbiter dicta sind indes in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar…Eine einheitliche Rechtsprechung beseht demnach nicht mehr…ob er nicht etwa gegen die Denkgesetze verstoßen hat…einer fata morgana aufgesessen…überschreitet er damit seine Kompetenz…Der VIII. Zivilsenat ist zu entsprechenden Entscheidungen also nicht berufen, ebenso wenig wie er zu Wettervorhersagen nicht berufen wäre…Man darf deshalb auf weitere Entscheidungen des Senats sehr gespannt sein…“

BGH Urteil vom 13.06.2007 – VIII ZR 36/06 Gaspreis, Mitteilung der Pressestelle Nr.70/2007
„…Erfolgen solche Preiserhöhungen wegen gestiegener Bezugskosten, nimmt das Gasversorgungsunternehmen sein berechtigtes Interesse wahr, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die Kunden weiterzugeben…
…Auf dem Wärmemarkt stand und steht sie aber – wie alle Gasversorger – in einem (Substitutions-)Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme, zwischen denen Neukunden frei wählen können. Der von diesem Konkurrenzverhältnis ausgehende Wettbewerbsdruck, der den Preisgestaltungsspielraum der Gasanbieter begrenzt, kommt … auch ’alten’ Tarifkunden …zugute…“

RA Thomas Fricke, Jena, 13.06./14.06.2007, Bund der Energieverbraucher, Internet-Forum:
„…Bei der Frage, ob es einen einheitlichen Wärmemarkt gibt, handelt es sich um eine Tatsachenfrage und nicht um eine Rechtsfrage… eine Tatsachenfrage, die im Falle des Bestreitens regelmäßig durch eine Beweisaufnahme zu klären ist …Rechtsdogmatisch liegt… ein Wertungswiderspruch vor… Nur stellen Kartellsenat und VIII. Zivilsenat die Weichen (seit kurzem) unterschiedlich: …ohne dass dies rechtsdogmatisch überzeugt … Rechtsdogmatisch problematisch ist die Absicht … Divergenzen zwischen verschiedenen Senaten des Bundesgerichtshofes … Stutzig macht nun… der Gasversorger habe mit der Preiserhöhung sein berechtigtes Interesse wahrgenommen, Bezugkostensteigerungen weiterzugeben…“

Bund der Energieverbraucher, 23.06.2007
„Konsequenzen der BGH-Entscheidung vom 13. Juni 2007…Bei der Billigkeitsprüfung dieser Preisänderung werden die mit dem Vorlieferanten vereinbarten Bezugskosten nicht überprüft...“

Es wurde doch keine Billigkeitsprüfung „dieser“ Preisänderung vom Gericht (Vorinstanz LG Heilbronn am 19.01.2006) durchgeführt, weil der Kläger den Beweisvortrag des Versorgers zu den gestiegenen Bezugskosten nicht substantiiert bestritten hat. Der Vortrag des Versorgers wurde als wahr unterstellt. Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.

Wo bleibt das „berechtigte Interesse“ der Verbraucher an einer preiswerten Energieversorgung?
Ist bei einem „berechtigten Interesse des Versorgers“ nicht auch die „vertragliche Nebenpflicht des Versorgers“ zu berücksichtigen?
Was hindert z.B. die kommunalen Energieversorger daran, sich ebenfalls gegenüber ihren Lieferanten mit dem Einwand der Unbilligkeit nach § 315 BGB gegen die Erhöhung der Bezugspreise und die Ölpreisbindung zu wehren und die Entwicklung der Gas-Importpreise zum Anlass nehmen.

Deutscher Mietgerichtstag 2006, Referat gehalten von Richterin am Bundesgerichtshof Barbara Ambrosius:
„Da der Grundsatz der möglichst preisgünstigen Daseinsvorsorge, der einen Maßstab für die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB liefert, das Versorgungsunternehmen zur guten Betriebsführung verpflichtet, dürften Preise, die auf eine schlechte Betriebsführung zurückgehen, unbillig sein. Auch nach § 12 BTOElt, nach § 21 Abs. 2 EnWG und im Rahmen der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle werden unwirtschaftliche Kosten nicht anerkannt. …
Umgekehrt hat aber auch der Kunde das Recht, sich gegen eine Tariferhöhung mit dem Argument zu wehren, sie sei, obwohl lediglich in der Weitergabe der Preissteigerung bestehend, unbillig, weil schon der alte Tarif überhöht gewesen sei. Dann muss das Versorgungsunternehmen auch die Billigkeit des Preissockels darlegen…“

RA Thomas Fricke, Jena, 12.04./15.06.2006, Bund der Energieverbraucher, Internet-Forum:
 „In einer mündlichen Verhandlung vor dem OLG Düsseldorf am 12.04.2006 (Az: VI – 2 U 16/05 Kart): …Außerdem sehe der Senat eine Verletzung einer Nebenpflicht des Versorgers aus dem Vertrag mit seinen Kunden, wenn er erhöhte Bezugspreise zwar an seine Endkunden weitergebe (so die Standardbegründung der Preisanhebungen), aber es gleichzeitig unterlasse, seinerseits gegen seinen Lieferanten im Wege des § 315 BGB vorzugehen. Dies ergebe sich eindeutig aus der BGH-Rechtsprechung im Herbst 2005 („Lichtblick-Urteil“ vom 18.10.2005)….
Die vertragliche Nebenpflicht folgt unmittelbar aus dem Vertragsverhältnis mit den eigenen Kunden, §§ 1, 2 Abs.  EnWG sehen eine möglichst preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente leitungsgebundene Energieversorgung im Interesse der Allgemeinheit vor. Es ergäbe sich zudem auch aus dem Rücksichtnahmegebot gegenüber den eigenen Kunden gem. § 242 BGB.“

„Wärmemarkt“ – was ist das?
OLG Dresden Urteil vom 11.12.2006 – U 1426 Kart [Gas]:
„…Der Beklagten [Versorgerin] kann vor allem nicht darin beigetreten werden, dass den Letztverbrauchern ohne weiteres ein Wechsel zu einem anderen Energieträger möglich sei. Zum einen ist dies generell mit prohibitiv wirkenden Umrüstungskosten, wie etwa der Anschaffung eines neuen Brenners und/oder eines Heizöltanks verbunden … Zum anderen scheidet eine Umstellung bei der Energieversorgung für nicht wenige Letztverbraucher …weitgehend bereits rechtlich aus… Erst recht erscheint eher wirklichkeitsfremd, die Umstellung auf eine eigene Energiegewinnung … oder eine Umrüstung auf Holzbefeuerung als eine faktisch für den Großteil der Letztverbraucher umsetzbare Alternative zu erachten … Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass der von Neukunden …geforderte Preis dem fiktiven Marktpreis in einem freien Wettbewerb der Gasversorgungsunternehmen entspreche…Dem steht bereits entgegen, dass die Preisbeeinflussung von einem Substitutionsgut, nämlich Heizöl, ausgeht…“
AG Lingen Urteil vom 13.11.2006 – 12 C 423/06 (X) [Gas]:
„…Eine Unanwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB folgt schließlich auch nicht daraus, dass Gas im Wettbewerb mit anderen Energieträgern steht. Zwar trifft der theoretische Ausgangspunkt zu, dass es möglich ist, den Wärmebedarf auf andere Weise als durch Erdgas, nämlich durch leichtes Heizöl, Strom, Kohle Flüssiggas oder Fernwärme zu decken. Dies würde aber voraussetzen, dass alle oder zumindest die meisten Wärmeträger für jeden Verbraucher jederzeit verfügbar sind und ein Umstieg auf einen anderen Wärmeträger und/oder einen anderen Energieversorger auch faktisch problemlos möglich ist, dies ist jedoch nicht der Fall. Bei einem Wechsel zu einem anderen Wärmeträger entstehen nämlich hohe Transaktionskosten, die faktisch einen problemlosen Wechsel ausschließen…“

Zu berücksichtigen wäre noch der „Kochmarkt“, denn Erdgas wird auch zum Kochen benutzt!
Bei der Aufzählung wurde „Torf“ vergessen. Das gibt es im Emsland reichlich. So manch einer könnte es sogar auf dem eigenen Grundstück gewinnen. Es wurde nicht auf „Sand, sondern auf Torf gebaut“. Da wackelt schon mal die „Bude“, wenn ein Laster vorüber fährt. Aber das kennt der 8.Senat des BGH in Karlsruhe sicher nicht.
Fehlt noch der „Beleuchtungsmarkt“. Da wären außer Strom noch Kerzen, Kienspan, Öllampe, Taschenlampe …

Mit freundlichen Grüßen

Offline RR-E-ft

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Energiewirtschaft – Politik – BGH - Energieverbraucher
« Antwort #1 am: 02. Juli 2007, 20:36:16 »
@enerveto

Sie mögen wegen der Pressemitteilung Nr. 70/2007 des BGH verärgert sein.

Man muss aber den Wortlaut des Urteils abwarten, um nachvollziehen zu können, wie der BGH zu seiner Entscheidung gelangt sein will.

Strom- und Gaspreiserhöhungen in Ausübung eines gesetzlichen Preisänderungsrechts nach Vertragsabschluss unterliegen der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.

Das Urteil wird sich bestimmt der Kritik des Fachpublikums stellen müssen.
Ganz sicher wird es eine sehr rege Diskussion pro und contra zu einzelnen Aspekten geben.

Insbesondere in Sachen Marktabgrenzung scheint der VIII. Zivilsenat an seine Grenzen gestoßen zu sein. Man mag ihm zu Gute halten, dass er damit jedoch - anders als der Kartellsenat- auch nicht regelmäßig  befasst ist.

Ihr sehr emotionaler  Beitrag führt nur leider in der Sache selbst überhaupt nicht weiter.

Offline enerveto

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Energiewirtschaft – Politik – BGH - Energieverbraucher
« Antwort #2 am: 06. Dezember 2007, 18:49:17 »
(Kein Zugang zum Forum Gerichtsurteile)

@RR-E-ft

Herr Dr. Kunth hat am 03.12.2007 in Berlin einen Vortrag zu den BGH-Urteilen vom 28.03.2007 (Strom) und 13.06.2007 (Gas) für den \"verhinderten\" Richter BGH Wolfgang Ball gehalten.
Falls hier der \"Ball zugespielt\" wurde, kann nun weiter \"nachvollzogen\" werden, mit \"Geklärte Fragen\" und \"Ungeklärte Fragen\"  - auch ohne Emotion.
Mit freundlichen Grüßen

Offline RR-E-ft

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Energiewirtschaft – Politik – BGH - Energieverbraucher
« Antwort #3 am: 06. Dezember 2007, 23:20:33 »
@enerveto

Es gab am 03.12.2007 auf der genannten Veranstaltung  in Berlin zu dem nämlichen Thema zwei Vorträge, einen von Kollegen Dr. Kunth und ein weiteres Referat von Prof. Markert. Die beiden Ansichten konnten unterschiedlicher nicht sein.

Prof. Markert soll deutliche Worte gefunden haben, die so deutlich waren, dass der Institutsleiter Prof. Säcker sich zu einer kleinen Intervention veranlasst sah. Man sei es nicht gewohnt, in einem entsprechend scharfen Ton zu diskutieren.

Mit diesen Vorträgen hatte der Vorsitzende Richter am BGH Ball nichts zu tun. Er hatte seinen geplanten Vortrag abgesagt und damit war die Sache für ihn abgeschlossen. Man sollte also nichts überinterpretieren und nicht auch da noch Zusammenhänge vermeinen, wo dann doch keine bestehen.

Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die am 03.12. in Berlin dabei waren und die übereinstimmend über die rege Diskussion berichteten.

 

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