Das aktuelle BGH-Urteil vom 13.06.2007 betraf einen Tarifkunden.
Sonderkunde oder Tarifkunde?
Nachlass oder Rabatt?
Verbraucher oder kein Verbraucher?
Vertragliche Einbeziehung von AVBGasV?
Keine individuelle Preisvereinbarung, aber „Ursprungspreis (Anfangspreis)“ als Vereinbarung?
Ein Rabatt wird – im Gegensatz zum Nachlass - regelmäßig bei Vertragsabschluss vereinbart, und ist eine individuelle Preisvereinbarung, abweichend vom Allgemeinen Tarif, der durch öffentliche Bekanntmachung wirksam wird.
§ 315 BGB setzt voraus, dass die Vertragsschließenden bereits bei Vertragsabschluss eine einseitige Befugnis zur Leistungsbestimmung vereinbart haben.
AVBGasV gilt entsprechend § 1 Abs.2 nur für Tarifkunden: „Kunde im Sinne dieser Verordnung ist der Tarifkunde“.
Bei Tarifkunden entsteht das einseitige Leistungsbestimmungsrecht „gesetzlich“ („Preisänderungsrecht“) aus § 4 Abs. 2 „Änderungen der Allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.“
Bei Sonderkundenverträgen muss ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht („Preisänderungsvorbehalt“ als AGB) bei Vertragsabschluss im Sondervertrag ausdrücklich „vertraglich“ vereinbart sein. Es unterliegt dem Transparenzgebot gem. § 307 BGB. Erst danach kommt – regelmäßig ausnahmsweise – § 315 BGB zur Anwendung (entweder § 307 oder § 315 BGB).
Die AVBGasV kann durch ausdrückliche Einbeziehung in den Sonderkundenvertrag als AGB Geltung erlangen. Ein bloßer Hinweis genügt nicht.
§ 4 Abs. 2 AVBGasV genügt den Anforderungen an Bestimmtheit und Transparenz Allgemeiner Geschäftsbedingungen (§ 307 BGB) nicht.
Das Amtsgericht hat in den vorausgegangen beiden Urteilen schon u.a. folgende Feststellungen getroffen:
13.11.2006: „Das Gericht hält die Gaspreiserhöhung für unwirksam, weil die Beklagte [Stadtwerke Lingen GmbH] die Billigkeit dieser Erhöhung nicht hinreichend dargelegt hat.“
19.09.2007 „Es obliegt insoweit der Beklagten [Stadtwerke Lingen GmbH] die Billigkeit darzulegen und ggf. zu beweisen. Diesbezüglich ist überhaupt kein Vortrag erfolgt. Daher muss das Gericht von der Unbilligkeit der Gaspreiserhöhung ausgehen.“
Die Stadtwerke Lingen wollten im dritten Verfahren ihrer Darlegungs- und Beweispflicht durch die Vorlage mit einem Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (wiederum) und einer „Tabellenkalkulation“ nachkommen.
„Beauftragte und erkaufte Wirtschaftsprüferbescheinigungen, gelegentlich auch aufwertend als „Testate“ bezeichnet, sind kein zulässiges Beweismittel nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), allenfalls handelt es sich um Parteigutachten. Oft fehlt auch der „Testatvermerk“, mit welchem der Verfasser erst die persönliche Haftung für die inhaltlich gemachten Angaben zum Ergebnis seiner Prüfungen übernimmt.
Werden die mit solchen Bescheinigungen belegten Tatsachen vom Gegner bestritten, muss Beweis erhoben werden. Eine Beweiserhebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn genügend Anknüpfungstatsachen vorgetragen sind und der Versorger ein taugliches Beweisangebot gebracht hat… Einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darf das Gericht nicht nachgehen [s. auch Urteil AG Lingen vom 04.10.2007, Seite 7]. Werden die mit den Bescheinigungen belegten, vorgelegten Tatsachen nicht bestritten, so gelten diese als zugestanden und wahr. Es bedarf dann schon keiner Beweisaufnahme mehr und die Bescheinigung wird als Beweismittel (welches sie gar nicht ist) auch nicht benötigt, so wie im Heilbronner Fall.
(RA Thomas Fricke, Jena, Forum Bund der Energieverbraucher 02.09.2005, 06.09.2007)“.
Zum „Parteigutachten“ siehe auch BGH-Urteil vom 02.10.1991- VIII ZR 240/90, Seite 16 f.
und
http://www.wikipedia.org/wiki/Parteigutachten.Inwieweit eine „Tabellenkalkulation“ einer gerichtsfesten Darlegungs- und Beweispflicht genügt, sei dahingestellt. Einem ordnungsgemäßen Rechnungswesen mit einer integrierten Kosten- und Leistungsrechnung und daraus resultierender aussage- und beweiskräftiger Kostenträgerrechnung (Deckungsbeiträge) entspricht eine „Tabellenkalkulation“ jedenfalls nicht. Eine separate „Tabellenkalkulation“ lässt nicht erkennen, wie die Kostenarten über die Kostenstellen zu den Kostenträgern (z.B. Gas, Strom, Wasser) kommen, und auch nicht, ob die Kosten verursachungsgemäß auf alle Kostenträger (im Urteil AG Lingen vom 13.11.2006 als „Spartenergebnis Gasversorgung“ bezeichnet) verrechnet wurden.
Eine separate „Tabellenkalkulation“ lässt einen großen „Gestaltungsspielraum“.
Wie erfolgt z.B. die Kostenzuordnung der Verwaltungskosten im Konzern „Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH“? Haben die Konzerntöchter der Wirtschaftsbetriebe Lingen GmbH eigene Verwaltungseinheiten?
Der Stadtwerken Lingen GmbH obliegt nur die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser.
Die beiden Geschäftsführer sind in allen Unternehmen „in Personalunion“ tätig. Sie sind aber auch im Zusammenhang mit dem neuen Bauhof und dem Hochwasserschutz (Aufgaben der Stadtverwaltung) tätig.
Das Department für Management und Technik der Fachhochschule in Lingen, bei der Ludger Tieke seine Diplomarbeit zum Thema kommunale Kosten- und Leistungsrechnung in Verbindung mit der Stadt Lingen (Ems) geschrieben hat (Lingener Tagespost vom 11.08.2007) und die Berufsakademie Lingen wären sicher einem mit der kameralistischen Buchhaltung groß gewordenen Betrieb beim Übergang zu einem integrierten Rechnungswesen eines Wirtschaftsbetriebes behilflich.
Eindeutig „auf Seiten der Verbraucher“ steht das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG 2005).
„§ 1 (1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas.
§ 2 (1) Energieversorgungsunternehmen sind im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Rahmen des § 1 dieses Gesetzes verpflichtet.“
„Es besteht die gesetzliche Verpflichtung zu einer möglichst preisgünstigen und effizienten Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas. Diese gesetzliche Verpflichtung führt zu dem Maßstab eines angemessenen Energiepreises (BGH Urteil vom 02.10.1991 – VIII ZR 240/90) …dazu bedarf es der Kenntnis der konkreten Deckungsbeiträge [Kostenträger] in konkreten Vertragsverhältnissen… Hinsichtlich der gesetzlichen Verpflichtung … macht es keinerlei Unterschied, ob es sich dem so gesetzlich verpflichteten Unternehmen um einen börsennotierten Konzern oder um ein kommunales Stadtwerk handelt... Die Unternehmen/Konzerne entscheiden sich also freiwillig für eine Unterwerfung ihrer Geschäftspolitik unter diese ganz besonderen Spielregeln, die im überragenden Gemeinwohlinteresse erlassen wurden… die ein vordergründiges Gewinnstreben gerade nicht zulassen (so ausdrücklich der BGH …) … (RA Thomas Fricke, Jena, Forum Bund der Energieverbraucher 18.10.2007)“
Die Stadtwerke Lingen brauchen also nur das Gesetz befolgen. So einfach wäre das.
Mit freundlichen Grüßen