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Autor Thema: LG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2008 - 2 S 636/06  (Gelesen 4272 mal)

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LG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2008 - 2 S 636/06
« am: 27. Februar 2008, 18:49:09 »
http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/site/site__2474/

Zitat
Landgericht Osnabrück

Geschäfts-Nr.: 2 S 636/06

12 C 423/06 (X) Amtsgericht Lingen

Verkündet am: 20.02.2008

Urteil
Im Namen des Volkes!
In dem Rechtsstreit

Stadtwerke ,

Beklagte und Berufungsklägerin,

gegen

....

Kläger und Berufungsbeklagter,



hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht S. und die
Richterin am Landgericht K. und die Richterin am Landgericht L.

auf die mündliche Verhandlung vom 30.01.2008

für R e c h t erkannt:

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 20.11.2006 wird das Urteil
des Amtsgerichts Lingen vom 13.11.2006 (12 C 423/06) aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf bis zu 600,-- EUR festgesetzt.
**********************

Gründe

Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet.

Zwar ist die vom Kläger erhobene Feststellungsklage zunächst zulässig.
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der
amtsgerichtlichen Entscheidung verwiesen. Der Sache nach ist die Klage
aber nicht begründet.

Zwar unterliegen einseitige Tariferhöhungen eines
Gasversorgers gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV grundsätzlich der
gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.

Die Beklagte war aber gemäß § 4 AVBGasV i. V. m. dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag dazu berechtigt, den Gaspreis zum 01.01.2005 pro Kubikmeter Gas um 4 Cent, zum 01.10.2005 nochmals um 5,5 Cent und zum 01.01.2006 erneut um 5,5 Cent zu erhöhen. Insbesondere hält diese Erhöhung auch der Billigkeitskontrolle gemäß § 15 Abs. 3 BGB Stand.

Die Beklagte hat bewiesen, dass die Preiserhöhungen durch Bezugspreissteigerungen begründet waren, wobei die damit verbundenen
Steigerungen nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen
ausgeglichen werden konnten.

Dadurch hat das Versorgungsunternehmen sein Interesse wahrgenommen, Kostensteigerungen wegen gestiegener Bezugskosten während der Vertragslaufzeit an seinen Kunden weiterzugeben. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Im Einzelnen:

Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten eines regionalen Versorgungsträgers an die Tarifkunden im Grundsatz der Billigkeit entspricht.

Davon geht auch das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung im Ansatz aus.

Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte allerdings nicht dazu verpflichtet, ihre Kosten- Gewinnkalkulation detailliert offen zu legen und insbesondere Angaben zu ihren konkreten Erdgasbezugskosten zu machen. Es reicht vielmehr aus, dass sie als regionale Versorgungsträger plausibel macht und im Bestreitensfall beweist, dass durch die von ihr vorgenommenen Preiserhöhungen zum 01.01.2005, 01.10.2005 und 01.01.2006 tatsächliche Bezugskostensteigerungen an den Endverbraucher weitergegeben wurden (BGH, Urteil vom 13.06.2007, VIII ZR 36/06, Seite 11).

Daraus folgt, dass die Bezugskostenhöhe im Einzelnen durch das Gericht nicht zu hinterfragt werden braucht. Relevant ist nur die absolute Preiserhöhung im streitigen Zeitraum.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte innerhalb des
Zeitraums vom 01.01.2005 bis zum 01.01.2006 lediglich Preiserhöhungen an den Endverbraucher, in diesem Fall dem Kläger, weitergegeben hat.

Der Zeuge V., der Vertriebsleiter der Beklagten, hat unter Vorhalt der
tabellarischen Aufstellung der Bezugskostensteigerungen (Bl. 158 d. A.)
erklärt, die dort festgehaltenen Zahlen seien ihm bekannt. Es handele
sich hierbei um die Änderung der Bezugskosten im relevanten Zeitraum.
Diese bildete die Grundlage ihrer Preiskalkulation. Zur Erläuterung hat
er weiter ausgeführt, für jedes Quartal werde eine neue Preiskalkulation
vorgenommen. Dabei werde auf der Grundlage einer im Vertrag mit dem
Lieferanten vereinbarten Formel eine neue Berechnung durchgeführt. Bei
dieser Formel, die Grundlage der Kostenkalkulation sei, stünden bis auf
einen alle relevanten Parameter fest.

Der Indexwert der Ölpreisentwicklung, welcher jeweils quartalsweise vom statistischen Bundesamt herausgegeben werde, sei die einzige Variable.

Wegen der vertraglich vereinbarten Bindung des Gaspreises an die Weltmarktpreise für Öl müsse allein aufgrund dort eingetretener Veränderungen eine Neukalkulation vorgenommen werden. Aus der Tabelle ergebe sich weiter, dass nicht einmal alle relevanten Bezugspreissteigerungen an den Kunden weitergegeben worden seien, insbesondere nicht zum 01.07.2005.

Darüber hinaus hat der Zeuge K., der in den Kalenderjahren 2004 und
2005 der Abschlussprüfer der Beklagten war, angegeben, bei der Erstellung seines Berichts vom 26.04.2006 habe er die der Tabelle Bl.
119 d. A. zu Grunde liegenden Rechnungen überprüft und so die
Entwicklung der Kostenstruktur im Zeitraum zwischen dem 01.01.2004 und
dem 01.01.2006 ermittelt. Daraus folge, dass die Bezugskosten im
vorgenannten Zeitraum um insgesamt 1,7639 Cent pro kWh gestiegen seien, wobei allerdings nur 1,5710 Cent pro kWh in Form von Preiserhöhungen an den Verbraucher weitergegeben worden seien.

Zum Zeitpunkt der Erstellung seines Abschlussberichts hätten ihm insbesondere auch die Verträge des (damaligen) Lieferanten, der Erdgasvertriebsgesellschaft M., die entsprechenden Rechnungen für den Bezug von Erdgas im Original sowie die relevanten Preismitteilungen (quartalsweise) vorgelegen. Dabei sei insbesondere noch zu berücksichtigen, dass bis Ende 2005 ein langjähriger (20 Jahre) dauernder Vertrag ausgelaufen sei, der im Jahr 2006 durch einen Einjahresvertrag abgelöst worden sei.

Das Gericht verkennt nicht, dass eine allein auf eine Bezugskostenerhöhung gestützte Preiserhöhung ausnahmsweise dann unbillig sein kann, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGH Urteil vom 13.06.2007, VIII ZR 36/06, Seite 13).

Davon ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber nicht auszugehen. Der Zeuge V. hat erklärt, im Jahr 2005 sei der Rohgewinn (vor Steuer) der Beklagten deutlich niedriger ausgefallen als im Jahr 2004. Erst im Jahr 2006 habe sich das betriebswirtschaftliche Ergebnis wieder erholt, allerdings
nicht mehr ganz den Stand von 2004 erreicht. Nach seiner Erinnerung sei
im Jahr 2004 ein Rohgewinn (vor Steuer) von 4 Mio., im Jahr 2005 einer
in Höhe von 2,5 Mio. und im Jahr 2006 einer in Höhe von etwas weniger
als 4 Mio. erwirtschaftet worden. Rückläufige Kosten, die den Anstieg
der Bezugskosten in anderen Bereichen hätten ausgleichen können, habe es im relevanten Zeitraum nicht gegeben.

Insoweit hat der Zeuge V. plausibel ausgeführt, die in der Bilanz einzubeziehenden Kosten setzten sich im Wesentlichen aus 3 Positionen zusammen, und zwar aus Personalkosten, Kosten für Abschreibungen sowie den so genannten Konzessionsabgaben, also Kosten, die sie als Versorgungsunternehmen für die Nutzung öffentlichen Straßenraumes zahlen müssten. Im relevanten Zeitraum 2004 bis 2006 habe es in den genannten Sparten keine Kostensenkungen gegeben. Insbesondere seien auch keine nennenswerten Entlassungen im Personalbereich erfolgt, was zu einer wesentlichen Kostensenkung geführt hätte.

Der Zeuge K. hat in diesem Zusammenhang ergänzend erklärt, kostenrelevant sei lediglich eine Rückstellung für eine Altlastsanierung in Höhe von 600.000,00 EUR im Jahr 2004 gewesen. Ansonsten habe seine Überprüfung ergeben, dass sich keine wesentlichen Änderungen der Kostenstruktur der Beklagten ergeben hätten.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist auch nicht der gesamte Gaspreis auf seine Billigkeit hin zu überprüfen, sondern allein die Preiserhöhungen zum 01.01.2005, 01.10.2005 und 01.01.2006.

Zum einen ist das Gericht an den Antrag des Klägers gebunden, der ausdrücklich verlangt hat, festzustellen, dass die zum 01.01.2005, 01.10.2005 und 01.01.2006 durchgeführte Erhöhung der Gaspreise unwirksam war.

Zum anderen kommt eine direkte oder analoge Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf den zwischen den Parteien vor 2004 vereinbarten oder möglicherweise durch die Beklagte einseitig festgesetzten Anfangspreis nicht in Betracht. Es mag zwar sein, dass es im relevanten Zeitraum an einem echten Wettbewerbbereich der Versorgung des Endverbrauchers mit Gas gefehlt hat mit der Folge, dass der Abschlusspreis jeweils vom Versorgungsträger (Monopolist) vorgegeben wurde. Diese Bewertung verkennt aber, dass der Kläger auf dem Wärmemarkt weder einem Anschluss- und Benutzungszwang mit der Beklagten unterlag. Denn wie alle Gasversorgungsunternehmen muss die Beklagte mit Anbietern anderer Energieträger, wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme konkurrieren (BGH Urteil vom 13.06.2007 VIII ZR 36/06, Seite 16 f.).

Einem Neukunden bleibt es unbenommen, zwischen verschiedenen Energieträgern zu wählen; dem Altkunden, zu einer anderen Energieart zu wechseln.

Die Revision war nicht zuzulassen. Denn der Rechtsstreit hat weder
grundsätzliche Bedeutung, noch bedarf es der Entscheidung des
Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung. Denn die rechtlichen Eckdaten sind in der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.06.2007 (VIII ZR 36/06)
geklärt worden. Ob die Voraussetzungen für die Billigkeit einer
Preiserhöhung konkreten Fall gegeben waren, stellt demgegenüber eine
tatrichterliche Würdigung dar, die im Einzelfall zu entscheiden ist.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Anordnung der
vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.


Anmerkung:

Das statistische Bundesamt veröffentlicht schon gar keine Weltmarktpreise für Öl.....

Demnach scheint das gesamte Urteil von Anfang an auf einem unzutreffenden Sachverhalt zu gründen. Sollte das Gericht damit tatsächlich eine entsprechende Aussage des Zeugen V. wörtlich übernommen haben, so kann diese Aussage nicht der Wahrheit entsprochen haben. Möglicherweise ist an § 580 Nr. 3 ZPO zu denken.

Wenn zum Beginn des Jahres 2006 tatsächlich ein neuer Vertrag abgeschlossen werden konnte (der vorhergehende war aufgrund der langen Vertragslaufzeit von 20 Jahren bei einer Bedarfsdeckung von 100 Prozent nach den Grundsätzen des Bundeskartellamts kartellrechtswidrig und nichtig), so stellt sich schon die Frage, welche marktüblichen Preise zu diesem Zeitpunkt auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt bestanden und ob die Vereinbarung des konkreten Bezugspreises im Neuvertrag einer effizienten, möglichst kostengünstigen Versorgung entsprochen hatte, mithin der gesetzlichen Verpflichtung aus §§ 2 Abs. 1 EnWG. Schließlich hatte das Bundeskartellamt in der Entscheidung E.ON Ruhrgas vom 13.01.2006 (Seite 24 f.) ausdrücklich festgestellt, dass Gasversorger im Falle eines solchen Vorlieferantenwechsels deutlich bessere Bezugskonditionen auf dem Markt vorfanden.


Zitat
Es darf aber nicht übersehen werden, dass das
gegenwärtige Preisniveau auf abgeschotteten Märkten basiert
und damit sowohl nach ökonomischer Theorie als auch nach
wirtschaftlicher Erfahrung insgesamt marktunüblich hoch ist.

Eine Beteiligung der Verbraucher an dem wirtschaftlichen Vorteil der
Vertragsgestaltung dürfte damit nicht gegeben sein. Das hohe
Preisniveau auf der Bezugsseite wird auch belegt durch
Beispiele von Regional- und Ortsgasunternehmen, die nach
ihrem Ausstieg aus langfristigen Lieferverträgen mit etablierten
Ferngasgesellschaften andere für sie günstige, insbesondere mit
kurzfristigen Laufzeiten verbundene Bezugsmöglichkeiten
gefunden haben. So haben die Stadtwerke Hameln, ein von
der Betroffenen bislang beliefertes Stadtwerk, deren Vertrag in
2005 auslief, Lieferanten und Vertrag gewechselt, verbunden mit
günstigeren Konditionen und kürzeren Vertragslaufzeiten.
Weitere Abnehmer werden sich ebenfalls anders orientieren,
wenn sie erst einmal die Freiheit dazu haben. Durch kurzfristige
Verträge würden erstmals auf breiter Front Drittangebote
ermöglicht mit der Folge eines Absinkens des Preisniveaus
insgesamt.


Die Tariferhöhung zum 01.01.2006 muss unbillig gewesen sein, weil ja selbst nach den Zeugenaussagen der Gewinn von 2005 auf 2006 gestiegen war.

Gegenüber einem Tarifkunden, der den Vertrag in 2005 abgeschlossen hatte, wäre die Erhöhung demnach unbillig gewesen, weil der Gasversorger nach Vertragsabschluss mit den Preisen einen höheren Gewinn erzielt hatte. Dieser soll von 2,5 Mio. € auf etwas unter 4 Mio. € (mithin um ca. 60 Prozent !) gestiegen sein.

Die gleiche Tariferhöhung kann aber nicht gegenüber einem Neukunden unbillig und gegenüber einem Bestandskunden billig sein.

Deshalb hatte der Kartellsenat des BGH in seinem Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 Rn. 9/10 zutreffend darauf hingewiesen, dass es eine willkürliche Aufspaltung darstellt und zu Zufallsergebnissen führen muss, wenn man einen vereinbarten Anfangspreis von einseitig festgesetzten Folgepreisen unterscheiden wollte. Deshalb müsse man die einseitig festgesetzten Gesamtentgelte einer Billigkeitskontrolle unterziehen.

Dass der Kartellsenat damit vollkommen richtig liegt, zeigt einmal mehr dieser konkrete Fall.

Fazit:

Die Billigkeitskontrolle nach den gleichen Maßstäben für einen Tarifkunden, der den Vertrag in 2005 abgeschlossen hatte und der nur die Unwirksamkeit der Tariferhöhung zum 01.01.2006 gerichtlich festgestellt haben will, müsste zu Ungunsten der Stadtwerke ausgehen.
 
Die Methode des 8. Zivilsenats des BGH, dessen sich das LG Osnabrück in diesem Fall bediente, führt wohl systematisch zu Zufallsergebnissen wie in einer gewöhnlichen Würfelbude auf dem Jahrmarkt, nur zu deutlich höheren Kosten.

 

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