Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Wann/wie erfolgt gerichtliche Feststellung billiger Preise?

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uwes:
@Elektron: Es ist etwas mühselig, immer wieder Zusammenfassungen juristischer Ausführungen des Herrn Fricke von denen zu lesen, die offenbar noch nicht die wesentlichen Beiträge dieses Forums gelesen haben.

--- Zitat von: \"elektron\" ---Ich fasse mal zusammen, was ich verstanden zu haben glaube:
 :!: Grundsätzlich strittig ist, ob der § 315 BGB überhaupt auf die Gaspreisfrage anwendbar ist. Dies soll/muss in absehbarer Zeit der BGH klären.
--- Ende Zitat ---


Nein: In dieser pauschalen Form ist das nicht richtig.
Überall dort, wo dem Versorgungsunternehmen ein einseitiges Preis- und Konditionenanpassungsrecht nach billigem Ermessen eingeräumt worden ist, gelangt § 315 BGB zur Anwendung. Es stellt sich nur die Frage, wo dieses "einseitige Bestimmungsrecht" des Versorgers "vereinbart ist.
Hier fängt in der Tat die juristische Problematik an, die ich bereits hier
http://forum.energienetz.de/viewtopic.php?p=18673#18673
einmal geschildert habe.  Das heißt nichts anderes, als dass ein einseitiges Preisbestimmungsrecht bei Tarifkunden nur dann im Rahmen laufender Verträge ausgeübt werden kann und darf, wenn es in gleichartigen Versorgungsverträgen ebenfalls solche (wirksamen) Regeln gibt. Das ist bei reinen Tarifkunden üblicherweise gar nicht der Fall.


--- Zitat von: \"elektron\" ---:!: Bevor ein Gericht die Billigkeit eines konkreten Gaspreises feststellen kann, müsste diese vor ihm erst jemand offiziell in Zweifel gezogen haben. Das werden (bis auf Weiteres) die meisten Verbraucher nicht tun (weil sie dann selbst die Beweislast trügen) und auch nicht die Versorger (weil sie dann ihre Kalkulationen offenlegen müssten, was sie offensichtlich scheuen wie der Teufel das Weihwasser).
--- Ende Zitat ---


Falsch: Nicht der (auf Feststellung der Unbilligkeit) klagende Verbraucher hat die Beweislast, sondern in jedem Falle der Versorger.
Nur im Rahmen eines Rückforderungsprozesses nach erteilter und vorbehaltslos bezahlter Rechnung trägt der Kunde des Versorgers eine höhere Dalegungs- und Beweislast.


--- Zitat von: \"elektron\" --- :!: So hoffen wir (die wir unsere Zahlungen reduziert haben), dass die Versorger lieber den überschaubaren Verlust in Kauf nehmen, als selbst in die Offensive zu gehen.
--- Ende Zitat ---


Genau diese Haltung der anderen - zahlenden - Kunden der Versorgungsunternehmen wird es zukünftig erschweren, die exorbitanten Preiserhöhungen wirksam zu bekämpfen.

RR-E-ft:
@Uwes

Ersichtlich sind wir bei der Frage, ob dem kontrahierungspflichtigen EVU gegenüber seinen Tarifkunden ein einseitiges Preisbestimmungsrecht zusteht, vermöge es die Preise diesen Kunden gegenüber einseitig festlegen darf, nicht vollständig bei einander.

Bei Strom- und Gastarifkunden ergibt sich dies m. E. unmittelbar aus § 4 I AVBV, so dass das EVU von Anfang an den Tarifkunden gegenüber die Preise einseitig festlegt im Sinne von § 315 BGB.

Bei Lichte besehen pflichten dem auch die Kollegen der Energiewirtschaft bei (vgl. Kollegen Dr. Kunth/ Tüngler, RdE 9/2006, u. a. Fn. 46).

Bei Fernwärmepreisen muss etwas anderes gelten, weil es dort gerade keine Tarifkunden gibt.

@elektron

Es ist nicht so, dass ich nur einfache Sätze könnte.

Ich habe jedoch gelernt, dass es für das Verständis des Lesers einfacher sein soll, wenn Sätze nicht zu lang sind.

Auch ich selbst empfinde ein wonniges Wohlbehagen bei der Lektüre von Texten von Thomas Mann u. a., wo ein Satz auch schon einmal nach über einer Seite erst sein Ende findet.... Mit solchen Texten sollen indes leider immer mehr Menschen überfordert sein.

Es steht vollkommen außer Zweifel, dass einseitig festgelegte Preise, die nicht das Ergebnis von individuellen Preisverhandlung der Vertragspartner sind, der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterfallen.

Solchen Preisen fehlt nämlich die Richtigkeitsgewähr, die aus einer Einigung der Parteien über den Preis folgt.

Zweifellos kann sich der andere Vertragsteil, demgegenüber Preise einseitig festgelegt wurden, gem. § 315 Abs. 3 BGB auf deren Unverbindlichkeit berufen.

Die Preise sind für diesen nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entsprechen. Derjenige, der die Preise einseitig festgelegt (also bestimmt) hat, trägt die Darlegungs- und Beweilast dafür, dass seine Bestimmung der Billigkeit entspricht, wofür ein Versorgungsunternehmen regelmäßig seine Preiskalkulation offen legen muss.

Eine vollkommen andere Frage ist es, ob in Verträgen mit Sondervertragskunden ein einseitiges Preisänderungsrecht überhaupt wirksam vereinbart wurde. Unbeschränkte Preisänderungsvorbehalte sind dort gem. §§ 9 AGBG, 307 BGB regelmäßig unwirksam, so dass schon kein Recht zu einseitigen Preisneubestimmungen durch das EVU besteht.

Sollte hingegen ein gem. § 307 BGB wirksamer Preisänderungsvorbehalt bestehen, so kommt auch dabei wieder (in einem zweiten Schritt) § 315 BGB zum Tragen.


Es ist nicht strittig, dass § 315 BGB auf einseitig festgelegte Gaspreise Anwendung findet.

Natürlich wäre es auch denkbar, dass in einem Vertrag der zu zahlende Gaspreis vollkommen individuell ausgehandelt wurde. Dann kommt § 315 BGB nicht zur Anwendung, da es an einem einseitig festgelegten Preis fehlt.


(Unter einer "Gaspreisfrage" kann ich mir nichts vorstellen. Für Preisfragen in einem Quiz sind Herr Jauch und andere zuständig. Das ist nicht unser Thema. Und der BGH ist sicher auch kein Quizmaster, bei dem man einen Preis gewinnen könnte.)

Hat der andere Vertragsteil sich auf die Unverbindlichkeit des einseitig festgelegten Preises  gem. § 315 III BGB berufen, ist die Preisbestimmung nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.

Dies muss  der Versorger ebenso unzweifelhaft  anhand der Preiskalkulation nachvollziehbar und prüffähig nachweisen.

Bis dahin besteht überhaupt kein fälliger Zahlungsanspruch, soweit die Preise einseitig festgelegt wurden....

Wenn Sie demgegenüber lieber etwas in großen Zusammenhängen lesen möchten, dann sei Ihnen ggf. die Energiedepesche Sonderheft anempfohlen.

Gehen Sie bitte davon aus, dass meine Beiträge hier vollkommen unredigiert sind und auch niemand die Absicht verfolgt, Ihnen die Mühe zu ersparen, sich vertieft mit dem Thema zu befassen.

Inwieweit Sie dann etwas verstanden zu haben glauben, ist für mich persönlich von geringem Interesse.

 :!: Bisher scheinen Sie nichts richtig verstanden zu haben, jedenfalls wenn es nach dem geht, was Sie angeben, verstanden zu haben glauben.

Schließlich soll es uns nicht um Glaubensfragen gehen und ich könnte und wollte mich sowieso auch nicht darauf einstellen.

Schließlich bin ich kein Volkshochschullehrer.

Mir fehlt die entsprechende Lehrbefähigung.

Bisher hatte ich die Rückinformation aus der Leserschaft (neudeutsch: Feedback) erhalten, dass insbesondere Energiedepesche Sonderheft auch für Nichtjuristen- wenn auch nicht immer gleich auf Anhieb - verständlich sei.

Aber dafür kann man ja in so einem Heft vor und auch wieder zurück blättern, unterstreichen, anstreichen, Anmerkungen (Glossen) hinzufügen und was es noch so an Techniken gibt, um sich den Text eines anderen inhaltlich zu erschließen.

Darauf, was eine "§ 315 BGB -Kampagne" (?) beabsichtigt, kann es  auch nicht ankommen, sondern nur darauf, ob und wie sich einzelne Verbraucher gegen überhöhte Energiepreise zur Wehr setzen können.

Entsprechende Möglichkeiten bestehen, wie wohl umfassend aufgezeigt wurde.

Es kömmt darauf an, diese weithin publik zu machen und anzuwenden.

Ob und wie Sie dabei ggf. selbst mitmachen oder nicht, kann jedem anderen egal sein.

Wenn Ihnen gegenüber Strom- und Gaspreise einseitig festgesetzt wurden, würden sich Ihnen jedenfalls entsprechende Möglichkeiten eröffnen.

Schließlich muss jeder selbst entscheiden, wie er mit ggf. beschränkten finanziellen Ressourcen umgeht. Die wenigsten verfügen jedoch insoweit über unbeschränkte Ressourcen.

Dass § 315 BGB auf einseitig festgelegte Strom- und Gaspreise Anwendung findet, ergibt sich

- aus dem Gesetz  (§ 315 BGB) selbst,
- aus den neuen Verordnungen StromGVV und GasGVV:

http://www.bundesrat.de/cln_051/SharedDocs/Drucksachen/2006/0301-400/306-06_28B_29,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/306-06(B).pdf

- aus Stellungnahmen der Bundesregierung gegenüber
   dem Deutschen Bundestag:

http://www.energieverbraucher.de/files.php?dl_mg_id=696&file=dl_mg_1154343170.pdf

- Stellungnahmen des Bundeskartellamtes:

 http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/maerkte/:Energiepreise-Kartellamt-Stromsperre/571029.html

Diese Frage ist also nicht abhängig von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes.

Wäre es anders, so ist dem Schreiben des BMJ deutlich zu entnehmen, bestünde schon ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Ein solcher  besteht nach Einschätzung des Bundesjustizministeriums nicht, weil die direkten Kunden der EVU durch § 315 BGB regelmäßig hinlänglich geschützt werden.

Bitte sehen Sie es mir nach, dass sich wegen beschränkter Ressourcen an dieser Stelle unsere Diskussion erschöpft haben soll und muss.

Fazit:

Der Bundesgerichtshof ist kein Quizmaster und löst deshalb auch ganz bestimmt keine Preisfragen auf.

Audiatur est altera pars:

http://www.seminarspiegel.de/binary/4102





Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

uwes:

--- Zitat von: \"RR-E-ft\" ---Bei Strom- und Gastarifkunden ergibt sich dies m. E. unmittelbar aus § 4 I AVBV, so dass das EVU von Anfang an den Tarifkunden gegenüber die Preise einseitig festlegt im Sinne von § 315 BGB.
--- Ende Zitat ---


Ich pflichte Ihnen bei, soweit es sich um die erste Festlegung eines am Anfang des Versorgungsvertrages einseitig bestimmten Tarifes geht.

Nicht jedoch bei den Erhöhungen.
Ob die Lobbyisten Kunth u.a. diese Auffassung vertreten, ist dabei meines Erachtens weniger wichtig.
Sowohl das LG Dresden als auch das LG Berlin haben nach sehr intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema die Auffassung vertreten, § 4 AVBGasV gebe kein Recht zur einseitigen Preisanpassung in laufenden Verträgen. Der Gedanke stammt schließlich nicht von mir.
Inhaltsgleich sind die entsprechenden Bestimmungen in § 4 AVBGasV und § 4 AVBFernwärmeV im Hinblick auf die Preisgestaltung schon. Der Begriff der allgemeinen Versorgungsbedingungen in der AVBFernwärmeV umfasst schließlich auch einen Bestandteil derselben, nämlich den Preis.

Letzteres hat der BGH auch so gesehen. (ZNER 2006, 149 ff)

Nichtsdestotrotz ist die Diskussion mit Ihnen stets ergiebig und weiterführend. Ich danke dafür.

RuRo:
@RR-E-ft

Wieder mal ein Klassiker - Danke für die lesenswerte und amüsante Antwort @elektron

RR-E-ft:
@uwes

Mit Blick auf die neuen GVV ggf. fast schon wieder Rechtshistorie.

Gem. § 1 I 1 und 2, II AVBGasV/ AVBEltV sind die Bestimmungen Vertragsbestandteil des Tarifkundenvertrages.

Schon an dieser Stelle wird jeweils Bezug genommen auf allgemeine Tarifpreise, anders als in § 1 AVBFernwärmeV. :idea:

Der somit kraft normativer Einbeziehung vertragsgegenständliche § 4 I AVBEltV/ AVBGasV spricht von den "jeweiligen allgemeinen Tarifen". Diese gelten mithin zeitlich befristet, sind mithin im laufenden Vertragsverhältnis nicht fest, sondern veränderlich.

Wie die Änderungen erfolgen, ergibt sich (mittelbar) aus § 4 II AVBEltV/ AVBGasV.

Dies ist vollkommen konsistent zu den Entscheidungen NJW 2006, 684 und NJW-RR 2006, 915.

Auch die zugrunde liegende Situation ist gleich:

Kontrahierungszwang, Gleichbehandlungsgebot, Diskriminierungsverbot für den Leistungsanbieter, Preise in Form allgemeingültiger Tarife, deshalb nicht individuell verhandelt.

Das unterscheidet sich alles deutlich vom Bereich der Fernwärmeversorgung.

Wollte man es anders sehen, wäre ein konkludenter Vertragsschluss wegen § 154 BGB schon unmöglich. Langfristige Lieferbeziehungen wären infolge dessen nach § 812 BGB abzuwickeln, was der BGH gerade vermeiden möchte und was auch nicht im Interesse der Vertragspartner liegen soll.

Der zum Vertragsabschluss notwendige Konsens muss nämlich grundsätzlich auf den für die Dauer des gesamten Vertragsverhältnisses geltenden Preis gerichtet sein (!).

Die Einigung auf einen dynamischen, "jeweiligen" einseitig bestimmten  Preis gem. § 315 BGB ist deshalb sachgerecht.

Dieser von Anfang an jeweils einseitig bestimmte "jeweilige" Preis unterliegt jedoch jederzeit und insgesamt der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB (logische Konsequenz).  


Nun zu den Sonderverträgen:

AVBGasV/ AVBEltV gem. § 1 I 1 und 2, II überhaupt nicht anwendbar.

§ 4 I AVBGasV/ AVBEltV selbst bei vertraglicher Einbeziehung tatbestandlich nicht einschlägig, da keine allgemeine Tarife vorliegen und vertragsgegenständlich wurden.

Deshalb kann sich aus § 4 II AVBGasV/ AVBEltV selbstredend auch kein Preisänderungsrecht bezüglich eines Sondervertrages ergeben.

Weder auf der Tatbestands- noch auf der Rechtsfolgenseite einer solchen Klausel im Sondervertrag kann sich deshalb dabei etwas für ein Preisänderungsrecht ergeben.

Aus selben Grunde läuft eine vertragliche Klausel mit dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 AVBGasV/ AVBEltV dabei vollkommen leer.



Wo der § 4 AVBV deshalb tatbestandlich und rechtsfolgenseitig nichts für Preisänderungen  in einem Sondervertrag hergeben kann, bedarf es einer Preisänderungsklausel im Sondervertrag, die ihrerseits dem § 307 BGB entsprechen muss.

Schon aus vorgenannten Gründen kann bei der Unwirksamkeit einer Klausel auch nicht etwa auf § 4 AVBV zurückgegriffen werden, da diese Bestimmung weiterhin vollkommen leer liefe.
 

Das besagt indes nicht, dass nun das oben Gesagte für Tarifkundenverträge keine Gültigkeit mehr hätte.

Dies wäre eine m. E. unzulässige Verallgemeinerung.

So hatte ich die LG Dresden, Berlin und Bremen auch nicht verstanden.



Ich denke, dass sich die Kollegen Dres. Kunth/ Tüngler schon die Folgen hinsichtlich §§ 4 AVBGasV/ AVBEltV hinsichtlich echter Tarifkunden bei Lichte besehen deutlich vor Augen geführt haben werden.  

Es stützt nämlich vollständig unsere Auffassung von der gerichtlichen Billigkeitskontrolle der Gas- und Stromtarifpreise wie auch der Ersatzbelieferungstarife.

Wer § 315 BGB nennt, muss auch § 315 III BGB im Blick haben.

"Selbst im Falle von oft jahrelangen Rechtsstreitigkeiten über die Billigkeit kann sich der Versorger nicht auf eine Art "vorläufige" Fälligkeit des billigen Anteils an seiner Forderung berufen." (so vollkommen zutreffend Clifford Chance)

@RuRo
@elektron

Wenn ich manchmal launig bin, bitte nicht persönlich nehmen.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

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