Zwei Nachrichten verbreiteten sich Ende vergangener Woche über die weltweiten Medienkanäle, die man in einigen Jahren vermutlich mit Fug und Recht als historisch bezeichnen wird: Unter größter Anteilnahme der Öffentlichkeit erschien der vom zwischenstaatlichen Ausschuss für Fragen der Klimaänderung (IPCC) erwartete vierte Bericht über den aktuellen Wissensstand bezüglich des menschengemachten Treibhauseffekts. Zum anderen spricht der texanische Öl-Investmentbanker Matthew Simmons davon, dass die Welt das absolute Fördermaximum für konventionelles Öl bereits erreicht hat.
... und es scheint, dass wir uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine globale Erwärmung von um die 3 Grad Celsius und einen Anstieg des Meeresspiegels von etwa einem halben Meter einzustellen haben.
Zwischen abnehmenden Ölreserven und globaler ErwärmungEinige Wissenschaftler, wie James Lovelock, der Erfinder der “Gaia-Hypothese“, gehen sogar noch weiter und prophezeien ein bald bevorstehendes, sprunghaftes Hochdrehen der irdischen Klimamaschine durch Rückkopplungseffekte ...
Olfördermaximum bereits überschrittenMit wesentlich weniger Echo in den konventionellen Medien, dafür umso größerem Widerhall in der Blogosphäre, verkündete der texanische Öl-Investmentbanker und Branchenguru Matthew Simmons in einem Beitrag für den Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg (Video auf Youtube verfügbar), dass die Welt offenbar das von vielen Geologen vorhergesagte absolute Fördermaximum für konventionelles Öl bereits erreicht hat. Die höchste jemals erzielte Produktionszahl waren gut 74 Gigabarrel pro Tag im Mai 2005 (xls-Datei), seitdem tändelt die Förderhöhe um 73,5 Gigabarrell herum, obwohl weder eine Wirtschaftskrise noch ein größerer militärischer Konflikt oder Terroranschlag für das fehlende Wachstum verantwortlich gemacht werden können.
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Trotz weniger Öl mehr CO2Zunächst scheint es, als ob die zweite Nachricht im Vergleich zu den deprimierenden Aussichten der ersten vergleichsweise lindernde Wirkung hat: Wenn wir weniger Öl verbrennen können, gelangt weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre, und der Treibhauseffekt wird gebremst. Unglücklicherweise ist Öl in Wirklichkeit nicht etwa ein wertneutraler “Rohstoff”, sondern die härteste aller Drogen, und Junkies pflegen in der Regel keine durchdachten und weitblickenden Entscheidungen zu treffen. Eher ist eine Reaktion zu erwarten, die auf der gewohnten, rein marktwirtschaftlichen Logik basiert: Wenn konventionelles Öl teuer wird, lohnt es sich zunehmend, unkonventionelle Vorkommen wie Ölschiefer, Ölsande, Tiefseeöl oder Schwerstöl auszubeuten bzw. Biosprit aus Rapsöl, Palmöl, Zuckerrohr oder sonstiger Biomasse zu gewinnen oder sogar an die im „Dritten Reich“ erstmals großindustriell genutzte Technik der Kohleverflüssigung anzuknüpfen, um einen reibungslosen weiteren Betrieb der Familienkutschen, Sportwägelchen und Brummis dieser Welt zu gewährleisten. Wie wahrscheinlich ist es, dass stattdessen alle Welt nur noch Zug fährt und Güter im Wesentlichen von Binnenschiffen transportiert werden? Die Antwort wissen Sie selbst.
Dreckschleuder synthetisches ÖlFolgt man aber dieser marktwirtschaftlichen Beelzebub-Logik, werden Kyoto- und sonstige Protokolle endgültig zur Lachnummer: Für die Umwandlung von Ölsanden in synthetische Kohlenwasserstoffe beispielsweise sind enorme Mengen an Wasser und Hitze erforderlich, die etwa bei den Vorkommen in der kanadische Provinz Alberta aus den örtlichen Trinkwasservorräten und Erdgasquellen gewonnen werden. Die vier Barrel Abwässer pro Barrel gewonnenem Treibstoff verseuchen die borealen Ökosysteme. Noch weitaus schlimmer sind die 90 bis 160 Kilogramm Kohlendioxid, die beim Produktionsprozess pro Barrel anfallen – zusätzlich zu den 400 Kilogramm Treibhausgas, die bei der Verbrennung des synthetischen Öls ohnehin entstehen! Bei der Kohleverflüssigung sieht es noch düsterer aus: Pro Tonne des gewonnenen synthetischen Treibstoffs sind zwei Tonnen Kohle als Ausgangsstoff erforderlich, und die zweite Tonne endet letztlich ohne weiteren Nutzen als “Extra-Kohlendioxid”. Je mehr Öl wir aus qualitativ minderwertigen Ausgangsstoffen oder durch synthetische Prozesse erzeugen, desto mehr zusätzliches Treibhausgas fällt dabei an.
Ersatzölproduktion hat schon begonnenWer bezweifelt, dass man im großen Maßstab auf derartige vorsintflutliche Dreckschleuder-Techniken zurückgreifen wird, dem sei versichert: Man ist längst dabei. Der südafrikanische Sasol-Konzern, der in den langen Jahrzehnten der Apartheid durch Kohlehydrierungsanlagen nach Nazi-Vorbild für eine verlässliche Kraftstoffversorgung des Burenstaats sorgte, errichtet 2007 zwei Pilotanlagen in China. Außerdem gibt es entsprechende Planungen für den US-Bundesstaat Montana und für Indien. In Venezuela und Kanada ist man derweil mit Nachdruck dabei, die Ausbeutung der Schweröl- und Ölsandvorkommen anzugehen. Kanada hat wegen der Ölsandgewinnung nicht nur seine Kyoto-Reduzierungsziele nicht erreicht, die nationalen Kohlendioxidemissionen sind sogar seit 1990 um 27 % gestiegen!
CO2-Schleuder Kohle statt Gas in den USAVergessen sei auch nicht die Stromerzeugung: In den USA gibt es bereits Planungen, die Kraftwerke, die dort hauptsächlich mit Erdgas betrieben werden, wegen der hohen Preise (der Hauptlieferant Kanada hat Lieferprobleme wegen des steigenden Eigenbedarfs, siehe oben, Ölsande) wieder auf Kohle umzurüsten. Und in China werden ungefähr ein bis zwei kleine, regionale Kohlekraftwerke pro Woche gebaut, um mit Uralttechnik den steigenden Stromhunger der Fabriken, in denen unsere billigen Haartrockner und Bohrmaschinen zusammengeschraubt werden, zu befriedigen. Sogar in Deutschland gibt es konkrete neue Projekte für die Klimaanheizer, beispielsweise in Hamburg und Bremen.
Ob man das von diesen Kraftwerken erzeugte Kohlendioxid jemals per “Sequestrierung” unterirdisch speichern können wird, steht vollkommen in den Sternen – ganz davon abgesehen, dass wir damit neben der Endlagerung des Atommülls eine weitere Wette auf die ferne Zukunft eingehen würden, deren Ausgang vollkommen unsicher ist. Wer weiß denn, ob das Treibhausgas nicht innerhalb langer Zeiträume aus den Speichern wieder ausdiffundiert und seine Klimawirkung locker bis ins nächste Jahrtausend hinein fortsetzt?
Biotreibstoffgewinnung mit HakenAuch das Potenzial von Biotreibstoffen wird weit überschätzt: Zunächst einmal muss auch für die Herstellung eines Liters Biodiesel über ein halber Liter Treibstoff zusätzlich verbrannt werden und erzeugt weiterhin Kohlendioxid, das nicht vorher in der Biomasse gespeichert wurde. Außerdem ließen sich ohnehin nur wenige Prozent unseres Verbrauchs an flüssigen Kohlenwasserstoffen durch Energiepflanzen ersetzen, weil der Wirkungsgrad der Umsetzung von Sonnenenergie über Pflanzenzucker in synthetische Kohlenwasserstoffe (der „Erntefaktor“) außerhalb der Tropen extrem gering ist und auf der ohnehin überbevölkerten Erde bei weitem nicht genügend Anbauflächen vorhanden sind, auf denen man Energiepflanzen ziehen könnte, ohne die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gefährden. Auch auf diesem Weg sind wir schon weiter, als die meisten von uns ahnen: Letzten Monat kam es in Mexiko zu den so genannten „Tortilla-Unruhen“, die von vielen deutschen Medien mit der üblichen Überheblichkeit unter der Rubrik Sombrero-Folklore abgehandelt wurden, dabei handelte es sich in Wirklich um eine Reaktion auf die zunehmende Produktion von Äthanol aus Mais. Seit der Einrichtung der Freihandelszone NAFTA ist Mexiko abhängig von US-amerikanischen Maisimporten (die hochsubventionierten Yankee-Farmer produzieren billiger als mexikanische Kleinbauern), derzeit gehen aber bereits ein Fünftel der Maisernte in den Staaten in die Äthanolproduktion, sodass bei verknapptem Angebot selbstverständlich die Preise steigen und die Leute aus den Barrios sich kein Maismehl mehr leisten können. Da gleichzeitig auch noch Cantarell, das vor der mexikanischen Küste liegende größte Offshore-Ölfeld, der Welt, statt des für 2006 vorhergesagten Förderrückgangs von sechs Prozent eine tatsächliche Abnahme um satte 25 Prozent zeigte und die mexikanische Öleinnahmen hauptsächlich zur Finanzierung des Staatshaushalts verwendet werden, dürfte hier in Kürze nach Argentinien der nächste Zusammenbruch einer Volkswirtschaft zu erwarten sein.
Alternative VerbrauchersystemeDerzeit beherrscht der Klimawandel die Schlagzeilen. Ernst gemeint bedeutet seine Bekämpfung ein Rückfahren der fossilen Rohstoffe ... und die Einsicht, dass unsere Industriegesellschaft in ihrer derzeitigen Form nicht mehr zu retten ist. Der Weg sollte weltweit zu kleinräumigen Siedlungsstrukturen, regionalen Wirtschaftskreisläufen, funktionsfähigen künstlichen Ökosystemen zur Nahrungsmittelerzeugung, einem drastisch reduzierten Energieverbrauch und einem Rückgang der Bevölkerungszahl führen. Gelingt uns dies nicht, geraten wir immer weiter in die Klemme aus abnehmender Ölförderung und Treibhauseffekt, aus der uns irgendwann nur noch ein globaler Kollaps befreien wird.
http://www.readers-edition.de/2007/02/08/die-welt-in-der-klemme/