Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Strompreisurteil LG Potsdam vom 15.05.2006 in Revision (BGH)  (Gelesen 6509 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
[ KZR-36-04  18-10-2005 ;  KZR-8-05  07-02-2006 ; 3-S-147-05  15-05-2006 ]

Das Berufungsurteil des LG Potsdam vom 15.05.2006 - 3 S 147/05, mit welchem ein beklagter Stromtarifkunde der E.ON edis nach Unbilligkeitseinwand zur Zahlung verurteilt blieb, ist nicht rechtskräftig.

Das Landgericht Potsdam hat die Revision zum BGH ausdrücklich zugelassen.

Es führte dazu aus:

Zwar ist die Rechtsauffassung der Kammer zur Auslegung des § 30 AVBEltV ( Anm.: verbraucherfreundlich) nicht entscheidungserheblich, nachdem das Gericht die Voraussetzungen einer Anwendung von § 315 BGB verneint. Allerdings besteht auch im Hinblick auf die Voraussetzungen, unter denen § 315 BGB direkt oder analog auf dem liberalisierten Strommarkt noch Anwendung finden soll, durch sich widersprechende bzw. in dieser Frage nicht ganz eindeutige Urteile eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.


Die Revision soll nach Aussage des Prozessbevollmächtigten des verklagten Stromkunden demnächst eingelegt werden.

Das Landgericht hat mit Rücksicht auf § 4 Abs. 1 AVBEltV zutreffend erkannt, dass es sich bei den jeweiligen Allgemeinen Tarifen um ein einseitiges Bestimmungsrecht gem. § 315 BGB handelt. Es knüpft dabei unmittelbar an die BGH- Rechtsprechung im Lichtblick- Urteil, NJW 2006, 684. ff. an.

Das Gericht führt in der Urteilsbegründung Seite 11 UA f. aus:

"Der zwischen den Parteien bestehende Stromlieferungsvertrag enthält hinsichtlich des vereinbarten Preises in § 4 der einschlägigen AVBEltV die Regelung, dass "zu den jeweiligen allgemeinen Tarifenund Bedingungen" zu liefern ist. Dabei handelt es sich um Tarife, die von der Aufsichtsbehörde genehmigt und erst nach öffentlicher Bekanntmachung wirksam werden.

Ein ausdrücklich vereinbartes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB ist dies nicht, denn die Parteien haben mit dem jeweils geltenden Tarif vertraglich bereits einen bestimmten Preis vereinbart, der lediglich für die Zukunft der Höhe nach noch nicht feststeht.

[Frage an alle billig und gerecht oder einfach nur logisch Denkenden: Kann es so etwas überhaupt geben; was sollte das sein ???!!!]

Es handelt sich allerdings der Sache nach um ein Leistungsbestimmungsrecht, weil der Tarif jedenfalls ohne Mitwirkung des Tarifkunden vom Versorgungsunternehmen festgesetzt wird - wenn er auch der öffentlich - rechtlichen Genehmigung bedarf.

Der Bundesgerichtshof hat dies in einer neueren Entscheidung für das Netznutzungsentgelt festgestellt (Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04). In dem dort zu entscheidenden Fall bestimmte sich der Preis gemäß einer jeweils geltenden Anlage 3, die sich auf die Verbändevereinbarung Strom II plus bezog. Der BGH hat ausgeführt, dass diese Vereinbarung nichts anderes besage, als dass die Netznutzerin sich verpflichtet habe, den von der Netzbetreiberin für eine bestimmte Periode bestimmten Preis zu bezahlen. Nichts anderes gilt für das streitige Verhältnis zwischen Stromlieferant und Endkunden, nachdem die Klägerin den Preis zwar nach bestimmten Kriterien, aber ohne Einwirkungsmöglichkeit des Tarifkunden bestimmt."




Obschon das Gericht somit bis dahin zu dem Ergebnis gelangte, dass § 315 BGB auf die geforderten Stromtarifpreise anwendbar ist, lehnte es jedoch eine Billigkeitskontrolle gleichwohl  ab.

Die entsprechende Pirouette in der Argumentation ist nicht nachvollziehbar:

Das Gericht argumentierte, aufgrund der Wechselmöglichkeit zu einem anderen Stromanbieter bestehe keine "Schutzbedürftigkeit", welche eine analoge Anwendung des § 315 BGB gebiete.

Eine analoge Anwendung komme nur in Monopolfällen in Betracht, sei im Übrigen wohl durch § 19 GWB verdrängt.


Diese Begründung vermag in mehrfacher Hinsicht nicht zu überzeugen:

Der BGH wendet § 315 BGB in solchen Fällen direkt an.

Dieser führte nämlich in dem in Bezug genommenen Urteil vom 18.10.2005  aus:

"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts findet auf die Bestimmung des Netznutzungsentgelts durch die Beklagte die Vorschrift des § 315 BGB Anwendung.

Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmung ist nach § 315 I BGB, dass die vertragliche Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden soll. Ein derartiges einseitiges Leistungsbestimmungsrecht haben die Parteien der Beklagten eingeräumt.

[Auf mehr kommt es für eine direkte Anwendung des § 315 BGB nun schon wirklich nicht an. Diese Voraussetzung hatte das Landgericht Potsdam ersichtlich als gegeben angesehen.]

Denn die von der Klägerin zu entrichtenden Entgelte sollten sich nach der "jeweils geltenden" Anlage 3 bestimmen.  

Aber auch das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von dem Netzbetreiber geforderte Entgelt ist regelmäßig ein nach dem Willen der Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt und das - schon zur Vermeidung einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung - für eine bestimmte Zeitdauer sämtlichen Vertragsbeziehungen mit gleichen Nutzungsprofilen unabhängig davon zu Grunde liegen soll, wann der Vertrag geschlossen wird. Auch dann, wenn das Entgelt betragsmäßig bereits feststellbar ist, wird - wie im Streitfall der Verweis auf die "jeweiligs geltende Anlage 3" verdeutlicht - nicht dieser Betrag als Preis vereinbart...."  


Es ist nicht ersichtlich, weshalb das Landgericht Potsdam sich mit der Frage der direkten Anwendung des § 315 BGB nicht befasste, ja diese vollkommen überging, obwohl sie sich doch eindeutig aus dem BGH- Urteil ergibt.

Ohne diese Pirouette wäre das Gericht zugleich zum zutreffenden Ergebnis gelangt.

Die Frage nach der analogen Anwendung der Norm stellt sich deshalb schon nicht.

Es kommt weder auf eine Monopolstellung, noch eine Angewiesenheitslage, noch auf Leistungen der Daseinsvorsorge an, sondern allein darauf, dass die Parteien sich vertraglich darauf geeinigt haben, dass die vertragliche Leistung (hier: der Preis) durch einen der Vertragsschließenden (einseitig) bestimmt werden soll.

Das wird schon daran deutlich, dass der BGH dabei auf seine Rechtsprechung zu Zinsänderungsklauseln der Banken verweist.


Die Schutzbedürftigkeit hat nicht die Anwendung des § 315 BGB zur Folge, sondern aus der direkten  Anwendbarkeit des § 315 BGB folgt vielmehr die Schutzbedürftigkeit des "Bestimmungsopfers".

Hinsichtlich der Verdrängungsthese stützt sich die Entscheidung auf das OLG Stuttgart, dessen Entscheidung durch den BGH am 07.02.2006 - KZR 8/05 aufgehoben wurde und die Mindermeinung von Kühne.

Verwunderlich ist, dass dem Gericht der Widerspruch nicht auffällig war, dass es einerseits keiner Preiskontrolle (mehr) bedürfen solle, andererseits die Stromtarifpreise in Brandenburg einer behördlichen Tarifaufsicht und Genehmigungspflicht unterfallen, hingegen Netznutzungsentgelte (bisher) keiner Genehmigungspflicht, jedoch einer zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterfallen.

Da hätte doch wohl ein erst- recht- Schluss nahe gelegen.


Gegen das  Urteil soll deshalb Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt werden, um die notwendige Rechtsklarheit zu schaffen, die einige wohl immer noch vermissen.

Aus meiner Sicht wird die Revision erfolgreich sein. Der BGH wird seine langjährige Rechtsprechung wohl bestätigen, zumal er für die Netzentgeltproblematik bereits sensibilisiert ist.


Es steht zu erwarten, dass dieses Urteil des LG Potsdam wie auch die vorinstanzliche Entscheidung des AG Potsdam alsbald in der RdE veröffentlicht wird.



Anmerkungen:

E.ON edis hatte für beide Instanzen die Anwälte extra aus Hamburg "einfliegen" lassen.

Der ironische Teil des Falles:

Der Kunde wollte zu einer Bayernwerks-Vertriebstochter (TEAG, heute E.ON Thüringen) wechseln, scheiterte jedoch seinerzeit daran, dass edis (seinerzeit noch PreussenElektra) die Durchleitung nicht gestattete.

Es gab einmal einen Wettbewerb zwischen den Vorgängergesellschaften E.ON edis und E.ON Thüringen.

Dieser gipfelte darin, dass einem TEAG- Vertriebsmitarbeiter bei e.dis Hausverbot erteilt wurde, weil dieser angesichts des restriktiven Durchleitungsmanagements die Aussage getroffen hatte, dass er sich hinsichtlich der bevorstehenden Fusion zwischen Bayernwerk und PreussenElektra schäme, mit den Kollegen bald zu einem gemeinsamen Unternehmen zu gehören.

Heute gibt es keinen Wettbewerb mehr, dafür aber OneE.ON und alle haben sich lieb und halten zusammen.

Der Prozessbevollmächtigte von e.dis hatte zuvor einen Aufsatz "Gerichtliche Billigkeitskontrolle von Netznutzungsentgelten nach § 315 Abs. 3 BGB ?" in RdE 2003, 9 ff. veröffentlicht und hatte allein deshalb nach den neuen BGH- Urteilen wohl allen Grund, seine Rechtsauffassung zu revidieren.




Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Strompreisurteil LG Potsdam vom 15.05.2006 in Revision (BGH)
« Antwort #1 am: 02. Juni 2006, 11:59:51 »
Aus dem genannten Strompreisurteil des LG Potsdam ist zu entnehmen, dass es sich mit Rücksicht auf § 4 AVBV, also auch im Gasbereich um ein vertraglich vereinbartes einseitiges Bestimmungsrecht des Versorgers handelt.

Ein solches allein ist nach der BGH- Rechtsprechung Voraussetzung für die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle in direkter Anwendung des § 315 BGB:

http://lexetius.com/2005,2957

Das ist (bisher) die eigentliche Bedeutung der Entscheidung.

Eine andere Kammer des LG Potsdam wusste davon anscheinend noch nichts.


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Strompreisurteil LG Potsdam vom 15.05.2006 in Revision (BGH)
« Antwort #2 am: 04. Juli 2006, 22:33:15 »
Das Verfahren auf die Revison trägt beim Bundesgerichtshof das Aktenzeichen VIII ZR 144/06.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Strompreisurteil LG Potsdam vom 15.05.2006 in Revision (BGH)
« Antwort #3 am: 23. Juli 2006, 12:41:02 »
Das Urteil, welches sich in der Revision vor dem BGH befindet, findet sich hier:

http://www.energieverbraucher.de/de/site/Hilfe/Container-Urteilssammlung/site__1999/

Dies Urteil wird auch von Prof. Markert in  ZNER 2006, 140, dort in Fn. 26 als rechtsfehlerhaft bezeichnet, weil das LG Potsdam § 315 BGB nicht direkt angewandt hat:

http://www.pontepress.de/pdf/200602U2.pdf


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz