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Autor Thema: Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?  (Gelesen 4857 mal)

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Offline RR-E-ft

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Immer wieder stellt sich die Frage, wie es sich bei unwirksamen Preisänderungsklauseln verhält.


Nach dem Urteil des BGH vom 22.12.2003 - VIII ZR 90/02, dort unter II 2 a) gilt folgendes:

Nach herrschender Meinung ist in Fällen, in denen eine Lücke in vorformulierten Verträgen nicht auf Einbeziehungs- oder Inhaltskontrollschranken ( §§ 305 ff BGB) beruht, eine ergänzende Vertragsauslegung zulässig.

http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/BGH_031222_VIIIZR90-02.pdf

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass für eine ergänzende Vertragsauslegung dann schon kein Platz ist, wenn die Lücke erst und gerade auf Einbeziehungs- oder Inhaltskontrollschranken beruht.

Alles andere liefe schon dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zuwider (§ 306a BGB).

AGB-rechtlich unzulässige und deshalb unwirksame AGB- Klauseln  in Sonderverträgen können schon nicht nach § 306 II BGB durch die Regelungen der AVBV ersetzt werden:

Bei diesen handelt es sich ausweislich des Wortlautes nach § 1 Abs. 1 Satz 2, Absatz 2 AVBV in jedem Falle nur um Regelungen gegenüber Tarifkunden, gelten also gerade nicht gegenüber Sondervertragskunden.

Insbesondere § 4 AVBV verhält sich auch lediglich zur Änderung allgemeiner Tarife.

Im Strombereich handelt es sich um die nach § 12 BTOElt genehmigten Tarife, Erhöhungen bedurfen einer beördlichen Genehmigung nach § 12 II BTOElt.

Im Gasbereich handelt es sich weiterhin um die vormals in der BTOGas geregelten Pflichttarife: Grundpreistarif (Tarif G) und Klainverbrauchstarif (Tarif K) (vgl. im Einzelnen Arzt/ Fitzner, ZNER 2005, 305 ff., Säcker, RdE 2006, 65, [69/70]).

Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 AVBV gibt kein Recht zu einseitigen Leistungsbestimmungen, sondern setzt eine vertragliche Abrede voraus und bestimmt eine zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung.

Mithin handelt es sich auch um keine dispositiven gesetzlichen Regelungen, von denen etwa in Sonderverträgen erst abgewichen werden könnte oder wird, weil sie für diesen Bereich von Anfang an schon  nicht gelten.

Auch eine Leitbildfunktion der Bestimmungen der AVBV kommt nicht in Betracht (vgl. nur BGH NJW 2005, 2919):

In dieser Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass eine dem § 30 AVBV nachgebildete Vertragsklausel eine unangemessene Beanchteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt, weil damit gegen den elementaren Rechtsgedanken des § 315 BGB verstoßen wird.

In Verträgen mit Verbrauchern sind an die Ausgewogenheit und Klarheit der Erhöhungsklauseln strenge Anforderungen zu stellen.

Klauseln, die dem Verwender eine Preiserhöhung nach freiem Belieben gestatten, sind unwirksam (BGHZ 82, 24; BGH NJW 83, 1604; BGH NJW 85, 856); die Möglichkeit, die Preisänderung  im Einzelfall gem. § 315 Abs. 3 BGB überprüfen zu lassen, steht der Anwendung von § 307 BGB nicht entgegen (BGH NJW 80, 2518).

Die Klausel muss Grund und Umfang der Erhöhung konkret festlegen (BGH aaO; BGH NJW 86, 3135; OLG düsseldorf BB 97, 699).

Unwirksam ist eine Erhöhungsklausel, wenn sie keine nochvollziehbare Begrenzung enthält und eine Ausweitung des Gewinns zulässt ( BGH NJW 90, 116; OLG Köln, NJW-RR 95, 758), wenn die Klausel auf die Erhöhung der Kostensätze einer nicht offen gelegten Kalkulation abstellt (OLG Düsseldorf, DB 82, 537; OLG Celle BB 84, 808).

Der Grundsatz, dass die Änderungskriterien konkret bezeichnet und die Interessen des anderen Teils angemessen berücksichtigt werden müssen, gilt auch für Energielieferungsverträge ( Ebel, DB 82, 2607; Kunth/ Wollburg, BB 85, 230)

Eine unwirksame Klausel fällt ersatzlos weg; die entstehende Lücke wird nicht etwa über § 315 BGB geschlossen (Schimansky, WM 01, 1169/ 1175; a.A. Habersack, WM 01, 753).
 
Im Gegensatz dazu hat das AG Dresden in einem Urteil vom 19.05.2006 - 112 C 6396/05, eine wegen Verstoß gegen § 307 BGB unwirksame Preisanpassungsklausel hinsichtlich gestiegener Bezugskosten durch die Regelung des § 315 BGB ersetzt.

Dies ist m. E. aus vorgenannten Gründen wohl nicht haltbar, als auch § 315 BGB von sich aus kein Anpassungsrecht beinhaltet und begründet, sondern nur zur Anwendung kommt, wenn ein solches überhaupt wirksam vereinbart wurde.

Dies steht auch im Gegensatz zu den Urteilen der LG Bremen vom 24.05.2006, LG Berlin vom 19.06.2006 und LG Dresden vom 30.06.2006.

Das eine isolierte Anwendung von § 315 BGB allein auf gestiegene Bezugskosten nicht möglich ist, ergibt sich bereits aus der BGH- Rechtsprechung (BGH NJW-RR 2005, 1717), auf welche das AG Dresden in seiner Entscheidung ausdrücklich Bezug nimmt.


Eine Rückforderungs- und Feststellungsklage eines Verbrauchers wurde mit diesem Urteil des AG Dresden abgewiesen.

Das AG Dresden beurteilte dabei auch das Verhältnis zwischen Feststellungs- und Leistungsklage entgegen der neueren BGH- Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05).

Das v.g. Urteil ist berufungsfähig.
Ob Berufung eingelegt wurde, ist nicht bekannt.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #1 am: 11. Juli 2006, 17:14:36 »
Auch das BAG hat in einem jüngeren Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 364/04-  eine gegen §§ 307, 308 BGB verstoßende Klausel in einem Formulararbeitsvertrag für die Zeit nach dem 31.12.2002 ersatzlos entfallen lassen, lediglich für die Zeit vor dem 31.12.2002 (Altfälle) eine ergänzende Vertragsauslegung zugelassen:

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&sid=d8ddbf28fa2d262e0aa90fd79cae8461&nr=10296&anz=1&pos=0&Frame=2



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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Offline alx

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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #2 am: 12. Juli 2006, 10:04:23 »
Hallo H. Fricke,

kurze Frage: Wodurch könnnte das GVU zum einseitigen Leistungsbestimmungsrechts kommen, wenn  keine ergänzenden Bestimmungen (sog. Preisklausel) vorliegen?
Wir haben gesehen, AVBGasV scheidet aus, BTOGas ist ersatzlos seit 98 abgeschafft. Was gibt es noch?

Ergo: Sollte mein GVU keine Preisklausel (gültig/ungültig steht dann ja nicht zur Diskussion) haben, dann wäre eine Preisanpassung Willkür. Und somit - wenn ich nicht freiwillig zahle - eigentlich nichtig.

Oder?

Mit der Bitte um fachmännische Beleuchtung...
Gruß
Alex
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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #3 am: 12. Juli 2006, 11:48:54 »
@alx

Es bedarf immer einer Prüfung im Einzelfall:

Tarifkunden - > AVBGasV

Sondervertragskunden:

1. Preisänderungsklausel überhaupt vorhanden und wirksam einbezogen (§ 305 BGB) ?

Bei Bejahung von 1:

2. Preisänderungsklausel überhaupt wirksam (§ 307 BGB) ?

Bei Verneinung von 2:

3. Ergänzende Vertragsauslegung möglich (§ 306a BGB) ?

Bei Verneinung von 3:

Siehe LG Bremen, LG Berlin, LG Dresden.

Es bedarf jedoch jeweils einer entsprechenden Prüfung und es lässt sich keinesfalls das Ergebnis generalisierend vorwegnehmen.

Dies wäre ein Kurz- Schluss.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #4 am: 12. Juli 2006, 13:44:31 »
Merci für die rasche Antwort, aber genau auf den Tarifkunden wollte ich hinaus (war vielleicht nicht deutlich). Aus dem ersten Thread-Posting, möchte ich folgendes zitieren:
Zitat von: \"RR-E-ft\"

Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 AVBV gibt kein Recht zu einseitigen Leistungsbestimmungen, sondern setzt eine vertragliche Abrede voraus und bestimmt eine zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung.


Nun meine These: Sollten keine weiteren (ergänzenden) Bestimmungen vorliegen, welche die Preisanpassung klären oder definieren, so wäre eine solche erstmal ohne rechtliche Grundlage (es gibt ja keine Vereinbarung darüber).

Ist dies stimmig?
Denn sollte dies so sein, so wäre ja die Frage nach der Billigkeit erst zweitrangig zu klären, nachdem nachgewiesen wurde, daß überhaupt eine Preisanpassung rechtens ist.

Oder woher leitet sich der Anspruch zur einseitigen Leistungsbestimmung ab? Aus der Bereitstellung des Gutes (Gas)?

(vielleicht denke ich jetzt auch nur ein wenig quer...)

Gruß nach Jena
Alex
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Offline RR-E-ft

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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #5 am: 12. Juli 2006, 14:20:15 »
@alx

Für Tarifkunden selbst ist die Sache nicht so eindeutig, als schon § 4 I AVBGasV von jeweiligen allgemeinen Tarifen spricht, so dass hervorgeht, dass diese immer nur zeitlich befristet gelten, nicht unveränderlich sind.

Dabei kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für Allgemeine Tarife ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht bei dynamischer Verweisung auf Preisblätter in Betracht, welches dann auch schon für den Anfangspreis gilt (BGH NJW 2006, 684 ff.).

Dass Gastarifpreise überhaupt nicht geändert werden könnten, entspräche  ebenso nicht § 1 EnWG bei fallenden Kosten der Gasbereitstellung.....



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen Klauseln ?
« Antwort #6 am: 12. Juli 2006, 15:16:57 »
@Fricke,

ok, danke!

Wobei es dadurch ja sogar im Interesse des GVUs ist, sich §315 BGB unterwerfen zu "dürfen", da ansonsten ja wirklich jegliche Grundlage für eine einseitige Leistungsbestimmung fehlen würde.

Naja, wie dem auch sei... ich will ja nur einen angemessenen (:lol: wenn es so einfach festzustellen wär\') Preis zahlen und schon bin ich friedlich...

Gruß
Alex
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