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Fernwärmepreis-Urteil OLG Brandenburg vom 21.06.2006
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RR-E-ft:
[ KZR-30-00 09-07-2002 ; KZR-8-05 07-02-2006 ; VIII-ZR-138-05 15-02-2006 ; 7-U-175-05 21-06-06 ]
Das Urteil ist abrufbar unter:
http://www.agfw.de/fileadmin/dokumente/rec/OLG_Brandenburg_060621_7U175-05.pdf
Das Gericht ging davon, dass es sich bei einer HEL- Preisformel um eine Individualvereinbarung handele, die deshalb keiner Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterfalle.
In der Regel werden solche Formeln indes nicht individuell ausgehandelt, sondern vom Fernwärmeversorgungsunternehmen einseitig gestellt.
Es war von den Parteien nichts dazu vorgetragen, dass es sich bei der vertraglich vereinbarten Preisformel um AGB iSv. §§ 9 AGBG, 307 BGB handelt.
Entsprechendes liegt jedoch auf der Hand:
Das Gericht wendet § 24 AVBFernwärmeV an.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AVBFernwärmeV gelten die §§ 2 bis 34 soweit Fernwärmeversorgungsunternehmen für den Anschluss und für die Versorgung mit Fernwärme Vertragsmuster oder Vertragsbedingungen verwenden, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind (allgemeine Versorgungsbedingungen).
Allein aus dem Gleichbehandlungsgebot als auch aus dem kartellrechtlichen Diskriminierungsverbot folgt zugleich, dass vergleichbare Kunden nicht zu unterschiedlichen Preisen und mithin unter Verwendung unterschiedlicher Preisformeln versorgt werden können.
Dies ist wohl auch die Quintessenz aus dem Urteil des BGH vom 15.02.2006 - VIII ZR 138/05 (NJW 2006, 1667, 1670).
Dann aber folgt daraus, dass es sich um AGB handelt.
Es lässt sich wohl schwer § 24 AVBFernwärmeV zur Anwendung bringen, ohne dass es sich um Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen handelt.
Weil es schon zur Gewährleistung einer sachlich gebotenen Gleichbehandlung aller vergleichbaren Kunden darauf ankommt, von vergleichbaren Kunden jederzeit gleiche Preise zu fordern, kann das Versorgungsunternehmen wohl gar nicht anders, als beabsichtigen, die selbe Klausel in einer Vielzahl von Fällen zu verwenden.
Dies reicht grundsätzlich aus, um das Vorliegen einer AGB zu bejahen.
Nichts anderes folgt aus § 24 AVBFernwärmeV und § 2 AVBFernwärmeV, der auf vergleichbare Versorgungsverhältnisse abstellt (BGH NJW 2006, 1667 ff.).
Bei einem konkludenten Vertragsabschluss erfolgt nach § 2 Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV zu den für gleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden Preisen (BGH, aaO.)
Insoweit ist im Anwendungsbereich der AVBFernwärmeV wenig Platz für Individualvereinbarungen.
Es handelt sich um einen Kardinalfehler, auf dem das gesamte Urteil gründet.
Wäre es demnach auf eine Transparenz- und Billigkeitskontrolle gem. §§ 307, 315 BGB angekommen, hätte der Streit wohl in einigen Teilen anders entschieden werden müssen.
Auffallend ist, dass etwa Held NZM 2004, 169 ff. nicht zitiert wurde.
Eine unangemessene Benachteiligung liegt darin, wenn die Preisformel die Kostensituation des Versorgungsunternehmens nicht zutreffend abbildet, was nur durch Offenlegung der Kalkulation kontrolliert werden kann.
Die Preisklausel muss sich grundsätzlich an der konkreten Kostenstruktur des Versorgers orientieren.
Es muss sich also um eine Kostenelementeklausel handeln (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2005, 1717 und OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 858).
Eine Klausel, die ohne Bezug zu den konkreten Kosten des Versorgers auskommt ist unzulässig. Deshalb kann das Äquivalenzverhältnis auch nicht durch Bezugnahme auf ganz andere Größen gebildet werden, wie das Gericht meint.
Sonst können nach Vertragsschluss durch die Anwendung der gestellten Klausel zusätzliche Gewinne realisiert werden.
Die Bezugnahme auf einen Wärmemarkt soll dabei nur eine Obergrenze beschreiben, so dass auch bei zutreffender Darstellung aller Kosten kein kostendeckeneder Preis mehr verlangt werden kann, wenn dieser die Preise auf dem sonstigen Wärmemarkt übersteigt.
Dies könnte etwa bei einem ineffizient arbeitendem Versorger der Fall sein. Dieser kann dann keine kostendeckenden Preise verlangen. Die Ineffizienz ist ein unternehmerisches Risiko, welches er selbst zu tragen hat und welches nicht auf die Kunden abgewälzt werden darf.
Unzutreffend ist es weiter, hinsichtlich eines Wärmemarktes ausschließlich auf HEL abzustellen.
Das Gericht weist in diesem Zusammenhang auf gerichtsbekannte Tatsachen hin, zu denen sich die Frage stellt, worauf eine solche Kenntnis gründen sollte:
Kohle, Brennholz, Schwachlastregelungen für Heizstrom nach § 9 BTOElt, Wärmepumpen, Holzpellets etc. richten sich preislich gerade nicht nach HEL.
Für Erdgas ist diese Entwicklung und Kopplung bekanntlich sehr umstritten, wird für unzulässig erachtet.
All dies scheint dem Gericht nicht bewusst zu sein, obschon es in seinem Urteil vom 16.03.2006 gerade den Wärmemarkt noch so weit abgegrenzt hatte.
Ganz zu schweigen von der Entscheidung des BGH vom 09.07.2002 - KZR 30/00, nach der es einen einheitlichen Wärmemarkt für Fernwärme und Heizöl nicht gibt.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Fraglich, ob deshalb Nichtzulassungsbeschwerde erhoben wird.
Aus dem Urteil geht indes eindeutig hervor, dass eine etwaige Unbilligkeit der Klausel selbst wohl in einem Rückforderungsprozess geltend gemacht werden könnte.
Insoweit läge m.E. dann aber auch bereits ein entsprechendes Feststellungsinteresse vor und hätte deshalb nicht verneint werden dürfen.
Denn es kann für die Zukunft Rechtssicherheit geschaffen werden. Ein Rückforderungsprozess betrifft demgegenüber immer nur bereits abgerechnete und bezahlte Beträge aus der Vergangenheit.
Es müsste aus ein und dem selben Grund jeweils neu auf Rückzahlung geklagt werden, ein Zustand, welcher der BGH dem Abnehmer gerade nicht zumutet.
Deshalb hätte eine Feststellungsklage, deren Wirkung auch in die Zukunft reicht, eine weitergehende Wirkung und wäre deshalb zuzulassen (BGH, Urt. v. 07.02.2006 - KZR 8/05).
Nach alldem vermag das Urteil nicht zu überzeugen.
Es wäre wünschenswert, wenn der BGH in einer Revision Gelegenheit erhielte, dieses zu überprüfen.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
cabello:
Hallo Hr. Fricke
Was war zuerst da, das Ei oder das Huhn?
Ist das nicht eine Spirale von Widersprüchen, die man sich nicht traut durchbrechen?
- §315 soll nicht angewendet werden, weil es sich angeblich um eine Individualvereinbahrung handelt.
- Ein Ausgehandelter Vertrag währe aber nicht erlaubt wegen den Gleichbehandlungsgebot bzw, Diskriminierungsverbot.
- Diese Formel wiederum ist bestandteil des AGB was aber zur folge hätte das §315 zur Geltung käme wegen einseitiger Preisbestimmung.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Hr. Fricke wieso darf das Oberlandesgericht eine Revision nicht zulassen? Sind sie Unfehlbar?
ich verbleibe
uwes:
--- Zitat von: \"RR-E-ft\" ---Es handelt sich um einen Kardinalfehler, auf dem das gesamte Urteil gründet.
--- Ende Zitat ---
Genauso ist es. Es macht wirklich Sinn, den Gerichten die einschlägige Rechtsprechung und wohl auch den Wortlaut der Versorgungsbedingungen immer wieder vor Augen zu führen.
Morgen soll eine Entscheidung des LG Verden anstehen. Es scheint sich auch dort die Unkenntnis durchzusetzen.
RR-E-ft:
@cabello
Immer wieder kommt es vor, dass Gerichte Normen anwenden, so vorliegend § 24 AVBFernwäremV, ohne nachzulesen, für welche Fälle diese Norm überhaupt gilt, so vorliegend in § 1 AVBFernwäremV.
Unglaublich.
Nur weil es eine Norm gibt, muss diese für den Fall ja nicht einschlägig sein.
Man bedenke, was ein kleiner Taschendieb zu besorgen hätte, wenn einem Strafrichter eine deutsche Übersetzung der Scharia in die Hände fiele und der Staatsanwalt auch die darin aufgeführten Vorschriften für durchaus angemessen hielte, schon aus Gründen der Genaralprävention.
Es müsste wohl eine neue Besoldungsgruppe für Schrafrichter eingeführt werden.
Kann bei Fernwärme nicht anders sein:
Das KG Berlin weist in einem Beschluss vom 15.01.1997 (RdE 1997, 239) im Anschlus an das Bundeskartellamt zutreffend darauf hin, dass allein durch das Fordern verbrauchsunabhängiger Grundpreise deutliche wird, dass Erdgaspreise nicht in einem Wettbewerb zu HEL gebildet werden.
Ein verbrauchsunabhängiger Grundpreis für HEL ließe sich im Markt nicht durchsetzen, Heizölhändler, die dies versuchen sollten, würden aus dem Markt gedrängt.
Weil die Gasversorger gleichwohl solche Preise im Markt durchsetzen können, bestehe gerade kein wirksamer Preiswettbewerb (so auch BKart RdE 1996, 79 ff; LKartB Brandenburg, et 1997, 630 ff.).
Wenn es einen wirksamen Wettbewerb gäbe, hätte man auch die Erhöhung der Mineralölsteuer nicht über eine Preiserhöhung auf die Kunden weiterwälzen können, weil die Heizölpreise dabei gerade nicht gestiegen waren.
In der o. g. Entscheidung des KG Berlin wird auch ausgeführt, dass sich aus dem Grundsatz der Preisgünstigkeit gem. § 1 EnWG zugleich ergebe, dass es dem Unternehmen auch verboten sein kann, seine zu hohen Kosten zu decken, also überhaupt eine Kostendeckung zu erreichen.
Sollte das Unternehmen hierdurch in seinem wirtschaftlichen Bestand gefährdet werden, so sei dies hinzunehmen. Wenn das Unternehmen deshalb nicht mehr in der Lage sei, die notwendigen Investitionen zu tätigen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müsse dem Unternehmen die Befugnis zur Energieversorgung entzogen und ein anderes Unternehmen in die öffentliche Versorgungsaufgabe eingeweisen werden.
So einfach ist das, nicht anders im Wettbewerb.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt
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