Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?  (Gelesen 5330 mal)

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Offline Rotam

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« am: 06. April 2006, 13:09:07 »
Hallo liebe Gemeinschaft,
wie wird es eigentlich weitergehen oder wie wird es Enden?
Wie viele hier, habe ich die Billigkeit des Gaspreises bei meinem Versorger in Frage gestellt. Es gab den üblichen Briefaustausch und zum Schluß untersagte eine Richterin die angedrohte Gassperre und legt fest dass die erhöhten Gaspreise nur zu zahlen sind oder auch nicht, wenn die Kalkulation offengelegt wird und anschließend die Stadtwerke oder der Kunde recht bekommt.
Die Frage ist, wann wird das sein oder kann es auch ein anderes Ende geben? Wird sich das noch über Jahre hin ziehen oder sollte man gegen die Stadtwerke als Einzelperson oder mit mehreren verklagen?

Offline RR-E-ft

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #1 am: 06. April 2006, 13:16:11 »
@Rotam

Wann haben einseitige, nicht nachvollziehbare und prüffähige Preiserhöhungen ein Ende?

Nach der Offenlegung der Kalkulation ist vor der Offenlegung der nächsten Kalkulation.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline gas-wucher

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #2 am: 06. April 2006, 19:47:57 »
Zu Gut deutsch: Der §315 ist der Alptraum aller GVU\'s, da sie letztlich mit ihren Gaspreisforderungen im rechtsfreien Raum stehen...... Zumindest bis zur Marktöffnung im Oktober....

Danach müßte die geniale Strategie nochmal neu überdacht werden, wenn es beim Gas dann so laufen sollte wie beim Strom: Marktöffnung, aber quasi ein Einheitspreis, der das Doppelte der Grenzkosten (Stromeinkaufspreis+Durchleitungskosten+Abrechnungskosten) - also mitnichten ein Marktpreis (!) - aber formal kein Monopol......

Offline RR-E-ft

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #3 am: 06. April 2006, 19:56:03 »
@gas-wucher


Es ist eine gestrickte und umso mehr wohl gepflegte Legende, dass § 315 BGB nur bei Monopolen Anwendung findet.

Diese Annahme ist juristisch unhaltbar.

Alle einseitigen Leistungsbestimmungen eines Vertragspartners, in welchem zivilrechtlichen Vertrag auch immer, unterliegen im Zweifel der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB.

Bei einseitigen Preiserhöhungen gilt § 315 BGB immer, auch beim Zeitungsabo und bei Kabel-TV- Gebühren, oder bei der Miete.

In letzterem Fall ist es unerheblich, ob Lieschen Müller lediglich  eine kleine Abstellkammer auf ihrem Anwesen vermietet oder ob es sich um ein regional marktbeherrschendes Wohungsunternehmen handelt.

Wenn Lieschen Müller als Vermieter nach dem abgeschlossenen Vertrag über die Höhe der zu zahlenden  Miete allein bestimmen können soll, dann muss der Mieter geschützt werden, weil er sich ja dieser einseitigen Bestimmung vertraglich unterworfen hat und nicht schutzlos sein darf, wenn diese Unterwerfung unter fremden Willen missbräuchlich vom zur Leistungsbestimmung Berechtigten ausgenutzt wird. Das gilt umso mehr, wo Lieschen Müller so pfiffig war, den Vertrag sogleich auf lange Zeit abzuschließen. Die sonst unbedarft erscheindende Lieschen Müller könnte sonst Mondpreise bestimmen: Vertrag ist Vertrag und Verträge sind einzuhalten, basta.




Der Gesamtpreis unterliegt immer da einer Billigkeitskontrolle, wo der Leistungserbringer einem gesetzlichen Kontrahierungszwang unterliegt, also gesetzlich zum Vertragsschluss verpflichtet ist und sich einseitig bestimmter, \"jeweils geltender Tarife\" anhand von Preisblättern bedient.

Ein solcher gesetzlicher Kontrahierungszwang ist - als Einschränkung der Privatautonomie - die große Ausnahme und besteht deshalb schon nur in den Bereichen, wo die Leistungsnachfrager auf eben eine solche Leistungserbringung angewiesen sind.

Weil diese Angewiesenheit besteht, besteht jedoch auch die Gefahr der missbräuchlichen Ausnutzung.


Siehe hier:

Statement Frau Richterin am BGH Ambrosius zu § 315 BGB


§ 315 BGB ist keine Vorschrift für Monopole, sondern gilt für jedweden schuldrechtlichen Vertrag zwischen zwei Vertragspartnern.

Er gilt auch nicht allein bezogen auf Preise, sondern für alle Formen von einseitigen Leistungsbestimmungen.

Genial war es allein, die Rechtslage so zu vernebeln, dass selbst gestandene Juristen teilweise der Auffassung sind, die Vorschrift käme allein bei Monopolen und Angewiesenheitslagen zur Anwendung.


Das ist schlicht falsch, wie eine Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte des BGB deutlich aufzeigt.

Wo man keine Argumente hat, da muss man eben Verwirrung stiften.

Und dies ist bisher vielfach gelungen.

Indes: Die Nebel lichten sich, wie das \"Lichtblick\"-Urteil zeigt.


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
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Offline Cremer

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #4 am: 06. April 2006, 21:39:43 »
@gas-wucher,

und den § 315 BGB gibt es schon seit ca. 80 Jahren, damals Reichsgesetzbuch

Bereits 1925 hatte ein Stromunternehmen gegen seinen Vorlieferanten den § 315 geltend gemacht.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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Offline gas-wucher

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #5 am: 06. April 2006, 23:00:44 »
Das o.g. deckt sich somit mit dieser Fundstelle, die sich auf BGH Az.: VIII ZR 279/02 bezieht:

http://dejure.org/dienste/lex/BGB/315/1.html Hier Nr. 5 von 98;
(Dies ist das Wasser-Anlogon)

Offline RR-E-ft

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #6 am: 07. April 2006, 01:34:26 »
@Cremer

Im Jahre 1996 feierte man 100 Jahre Verkündung des BGB.

Der Beck-Verlag hatte eine Faksimileausgabe anläßlich des 100jährigen Jubiläum der Verkündung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 18.08.1896 herausgegeben.

Der Originaltext in alter Schreibweise.

Der § 315 BGB steht von Anbeginn an vollkommen unverändert im Gesetz und hört sich deshalb so antiquiert an, ist jedoch wohlverstanden vollkommen zeitgemäß.

Die antiquierte Sprache verwirrt nur zuweilen etwas.


Selbst Prof. Säcker formulierte jüngst in der RdE 2006, 65 ff., niemand habe einen Anspruch auf einen billigeren Preis, denn den wettbewerbsanalolgen Preis - und hat damit m. E. unrecht.

Im Sinne von § 315 BGB gibt es eine der Billigkeit enstprechende -heute: mit Rücksicht auf die Interessen beider Vertragspartner angemessene - Leistungsbestimmung. Von einem Preis ist in § 315 BGB ja gar keine Rede. Deshalb meint \"billig\" dabei auch überhaupt nicht das Gegenteil von \"teuer\". Mithin kann man auch \"billig\" i.S.v. § 315 BGB gar nicht steigern zu \"billiger\".  Es gibt also nur einen billigen Preis (innerhalb einer Spannbreite), der nicht noch billiger sein könnte.

Ob des gewandelten Sprachverständnisses konnte es wohl nur zu der o. g. Interpretation kommen.

Wenn man nämlich mit der zeitgemäßeren Formulierung arbeitet, also der mit Rücksicht auf die Interessen beider Vertragspartner angemessenen Leistungsbestimmung, sieht man ggf. leicht Folgendes:


Es gibt sehrwohl unbillige Preise, welche die Verbotsgrenze des Kartellrechstwidrigen noch nicht erreichen.

Es kommt eben auf die speziellen Interessen beider Vertragspartner im ganz konkreten Vertragsverhältnis an.

Deshalb hat man das konkrete Vertragsverhältnis in Betracht zu nehmen, wie es auch der BGH regelmäßig macht:

Bei einem Energielieferungsvertrag folgt aus § 1, 2 EnWG das Interesse des Kunden an einer möglichst preisgünstigen Versorgung.

Dieses Interesse wird gegen das Interesse des EVU abgewogen.

Dieses hat ein Interesse an Kostendeckung und darüber hinaus angemessenen Gewinns, der im Interesse der Allgemeinheit nicht profitmaximiert sein kann und darf.

Ohne diese Austarierung ergäbe sich das, was die EVU wohl derzeit praktizieren.

Unterstellt die Preise wären tatsächlich von großer Nachfrage getrieben - was sie jedenfalls im Inland wegen relativ konstanter Nachfrage  gar nicht sind - so werden die Preise nicht von den Kosten bestimmt, sondern von knappem Angebot und großer Nachfage, was hohe Preise zur Folge hat, mit denen man bei gleicher Kostenbasis hohe Gewinne generieren kann.

Eine hohe Energienachfrage in China und Indien mag die Preise für Einsatzbrennstoffe beeinflussen und somit auch einen Teil der Kosten, jedoch nicht die Inlandsnachfrage nach Elektrizität.

Wenn alle Chinesen und Inder sich gleichzitig vor geöffneter Kühlschranktüre die Haare föhnen, muss es wohl deshalb im Sauerland nicht dunkel werden.

Hohe Preise (und Gewinne) könnten sich also ggf. im Wettbewerb einstellen und wären ggf. sogar wettbewerbsanalog, wenn man unberücksichtigt lässt, dass hohe Gewinne im wirksamen Wettbewerb zugleich eine Ausdehnung des Angebots zur Folge hätten, soweit dies kurzfristig möglich ist.

Darauf kommt es bei § 315 BGB gar nicht an, weil dabei das o. g. Prinzip zu beachten ist, dass nämlich  die Interessen beider Vertragspartner berücksichtigt und austariert werden müssen.

Und deshalb ist § 315 BGB \"feinfühliger\" als die kartellrechtlichen Bestimmungen, weil immer die Interessen der konkreten Vertragspartner betrachtet werden müssen.

Der Wettbewerb hingegen nimmt auch dort, wo er funktioniert, auf die Interessen der Vertragspartner im konkreten Vertragsverhältnis gar keine Rücksicht, weil er diese schon nicht kennt.

Der Leistungsbestimmende darf nicht allein seine eigenen Interessen verfolgen, weil er ja gerade eine Bestimmung treffen soll, auf welche man sich sonst zu einigen gehabt hätte, wobei die Einigung den Abschluss eines Ringens der gegenseitigen/ widerstreitenden Interessen zweier Kontrahenten bedeutet.

Die einem gesetzlichen Kontrahierungszwang unterliegenden EVU müssen somit zunächst die gesetzlichen Ansprüche gegenüber den daraus zugleich Anspruchsberechtigten erfüllen.

Verfügen die EVU darüber hinaus über Kapazitäten, dürfen diese im weltweiten Wettbewerb zu den sich dort bildenden Preisen angeboten werden.

Weil sich die Billigkeit aus den Interessen der Vertragpartner des konkreten Vertrages herleitet, wird auch schnell klar, dass der Preis ein und des selben Versorgers für ein und die selbe Leistung , welcher gegnüber dem einen Kunden billig ist, gegenüber einem anderen Kunden nicht mehr billig sein muss.

Unter diesem Gesichtspunkt müsste es deshalb aus meiner Sicht bei den Energiepreisen

1. Zonenpreismodelle mit Bestpreisabrechnung,
2. besondere Sozialtarife

geben, weil sich dies jeweils aus den besonderen Interessen der konkreten Kunden ergibt und auch die Interessen des EVU nicht unberücksichtigt lässt.

Stellt man auf die Interessen der Vertragspartner im konkreten Vertragsverhältnis ab, ergibt sich für mich ohne weiteres, dass einem Hartz- IV- Empfänger ein günstigerer Energiepreis eingeräumt  werden muss, als einem vermögenden Kunden, ohne dass ds EVU dabei sogleich zu einer Art Sozialbehörde werden müsste.

So wie es den Energieclub gibt, sollte es eben für besonders Berechtigte besonders günstigere Tarife geben.

Konzernen, die etwa einen Rekordgewinn in 2004 auf 2005 noch um über 70 Prozent steigern, zudem nutzlos ca. eine 500 Mio. EUR für sinnentleerte Imagekampagnen aufwendet, sollte dies ggf. wohl möglich sein.

Das Zonenpreismodell mit Bestabrechnung ist demgegenüber erforderlich, weil die Preise auf einm bestimmten Durchschnittsfall kalkuliert sind, bei dem die Kosten zu decken sind pp.

Liegt jemand weit über dem Durchschnittsfall, auf dem die Preiskalkulation beruht, so werden oft viel höhere Gewinne dabei realisiert als sie im Durchschnittsfall angefallen wären.

Dies hätte jedoch auch zur Folge, dass es automatische Mengenrabatte gibt, was ökologisch ggf. bedenklich sein könnte, jedoch der ökonomischen Theorie, dem Erfordernis der Gewinnbeschränkung und somit auch der Billigkeit gem. § 315 BGB entspricht.

All solche Überlegungen lassen sich anstellen, wenn man den vollkommen zeitgemäßen Paragraphen genauer in den Blick nimmt.

Zugleich wird ggf. deutlich, warum es bei einem gesetzlichen Kontrahierungszwang des Versorgungsunternehmens immer auch einer Billigkeitskontrolle bedarf:

Was nutzt den Verbrauchern ein gesetzlicher Anspruch auf u.a. möglichst preisgünstige Energieversorgung, wenn die EVU ihre Preise nach Belieben bestimmen könnten und keine effektive Kontrolle stattfände?


Der gesetzliche Anspruch liefe beim Fordern prohibitiver Preise leer.  

Er wäre zwar auf Versorgung gerichtet, jedoch zu einem einseitig bestimmten, nicht kontrollierten Preis. Eine Kontrolle durch Wettbewerb gibt es gar nicht.

Es stände zu besorgen, dass die EVU nur auf ihre eigenen Interessen Bedacht nehmen, nicht jedoch auf die Interessen der Vertragspartner und der Allgemeinheit- darin liegt zugleich  wohl auch  antagonistischer Widerspruch.

Daseinsvorsorge durch privatwirtschaftlich agierende, selbstverständlich profitorientierte  Unternehmen könnte den Versuch der Quadratur des Kreises bedeuten, wenn man keine wirksamen Kontrollen einbaut.

@gas-wucher

Da haben Sie wohl etwas mißverstanden. § 315 BGB sorgt gerade für eine rechtliche Bindung der Versorger, verhindert alo rechtsfreie Räume. Die berechtigten Interessen der EVU werden dabei berücksichtigt, ebenso wie die Interessen der Kunden. § 315 BGB soll ja gerade den Ausgleich beider Interessen sicherstellen.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Cremer

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Wie geht es weiter und wann gibt es ein Ende?
« Antwort #7 am: 07. April 2006, 12:01:28 »
@Fricke,

recht herzklichen Dank für die Ausführungen bezgl. BGB.

wußte garnicht, dass dieser § 315 es so schon seit 100 Jahren unverändert gibt.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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