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Autor Thema: Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht  (Gelesen 11554 mal)

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Offline rhab

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Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht
« am: 03. April 2009, 17:50:01 »
Bereits in meinem Erfahrungsbericht zur Landeskartellbehörde für Energie des Lands Schleswig-Holstein hatte ich erwähnt, dass ich seit November 2007 mit meinem (auch für die lokale Grundversorgung) zuständigen Energieversorgungsunternehmen, der SWN - Stadtwerke Neumünster GmbH, eine Auseinandersetzung führe, weil ich seinerzeit gegen eine Strompreiserhöhung den Einwand der Unbilligkeit erhoben hatte.

Ende November 2008 erhielt ich wegen eines angeblichen und nicht fälligen Fehlbetrages in Höhe von rund EUR 30,-- eine Sperrandrohung meines Stromversorgers. Meine Aufforderung an die Stadtwerke Neumünster, diese Drohung zurückzunehmen, blieb unbeantwortet, sodass ich mit Hilfe einer Rechtsanwältin zunächst eine einstweilige Verfügung gegen diese drohende Versorgungssperre erwirken konnte. Schließlich ist ja auf den Internetseiten des Bundes der Energieverbraucher zu lesen:

„Wenn der Versorger die Sperrandrohung nicht zurücknimmt, dann sollte man eine einstweilige Verfügung gegen die angedrohte Versorgungssperre beim Amtsgericht beantragen. (…) Dafür sollte ein Anwalt eingeschaltet werden. Bisher sind solche Verfügungen stets erlassen worden. Die Gerichts- und Anwaltskosten sind dabei stets dem Versorger auferlegt worden.“

Seit heute habe ich nun „schwarz auf weiß“ von der Anwaltskanzlei, dass diese Darstellung wohl nicht mehr so stehen bleiben kann, und ich durfte (mal wieder) erfahren, dass „Recht haben“ und „Recht bekommen“ – und zwar im Namen des Volkes – zwei völlig unterschiedliche Dinge in diesem „Rechtsstaat“ sind. Die Stadtwerke Neumünster haben gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch erhoben und das Amtsgericht Neumünster hat nach einer für mein Empfinden ziemlich skandalösen mündlichen Verhandlung folgendes Urteil gefällt, das mir nunmehr jegliches Vertrauen in die Rechtsprechung der deutschen Justiz nimmt und dabei natürlich auch meine Geldbörse belastet:

„verkündet am 11. März 2009

XXX, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle


AMTSGERICHT NEUMÜNSTER

URTEIL IM NAMEN DES VOLKES
32 C 1896/08

In dem einsweiligen Verfügungsverfahren

XXX
XXX - Verfügugskläger -

Prozessbevollmächtigt: Rechtsanwältin XXX


gegen


SWN Stadtwerke neumünster GmbH
vertreten durch die Geschäftsführer XXX und XXX - Verfügungsbeklagte -


hat das Amtsgericht Neumünster auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2009 durch die Richerin Vogt für R e c h t erkannt:

Die einstweilige Verfügung vom 16. Dezember 2008 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Entscheidungsgründe
(unter Verzicht auf die Darstellung des Tatbestandes gem § 313a Abs. 1 ZPO)

Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten war der Beschluss vom 16. Dezember 2008 gemäß §§ 935, 936, 925 ZPO aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung vom 16. Dezember 2008 lagen bei Schluss der mündlichen Verhandlung nicht - jedenfalls nicht mehr - vor.

Eine einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 935, 936, 920 Abs. 2 ZPO zu erlassen bzw. auf den Widerspruch des Antragsgegners aufrecht zu erhalten, wenn der Antragsteller einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft macht. Zur Glaubhaftmachung des Letzteren bedarf es der Darlegung eines besonderen Eilbedürfnisses, das die vorläufige Entscheidung über den Anspruch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich macht und rechtfertigt. An einem besonderen Eilbedürfnis fehlt es jedoch hier.

Ob der Verfügungskläger nach Erhalt der Standardandrohung der Verfügungsbeklagten vom 26. November 2008 die Gefahr einer kurzfristig bevorstehenden Versorgungsunterbrechung annehmen musste, bedarf keiner Entscheidung mehr. Maßgeblich für die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der einstweiligen Verfügung ist der Sachverhalt, der im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung gegeben ist. Spätestens am Schluss der mündlichen Verhandlung war aber die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Versorgungsunterbrechung, die eine Untersagung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hätte notwendig machen können, ausgeräumt, nachdem der Vertreter der Verfügungsbeklagten klargestellt hat, dass vor Auflaufen eines Rückstandes in Höhe von mindestens 100,00 € - den Vorschriften entsprechend - eine Unterbrechung keinesfalls veranlasst werde. Dafür, dass die Verfügungsbeklagte von dieser Zusage abweichen und sich insoweit gesetzeswidrig verhalten könnte, hat der Verfügungskläger in der mündlichen Verhandlung lediglich vage Befürchtungen, aber keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen.

Dass das Auflaufen eines „Rückstandes\" bzw. einer zwischen den Parteien streitigen Summe von 100,00 € kurzfristig bevorstünde, so dass eine Entscheidung eilig herbeizuführen wäre, hat der Verfügungskläger nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, nachdem die Streitsumme von 29,06 € aus der letzten Jahresverbrauchsabrechnung resultiert und der Verfügungskläger die nach der Anlage A 4 geforderten Abschläge in Höhe von monatlich 172,00 € offenbar, wie sich aus der Anlage A 6 a.E. ergibt, zahlt.

Einer Entscheidung über das ursprüngliche Bestehen eines Verfügungsgrundes bedarf es nicht, weil der Verfügungsbeklagte das Verfahren in der Hauptsache ausdrücklich nicht für erledigt erklärt hat, sondern sein Verfügungsbegehren weiterverfolgt hat. Hiermit kann er unabhängig davon, ob ursprünglich ein Verfügungsgrund bestand oder nicht, jedenfalls nach dessen Wegfall keinen Erfolg mehr haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711, 713 ZPO.

Vogt“

Ich möchte mich nicht zu sehr über dieses Urteil auslassen, aber die ausgesprochen selektive Wahrnehmungsfähigkeit der Richterin möchte ich doch nicht unerwähnt lassen. Warum eine rechtswidrige Sperrandrohung überhaupt ausgesprochen wurde, spielte in der Verhandlung keine Rolle, warum diese Sperrandrohung auf meine Aufforderung hin nicht zurückgenommen wurde, spielte in der Verhandlung keine Rolle, warum mein Schreiben gänzlich unbeantwortet blieb, wie es im geschäftlichen Verkehr wohl eher unüblich ist, spielte keine Rolle. Eine entscheidende Rolle spielt allerdings die im Laufe der Verhandlung dargelegte Behauptung, die schriftliche Sperrandrohung sei eine „Standarddrohung“ und demzufolge nicht ernst zu nehmen.

So einfach geht das! Das auf diesem vermeintlichen Standardbrief eben nicht stand: „Lieber Empfänger und Stromkunde, dies ist nur ein Standardbrief und die darin gemachte Sperrandrohung ist nicht ernst zu nehmen, sondern vielmehr ein Spaß Ihres Energieversorgers!“ kam es der Richterin offensichtlich auch nicht an. Und die Tatsache, dass jetzt schon einmal eine rechtswidrige und sehr konkrete Sperrandrohung ausgesprochen wurde und ich daher befürchte, dass die Stadtwerke Neumünster auch weiterhin in Wildwest-Manier agieren könnten, bspw. durch eine straßenseitige Stromunterbrechung, um ein Exempel zu statuieren, sind nach Einschätzung dieses Gerichts „lediglich vage Befürchtungen“.

Merkwürdiges Urteil, wie ich finde. Aber durchaus wert, einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht zu werden - nämlich hier.

Sollte die Leitung dieses Forums, einer der hier mitlesenden Juristen oder ein anderer fachlich Interessierter an einer Ausfertigung dieses Urteils im pdf-Format oder auch im jpg-Format interessiert sein… Ich maile dieses Urteil gerne zu.

Und sollte jemand über meine immer wieder etwas lang geratenen Texte genervt sein, so bitte ich um Verständnis und um Entschuldigung.

Offline Black

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Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht
« Antwort #1 am: 03. April 2009, 17:59:55 »
Tja, da hätte wohl der Prozessvertreter die Erledigung rechtzeitig erklären müssen:

Zitat
Einer Entscheidung über das ursprüngliche Bestehen eines Verfügungsgrundes bedarf es nicht, weil der Verfügungsbeklagte das Verfahren in der Hauptsache ausdrücklich nicht für erledigt erklärt hat, sondern sein Verfügungsbegehren weiterverfolgt hat. Hiermit kann er unabhängig davon, ob ursprünglich ein Verfügungsgrund bestand oder nicht, jedenfalls nach dessen Wegfall keinen Erfolg mehr haben.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline rhab

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Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht
« Antwort #2 am: 03. April 2009, 18:11:47 »
Zitat
Original von Black
Tja, da hätte wohl der Prozessvertreter die Erledigung rechtzeitig erklären müssen:

...was ja möglicherweise nicht erfolgte, weil das Verfahren in der Hauptsache nach Auffassung des Verfügungsbeklagten schlicht nicht erledigt war bzw. ist, oder?

Offline Black

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Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht
« Antwort #3 am: 03. April 2009, 18:17:10 »
Wenn der Gegner erklärt, er werde eine Handlung nicht vornehmen und es keine weiteren Anhaltspunkte gibt, dass er dies doch tun will, ist die Wahrscheinlichkeit der Abweisung wegen Erledigung hoch.
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Offline rhab

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Amtsgericht Neumünster – Ein Erfahrungsbericht
« Antwort #4 am: 03. April 2009, 19:02:33 »
Na ja, wie ernst zu nehmen die Erklärungen der Stadtwerke Neumünster sind, hat sich ja anhand der ursprünglichen Sperrandrohung gezeigt, die im nachhinein und urplötzlich \"nur ein Spaß in Form eines Standardschreibens\" war.

Ferner kann ich einem vermeintlich seriös geschäftlich tätigem Unternehmen, dass jedoch auf Schreiben von Vertragspartnern überhaupt nicht reagiert, irgendwie nicht so richtig das erforderliche Vertrauen entgenbringen, um solchen Absichtserklärungen noch Glauben zu schenken.

Die bisher gezeigten Wildwest-Methoden sind für mich ein weiterer Anhaltspunkt, usw. usw.

 

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