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Autor Thema: § 315 gelte nicht, weil Strommarkt liberalisiert ist  (Gelesen 4481 mal)

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Offline sr1mjen

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§ 315 gelte nicht, weil Strommarkt liberalisiert ist
« am: 15. Februar 2006, 18:07:48 »
Das zumindest behauptet mein Energieversorger. Ich könne ja schließlich jederzeit kündigen und mir einen anderen Versorger suchen.

Was ist von dieser Aussage zu halten?

Ferner behauptet er: Da unser Vertrag bereits \"billiger\" sei als seine behördlich genehmigten Preise, müsse er diese auch nicht gesondert bewilligen lassen.

Und weiter: Sollte er nichts weiter von mir hören, so geht er davon aus, dass ich von meinem Sonderkündigungsrecht keinen Gebrauch mache und mit den neuen Konditionen einverstanden bin.

Meine Frage: Da ich ja Widerspruch nach § 315 BGB eingelegt habe, darf der Versorger überhaupt so verfahrenf?

Danke für Hinweise

Offline Cremer

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§ 315 gelte nicht, weil Strommarkt liberalisiert ist
« Antwort #1 am: 15. Februar 2006, 19:18:56 »
@sr1mjen

mit \"behördlicher Genehmigung\" hat das überhaupt nicht zu tun.

Die Stromtarife sind zur Genehmigung vorzulegen und das Wirtschaftsministerium prüft, ob nicht die Erhöhung überdurchschnittlich ist.

Die Erhöhung ist bei den meisten Wirtschaftsministerien begrenzt. D.h. der Versorger kann auch darunter bleiben bzw. überhaupt nicht erhöhen.

Sie haben vermutlich einen überregionalen Stromanbieter (wie z.B. Yello), der nicht der örtliche Netzversorger ist.  

Damit könnte der Versorger den Vertrag aufkündigen und Sie an den örtlichen Versorger zurückgeben.

Sollten Sie beim örtlichen Versorger sein, so kann er Sie nicht rausschmeißen, da er gesetzlich  verpflichtet ist, Sie zu versorgen.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

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Offline RR-E-ft

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§ 315 gelte nicht, weil Strommarkt liberalisiert ist
« Antwort #2 am: 15. Februar 2006, 19:36:46 »
Auf einseitige Preiserhöhungen, also einseitige Preisneubestimmungen, findet § 315 BGB direkt Anwendung.

Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob es weitere Anbieter gibt.

Der Leistungsbestimmungsberechtigte - soweit ein Recht zu einseitigen Preiserhöhungen überhaupt vertraglich vorgesehen ist - darf jedenfalls seinen in die Preise einkalkulierten Gewinnanteil nicht unbillig zu Lasten des anderen Vertragspartners erhöhen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 21.09.2005 - VIII ZR 38/05).

Es geht gerade darum, dass ursprüngliche Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht nachträglich  zu Lasten des Kunden zu verändern, keine Erhöhung des im Preis enthaltenen Gewinnanteils zuzulassen.

Die Schutzbedürftigkeit des Kunden ergibt sich allein daraus, dass das EVU die geschuldete Leistung einseitig (neu) bestimmen darf.

Der Stromlieferant hat schlussendlich auch kein schutzwürdiges Interesse daran, seine Preise nach Belieben neu bestimmen zu können. Sollte ihm die Fortsetzung des Stromliefervertrages zu den ursprünglichen Konditionen nicht mehr möglich sein, so kann er ja den Vertrag unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist ordnungsgemäß kündigen.

Die Kündigungsfrist ist dabei so ausreichend lang zu bemessen, dass der Kunde den Versorger wechseln kann, ohne in eine Ersatzversorgung zu fallen.

Ein regelmäßiger Stromversorgerwechsel im Wettbewerb beansprucht in der Regel sechs Wochen zum Monatsersten.


Selbstredend den Versorgungsvertrag nicht ordnungsgemäß kündigen können und dürfen Stromlieferanten, die aufgrund des Energiewirtschaftsgesetzes gesetzlich zur Versorgung verpflichtet sind. Diese unterfallen aber auch schon der gesetzlichen Verpflichtung zur preisgünstigen Versorgung, die also auch eine beliebige Preisgestaltung ausschließt und direkt zu einer Billigkeitskontrolle der geforderten Preise führt.

Eine behördliche Tarifgenehmigung nach § 12 BTOElt schließt eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB dabei nicht aus (BGH NJW 2005, 2919; BGH NJW 2003, 3131; BGH NJW 2003, 1449; BGH NJW 1998, 3188, 3192; BVerwGE 99, 133; BGH, Urt. v. 18.10.2005 - KZR 36/04).


Die Liberalisierung spielt allenfalls für eine analoge Anwendung des § 315 BGB eine Rolle.

Darum geht es jedoch bei eindeutig einseitigen Leistungeneubestimmungen gar nicht.

Auch die Allgemeinen Tarife sind von Anfang an einseitig bestimmte Preise (vgl. BGH NJW 1998, 3188, 3192; BVerwGE 95, 133).

Weil diese von Anfang an einseitig bestimmt werden, ein Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt ist als ein einseitig bestimmter Folgepreis, kommt nach der BGH- Rechtsprechung § 315 BGB auch darauf entsprechend zur Anwendung.

Die Meinungen  gehen auseinander, ob dieses \"entsprechend\" nun \"analog\" oder \"direkt\" meint.


Ich denke, es meint \"direkt\", weil der Stromversorger seine Allgemeinen Tarife, mit denen er den gesetzlichen Anspruch des Kunden auf preisgünstige Versorgung zu verbraucherfreundlichen Bedingungen erfüllen möchte, von Anfang an einseitig bestimmt- nämlich durch entsprechende Veröffentlichungen gem. § 4 Abs. 2 AVBEltV und Preisverhandlungen darüber wegen des Gleichbehandlungsgebotes und kartellrechtlichen Diskriminierungsverbotes gerade  nicht zulässt.

Dann sind diese Preise auch faktisch einseitig bestimmt und es kommt die neuere \"Preislisten- Rechtsprechung\" des BGH zur Anwendung.


Anstatt der Argumentation der EVU zu einer \"früheren Monopol- Rechtsprechung\" zu folgen, gilt es, demgegenüber die neuere \"Preislisten- und Tarife- Rechtsprechung\" des BGH herauszustellen, nach welcher § 315 BGB direkt zur Anwendung kommt (BGH, Urt. v. 18.10.2005, KZR 36/04; BGH, Urteile vom 07.02.2006 - KZR 8/05 und KZR 9/05).

In all diesen Entscheidungen geht es um solche einseitig gestellten Preislisten, über die keine Verhandlungen zugelassen wurden, bei denen es eine zu willkürlichen Ergebnissen führende  künstliche Aufspaltung bedeuten würde, vereinbarte Anfangspreise von einseitig bestimmten Folgepreisen zu unterscheiden.

Die bisherigen Allgemeinversorger, jetzigen Grund- und Ersatzversorger wurden nie von ihrer gesetzlichen Verpflichtung zu einer preisgünstigen Versorgung entbunden.

Im Gegenteil:

Das neue Energiewirtschaftsgesetz bestimmt die entsprechenden Verpflichtungen sogar viel klarer.

Wenn also weitere Anbieter vorhanden sind, die jedoch auch nicht weit günstiger sein können, gerade weil die Netzbetreiber überhöhte Netzentgelte fordern, so erfüllen die EVU, welche einer gesetzlichen Versorgungspflicht unterfallen, ihre Verpflichtung zur preisgünstigen Versorgung ja immer noch nicht.


Diese Unternehmen, welche eine gesetzliche Versorgungspflicht nach dem EnWG trifft, denen gegenüber - spiegelbildlich - entsprechende Ansprüche der Kunden auf preisgünstige Versorgung erwachsen, haben ihre Preise also anhand der gesetzlichen Verpflichtungen auszurichten.

Davon sind sie nicht entbunden.

Ob sie ihre gesetzliche Verpflichtung zu preisgünstiger Versorgung mit den von ihnen  gerade zu diesem Zweck einseitig bestimmten allgemeinen Tarifen  erfüllen, also dabei keine unangemessen hohen Gewinne realisieren, lässt sich nicht anders prüfen als über die Billigkeitskontrolle.


Ein wirksamer Wettbewerb besteht nicht. Die Preise werden durch einen überhöhten Preissockel vorgegeben, welcher sich aus dem hohen Niveau der Netzentgelte herleitet.



Ich hoffe, das ist einigermaßen verständlich.

Die Frage des Vorhandenseins anderer Anbieter spielt nur bei einer analogen Anwendung des § 315 BGB eine Rolle, nicht hingegen bei (faktisch) einseitig bestimmten Preisen, auf die § 315 BGB direkt Anwendung findet.

Deshalb gibt es den Streit, ob die genannten Gesamtpreise einer Billigkeitskontrolle unterfallen.

Kein Streit besteht darüber, dass § 315 BGB auf einseitige Preiserhöhungen - auch in Sonderverträgen- direkt Anwendung findet (LG Potsdam, RdE 2004, 304).


Diese Diskussion wird von den EVU jedoch gern vermengt und undifferenziert dargestellt.

Möglicherweise wissen sie es auch nicht besser, weil entsprechende Seminare für Mitarbeiter von bestimmten Leuten angeboten werden....

Aus entsprechenden Quellen stammen dann auch Baukasten- Mustertext- Antworten.

Im Lichtblick- Urteil vom 18.10.2005 - KZR 36/04 verweist der BGH auf seine Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle von Zinsänderungen der Banken.

Banken haben indes auch keine Monopolstellung, man kann sie wechseln.
Weil man den Stromanbieter schlechter wechseln kann als eine Bank, muss diese Rechtsprechung auf Strompreise erst recht Anwendung finden.

Das sollten Sie Ihrem Stromversorger genauso deutlich schreiben. Denken Sie dabei an den Zugangsnachweis.

Auf die qualifizierte Antwort darauf dürfen Sie gespannt sein.

Das es mit der Qualifikation oft nicht weit her sein kann, belegt schon die Aussage, der Elektrizitätsmarkt sei durch ein Urteil des LG Düsseldorf oder irgend eines anderen Gerichts liberalisiert. Ich habe selten so einen groben Unfug gelesen.


Gerichte werden diese Argumentation nachvollziehen können.


Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline sr1mjen

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§ 315 gelte nicht, weil Strommarkt liberalisiert ist
« Antwort #3 am: 15. Februar 2006, 22:22:57 »
Vielen Dank für diese ausführliche Darstellung der Sachlage.

Ich werde meinem Versorger ein entsprechendes Schreiben zukommen lassen.

Gruß

sr1mjen

 

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