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Autor Thema: OLG Bremen Beschl. v. 19.5.2017 – 2 U 115/16, BeckRS 2017, 110324 -EuGH Vorlage  (Gelesen 19351 mal)

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Offline uwes

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Der 2. Zivilsenat des Hans. OLG in Bremen hat dem EuGH jetzt 2 Fragen gem. Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt: (Fundstelle s. Betreff)
Auch bei Openjur unter http://openjur.de/u/962813.html

1. Frage:
Zitat
1. Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchstabe b und c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABI. L175/157) dahin auszulegen, dass die unterbliebene rechtzeitige und direkte Information der Gaskunden über Voraussetzungen, Anlass und Umfang einer bevorstehenden Tarifänderung für Gaslieferungen der Wirksamkeit einer solchen Tarifänderung entgegensteht?
(Hervorhebung durch mich)

2. Frage:
Zitat
2. Falls diese Frage bejaht wird:
Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchstabe b und c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG gegenüber einem privatrechtlich (als deutsche GmbH) organisierten  Versorgungsunternehmen seit dem 1.7.2004 unmittelbar anwendbar, weil die genannten Bestimmungen dieser Richtlinie inhaltlich unbedingt und damit ohne weiteren Umsetzungsakt anwendungsfähig sind und dem Bürger Rechte gegenüber einer Organisation einräumen, die trotz ihrer privaten Rechtsform dem Staat untersteht, weil dieser alleiniger Anteilseigner des Unternehmens ist?

Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Delmenhorster kommunalen Energieversorgungsunternehmen gegen einen Kunden, der für verschiedene Jahre ab 2006 Kürzungen der Gaspreisforderungen vorgenommen hat und jetzt vom EVU auf Zahlung von etwas mehr als € 5.000,-- (deswegen die landgerichtliche Eingangszuständigkeit) im Wege der Klage in Anspruch genommen wird.

Das Delmenhorster Unternehmen ist - unstreitig - zu 100 % im Besitz der Stadt Delmenhorst und hat die Preisinformationen jeweils in den amtlichen Bekanntmachungen der örtlichen Tageszeitungen veröffentlicht.

Das Gericht führt aus:

Zitat
II. Der Senat vertritt aber die Ansicht, dass der Wirksamkeit der Gaspreiserhöhungen die unterbliebene vorherige rechtzeitige und unmittelbare Information des Beklagten entgegensteht, weil die Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchstabe b und c der Gas- Richtlinie 2003/55/EG auf den vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar sind.. Diese Sichtweise setzt allerdings voraus, dass die Einhaltung der mit der Richtlinie aufgestellten Transparenzanforderungen Wirksamkeitsvoraussetzung einer Gaspreiserhöhung ist, ein Verstoß gegen die entsprechende Verpflichtung des Gasdienstleisters also nicht nur Schadensersatzansprüche des betroffenen Kunden zu begründen vermag. Sie setzt weiter voraus, dass die Klägerin trotz ihrer privaten Rechtsform als eine Organisation oder Einrichtung im Sinne der zur Frage der unmittelbaren Anwendung einer nicht in das nationale Recht umgesetzten Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzusehen ist.

...

Zitat
Mit Urteil vom 09.12.2015, Az. VIII ZR 208/12, EnWZ 2016, 166-168, hat der Bundesgerichtshof ferner entschieden, dass zwar nach Inkrafttreten von § 5 Abs. 2 S. 2 GasGW vom 26.10.2006 (BGBl. 2006 I, S. 2391, 2397 f.) neben der in § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV enthaltenen Wirksamkeitsvoraussetzung der öffentlichen Bekanntmachung der Preisänderung die Verpflichtung des Gasversorgers bestehe, zeitgleich diese auch auf seiner Intemetseite zu veröffentlichen und eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden. Dies sei jedoch kein Wirksamkeitserfordernis, sondern diene lediglich der erleichterten Kenntnisnahme durch den Kunden.
2. Sofern Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchstabe b und c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG dahin zu verstehen ist, dass die direkte Information des Kunden über die Gebührenerhöhung Voraussetzung für die Wirksamkeit der Erhöhung im Verhältnis zu dem betroffenen Kunden ist und die genannten Bestimmungen der Richtlinie unmittelbare Anwendung finden, hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg.

a) Nach der auch vom Bundesgerichtshof in seinen genannten Urteilen vom 28.10.2015 in Bezug genommenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat {EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337 Rn. 9 ff. - van Duyn; Rs. C-148/78, Slg. 1979, 1629 Rn. 18 ff. - Ratti; Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 Rn. 17 ff. - Becker; Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 Rn. 46 ff. - Marshall; Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839 Rn. 28 ff. - Fratelli Costanzo SpA; Rs. C-397/01 bis 403/01, aaO Rn. 103; vgl. BAGE 128, 134, 154; [sogenannte vertikale Direktwirkung]). So kann sich der Einzelne auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie auch gegenüber Organisationen oder Einrichtungen - unabhängig von ihrer Rechtsform - berufen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die sich aus
den für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben (EuGH, Rs. C-188/89, Slg. 1990, 1-3313 Rn. 17 ff. - Foster u.a.; Rs. C-253/96 bis C-258/96, Slg. 1997, I-6907 Rn. 46 f.).

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Ausführungen des Generalanwalts beim EuGH in den soeben zitierten Verfahren hinweisen:

So  heißt es u.a  in Nr. 16:
Zitat
In  den Rechtssachen  C-257/96  und  C-258/96  sind    die    Arbeitgeber    Unternehmen     der Stadtwerke  Witten  und   Altena  oder  jedenfalls  von  diesen  Städten  kontrollierte  Unternehmen,  und  die  Richtlinie  kann  also  wegen  der   Herrschaft,   die   die   sie   kontrollierende   Gebietskörperschaft   über   sie   ausübt,   auch   ihnen  gegenüber  geltend  gemacht  werden. 
Quelle: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:61996CC0253&from=DE
[Hervorhebung von mir]


Weiter führt das Oberlandesgericht aus:

Zitat
Da die genannte Richtlinie nach Ansicht des Senates hinreichend genau bestimmt ist, dürfte der Beklagte sich der Klägerin gegenüber deshalb unmittelbar auf sie berufen können. Ist die rechtzeitige direkte Information des Kunden Wirksamkeitserfordernis für die ihm gegenüber geltend gemachte Gaspreiserhöhung, konnte die Klägerin dem Beklagten in diesem Fall nur Kosten auf Basis der bis zum 01.10.2004 geltenden Preise in Rechnung stellen. Die Klage und damit die Berufung hat dann keinen Erfolg.

Welche Auswirkungen hat diese Rechtsfrage auf bis 2014 bestehende Grundversorgungstarife?

Nun kommt der jjuristische Betrachter schnell auf die Idee, dass damit der Rechtsprechung des BGH zur "ergänzenden Vertragsauslegung" der Boden entzogen sein könnte. Das ist sicherlich so aber noch nicht die richtige Schlussfolgerung, da das Gericht zutreffend die Voraussetzungen für eine direkte Anwendbarkeit der Gasrichtlinie nur wegen der beherrschenden Beteiligung des Staates an dem EVU als erfüllt ansehen möchte.

Streng genommen sieht sich der Senat an der Anwendung der jüngsten Rechtsprechung des BGH gehindert, weil es gesetzliche Normen gibt, die vor einer ergänzenden Vertragsauslegung erst einmal angewendet werden müssen. Denn nur dort, wo kein dispositives Gesetzesrecht mehr zur Verfügung steht, kann man auslegen/ergänzen.

Nun ist es aber gerade diese Begründung, die auch dazu nötigt, die ergänzende Vertragsauslegung des BGH erneut auf den Prüfstand zu stellen.  Denn auch dann, wenn es keine gesetzliche Norm gäbe, so sind die deutschen Gerichte aufgerufen, bei ihren Entscheidungen "europarechtskonform" zu denken. D.h. jegliche Ergänzung /Auslegung einer "planwidrigen" Lücke im Vertrag oder auch den Vertrag selbst im Lichte der europäischen Normen zu beurteilen. Daran hapert es bei den Entscheidungen. Hätte der VIII: Senat des BGH bei der Entscheidungsfindung eruropäisches Recht zumindest für die Auslegung ergänzend hinzugezogen, so wäre die Interessenabwägung nicht völlig an den Interessen der Verbraucher - wie jetzt aber der Fall - vorbeigegangen. So hätte auch im Rahmen einer vertraglichen Ergänzung dem Verbraucher nicht unterstellt werden dürfen, dass er eine Regelung möchte, die europarechtlich nicht geht, nämlich Preiserhöhungen ohne Transparenz.

Bejaht der EuGH die Vorlagefragen, so ist auch schon aus Gründen deer Gleichbehandlung auch - und zwar erneut - die gesamte Rechtsprechung des BGH seit dem 28.20.2015 zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt auf den Prüfstand zu stellen und zwar nicht nur gegenüber den kummunalen EVU sondern auch gegenüber Grundversorgern, deren Gesellschafter nicht staatlichen Ursprungs sind.

Die Diskussion hierüber sei eröffnet.







 
« Letzte Änderung: 23. Mai 2017, 18:10:38 von uwes »
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In Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG heißt es, dass sichergestellt werden soll, dass die Kunden

Zitat
b) rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;
c) transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

In § 5 Abs. 2 GasGVV heißt es:

Zitat
Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen; hierbei hat er den Umfang, den Anlass und die Voraussetzungen der Änderung sowie den Hinweis auf die Rechte des Kunden nach Absatz 3 und die Angaben nach § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 7 in übersichtlicher Form anzugeben.
(Hervorhebung von mir)

Damit der Kunde  diese Rechte kennt und damit umzugehen weiß, reicht es also nicht aus, nur die Änderung von Tarifen öffentlich bekannt zu machen. Denn eine einschneidende Rechtsfolge hält § 5 Abs. 3 GasGVV bereit:

Zitat
Im Fall einer Änderung der Allgemeinen Preise oder ergänzenden Bedingungen hat der Kunde das Recht, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen zu kündigen. Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer Kündigung des Vertrages mit dem Grundversorger die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.


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Für Interessierte:

Das Verfahren beim EuGH trägt das Az.: C-309/17
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Offline tangocharly

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Es wäre ja schon etwas hilfreicher geworden, wenn sich das OLG Bremen mit  den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Preisänderung nach Maßgabe der Anlage A der Richtlinie Gasrichtlinie 2003/55/EG intensiver befaßt hätte.

Denn allein der Hinweis auf die fehlende Umsetzung der Richtlinie innerhalb der Umsetzungsfrist führt auch wieder nur auf Sprengminen.

Denn der BGH hat am 28.10.2015 ja gemeint, dass er in den Fällen vor 2014 auf den Willen des Verordnungsgebers Rücksicht zu nehmen hätte, welcher in den Regelungen der GasGVV a.F. (2006) zum Ausdruck gebracht habe, keine weiteren Transparenzanforderungen als Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Preisänderung vorsehen zu wollen.

Sollte der EuGH später dann die Auffassung des OLG Bremen teilen, also positiv entscheiden, dann könnte sich der BGH, sofern gegen die Entscheidung des OLG Bremen Revision eingelegt würde, wieder auf diesen Willen des Verordnungsgebers zurück ziehen und die Lösung des Problems fällt in sich zusammen.

In der GasGVV 2014 findet sich in § 23 der Hinweis auf die Verpflichtung zur Anpassung der Verträge nach § 115 Abs. 2 Satz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes auf die neue Rechtslage. Alle Verträge mit einer Laufzeit von länger als 6 Monaten nach Inkrafttreten der GasGVV 2014 waren somit auf die neue Rechtslage anzupassen.

Dass das alte Recht der GasGVV 2006 weiter gilt, ergibt sich aus § 115 EnWG nicht, sondern nur für die bis 6 Monate nach Inkrafttreten der GasGVV 2014 abgeschlossenen (beendeten) Verträge.

Ein weitergehender gesetzlicher Hinweis darauf, dass für Versorgungsperioden vor dem Inkrafttreten der GasGVV 2014 noch die Regelungen der GasGVV 2006 weiter gelten, enthält die Bestimmung nicht.

Nun gilt zwar der Grundsatz des Verbots unmittelbarer Rückwirkung auf in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte (arg.: Vertrauensschutz).

Dieser Fall tritt aber in all den Fällen nicht ein, in denen die Verbraucher in der Vergangenheit wirksam Preisänderungen der Versorger widersprochen hatten und damit die Verbindlichkeit der geforderten Energieentgelte nicht festgestellt werden konnte (§ 315 Abs. 3, S. 1 BGB).

Wenn Abrechnungsperioden vor 2014 also an der geänderten Rechtslage (GasGVV 2014) gemessen werden müssen, dann kommt es hierbei aus verfassungsrechtlichen Gründen auf eine Abwägung der Interessenlagen an.

Und hierüber kann man dann trefflich streiten, weil die Gasrichtlinie 2003/55/EG ja vollumfänglich in die Gasrichtlinie 2009/73/EG implementiert wurde.

Der Verordnungsgeber (GasGVV 2014) hat sich im Übrigen mit dem neuen § 5 Abs. 2 S. 2 voll an den (gegebenen) Richtlinienzielen orientiert und dabei mit seinem Halbsatz in S.2 sogar explizit auf den Umfang, den Anlass und die Voraussetzungen der Änderung sowie den Hinweis auf die Rechte des Kunden nach § 5 Absatz 3 und die Angaben nach § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 7 hingewiesen.

Vor dem Hintergrund der „3-T-Rechtsprechung“ des BGH, die sich ja bekanntlich mit rechtzeitigen Widersprüchen befaßt, liegen dann immerhin noch einige Verbrauchsperioden im Focus der Betrachtungen, welche noch deutlich weiter als 2015 zurück reichen.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline uwes

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Es wäre ja schon etwas hilfreicher geworden, wenn sich das OLG Bremen mit  den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Preisänderung nach Maßgabe der Anlage A der Richtlinie Gasrichtlinie 2003/55/EG intensiver befaßt hätte.

Der 2. Zivilsenat hat es in der Kürze mit der Fragestellung geschafft, genau diese Frage dem EuGH vorzulegen.
Der Senat hat festgestellt, dass die geforderten brieflichen Informationen vom Versorger nicht den Kunden übermittelt wurde. Wie so häufig hat sich das EVU mit den amtlichen Bekanntmachungen begnügt. Er hat weiter die Frage aufgeworfen, dass diese Informationen entweder für die Wirksamkeit von Preisanpassungen erforderlich sind oder aber "nur" einen Schadenersatzanspruch bei Nichtbeachtung nach sich zögen. Welche dier beiden Rechtsfolgen  anzunehmen ist, soll der EuGH ja gerade entscheiden.

Denn der BGH hat am 28.10.2015 ja gemeint, dass er in den Fällen vor 2014 auf den Willen des Verordnungsgebers Rücksicht zu nehmen hätte, welcher in den Regelungen der GasGVV a.F. (2006) zum Ausdruck gebracht habe, keine weiteren Transparenzanforderungen als Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Preisänderung vorsehen zu wollen.

Sollte der EuGH später dann die Auffassung des OLG Bremen teilen, also positiv entscheiden, dann könnte sich der BGH, sofern gegen die Entscheidung des OLG Bremen Revision eingelegt würde, wieder auf diesen Willen des Verordnungsgebers zurück ziehen und die Lösung des Problems fällt in sich zusammen.

Der BGH hat mit seiner phantasievollen versorgerschützenden Entscheidung nicht alle Juristen überzeugen können. Dafür erschien sie doch allzusehr systemwidrig zu sein.
Das OLG sieht die Sache anders und prüft zunächst einmal folgerichtig, ob die Wirksamkeit von Preiserhöhungen - übrigens völlig unabhängig von AGB oder von Berechtigungen nach AVBGasV oder GasGVV - von einer wesentlichen Vorfrage abhängt: Nämlich der Frage, ob für jede Preiserhöhung die Erfüllung der Informationspflichten  zwingende Voraussetzung ist. Auf die Frage, ob eine Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt sein und auf welcher gesetzlichen oder vertraglichen Grundlage sie erfolgen kann, kommt es danach erst dann an, wenn die Informationspflichten erfüllt sind.

Dass das alte Recht der GasGVV 2006 weiter gilt, ergibt sich aus § 115 EnWG nicht, sondern nur für die bis 6 Monate nach Inkrafttreten der GasGVV 2014 abgeschlossenen (beendeten) Verträge.

In dem zu entscheidenden Fall geht es um Preiserhöhungen vor 2014.

Dieser Fall tritt aber in all den Fällen nicht ein, in denen die Verbraucher in der Vergangenheit wirksam Preisänderungen der Versorger widersprochen hatten und damit die Verbindlichkeit der geforderten Energieentgelte nicht festgestellt werden konnte (§ 315 Abs. 3, S. 1 BGB).

Ich sehe das systemnbedingt anders. Ist die Erfüllung der Informationspflichten als Vorfrage Voraussetzung für die Durchführung von Preisänderungen, bedarf es erst dann eines Kundenwiderspruches, wenn sie erfüllt sind und die angekündigte Preisänderung auch erfolgt ist.
Man braucht keine weiteren Voraussetzungen für die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit von Preisanpassungen, als die der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit. Die Pflicht zur Information über Anlass, Gründe, Zeitpunkt und Erforderlichkeit sowie Kündigungsrechte der Verbraucher dient allein dazu, die gewünschte Voraussetzung für Preisanpassungen überhaupt zu schaffen.
Denkt man weiter über diese Folge nach, so gelangt man zwanglos zu dem Ergebnis, dass der Kundenwiderspruch erst anlässlich einer Preiserhöhung erforderlich ist;  die Informationspfichten als "Wirksamkeitsvoraussetzung" also bereits erfüllt wurden. Ohne Information ist eine Preisänderung nicht möglich. Unabhängig von den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten. Das zeigen die Überlegungen des Gerichts recht deutlich. Zu klären ist nur die Frage, ob die Info-Pflichten der RiLi 2003/55/EG Wirksamkeitsvoraussetzungen darstellen oder nicht.

Wenn Abrechnungsperioden vor 2014 also an der geänderten Rechtslage (GasGVV 2014) gemessen werden müssen, dann kommt es hierbei aus verfassungsrechtlichen Gründen auf eine Abwägung der Interessenlagen an.

Das passiert hier nicht.



Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline energienetz

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Prof. Kurt Markert hat den Vorlagebeschluss in der Zeitschrift EnWZ von Juli 2017 kommentiert. Wir zitieren daraus:

Durch die Vorlage des OLG Bremen auf den europarechtlichen Prüfstand des EuGH gestellt ist die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH, mit der er auf das die Preisanpassung in der Tarifkunden- und Grundversorgung betreffende EuGH-Urteil vom 23.10.2014  reagiert hat. In diesem auf zwei Vorlagen des Senats  ergangenen Urteil hat der EuGH entschieden, dass Art. 3 Abs. 3 der EU-Stromrichtlinie 2003  und Art. 3 Abs. 5 der EU-Gasrichtlinie 2003  jeweils in Verbindung mit Anhang A so auszulegen sind, dass bei den unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verträgen mit  Verbrauchern diese bei Änderungen der Tarife (Preise) rechtzeitig vor deren Inkrafttreten auch über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der jeweiligen Änderung informiert werden müssen.  Der EuGH widersprach damit der vom Senat in seinen Vorlagen vertretenen Ansicht, dass es zur Erfüllung der Transparenzanforderungen dieser Richtlinienvorschriften ausreiche, wenn der Versorger seinen Kunden beabsichtigte Preisanpassungen in angemessener Frist vorab mitteilt und die Kunden berechtigt sind, sich durch Kündigung vor dem Wirksamwerden der Änderung vom Vertrag zu lösen, wenn sie diese nicht akzeptieren wollen.

In den Urteilen vom 28.10.2015  und einer Reihe weiterer Urteile als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 23.10.2014 hat der Senat zunächst eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV mit der Folge, dass die vom EuGH formulierten europarechtlichen Transparenzanforderungen in den Verordnungstext quasi „hineingelesen“ würden, ebenso abgelehnt  wie die direkte Anwendung der diese Anforderungen enthaltenden Richtlinienvorschriften.  Statt dessen hat er entschieden, dass wegen Unvereinbarkeit mit diesen Anforderungen aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ein gesetzliches Anpassungsrecht rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist für die EU-Gasrichtlinie 2003 am 1.7.2004 nicht mehr entnommen werden kann.  Die danach naheliegende Folgerung aus der Tatsache, dass in den vom Senat entschiedenen Fällen im jeweils maßgeblichen Zeitraum die erforderliche rechtzeitige Vorabinformation der Kunden über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der streitigen Preisanpassungen unterblieben war, diese Anpassungen deshalb wegen ihrer Europarechtswidrigkeit abschließend („unheilbar“) für die Kunden unverbindlich (unwirksam) sind, hat der Senat jedoch nicht gezogen. Vielmehr hat er das von ihm kassierte gesetzliche Anpassungsrecht mit einer ergänzenden Vertragsauslegung durch ein inhaltsgleiches vertragliches Anpassungsrecht ersetzt.  Danach ist der Versorger berechtigt, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit sie nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an die Kunden mit der Maßgabe weiterzugeben, dass bei einer Anpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen sind wie Kostenerhöhungen. Ein danach erhöhter Tarif oder Preis gilt nach dieser Rechtsprechung als von den Vertragsparteien vereinbart und damit der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entzogen.

(...) Bis zur Entscheidung des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV dauert es in aller Regel eineinhalb bis zwei Jahre. Nach den beiden Vorlagen des VIII. Zivilsenats des BGH zum Preisanpassungsrecht der Tarifkunden- und Grundversorger  hat der Senat im Hinblick darauf alle späteren einschlägigen Verfahren nach § 148 ZPO analog vorerst ausgesetzt.  Dies empfiehlt sich auch für die Verfahren der Instanzgerichte. Soweit über Zahlungsansprüche von Versorgern und Rückzahlungsansprüche von Kunden nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH bereits rechtskräftig entschieden wurde, müssen sich die davon betroffenen Kunden allerdings damit abfinden.  Aus dem zu erwartenden Urteil des EuGH zur Vorlage des OLG Bremen könnte auch ersichtlich sein, ob die in § 5 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StromGVV/Gas GVV n. F. normierte Verpflichtung der Versorger, die Kunden über Anlass, Voraussetzungen und Umfang beabsichtigter Preisanpassungen rechtzeitig vorab zu informieren, ebenfalls eine mit einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht „heilbare“ Wirksamkeitsvoraussetzung für diese Anpassungen ist. 

Offline uwes

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Das Oberlandesgericht Bremen hält es rechtlich für möglich, dass die nach der RiLi 55/2003/EG erforderlichen Kundeninformationen

„Wirksamkeitsvoraussetzung“

für jede Preiserhöhung sind. Deswegen hat es die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Rechtlich hätte dieser Umstand zur Folge, dass es eines Widerspruches des Kunden gegen eine Preiserhöhung nicht bedurfte, da eine Preisanpassung nach den vom BGH aufgestellten Regeln der „Vertragsergänzung“ gem OLG Bremen erst vorgenommen werden durfte, wenn die Informationspflichten erfüllt waren. Hat das staatliche EVU die nach der RiLi erforderliche Informationen nicht erteilt, ist die erste Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Preisanpassung schon nicht gegeben. Sie konnte auch durch Schweigen des Kunden nicht fingiert werden. Damit könnte es nach dieser Ansicht nicht einmal mehr darauf ankommen, ob die Preisanpassungen überhaupt betriebswirtschaftlich notwendig waren.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Die klagenden Stadtwerke haben die Berufung zum hanseatischen oberlandesgericht zwischenzeitlich zurückgenommen. Somit ist das landgerichtliche Urteil rechtskräftig. https://forum.energienetz.de/index.php/topic,20202.msg117179.html#msg117179

Damit haben die Stadtwerke letztlich verhindert, dass der EuGH zur Vorlagefrage des 2. Zivilsenats Stellung beziehen müsste.
Mit freundlichen Grüßen

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Energieversorger kneifen vor dem EuGH

Die Stadtwerke Delmenhorst ziehen Berufung vor europarechtlicher Entscheidung zurück

(21. Dezember 2017) Die Stadtwerke Delmenhorst verklagten einen Verbraucher auf Zahlung von 5.300 Euro. Um diesen Betrag hatte der Verbraucher seine Rechnung in den Jahren von 2005 bis 2012 gekürzt, weil die Preiserhöhungen nicht den Anforderungen des europäischen Verbraucherschutzes entsprachen. Rund 100 andere Verbraucher, die ebenfalls die Gasrechnung jahrelang gekürzt hatten, einigten sich außergerichtlich mit dem Versorger.

Vor dem Landgericht Bremen wurde die Klage der Stadtwerke Delmenhorst zunächst vollumfänglich abgewiesen, weil die Stadtwerke ihrer „Darlegungslast hinsichtlich sämtlicher Preiserhöhungen nicht im Ansatz nachgekommen ist“. (Urteil vom 2.9.2016 Az. 3 O 1712/11, bdev.de/lgbremen). Die Stadtwerke legten dagegen Berufung ein. Das Oberlandesgericht Bremen fragte daraufhin den europäischen Gerichtshof (EuGH), ob die europäischen Verbraucherschutzrichtlinien direkte Gültigkeit in Deutschland entfalten (Beschluss vom 19.5.2017, Az. 2 U 115/16; EuGH Az. C-309/17). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wären die Preiserhöhungen zulässig gewesen. Der BGH hatte sich zuvor mit seiner versorgerfreundlichen Rechtsprechung über ein Urteil des EuGH vom 23.10.2014 hinweggesetzt. Deshalb hat der Fall erhebliche rechtliche Brisanz (siehe bdev.de/eugh).

Nun haben die Stadtwerke Delmenhorst die Berufung überraschend zurückgezogen. Damit erlangt das erstinstanzliche Urteil Rechtskraft. Der Versorger hat also keinen Anspruch auf die Zahlung der gekürzten Rechnungsbeträge. Die Versorger haben offenbar so viel Angst vor dem Urteil des EuGH, dass sie lieber einen Streit verloren geben, als das Risiko eines Urteils des EuGH einzugehen. Es geht darum, ob die Preiserhöhungen dem Verbraucher brieflich mitgeteilt und ausreichend begründet worden ist mit Hinweis auf das Kündigungsrecht des Verbrauchers.

Der betroffene Verbraucher kann sich freuen. Die anderen Verbraucher, die sich auf einen Vergleich eingelassen hatten, profitieren davon nicht mehr. Auch hatte das Amtsgericht Delmenhorst in vielen ähnlichen Fällen dem Versorger Recht gegeben und die Verbraucher mussten die gekürzten Beträge nachzahlen. Auch diese Urteile, in denen wegen eines Streitwertes unter 600 Euro keine Berufung möglich war, behalten Gültigkeit.

Offenbar scheuen die Versorger ein Urteil des EuGH in dieser Sache. Betroffene Verbraucher sollten sich diesen Umstand zunutze machen und auf die direkte Wirkung des europäischen Rechts zu ihren Gunsten hinweisen.

 

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