Prof. Dr. Kurt Markert, Berlin, Auszug aus dem einem Beitrag für die Neuauflage des von Prof. Säcker herausgegebenen Energierechtskommentars:
Billigkeitskontrolle von Strom- und Gasverbraucherpreisen nach § 315 BGB
1. Allgemeines. § 315 Abs. 1 BGB regelt für den Fall, dass im Vertrag die zu erbringende Leistung, z. B. das vom Kunden für den Bezug von Strom oder Gas zu zahlende Entgelt, von einer Vertragspartei, z. B. dem Versorger, bestimmt werden soll, dies im Zweifel nach billigem Ermessen erfolgen muss. Folglich gilt, wenn von den Vertragsparteien bei einem durch Individualvertrag oder in den AGB dem Versorger rechtswirksam eingeräumten Preisanpassungsrecht nichts Abweichendes vereinbart wurde, für die Ausübung dieses Rechts der Billigkeitsmaßstab des § 315 Abs. 1 BGB. Entspricht sie diesem Maßstab nicht, ist sie für den Kunden nicht verbindlich und von ihm nicht geschuldet. Der Versorger hat jedoch in diesem Fall die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB. Dabei ist er – auch wenn der Kunde den Anpassungsbetrag bereits unter Vorbehalt bezahlt hat und ihn nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB im Klagewege zurückfordert – darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine Anpassung der Billigkeit entspricht.1
Durch höchstrichterliche Rechtsprechung ist die Anwendbarkeit des § 315 BGB über die gesetzliche Regelung hinaus in zweifacher Hinsicht erweitert worden: erstens als direkte Anwendbarkeit auf ein dem Lieferanten eingeräumtes gesetzliches Preisanpassungsrecht wie im Falle der Tarifkunden- und Grundversorgung nach den AVBEltV/AVBGasV und StromGVV/GasGVV und zweitens mittels analoger Anwendung auf Lieferanten mit einer Monopolstellung, jedenfalls soweit sie Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist („Monopolrechtsprechung“), auf die vergleichbare Situation eines Anschluss- und Benutzungszwangs2 und schließlich auch darauf, dass eine Leistung bezogen wird, über deren Entgelt die Vertragsparteien keine Einigung erzielt haben („Interimsrechtsprechung“)3 Während sich nach der Monopol- und Interimsrechtsprechung die Billigkeitskontrolle auf den Gesamtpreis (Anfangspreis und spätere Folgeanpassungen) erstreckt,4 ist sie beim gesetzlichen Preisbestimmungsrecht der Strom- und Gasgrundversorger auf spätere Preisanpassungen des Anfangspreises beschränkt, der von den Vertragsparteien als vereinbart und damit der Billigkeitskontrolle entzogen gilt,5 auch wenn der Liefervertrag konkludent durch bloße Entnahme der Energie aus dem Versorgungsnetz zustande kommt.6 Die Monopolrechtsprechung hat allerdings für die Strom- und Gaspreise schon seit längerem keine praktische Bedeutung mehr, weil im Gefolge des nach der Marktliberalisierung von 1998 entstandenen brancheninternen Wettbewerbs die Voraussetzung eines Angebotsmonopols der Versorger inzwischen entfallen ist. Für die Stromversorgung hat dies der BGH fallbezogen bereits 2007 entschieden. 7 Bei der Gasversorgung hat er die analoge Anwendung des § 315 BGB auf den Gesamtpreis zunächst jedoch unabhängig vom Bestehen einer Monopolstellung schon mit der fragwürdigen Begründung ausgeschlossen, dass diese Anwendung der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufe, der eine staatliche Prüfung und Genehmigung der Gaspreise wiederholt abgelehnt habe.8 Inzwischen sind aber auch in der Gasversorgung die in der Zeit der geschlossenen Versorgungsgebiete entstandenen früheren Alleinstellungen der Versorger entfallen, so dass deshalb die Monopolrechtsprechung auf die Gaspreise ohnehin nicht mehr anwendbar ist. Die Anwendung der Interimsrechtsprechung auf die Strom- und Gasversorgung beschränkt sich bisher offenbar auf das die Belieferung eines Weiterverteilers betreffende BGH-Urteil vom 2.10.1991.9
2. Anwendungsausschluss durch verspätete Beanstandung. Außer auf den als vereinbart geltenden Anfangspreis bei Vertragsabschluss ist die Billigkeitskontrolle nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH auch für die auf ein wirksames Preisanpassungsrecht gestützten Preiserhöhungen ausgeschlossen, wenn der Kunde die jeweilige Erhöhung nicht „innerhalb angemessener Frist“ nach Zugang der sie berücksichtigenden Jahresabrechnung als unbillig beanstandet hat und sie deshalb ebenso wie der Anfangspreis als vereinbart gilt („Vereinbarungsthese“). Für die Tarifkunden- und Grundversorgung hat dies der Senat erstmals im Heilbronn-Urteil vom 13.6.200710 entschieden und seitdem daran festgehalten.11 Damit wird dem bis zum Ablauf dieser Frist schweigenden Kunden die für eine rechtlich bindende Preisvereinbarung erforderliche Willenserklärung unterstellt, was jedenfalls für die große Masse der privaten Haushaltskunden schon gegen den Grundsatz der Rechtsgeschäftslehre verstößt, dass das Schweigen von Nichtkaufleuten nicht als Zustimmungserklärung gewertet werden kann.12 Unklar ist aber auch schon, wodurch es seitens des Versorgers zu dem für das Zustandekommen einer rechtswirksamen Parteivereinbarung erforderlichen annahmefähigen Angebot an den Kunden kommen soll. Jedenfalls die in Ausübung eines wirksamen Preisanpassungsrechts vorgenommene Preiserhöhung selbst kann es als nicht annahmebedürftige einseitige Gestaltungserklärung des Versorgers nicht sein. Das Gegenteil würde auch der eigenen Rechtsprechung des Senats zu einseitigen Mieterhöhungen widersprechen.13 Ebenso wenig kann in der dem Kunden übermittelten Jahresabrechnung, mit der nach dem Senatskonzept die „angemessene“ Widerspruchsfrist für den Kunden in Lauf gesetzt wird, ein annahmefähiges Angebot an den Kunden liegen, denn in der Rechnung wird nur der von ihm nach seiner Abnahmemenge im jeweiligen Abrechnungsjahr geschuldete Zahlungsbetrag ausgewiesen mit der Folge, dass dieser erst frühestens ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Rechnung auch fällig ist.14 Aber selbst bei Annahme eines in der Jahresabrechnung konkludent enthaltenen Angebots einer Vertragsänderung unter Einbeziehung der im Abrechnungsjahr erfolgten einseitigen Preiserhöhungen könnte allein der Weiterbezug der Energie zu den erhöhten Preisen nicht als konkludente Angebotsannahme gewertet werden. Auch die widerspruchslose Bezahlung des Rechnungsbetrages hat diesen Rechtswert nicht, denn sie enthält als bloße Erfüllungshandlung keine Aussage, den Bestand der erfüllten Forderung ganz oder teilweise außer Streit stellen zu wollen,15 und ist auch kein deklaratorisches oder tatsächliches Anerkenntnis der beglichenen Forderung.16 Schließlich lässt sich das Schweigen des Kunden innerhalb der nach allgemeinem Verständnis sehr kurz bemessenen „angemessenen“ Frist nach Zugang der Jahresrechnung auch nicht als Verwirkung seines Rückforderungsanspruchs bewerten, abgesehen davon, dass dies auch keine Vereinbarung über die Bindung des Kunden an die Preiserhöhung wäre. Das Senatskonzept krankt aber auch schon daran, dass der Kunde mit der vagen Formel „innerhalb angemessener Frist“ im Unklaren gelassen wird, bis wann genau er nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung seine Beanstandung der darin einbezogenen Preiserhöhungen erklären muss.
Zur Versorgung von Sonderkunden hat der Senat bisher nur entschieden, dass seine „Vereinbarungsthese“ für auf eine unwirksame Preisanpassungsklausel gestützte Preiserhöhungen nicht gilt.17 Daraus lässt sich im Rückschluss folgern, dass sie bei Wirksamkeit der Klausel ebenso anwendbar ist wie im Falle eines wirksamen gesetzlichen Preisanpassungsrechts. Die praktische Bedeutung der „Vereinbarungsthese“ als Ausschlussgrund für die Anwendbarkeit der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB ist allerdings nur gering, wenn nicht sogar gleich null. Denn der Billigkeitsmaßstab dieser Vorschrift ist bereits Wirksamkeitsvoraussetzung sowohl für das gesetzliche Anpassungsrecht der Grundversorger als auch für das mit § 307 Abs. 1 BGB vereinbare Preisanpassungsrecht der Versorger von Sonderkunden. In beiden Fällen berechtigen ihre Anpassungsrechte die Versorger zu Preiserhöhungen nur, soweit sie damit unvermeidbare Kostensteigerungen ohne Erzielung eines zusätzlichen Gewinns an die Kunden weitergeben und dabei Kostensenkungen auch zeitlich ebenso und nach den gleichen Maßstäben berücksichtigen wie Kostensteigerungen. Halten sich einseitige Preiserhöhungen nicht innerhalb dieser Grenzen, sind sie vom Anpassungsrecht des Versorgers nicht gedeckt und damit unwirksam. Für eine zusätzliche Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB mit einer möglichen gerichtlichen Preiskorrektur besteht dann eigentlich kein Raum mehr. Die Situation ist ähnlich wie bei dem vom Senat mittels ergänzender Vertragsauslegung begründeten vertraglichen Preisanpassungsrecht für die Fälle der Unwirksamkeit des gesetzlichen Anpassungsrechts als Folge des EuGH-Urteils vom 23.10.2014.18 Auch dort ist der Billigkeitsmaßstab bereits in das neue Preisanpassungsrecht integriert und deshalb vom Senat folgerichtig die Möglichkeit einer zusätzlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB verneint worden. Für den Kunden entsteht dadurch kein Nachteil, denn auch dafür, dass Preiserhöhungen die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Preisanpassungsrechts, auf das sie gestützt sind, auch tatsächlich erfüllen und damit auch dem in dieses Recht integrierten Billigkeitsmaßstab entsprechen, trägt der Versorger als derjenige, der sich darauf beruft, im Streitfall ebenso die Darlegungs- und Beweislast wie im Falle einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.19
Nicht ausgeschlossen wird die Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB dadurch, dass dem Kunden das vertragliche oder gesetzliche Recht zusteht, sich vor dem Wirksamwerden einseitiger Preiserhöhungen durch Kündigung aus dem Vertrag zu lösen. Dass dieses Recht die Unvereinbarkeit von Preisanpassungsklauseln mit § 307 Abs. 1 BGB nicht ausgleicht, hat der Senat mit Urteil vom 21.9.201620 entschieden. Die Gründe dafür lassen sich auch auf die Frage der Anwendbarkeit des § 315 BGB sowohl im Sonderkundenbereich als auch in der Grundversorgung übertragen.
3. Billigkeitsmaßstab und Beweisführung. Wie bereits ausgeführt, ist die Billigkeit i. S. von § 315 Abs. 1 BGB bereits Wirksamkeitsvoraussetzung für das Preisanpassungsrecht sowohl der Tarifkunden- und Grundversorger als auch der Versorger von Sonderkunden und deshalb auch Voraussetzung für die Wirksamkeit der auf dieses Recht gestützten einseitigen Preisanpassungen der Versorger. Bestimmend dafür ist, dass durch diese Anpassungen das mit dem Vertragsabschluss von den Vertragsparteien festgelegte Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht zulasten des Kunden verändert werden darf und sich Preiserhöhungen deshalb ohne zusätzliche Gewinnerzielung auf die Weitergabe unvermeidbarer (Netto-)Kostensteigerungen beschränken müssen, wobei Kostensenkungen auch zeitlich ebenso und nach gleichen Maßstäben zu berücksichtigen sind wie Kostenerhöhungen. Soweit für danach wirksame Preiserhöhungen überhaupt noch Raum für eine zusätzliche Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB bleibt, zumal sie durch die „Vereinbarungsthese“ des VIII. Zivilsenats des BGH zeitlich ohnehin eng begrenzt wäre, müsste sie ebenfalls dem Ziel der Wahrung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses und der sich daraus ergebenden Beschränkung auf die Weitergabe von (Netto-)Kostensteigerungen ohne zusätzliche Gewinnerzielung entsprechen.
35 Bei dieser Ausgangslage ist es schon im Ansatz verfehlt, für die Billigkeitskontrolle einseitiger Strom- und Gaspreiserhöhungen nach § 315 Abs. 3 BGB ausschlaggebend auf das Bestehen von Wettbewerb als Möglichkeit für die Kunden, auf andere Anbieter auszuweichen, oder auf einen Vergleich mit im Wettbewerb gebildeten „marktüblichen“ Preisen anderer Versorger abzustellen.21 Denn es geht hier nicht wie bei der analogen Anwendung nach der Monopolrechtsprechung und der kartellrechtlichen Preishöhenkontrolle um multilaterale Marktmacht, sondern allein um die durch das Recht zur einseitigen Preisanpassung vermittelte bilaterale Rechtsmacht.22 Diese Besonderheit schränkt hier den bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB allgemein bestehenden Ermessensspielraum23 auf dasjenige Maß ein, das sich noch im Rahmen der Wahrung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses hält wie die Einbeziehung bisher noch nicht berücksichtigter früherer (Netto-)Kostenerhöhungen und die Bilanzierung von Kostensenkungen und -erhöhungen erst in einer zeitlich längeren Gesamtbetrachtung, z. B. im Rahmen des Gaswirtschaftsjahres.24 Es ist auch nicht klar, auf welche Art und Intensität von Wettbewerb und welche Vergleichspreise eine alternative Billigkeitskontrolle als praktikables Beurteilungskonzept gestützt werden könnte.25
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat sich bereits in seinem Heilbronn-Urteil26 auch mit der Frage befasst, ob eine Billigkeitskontrolle auch auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Gasversorger vorgenommen werden kann, dies jedoch schon deshalb offen gelassen, weil er die Erhöhung schon durch ihre Beschränkung auf die Weitergabe gestiegener Bezugskosten als der Billigkeit entsprechend ansah. Auch in den Urteilen vom 19.11.200827 und 8.7.200928 konnte er dies offen lassen, weil der Versorger hier im maßgeblichen Zeitraum Alleinanbieter war und es auch an geeigneten Vergleichspreisen fehlte. Erst im Urteil vom 24.2.201629 hat er dazu Stellung bezogen und entschieden, dass eine Billigkeitskontrolle von einseitigen Preiserhöhungen eines Grundversorgers nicht entscheidend auf der Grundlage eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Gasversorger vorgenommen werden kann. Vielmehr komme für diese Kontrolle regelmäßig dem Umstand zentrale Bedeutung zu, ob die Erhöhung „auf einer – nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichenen – Steigerung seiner eigenen (Bezugs-)Kosten beruht und ob der Gasversorger seiner Verpflichtung nachgekommen ist, bei einer Preisänderung Kostensenkungen ebenso und nach gleichen Maßstäben zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen.“ (Rn. 84). Fehle es daran, könne auch der Umstand, dass der vom Versorger erhöhte Preis niedriger sei als derjenige (der Mehrheit) anderer Gasversorger, die Billigkeit der Erhöhung nicht begründen. Anderenfalls bestünde für den Versorger die Möglichkeit, unter einseitiger Veränderung des zwischen ihm und dem Kunden bei Vertragsabschluss vereinbarten Äquivalenzverhältnisses allein wegen des höheren Preises anderer Anbieter den eigenen Gewinn zu steigern, ohne dazu auf das Einverständnis des Kunden angewiesen zu sein. Hierzu diene das gesetzliche Recht des Grundversorgers, die Preise nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu ändern, jedoch nicht. Gleichzeitig hat der Senat entschieden, dass die Billigkeitskontrolle nach dieser Vorschrift auch nicht schon deshalb ausscheidet, weil für den Kunden die Möglichkeit des Bezugs von einem anderen Anbieter besteht, und es auch es nicht gegen Treu- und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn der Kunde trotz dieser Wechselmöglichkeit das Versorgungsverhältnis fortsetzt und in dessen Rahmen eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB verlangt.30 Nach dem Beurteilungskonzept des Senats für die Wirksamkeit des Preisanpassungsrechts der Tarifkunden- und Grundversorger ist beides folgerichtig und verdient Zustimmung. Für die auf ein wirksames Preisanpassungsrecht der Versorger von Sonderkunden gestützten Preiserhöhungen kann wegen des für die Wirksamkeit dieses Rechts inhaltsgleichen Maßstabs (dazu oben Rn. 15 ff.) nichts anderes gelten.
Bei den auf ein wirksames gesetzliches oder vertragliches Preisanpassungsrecht gestützten Preiserhöhungen muss der Versorger im Streitfall bereits darlegen und beweisen, dass sich die jeweilige Erhöhung an die von diesem Recht gesetzten Grenzen für seine Ausübung hält, d. h. damit nur unvermeidbare (Netto-)Kostensteigerungen weitergegeben und dabei Kostensenkungen ebenso und nach gleichen Maßstäben berücksichtigt wurden wie Kostenerhöhungen. Falls deshalb zusätzlich für eine eigenständige Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB überhaupt noch Raum bleibt, wovon offenbar auch nach dem BGH-Urteil vom 21.9.201631 auszugehen ist, trifft den Versorger im Streitfall die gleiche Darlegungs- und Beweislast. Der Begrenzung der Kontrolle auf die jeweilige Preiserhöhung entsprechend ist eine Offenlegung der den Gesamtpreis erfassenden Preiskalkulation nicht erforderlich.32 Für die Annahme des Streitfalls reicht es bereits aus, wenn sich der Kunde zu vom Versorger vorgetragenen Tatsachen mit Nichtwissen erklärt.33 Dies gilt auch für dessen Vortrag, dass die geltend gemachten Kostensteigerungen für ihn nicht vermeidbar waren.34 Der im Streitfall erforderliche Beweis kann auf Zeugenaussagen von Mitarbeitern des Versorgers und seines Wirtschaftsprüfers gestützt werden,35 nicht hingegen auf ein vom Versorger in Auftrag gegebenes Privatgutachten, auch wenn der Kunde die Richtigkeit nur ohne substantiierte1 Darlegung bestreitet.36 Soweit sich der Versorger für die von ihm nachzuweisenden Kostenerhöhungen und ihre für ihn Unvermeidbarkeit auf sein nach Art. 12 GG geschütztes Interesse an der Geheimhaltung konkreter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse beruft, ist eine Abwägung mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und unter Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten der §§ 172 ff. GVG soweit als möglich ein Ausgleich erforderlich.37 Durch das fehlende Erfordernis der Offenlegung der Preiskalkulation des Versorgers ist dieses Problem jedoch weitgehend entschärft worden.
4. Fazit. Der Billigkeitsmaßstab des § 315 Abs. 1 BGB ist bereits in das Preisanpassungsrecht sowohl der Tarifkunden- und Grundversorger als auch der Versorger von Sonderkunden integriert. Dieses Recht besteht daher nur, soweit darauf gestützte Preiserhöhungen diesem Maßstab entsprechen. Soweit dies nicht der Fall ist, sind diese Erhöhungen unwirksam und für den Kunden nicht bindend. Da es insoweit an einem wirksamen Anpassungsrecht fehlt, gilt hier auch nicht die „Vereinbarungsthese“ des VIII. Zivilsenats des BGH, d. h. der Kunde kann die Unwirksamkeit der Erhöhung auch noch später als danach geltend machen. Macht der Kunde diese geltend, trägt der Versorger, wenn er sich auf die Wirksamkeit seines Anpassungsrechts und der darauf gestützten Preiserhöhung beruft, dafür die volle Darlegungs- und Beweislast. Für eine zusätzliche gerichtliche Billigkeitskontrolle der Erhöhung nach § 315 Abs. 3 BGB besteht dann eigentlich kein Raum mehr. Der Streit über die Billigkeit von Strom- und Gaspreiserhöhungen verlagert sich damit bereits auf die Frage, ob für die jeweilige Erhöhung überhaupt ein wirksames Anpassungsrecht bestand. Dementsprechend muss auch die Vorgehensweise auf der Kundenseite sein, wenn begründeter Anlass besteht, bei Preiserhöhungen des Versorgers an der Einhaltung des Billigkeitsmaßstabs des § 315 Abs. 1 BGB zu zweifeln.
Fußnoten:
1 St. Rspr., z. B. BGH, 8.7.2009, VIII ZR 314/07, Rn. 19, RdE 2010, 903; 6.4.2016, VIII ZR 71/10, Rn. 28, EnWZ 2016, 228. Nur bei vorbehaltsloser Bezahlung ist der Kunde im Rückforderungsprozess darlegungs- und beweispflichtig, dass die streitige Anpassung unbillig ist. So z. B. BGH, 20.7.2010, EnZR 23/09, NJW 2011, 212. Allerdings trifft hier den Versorger eine sekundäre Darlegungslast, wenn der Kunde außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Versorger über derartiges Wissen verfügt und ihm nähere Angaben zumutbar sind. So z. B. BGH, 22.7.2014, KZR 27/13, Rn. 17, RdE 2014, 449.
2 So z. B. BGH, 21.9.2015, VIII ZR 7/05, unter II 1, NJW-RR 2006, 133 (Baukostenzuschüsse zur Wasserversorgung).
3 BGH, 2.10.1991, VIII ZR 240/91, NJW-RR 1992, 183 (Stromlieferung an Weiterverteiler); 7.2.2006, KZR 8/05; Rn. 12, RdE 2006, 242 (Stromnetznutzungsentgelt II).
4 Z. B. nach der Interimsrechtsprechung: BGH, 2.10.1991 (Fn. 3).
5 Ständige Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH seit dem Urteil v. 28.3.2007, VIII ZR 144/06, Rn. 17, RdE 2007, 158 m. Anm. Markert; 19.11.2008, VIII ZR 138/07, Rn. 15; RdE 2009, 54 m. Anm. Markert.
6 BGH, 28.3.2007 (Fn. 5), Rn. 13.
7 BGH, 28.3.2007 (Fn. 5), amtl. Leitsatz b) und Rn. 17.
8 BGH, 19.11.2008 (Fn. 5), Rn. 17 ff.; zur Kritik daran im Einzelnen: Markert, RdE 2009, 61 ff.
9 Fn. 3. Bei der Belieferung von Grundversorgungskunden scheidet die Anwendung der Interimsrechtsprechung wegen der auch bei Nichteinigung über den Preis geltenden Annahme eines konkludenten Vertragsabschlusses zu den Allgemeinen Preisen von vornherein aus (s. Urt. v. 28.3.2007 (Fn. 3), Rn. 13). Es spricht viel dafür, dies auch jedenfalls für die Sonderkundenverträge mit Verbrauchern anzunehmen.
10 VIII ZR 36/06, Rn. 36; RdE 2007, 258 m. Anm. Markert.
11 BGH, 9.2.2011, VIII ZR 295/09, Rn. 41, RdE 2011, 142; 6.4.2016, VIII 236/10, Rn. 22, RdE 2016, 295.
12 Dazu eingehend Kolbe, Betriebs-Berater 2010, 2322 ff., mit folgendem Fazit (S. 2327): „Erkennt der Endkunde des Versorgers aus der Jahresabrechnung, dass der Gaspreis unterjährig einseitig erhöht wurde, und nimmt gleichwohl weiter Gas (zum erhöhten Preis) ab, liegt darin weder eine konkludente Bestätigung einer unverbindlichen Leistungsbestimmung noch eine konkludente Zustimmung zu einem in der Jahresabrechnung eventuell enthaltenen Angebot. Der zuvor erhöhte Preis wird nicht zum vereinbarten, weil das Kundenverhalten nach gebotener Auslegung als bloßes Schweigen zu werten ist. Dieses Schweigen hat im Schuldvertragsrecht grundsätzlich keinen Erklärungswert.“ Ebenso: Staudinger/ Rieble (2015), § 315 Rn. 400 ff.; Dreher, ZNER 2007, 103, 108; Büdenbender, NJW 2007, 2945, 2949; ders., NJW 2009, 3125, 3131; Markert, Festschrift für Säcker, S. 845, 851 ff.
13 BGH, 20.7.2005, VIII ZR 199/04, NJW-RR 2005, 1464, unter II. 2. c).
14 BGH, 26.10.1986, RdE 1987, 69.
15 BGH, 14.7.2010, VIII ZR 246/08, Rn. 57, RdE 2010, 375 = ZMR 2010, 834 m. Anm. Markert.
16 BGH, 11.11.2008, VIII ZR 265/07, Rn. 11, NJW 2009, 580.
17 BGH (Fn. 15), Rn. 59.
18 C-359/11 und C-400/11, RdE 2015, ZNER 2014, 574.
19 Dazu oben Fn. 1.
20 VIII ZR 27/16, ZMR 2016, 1009 m. Anm. Markert.
21 So aber N. Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, 2015, S. 599 ff. und die dort in Fn. 2928 und 2929 zitierten Autoren sowie auch eine Reihe von Instanzgerichtsentscheidungen (zitiert bei N. Fricke, S. 600 f.), allerdings noch ohne Berücksichtigung des erst später verkündeten BGH-Urteils v. 24.2.2016, VIII ZR 216/12, RdE 2016, 305.
22 Vgl. Staudinger/Rieble (2015), BGB, § 315, Rn. 84.
23 BGH, 22.4.2015, KZR 27/13, Rn. 23, RdE 2014, 449.; 28.10.2015, VIII ZR 158/11, RdE 2016, 18, Rn. 101.
24 BGH, 28.10.2015, VIII ZR 158/11 (Fn. 23), Rn. 99-104.
25 Dazu bereits kritisch BGH, 19.11.2008 (Fn. 1), Rn. 49 f.
26 Fn. 10, Rn. 21.
27 Fn. 5, Rn. 48-52.
28 VIII ZR 314/07 (Fn. 1), Rn. 24 f.
29 VIII ZR 216/12 (Fn. 21), amtl. Leitsatz d) und Rn. 76-85.
30 VIII ZR 216/12 (Fn. 21), amtl. Leitsatz c) und Rn. 86-88. Ebenso auch schon OLG Frankfurt, 8.9.2015, 11 U 124/12, Rn. 67, RdE 2016, 366.
31 Oben Fn. 20.
32 BGH, 19.11.2008 (Fn. 5), Rn. 45 ff.; 8.7.2009 (Fn. 1), Rn. 21, 30 f.; 24.2.2016 (Fn. 21), Rn. 90.
33 BGH, 8.7.2009 (Fn.1), Rn. 23; 14.7.2010, VIII ZR 327/07, Rn. 20, RdE 2010, 384; 6.4.2016, VIII ZR 71/10, Rn. 31 EnWZ 2016, 228.
34 BGH, 6.4.2016 (Fn. 33), Rn. 31.
35 BGH, 8.7.2009 (Fn. 1), Rn. 22; 6.4.2016 (Fn. 33), Rn. 30.
36 BGH, 8.7.2009 (Fn.1), amtl. Leitsatz und Rn. 22.
37 BGH, 8.7.2009 (Fn. 1), Rn. 30 ff.; Tüngler, RdE 2009, 81 ff.