Stellungnahme von Prof. Dr. Kurt Markert zu den Urteilen des VIII. Zivilsenats des BGH vom 21.9.2016, VIII ZR 27/16, und vom 5.10.2016, VIII ZR 241/15
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat die Durchsetzbarkeit von Rückforderungsansprüchen von Kunden bei Unwirksamkeit der in den AGB der Versorger enthaltenen Preisanpassungsklauseln durch seine mit zwei Urteilen vom 14.3.2012 begonnene und seitdem in ständiger Rechtsprechung, fortgeführte „Dreijahreslösung“ (Fristenlösung) stark eingeschränkt (VIII ZR 113/11, ZMR 2012, 521 m. Anm. Markert; VIII ZR 93/11, ZNER 2012, 265). Denn danach kann der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen auf die unwirksame Klausel gestützten Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht mehr geltend machen, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Erhöhung erstmals berücksichtigt wurde, beanstandet hat.
Im Schrifttum ist diese Lösung nicht nur vereinzelt auch im Hinblick auf das europarechtliche Anpassungsverbot des Art. 6 Abs. 1 der europäischen Klausel-Richtlinie (RL 93/13) kritisiert worden (Nachweise bei Markert, EnWZ 2016, 363, Fn. 23 und 24). In einem Urteil vom 6.4.2016 ( VIII ZR 79/15, so auch schon Urteil vom 23.1.2013, VIII ZR 80/12, ZNER 2013, 152 m. Anm. Markert ) ist der Senat erstmals auch auf diese Kritik eingegangen, jedoch bei seiner bisherigen Position geblieben und hat eine Vorlage dazu an den EuGH erneut abgelehnt.
In meiner Urteilsanmerkung (EnWZ 2016, 362 ff., so auch Markert, Preisanpassung in der Strom- und Gasversorgung, EnWZ 2016, 195 ff.). habe ich im Einzelnen aufgezeigt, das es sich bei der Fristenlösung der Sache nach schon nach rein deutschem Vertragsrecht um eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Preisanpassungsklausel handelt und auch den vom Senat für seine Ansicht angeführten neueren EuGH-Urteilen nicht entnommen werden kann, dass die Vereinbarkeit dieser Lösung mit Art. 6 Abs.1 RL 93/13 ein jeden vernünftigen Zweifel ausschließender „acte claire“ ist, der die letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gerichte von ihrer Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV entbindet.
An dieser unhaltbaren „acte clair“-Position hat der Senat auch in seinem neuesten einschlägigen Urteil vom 5.10.2016, VIII ZR 241/15, festgehalten, ohne auf meine in EnWZ 2016, 364 dagegen anhand der neuesten EuGH-Rechtsprechung vorgebrachten Einwände einzugehen. Der Senat lag bei seiner europarechtlichen Beurteilung der in der deutschen Strom- und Gaswirtschaft praktizierten Preisanpassungsrechte schon zweimal daneben und musste sich durch den EuGH korrigieren lassen (bei der Leitbildrechtsprechung durch das RWE-Urteil vom 21.3.2013, C-92/11, beim gesetzlichen Preisanpassungsrecht der Tarifkunden- und Grundversorger durch das Urteil vom 23.10.2014, C-359/11 und C-400/11). Ob es auch zur Fristenlösung zu einer Befassung des EuGH und zu einer weiteren Korrektur der Rechtsprechung des Senats kommt, bleibt abzuwarten.
Gegen die Fristenlösung ist bereits eine Verfassungsbeschwerde wegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz) verletzender Verweigerung der Vorlage an den EuGH erhoben worden, über deren Annahme noch nicht entschieden ist (Az. 2 BvR 16/9616). Außerdem soll es bereits mehrere an die EU-Kommission gerichtete Beschwerden wegen Verletzung von EU-Recht (Art. 6 Abs. 1 RL 93/13) durch die Fristenlösung geben. Schließlich können auch deutsche Instanzgerichte die europarechtliche Beurteilung der Fristenlösung dem EuGH nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegen.