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BGH, Urt. v. 24.02.16 VIII ZR 216/12 Billigkeitskontrolle § 4 AVBGasV
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RR-E-ft:
Die Leitsatzentscheidung BGH, Urt. v. 24.02.16 VIII ZR 216/12 ist veröffentlicht:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=1&nr=74270&pos=58&anz=596
--- Zitat ---BGB § 315; EnWG 2005 § 115 Abs. 2 Satz 3, § 116; AVBGasV § 4 Abs. 1, 2; Gas
GVV § 23; EGRL 2003/55/EG (GasRL) Art. 2 Nr. 26, Art. 3 Abs. 3 iVm Anhang A
a)
Anders als bei Haushaltskunden steht dem Gasgrundversorger gegenüber Nicht-Haushaltskunden im Sinne des Art.2 Nr. 26 der Gas- Richtlinie 2003/55/EG, die auch nicht gemäß § 3 Nr. 22 Alt. 2 EnWG 2005 als Haushaltskunden anzusehen sind, gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV auch nach dem Ablauf der bis zum 1. Juli 2004 reichenden Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG das Recht zu, die Preise nach billigem Ermessen (§315 BGB) zu ändern (Fortführung der Senatsurteile vom 28.Oktober 2015 -VIII ZR 158/11, ZIP 2015, 2226, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und VIII ZR 13/12, juris;
vom 9. Dezember 2015 -VIII ZR 208/12, juris, VIII ZR 236/12, juris, und VIII ZR 330/12, juris).
b)
Diesem Preisänderungsrecht stehen die Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Gas-Richtlinie 2003/55/EG in der durch den Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 23.Oktober 2014 (C-359/11 und C- 400/11, NJW 2015, 849 -Schulz und Egbringhoff) vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, da die Gas-Richtlinie deren Anwendung für Nicht-Haushaltskunden nicht zwingend vorschreibt.
c)
Eine unter diesen Voraussetzungen vom Gasgrundversorger einseitig gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV vorgenommene Preiserhöhung unterliegt auch dann der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB, wenn für den Kunden die Möglichkeit besteht, das Erdgas von einem anderen Anbieter zu beziehen.
d)
Die Billigkeitskontrolle solcher Preiserhöhungen (§315 BGB) kann nicht entscheidend auf der Grundlage eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Gasversorgungsunternehmen vorgenommen werden; vielmehr kommt es maßgeblich auf den konkreten Gaslieferungsvertrag an und ist eine umfassende Würdigung des Vertragszwecks sowie der Interessenlage beider Parteien vorzunehmen (Fortführung von BGH, Urteile vom 2.Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 unter III 1 und 2a mwN; vom 18.
Oktober 2007 -III ZR 277/06, BGHZ 174, 48 Rn. 20; vom 18.Oktober 2011 -KZR 18/10, WM 2012, 622 Rn. 17).
e)
Zu den Anforderungen an den Vortrag und das Bestreiten sowie an die Feststellung von (Bezugs-) Kostensteigerungen des Gasversorgers (Fortführung der Senatsurteile vom 19.November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 45 ff.; vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957 Rn. 21, 30 f.; vom 28.Oktober 2015 -VIII ZR 158/11, aaO Rn. 89 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn.91 ff.).
f)
Als eine zur Beendigung der von § 116 Satz 1 EnWG 2005 angeordneten Fortgeltung des alten Rechts für Tarifkundenverträge mit Nicht-Haushaltskunden führende Änderung des Vertrages im Sinne des § 116 Satz 2 EnWG 2005 ist nicht schon eine vom Gasgrundversorger einseitig vorgenommene Änderung der allgemeinen Tarife und Bedingungen anzusehen; es bedarf wegen der mit der Vertragsänderung nach § 116 Satz 2 EnWG 2005 insoweit verbundenen Beendigung der Grundversorgung vielmehr eines übereinstimmenden Änderungswillens der Parteien.
BGH, Urteil vom 24. Februar 2016 - VIII ZR 216/12 -
LG Gießen
AG Gießen
--- Ende Zitat ---
tangocharly:
Bei dieser Entscheidung ist zu beachten, dass diese einen Vertrags-(Grund-)status betrifft, welcher sich noch auf die Gesetzeslage von §§ 10, 11 EnWG a.F. (1998) stützt. Hier war der Grundversorger noch gezwungen "Jedermann" zu versorgen, also auch Gewerbetreibende mit mehr als 10.000 kWh/a. Dies kann nicht auf sonstige Fälle von "Nicht-Haushaltskunden" heute übertragen werden.
Zu den Entscheidungsgründen halten wir fest:
(1) wenn sich im Vertragsstatus etwas zu Ungunsten des Versorgers ändert, dann ist das nur dann relevant, wenn sich übereinstimmende Vertragserkläungen hierzu feststellen lassen
(2) wenn sich im Vertragsstatus etwas zu Ungunsten des Letztverbrauchers ändert, dann ist das schon dann relevant, auch wenn sich keine übereinstimmenden Vertragserklärungen feststellen lassen, also dann, wenn der Letztverbraucher schlicht unwissend schweigt (Sockelpreisproblematik).
(vgl. Leitsatz f. und die Begründung unter Ziff. 50 ff.)
Die Fünf beim Achten sind wahrscheinlich schon exorbital unterwegs.
RR-E-ft:
--- Zitat ---§ 116 EnWG
Unbeschadet des § 115 sind die §§ 10 und 11 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730), das zuletzt durch Artikel 126 der Verordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2304) geändert worden ist, sowie die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684), zuletzt geändert durch Artikel 17 des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3214), und die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3214), auf bestehende Tarifkundenverträge, die nicht mit Haushaltskunden im Sinne dieses Gesetzes abgeschlossen worden sind, bis zur Beendigung der bestehenden Verträge weiter anzuwenden. Bei Änderungen dieser Verträge und bei deren Neuabschluss gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes sowie der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen.
--- Ende Zitat ---
Nach dieser Vorschrift gilt für bestehende Tarifkundenverträge mit Nicht- Haushaltskunden bis zu deren Beendigung die gesetzliche Versorgungspflicht aus § 10 Abs. 1 EnWG 1998 fort, so dass solche Verträge aufgrund des gesetzlichen Kontrahierungszwangs nicht durch den Allgemeinversorger ordentlich gekündigt werden konnten.
Den betroffenen Kunden wurde so ein gesetzlicher Versorgungsanspruch erhalten, den sie sonst verloren hätten und den es für Nicht- Haushaltskunden über die zeitlich befristete Ersatzversorgung hinaus seit Juli 2005 nicht mehr gibt.
Dieser gesetzliche Anspruch auf Versorgung gem. § 10 Abs. 1 EnWG 1998 soll nach Ansicht des Senats (wohl entgegen der herrschenden Literaturmeinung) nicht schon dadurch erlöschen können, dass der Versorger den entsprechenden Allgemeinen Tarifpreis entsprechend des weitergeltenden § 4 AVBV einseitig abändert. Dies leuchtet ein, da sich der Versorger sonst seiner weitergeltenden gesetzlichen Versorgungspflicht für diese Kundengruppe allzuleicht hätte entledigen können.
Nach Ansicht des Senats konnten die hiervon betroffenen Tarifkundenverträge ordentlich nur durch kundenseitige Kündigung oder aber durch eine konsensuale Änderungsvereinbarung beendet werden, wobei letztere Vereinbarung wohl gerade die Beendigung des bisherigen Tarifkundenvertrages zum Gegenstand haben musste.
tangocharly:
Wie dieser Fall zeigt, muss dies aber keineswegs der Interessenlage entsprechen. Der betroffene Letztverbraucher kämpfte um die Einordnung seines Vertrages als Sonderkundenvertrag. Aus verständlichen Gründen. Seine Versorgung stand nicht in Frage. Und es sind keine Nicht-Haushaltskunden bekannt (zumindest nicht hier), die sich darum reißen, zu den teuren Grundversorgungskonditionen versorgt zu werden. Und der Fall zeigt auch, dass dieser Verbraucher wohl keine Lust hatte, sich mit dem bisherigen Verständnis des Prüfungsmaßstabs gem. § 315 Abs. 3 S 1 BGB (und der Sockelpreis-RSpr. des 8.ZS-BGH) konfrontiert zu sehen. Immerhin wurden aus seiner Sicht nicht uninteressante Argumente vorgetragen, welche der BGH mit seiner Konsensualargumentation "weg genagelt" hat, die, weil man sich früher nicht anders, d.h. im Sinne des BGH, verhalten hat (Kündigung z.B.), den Verbraucher nichts anderes als dupieren kann.
RR-E-ft:
Wenn es um die Frage geht, welche Regelung § 116 EnWG enthält, so ist auf den Willen des Gesetzgebers abzustellen.
Der Gesetzgeber wollte, dass es für bisherige Tarifkunden, die keine Haushaltskunden sind, bis zur Änderung oder Beendigung des Vertrages bei der Weitergeltung der Versorgungspflicht aus § 10 EnWG 1998 verbleibt.
Mit diesem Willen des Gesetzgebers, der den bisherigen Tarifkunden ersichtlich einen Schutz gewähren sollte, wäre schwerlich vereinbar, dass sich der Versorger einseitig, etwa durch durch eine einseitige Änderung des Tarifpreises durch öffentliche Bekanntgabe gem. § 4 AVBGasV, seiner gesetzlichen Versorgungspflicht aus dem weitergeltenden § 10 EnWG 1998 so einfach wie wenig elegant entziehen kann.
Dem trägt der Senat Rechnung.
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Ohne, dass es darauf ankäme:
Es gab etwa Möbelhäuser und Gärtnereien, die als Tarifkunden beliefert wurden, denen man den Vertrag nach Preiswiderspruch und Rechnungskürzung frühzeitig gekündigt hatte und die deshalb große Sorge hatten, von der Belieferung vollständig ausgeschlossen zu werden, wenn sich der Versorger ihnen gegenüber auf Vertragsfreiheit berufen konnte, andere Lieferanten jedoch (mangels geregelter Durchleitung) noch nicht zur Verfügung standen.
Diese Kunden konnten auf die Versorgungspflicht des Versorgers verweisen und darauf, dass die einseitigen Preiserhöhungen, denen sie rechtzeitig widersprochen hatten, der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegen, so dass erst für den Versorger unvermeidbar gestiegene Kosten nachgewiesen werden mussten, bevor Zahlung der erhöhten Beträge verlangt werden kann.
Der Gesetzgeber hatte allen Grund zur Regelung des § 116 EnWG, um die Nicht-Haushalts- Tarifkunden zu schützen.
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