Kann ich den Protest gem. §315 weiter fortsetzen ? Ist es empfehlenswert ?
@fortunato In Ihrem Nicknamen steht bereits die Prognose geschrieben.
Der VIII. Zivilrechtserfindungs-und Energieversorgerschutzsenat wird am 6. April in diversen Verfahren weitere Entscheidungen verkünden. Ich rechne erneut mit einer Überraschung. Es geht um die Grundversorgung und das dort nunmehr im Wege ergänzender Vertragsauslegung vom BGH als möglich erachtete Preisänderungsrecht.
Sollte der Senat die vielfache Kritik an seiner Entscheidung zum Anlass nehmen, seine Rechtsprechung zu korrigieren, wäre ich ganz besonders überrascht, obwohl natürlich weder für Laien noch für Juristen verständlich ist, warum erst durch ein europäisches Gericht die gesetzlichen Vorschriften als unzureichend für ein Preisänderungsrecht eingestuft wurden, und dann der BGH das - unwirksame - gesetzliche Preisänderungsrecht 1:1 flugs nach Treu und Glauben in ein - wirksames vertragliches umdeutet.
Er maßt sich etwas an, wozu er nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr befugt ist.
So hat das BVerfG am 25.1.2011 [1 BvR 918/10] den Spielraum zulässiger Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte - also auch des BGH - erheblich eingeschränkt. Zwar betont das BVerfG die Aufgabe der Gerichte, angesichts „des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen“ das geltende Recht an veränderte Verhältnisse anzupassen, und beschränkt die verfassungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob die rechtsfortbildende Auslegung durch die Fachgerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung und dessen Ziele respektiert und ob sie den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgt. Gleichzeitig betont der Senat aber, dass eine
„Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, … unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers“
eingreift.
Zwar unterstreicht auch das BVerfG
Schöpferische Rechtsfindung durch gerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist praktisch unentbehrlich und wird vom Bundesverfassungsgericht seit jeher anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269 <287 f.>; 49, 304 <318>; 65, 182 <190 f.>; 71, 354 <362>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 Rn. 74>). Dass der Gesetzgeber den Zivilgerichten mit den Generalklauseln des Privatrechts besonders weite Möglichkeiten der Rechtsfortbildung verschafft, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten die privatrechtlichen Generalklauseln den Zivilgerichten nicht zuletzt die Möglichkeit, die Schutzgebote der Grundrechte zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 169 <178>; stRspr) und so die gesetzgeberische Erfüllung grundrechtlicher Schutzaufträge zu ergänzen; die Zivilgerichte verhelfen den Grundrechten so in einem Maße zur praktischen Wirkung, das zu leisten der Gesetzgeber im Hinblick auf die unübersehbare Vielfalt möglicher Fallgestaltungen (vgl. BVerfGE 102, 347 <361>) allein kaum in der Lage wäre (vgl. hierzu insbesondere Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 132, 232; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 324 f.; Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VI Rn. 90 <Dez. 2007>; Michael/Morlok, Grundrechte, 4. Aufl. 2014, Rn. 571 f.).
(BVerfG vom 24.2.2015 - 1 BvR 472/14 Rn. 39)
jedoch betont das Gericht auch,
Die Grenzen richterlicher Rechtsfindung verlangen gerade dort besondere Beachtung, wo sich die rechtliche Situation des Bürgers verschlechtert, ohne dass verfassungsrechtliche Gründe dafür ins Feld geführt werden können (BVerfGE 122, 248 <301> - abw. M.). Auf eine privatrechtliche Generalklausel lässt sich eine verfassungsrechtlich schwerwiegende Belastung eines Beteiligten dann umso weniger stützen, je weniger sich im einfachgesetzlichen Umfeld Anknüpfungspunkte dafür finden lassen (vgl. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 120 f.).
BVerfG a.a.O. Rn. 42
Wenn - wie hier - schon der Wortlaut der verordnungsrechlichen Normen (§ 4 AVBGasV; § 5 GasGVV) nicht auf ein gesetzliches Preisänderungsrecht schließen lässt, und nun durch den EuGH ein solches schon allein wegen der fehlenden Transparenz (also Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit) nicht zugebilligt wird, dann muss der BGH bei Einhaltung der o.g. Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ganz besonders darauf achten, dass dabei die Interessen der "Schwächeren" Berücksichtigung finden. Dazu gehört sicher nicht, ein für unwirksam oder gar nicht als bestehend angesehenes Recht im Wege der Vertragsergänzung umzudeuten in ein Recht gleichen - unverständlichen - Inhalts.