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Autor Thema: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas  (Gelesen 19737 mal)

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Offline tangocharly

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #15 am: 30. Oktober 2015, 11:49:06 »
Anmerkung zu dem "ambitionierten, jungen Amtsrichter":

Amtsrichter, egal ob jung oder alt, werden aller Voraussicht nach eher ambitioniert zu der vom BGH angerissenen Möglichkeit der Schätzung gem. § 287 Abs. 2 u. 1 ZPO greifen, als in die höheren Äste der Europäischen Jurisprudenz zu flattern.

Aber, man hört, dass es einen ambitionierten Amtsrichter gibt, welcher sich das Vergnügen gegeben hat, sich auf direktem Wege mit dem Herrscher über Daten und Intimitäten ("facebook" genannt) zu reiben. Ja, vielleicht keimt da doch noch ein Hoffnungsschimmer.
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Offline Black

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #16 am: 30. Oktober 2015, 12:12:17 »
Ein junger ambitionierter Amtsrichter könnte diese Frage in einem geeigneten Verfahren wohl dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen.

Dann könnte er die Klage eines Versorgers aber auch einfach abweisen. Er ist ja an die Rechtsauffassung des BGH nicht gebunden.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #17 am: 30. Oktober 2015, 13:42:52 »
Zwar ist der Amstrichter nicht gebunden, wenn er jedoch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht, hat er im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung Rechtsmittel zuzulassen. In der nächsten Instanz ginge es so weiter. Wenn das Berufungsgericht das Urteil bestätigen wollte, hätte es die Revision zuzulassen. Dann landet die Sache wieder beim BGH, der dann wohl zum EuGH vorlegen müsste.

Viel einfacher ist es doch wohl, wenn ein Amtsrichter, der die Rechtsprechung des Senats ähnlich unmöglich findet, die Sache dem EuGH vorlegt, um nicht Gefahr zu laufen, mit seiner Rechtsprechung gegen die auch ihn bindende EU- Richtlinie zu verstoßen. Im Zweifel europafreundlich.

Offline bolli

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #18 am: 30. Oktober 2015, 13:50:51 »
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass bei Zulassung der Berufung/Revision vielleicht die nächste Instanz der Meinung ist, dass man doch der "höchstrichterlichen" BGH-Rechtsprechung folgen sollte und sich die Vorlage sparen kann.  8)

Offline berghaus

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #19 am: 30. Oktober 2015, 15:00:06 »
Bei der "Fristenlösung" für Sonderkunden hat sich, obwohl sie schon zwei Jahre auf dem Markt ist, auch noch kein Gericht gefunden, das Zweifel an der 'Rechts-er-findung' des BGB hatte. - Auch meins nicht,  wie der Sauerländer sagt!

berghaus 30.10.15
« Letzte Änderung: 30. Oktober 2015, 23:45:18 von berghaus »

Offline energienetz

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Prof. Dr. Kurt Markert


Kurzstellungnahme zu den BGH-Urteilen vom 28.10.2015, VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12

Nach dem EuGH-Urteil vom 23.10.2014, C – 359/11 und C – 400/11, erfüllt ein durch eine nationale Rechtsnorm den Strom- und Gasversorgern eingeräumtes einseitiges Preisänderungsrecht für unter die allgemeine Versorgungspflicht fallende Verbraucherverträge die Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas von 2003 nur dann, wenn es die Verpflichtung des Versorgers einschließt, erstens die Verbraucher vor Inkrafttreten der jeweiligen Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang zu informieren und zwar, zweitens,  so rechtzeitig vorher, dass die Verbraucher in voller Sachkenntnis über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung entscheiden können. Dass diese beiden Anforderungen nicht gelten sollen, soweit sich das Änderungsrecht des Versorgers darauf beschränkt, dass lediglich Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, falls diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an die Kunden weitergegeben werden, lässt sich aus dem Urteil des EuGH nicht entnehmen. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat aber im Gegensatz dazu in seinen beiden Urteilen vom 28.10.15 eine solche Ausnahme durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschaffen. Dies widerspricht jedoch dem Urteil des EuGH, denn auch dieses begrenzte Preisänderungsrecht des Versorgers muss die Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien in der Auslegung des EuGH-Urteils vom 23.10.2014 erfüllen.

In den beiden vom BGH entschiedenen Fällen ging es hauptsächlich um einseitige Gastarifänderungen, die auf das bisher vom Senat aus § 4 Abs. 2 und 3 der bis November 2006 geltenden AVBGasV gefolgerte (gesetzliche) Preisanpassungsrecht gestützt waren. Dieses Recht erfüllte aber nicht einmal die zweite vom EuGH in seinem Urteil genannte Anforderung der rechtzeitigen Vorabinformation der Kunden über geplante Änderungen, denn nach § 4 Abs. 2 AVBGasV wurden diese sofort mit der öffentlichen Bekanntgabe wirksam. Aber auch die erste Anforderung, die Vorabinformation über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der jeweiligen Änderung, wurde durch diese Vorschriften nicht erfüllt. Letzteres gilt auch für die während der Geltungsdauer der an die Stelle der AVBGasV getretenen GasGVV erfolgten Preiserhöhungen. Denn nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV müssen beabsichtigte Preisänderungen zwar sechs Wochen vorher zum jeweiligen Monatsbeginn öffentlich bekanntgegeben werden. Aber auch hier beinhaltet das aus der Vorschrift vom BGH gefolgerte (gesetzliche) Preisanpassungsrecht keine Verpflichtung des Versorgers zur Information über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der jeweils beabsichtigten Erhöhung. Richtigerweise hat daher der Senat daher mit seinen beiden Urteilen vom 28.10.2015 seine bisherige Rechtsprechung, dass sich aus diesen Vorschriften ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Versorgers ergibt, wegen Unvereinbarkeit mit den europarechtlichen Transparenzanforderungen aufgegeben, die sich aus dem Wegfall dieses Rechts entstehende Vertragslücke jedoch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch ein Recht zur Kostenweitergabe ausgefüllt.

Damit hat aber der Senat schon seinen eigenen Entscheidungen widersprochen, die Verfahren in den beiden entschiedenen Fällen im Hinblick auf seine Vorlagen an den EuGH zunächst mit der Begründung auszusetzen, für die von den Versorgern jeweils erhobenen Nachzahlungsforderungen sei die Frage, ob das gesetzliche Preisbestimmungsrecht, auf das die streitigen einseitigen Erhöhungen gestützt waren, mit den Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien vereinbar ist, entscheidungserheblich. Nach den beiden Urteilen vom 28.10.15 ist dies aber gerade nicht der Fall. Denn danach besteht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgers auch unabhängig von den europarechtlichen Transparenzanforderungen, soweit mit den Änderungen nur eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen des Versorgers an die Kunden weitergegeben werden. Dies hatten beide Vorinstanzen nach Ansicht des Senats verbindlich festgestellt.

Die neue Variante der ergänzenden Vertragsauslegung in den Urteilen vom 28.10.2015 widerspricht auch der Rechtsprechung des Senats zur ergänzenden Vertragsauslegung, soweit in Sonderkundenverträgen formularmäßige Preisanpassungsklauseln nach § 307 Abs. 1 BGB z. B. wegen Verstoßes gegen die europarechtliche Transparenzanforderungen unwirksam (Urteil vom 31.7.2013 – RWE Vertrieb). Denn hierzu hat der Senat gerade nicht, wie in den die Tarifkunden- und Grundversorgung betreffenden Urteilen vom 28.10.2015, mittels ergänzender Vertragsauslegung entschieden, dass die streitigen Preiserhöhungen, soweit mit ihnen lediglich (Bezugs-)Kostensteigerungen an die Kunden weitergegeben werden, auch unabhängig von der Erfüllung der europarechtlichen Transparenzanforderungen wirksam sind, sondern die ergänzende Vertragsauslegung darauf beschränkt, dass vom Kunden nicht innerhalb von drei Jahren nach Rechnungsstellung beanstandete Preiserhöhungen für ihn verbindlich werden (Fristenlösung, „t-3“-Rechtsprechung). Diese unterschiedliche Behandlung beider Vertragstypen in der Frage der ergänzenden Vertragsauslegung ist nicht nachvollziehbar, zumal nach den Urteilen vom 28.10.2015 für die über die bloße Kostenweitergabe hinausgehenden Erhöhungsbeträge auch noch die Fristenlösung (“t-3“-Rechtssprechung) in der für die Sonderkundenverträge geltenden Ausgestaltung gilt. Die Folge ist eine weitere Schlechterbehandlung der Tarif- und Grundversorgungskunden im Vergleich zu den Sonderkunden, obwohl sich erstere typischerweise in einer schwächeren Position gegenüber den Versorgern befinden und deshalb stärker schutzbedürftig sind.

Gegen die beiden BGH-Urteile vom 28.10.2015 gibt es kein Rechtsmittel. Es ist damit zu rechnen, dass der Senat auch die noch verbleibenden 11 weiteren Fälle, in denen er das Verfahren ebenfalls im Hinblick auf seine beiden Vorlagen an den EuGH ausgesetzt hatte, nach dem Muster dieser Urteile entscheiden wird, d. h. mittels des gleichen „Kunstgriffs“, an die Stelle des aus den AVBGasV und GasGVV gefolgerten und europarechtlich nicht mehr haltbaren gesetzlichen Preisänderungsrechts mittels ergänzender Vertragsauslegung ein auf die Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen begrenztes Änderungsrecht zu setzen. Die davon benachteiligten Verbraucher können aber in diesen Fällen den Senat auffordern, wegen der Zweifel an der Vereinbarkeit seiner in den Urteilen vom 28.10.2015 vertretenen Rechtsauffassung mit den Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien in der Auslegung des EuGH-Urteils vom 23.10.2015 die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht ist der BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bei solchen Zweifeln zur Vorlage verpflichtet. Weigerte er sich, dieser Aufforderung zu folgen, entzöge er die betroffenen Verbraucher unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG ihrem gesetzlichen Richter, was mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angefochten werden könnte.

Offline userD0010

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #21 am: 31. Oktober 2015, 13:58:44 »
Zitat Dr. Markert:
"Die davon benachteiligten Verbraucher können aber in diesen Fällen den Senat auffordern, wegen der Zweifel an der Vereinbarkeit seiner in den Urteilen vom 28.10.2015 vertretenen Rechtsauffassung mit den Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien in der Auslegung des EuGH-Urteils vom 23.10.2015 die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht ist der BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bei solchen Zweifeln zur Vorlage verpflichtet. Weigerte er sich, dieser Aufforderung zu folgen, entzöge er die betroffenen Verbraucher unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG ihrem gesetzlichen Richter, was mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angefochten werden könnte."

Darf ich denn nun den BGH auffordern, zur Vermeidung von Nachteilen für mich und viele andere seine sog. Entscheidung dem EuGH zur Vorlage vorzulegen, wenn dieser dazu verpflichtet sein soll?

Oder darf ich hoffen, dass die zwei von der jetzigen Entscheidung Betroffenen und ggf. noch die 11 in Wartestellung verharrenden Verbraucher sich zusammenschließen und gemeinsam (schon alleinwegen des dann vll. attraktiven Streitwertes) anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um den EuGH dazu zu bewegen, den Zeigefinger gegenüber dem BGH zu heben?

Vielleicht rafft sich der EuGH auch einmal dazu auf, dem BGH die Frage nach den diversen Lobby-Suggerierungen durch die EVU zu stellen ?

Offline tangocharly

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #22 am: 31. Oktober 2015, 17:25:42 »
Wollen wir einmal kurz die Diskussionspunkte um den Inhalt der Entscheidung des BGH vom 28.10.2015 sortieren:

1.
Vorlagefrage des BGH in Az.: VIII ZR 71/10:
Zitat
„Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt:
   Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über  Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushaltskunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?“

2.)
Anwort des EuGH (RS C-359/11):
Zitat
„ Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie  der  im  Ausgangsverfahren  fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden."
   
3.)
Ratio der Auslegungsfragen:

a.) BGH - „eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen“
b.) EuGH – „eine nationale Regelung wie der im Ausgangsverfahren“

4.)
Schlussfolgerung:
(a) Der EuGH hat eine Auslegungsfrage beantwortet, welche sich auf eine konkrete nationale Regelung bezieht, nämlich in Gestalt der § 4 Abs. 2 AVB bzw. § 5 Abs. 2 GVV.

(b) Nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, ob eine (x-beliebige) andere nationale Regelung bundesdeutscher Gesetze gegen die Anlage zur Richtlinie verstossen kann.

(c) Damit wirft sich die Frage auf, ob der BGH, als er die Auslegungsfrage determierte, sich unabsichtlich oder absichtlich ein Eigentor geschossen hat. Denn er wollte diese Frage auf eine „gesetzliche Regelung über Preisänderungen“ konkretisiert haben. Eine andere Regelung, als die in den Bedingungsverordnungen enthaltene, kennt aber die nationale Rechtsordnung nicht.

(d) Nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, „ob, dass, wann und wodurch“ ein Versorgungsunternehmen gestiegene Kosten weiterberechnen kann bzw. darf. Dass dies nicht nur eine betriebswirtschaftliche (arg.: Selbstverständlichkeit), sondern in erster Linie eine juristische Frage ist, zeigt in nicht zu überbietender Klarheit die im Gange befindliche Diskussion bis in die höchste Europäische Ebene.

(e) Beantwortet hat der EuGH nur die Frage, „wie“ d.h. nach welchen Kriterien die Ankündigung einer Preisanpassung transparent beschrieben werden muss, um den Europäischen Verbraucherschutzbestimmungen zu genügen.

(f) Der BGH hat nach der klaren Antwort des EuGH -in Umsetzung des Spruches- andere nationale Regelungen für die zu lösenden Fragen heran gezogen, d.h. §§ 133, 157 BGB.
Bei diesen Bestimmungen handelt es sich aber schon vom Wortlaut her um keine „Regelungen über Preisänderungen“ (vgl. oben Ziff. 1 – Auslegungsfragen). Diese Bestimmungen befassen sich mit der Vertragsauslegung.
Der BGH sagt aber hierbei nicht, was der Gesetzgeber bedacht und geregelt haben würde, was sodann wegen des Wegfalls einer gesetzlichen Regelung zu regeln gewesen wäre (Gesetzesauslegung). Er sagt vielmehr, was „die Vertragsparteien“ bedacht und geregelt haben würden (Vertragsauslegung).
Ergo bewegt sich der BGH mit seiner Entscheidung vom 28.10.2015 selbst weg von seiner in dem Verfahren (Az.: VIII ZR 71/10) gestellten Frage, indem er keine „nationale bindende Regelung“ in seine Fälle einbinden will, sondern einen Lösungsweg auf der Ebene der „Privatautonomie“.
Diese Frage, nämlich die Auslegung von vertraglichen Regelungen unterfällt aber nicht den Richtlinien 2003/54 u. */55, sondern der Verbraucher-Richtlinie 93/13.

Damit dürfte der BGH bei der absolut interessanten Frage gelandet sein, kann sich die Lösung seines Problems, nämlich die sich in den Verfahren stellende Änderungsberechtigung, allein schon durch die Anwendung der sogenannten „Ergänzenden Vertragsauslegung“ finden oder  -  und das wird voraussichtlich der Punkt sein, welcher dem BGH als Verfassungsbruch angelastet werden muß  -  an der Grenze der Europäischen Normanwendung in Gestalt des europäischen Verbots einer „Geltungserhaltenden Reduktion“ von Vertragsklauseln scheitern wird.
Ganz abgesehen davon ist auch eine ganz andere Frage ein Kritikpunkt, welche der nationale Gesetzgeber ganz anders geregelt hat. D.h. in der Grundversorgung sind den Parteien keine Möglichkeiten gegeben, abweichende Regelungen vom gesetzlichen Versorgungsrecht vertraglich zu vereinbaren.

5.)

Abschluss:  Man sollte in aller Ruhe erstmal das Vorliegen der vollständigen Urteilsgründe abwarten, bevor man sich die Köpfe heiß redet.
« Letzte Änderung: 31. Oktober 2015, 17:37:12 von tangocharly »
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Offline courage

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #23 am: 01. November 2015, 15:49:54 »
Der BGH will (lt. PM zu den Urteilen vom 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12) an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nicht mehr festhalten:

Zitat
“Aufgrund dieses für die nationalen Gerichte bindenden Auslegungsergebnisses des EuGH hat der VIII. Zivilsenat - im Einvernehmen mit dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs - entschieden, dass an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV jedenfalls für die Zeit nach Ablauf der bis zum 1. Juli 2004 reichenden Frist zur Umsetzung der Gas-Richtlinie nicht mehr festgehalten werden kann.“

Dann stellt sich die spannende Frage, ob sich diese Einsicht auch auf seine unsägliche Preissockelrechtsprechung gemäß Urteil vom 13.06.2007, VIII ZR 36/06, Rn 30 bezieht, wo er wie folgt ausführte:

Zitat
“… Eine Überprüfung der vor der Preiserhöhung geltenden Tarife der Beklagten auf ihre Billigkeit kommt nicht in Betracht, weil es sich um zwischen den Parteien vereinbarte Preise handelt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob … die vor der streitgegenständlichen Preiserhöhung vom 1. Oktober 2004 geltenden Tarife bereits bei Abschluss des Gaslieferungsvertrags zwischen den Parteien galten oder ob sie ihrerseits wiederum durch in der Vergangenheit erfolgte Preiserhöhungen gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zustande gekommen sind.

Wir warten also auf die Urteilsbegründung.

Welche absurden und einseitig nachteiligen Folgen die Preissockeltheorie des BGH für Verbraucher hat, kann man hier nachlesen: ZNER 2014, S. 158ff oder im Forum unter http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17518.msg95617.html#msg95617

Offline userD0010

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #24 am: 01. November 2015, 16:49:19 »
@courage
Wie kommen denn nun diese auf diese Meinungsänderung?
Haben sie denn nicht gründlich zusammengesessen und diskutiert?
Und welchen Grund gibt es für die Festlegung auf das Jahr 2004 ?
« Letzte Änderung: 01. November 2015, 18:42:41 von DieAdmin »

Offline bolli

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #25 am: 02. November 2015, 08:51:11 »
Und welchen Grund gibt es für die Festlegung auf das Jahr 2004 ?

Richtlinie 2003/55/EG

Zitat
Artikel 33

Umsetzung

(1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 1. Juli 2004 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Offline Black

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #26 am: 02. November 2015, 10:42:08 »
Die Urteilsgründe liegen nunmehr vor.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #27 am: 02. November 2015, 11:44:43 »
@Black

Muss wohl der Postbote gebracht haben, auf juris sind die Urteilsgründe noch nicht veröffentlicht.
Geben Sie einen aus und mailen Sie uns die Urteilsgründe bitte.

Offline Black

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #28 am: 02. November 2015, 12:30:16 »
@Black

Muss wohl der Postbote gebracht haben, auf juris sind die Urteilsgründe noch nicht veröffentlicht.
Geben Sie einen aus und mailen Sie uns die Urteilsgründe bitte.

Ich kann Ihnen derzeit nur anbieten, die Aussagen des BGH zu Punkten, die Sie besonders interessieren zu zitieren.

Für mich z.B. interessant:

Zitat
Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen den vom Berufungsgericht im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB gewählten Beurteilungsmaßstab einer Gesamtbetrachtung des Gaswirtschaftsjahres. Soweit die Revision meint, richtigerweise müsse jede einzelne Tariferhöhung der Billigkeit entsprechen, kommt es hierauf nicht entscheidend an. Denn wie oben unter II 3 bereits ausgeführt, geht es im Streitfall nicht um die frage der Billigkeit der Preiserhöhung sondern um die Preisbildung im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung"

Weiterhin hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 11.05.2011, VIII ZR 42/10 noch die Auffassung vertreten, dass ein Tarifkunde zum Sonderkunden werde, wenn das EVU einseitig dazu übergeht, ihn zu Sondervertragsbedingungen zu beliefern. Daran hält er wohl jetzt nicht mehr fest, denn er führt aus:

Zitat
"Mit ihrer demgegenüber vertretenen Auffassung, ein etwaiges Tarifkundenverhältnis der Parteien sei durch die Ankündigung der Klägerin, eine Bestpreisabrechnung vorzunehmen, in ein (Norm) Sonderkundenverhältnis umgewandelt worden, verkennt die revision, dass ein Tarifkundenverhältnis nicht ohne weiteres durch einseitige Erklärung des Gasversorgungsunternehmens in ein (Norm)Sonderkundenverhältnis umgewandelt werden kann"
« Letzte Änderung: 02. November 2015, 12:56:59 von Black »
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

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Offline RR-E-ft

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Re: BGH Entscheidung von heute 28.10.2015 i.Sa. Gas
« Antwort #29 am: 02. November 2015, 13:36:32 »
Man kann die Urteilsfassung auch scannen und die Urteilsgründe hieraus kopieren, so dass man keine Passagen daraus mühpusselig abtippen muss. Es bleibt spannend.
« Letzte Änderung: 02. November 2015, 13:43:09 von RR-E-ft »

 

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