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Autor Thema: BGH Urt. v. 15.04.15, Az: VIII ZR 59/14 - Sonderabkommen, erg. Vertragsauslegung  (Gelesen 7499 mal)

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Offline tangocharly

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Zitat
a) Bei langjährigen Energielieferungsverträgen, bei denen der Kunde längere Zeit Preiserhöhungen unbeanstandet hingenommen hat und nun auch für länger zurückliegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht, ist die durch die Unwirksamkeit oder die unwirksame Einbeziehung einer Preisanpassungsklausel entstandene Regelungslücke regelmäßig im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dadurch zu schließen, dass der Kunde die Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnungen, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (Bestätigung der st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012-VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 Rn. 21 ff. [Gas]; vom 15.Januar 2014 - VIII ZR 80/13, NJW 2014, 1877 Rn.20, 23 [Strom]; vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13, NJW 2014, 3639 Rn. 16 ff. [Fernwärme]; vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR 370/13, WM 2015, 306 Rn. 28 ff. [zur fehlenden Einbeziehung einer Preisanpassungsklausel]).

b) Der  danach  maßgebliche  Preis  tritt  endgültig  an  die  Stelle  des  Anfangspreises. Die  Wirkung  einer  einmal  erforderlich  gewordenen  ergänzenden  Vertragsauslegung ist folglich nicht auf den Zeitraum beschränkt, in dem das Versorgungsunternehmen  aufgrund  der  widerspruchslosen  Zahlungen  des  Kunden keinen  Anlass hatte,  das  Bezugsverhältnis  zu  kündigen  (Bestätigung  und  Fortführung  der  Senatsurteile  vom  14. März  2012 - VIII  ZR  93/11,  ZNER  2012,  265  Rn.  1,  5,  32  f.; vom  23.  Januar  2013 - VIII  ZR  52/12,  juris Rn.  2, 7,  15,  19, und VIII  ZR  305/11, juris Rn. 1 f., 15).

BGH, Urt. v. 15.04.2015 Az. VIII ZR 59/14
« Letzte Änderung: 21. Mai 2015, 10:14:39 von tangocharly »
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Offline RR-E-ft

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Mit der in der Literatur bestehenden Kritik an der ergänzenden Vertragsauslegung des Senats setzt sich dieser in seiner weiteren Leitsatzentscheidung nicht auseinander.

Offline tangocharly

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Derartige Haltung ist ja nicht unbekannt:

"... Was kümmert's die Deutsche Eiche, wenn ...."

Angesichts dieser Rechtsprechungslinie des 8.ZS. tut man sich schon schwer daran zu glauben, dass es bei dem Kriterium der "erg. Vertragsauslegung" - zumindest in den Energieversorgungsverträgen - darum geht, auch die Interessen der Gegenseite ausreichend zu würdigen.

Wie führt der 8.ZS. dann in seiner Entscheidung aus (Tz. 42):
Zitat
Eine solche Beschränkung wäre nicht nur - wie bereits aufgezeigt - sachlich nicht zu rechtfertigen, sondern würde auch zu dem für beide Seiten unerwünschten Ergebnis führen, dass der Energieversorger, der an sich an dem (Norm -)Sonderkundenvertrag festhalten will, gezwungen wäre, das Vertragsverhältnis - etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das (für den Kunden regelmäßig ungünstigere) Grundversorgungsverhältnis - (vgl. etwa Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 93/11, aaO Rn. 32, und VIII ZR 113/11, aaO Rn. 37; jeweils mwN) zu beenden.

Wenn es für den Energiekunden zunächst nichts Schlimmeres zu befürchten gilt, als ein Übergang in die Grundversorgung, dann ist ja noch Raum für Hoffnung. Der Umstand, dass es auch noch andere Energieversorger gibt, die bereit sind sich dem Wettbewerb zu stellen, soll ja auch noch Allgemeingut sein. Aber was soll's.

Der 8.ZS. will ja weiter dem Umstand, dass eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist, für die Anwendung der Grundsätze zur "erg. Vertragsauslegung"  keine Bedeutung beimessen. Dies soll, um wieder den Bogen zur leidigen Thematik der "Anfangs-/Sockelpreise" zu ziehen, maximal auf den erstmaligen Widerspruch gegen entsprechende Verbrauchabrechnungen bezogen sein, mit dem Hinweis auf das "Leitbild (?)" des § 18 Abs. 2 GVV.

Werden da aber nicht schon wieder Birnen und Äpfel gemischt ?

Wem soll denn in den Fällen des § 18 Abs. 1 GVV ein Vorwurf gemacht werden, für Messfehler, Berechnungsfehler (die nicht erkannt werden), wenn hierbei in beiden Richtungen Forderungen entstehen können, entweder auf Erstattung oder aber auch auf Nachzahlung ?
Der Ausgangspunkt für eine objektiv-typische Betrachtung, was die Parteien hier redlicherweise vereinbart haben könnten, wäre eine Vertragsreglungslücke existent, liegt hier doch völlig anders, als wenn einer einseitigen Handlungsmacht (Anpassungsklausel) der rechtliche Boden entzogen wird.

Gerade der Versorger ist doch in der Lage die Rechtsprechungsentwicklung zu seinen Vertragsklauseln zu beobachten und ab Kenntnis zu verändern. Daher ist auch nicht einsehbar, weshalb ein etwaiges Interesse daran, einen Sondervertrag aufrecht zu erhalten, höher zu bewerten ist, als der Schutz vor einem Abrutschen in die Grundversorgung (mit der Folge eines neuen Vertragsschusses halt eben bei einem anderen Versorger).

Der 8.ZS. sieht den Kunden in der Pflicht, ab Kenntnis von der Änderung der Rechtsprechung zu reagieren (Widerspruch). Jedenfalls spätestens dann. Der Versorger, darf seine Margen durch den Sockel zementieren, soll aber nicht reagieren müssen, jedenfalls ab Kenntnis von der Rechtsprechungsänderung.

Hierzu hat sich der 11.ZS. des BGH XI ZR 348/13 schon ein bißchen mehr Mühe gemacht (wenn auch zur Verjährungsfrage), die Einsichten des Gesetzgebers aufzuzeigen (Tz. 53):

Zitat
Mangels einer ausdrücklichen anderweitigen Regelung ist deshalb davon auszugehen, dass die zu § 852 BGB aF entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze zum Hinausschieben des Verjährungsbeginns ebenfalls fortgelten sollen. Das wird auch dadurch belegt, dass der Gesetzgeber mit § 199 Abs. 1 BGB das erklärte Ziel verfolgt hat, dem Gläubiger eine faire Chance zur Durchsetzung seines Anspruchs zu eröffnen (BT-Drucks.14/6040, S.95; vgl. auch Theisen/Theisen,Festschrift Nobbe, 2009, S.453, 460). Hierzu gehört nach der Gesetzesbegründung insbesondere, dass dem Gläubiger grundsätzlich hinreichend Gelegenheit gegeben werden muss, das Bestehen seiner Forderung zu erkennen (BT-Drucks. 14/6040, S. 95)

Die Linie des 8.ZS. überfordert den schwächeren Part dieses Turniers - nur dieser Teil hat zu handeln und dann, selbst wenn gehandelt wurde, dann gilt - der Sockel.

Dieser Teil ist der Dumme - und mit denen treibt man bekanntlich die Welt um.

Aber vielleicht besteht ja noch Hoffnung, wie sich beim 8.ZS. zeigt (Tz. 43):
Zitat
Darüber hinaus ist - wie die Revisionserwiderung selbst einräumt - eine Kenntnis der Beklagten von der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel weder vom Berufungsgericht festgestellt noch von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin (vgl. OLG Zweibrücken, NJW - RR 1995, 841, 842; Palandt/Sprau, BGB, 74.Aufl., § 819 Rn. 10) in den Tatsacheninstanzen vorgebracht worden.
« Letzte Änderung: 21. Mai 2015, 22:17:10 von tangocharly »
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Offline tangocharly

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Die VZ Bayern hat die verwirrende Linie des 8. ZS in dem Beitrag wie folgt aufgezeigt:

Zitat
Der BGH hat mit Urteil vom 14.07.2010 (Az.: VIII ZR 246/08) entschieden, dass die vorbehaltlose Zahlung der Jahresrechnung nicht als stillschweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden könne. Dies hat der BGH mit Urteil vom 22.02.2012 (Az.: VIII ZR 34/11) nochmals bestätigt. Sonderkunden brauchen daher zur Wahrung ihrer Rechte eigentlich keinen Widerspruch gegen Preiserhöhungen bzw. gegen Jahresrechnungen einzulegen.

Der BGH hat jedoch (Urteile vom 14.03.2012, Az.: VIII ZR 93/11 und Az.: VIII ZR 113/11, Urteile vom 23.01.2013, Az.: VIII ZR 52/12 und Az.: VIII ZR 80/12) entschieden, dass Gas-Sonderkunden sich nicht auf die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung berufen können, wenn sie diese nicht innerhalb von drei Jahren nach Zugang der Jahresrechnung beanstandet haben. Dies bedeutet: Sie bekommen nur dann Geld zurück, wenn Sie einer Jahresrechnung innerhalb von drei Jahren widersprochen haben.

Quelle: VZ-Bayern / Rückforderung überhöhter Strom- und Gaspreise
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Offline RR-E-ft

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In Versorgungswirtschaft, Heft 7/2015, Seite 208 f. ist eine lesenswerte Urteilsanmerkung von Prof. Markert erschienen.

Offline energienetz

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Die wesentlichen Argumente von Prof. Markert werden im kommenden Heft der Energiedepesche (erscheint 1.9.2015) zu lesen sein.

 

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