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Autor Thema: Der Coup mit den 450.000 Änderungskündigungen  (Gelesen 6741 mal)

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Offline janto

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Der Coup mit den 450.000 Änderungskündigungen
« am: 23. Januar 2015, 13:09:15 »
Wie EWE sich der Pflicht entzieht, sinkende Bezugskosten bei Strom und Gas an die Kunden weiter zu geben

450.000 Änderungskündigungen bei Strom- und Gasverträgen hat EWE zum Ende letzten Jahres ausgesprochen. Betroffen waren alle sogenannten „Sonderkunden“ in den Tarifen Classic, Trio und Online. Anlass oder richtiger Vorwand war eine überfällige Änderung der AGB. Als letzter großer Versorger hat EWE die eigenen AGB an die Rechtsprechung von EuGH und BGH angepasst, insbesondere die Preisänderungsklausel. Da steht jetzt mit der geforderten Transparenz drin, wie sich Strom- und Gaspreis zusammensetzen (aus Beschaffungs- und Vertriebskosten, Steuern und Abgaben sowie aus Netzentgelten), dass EWE „ausschließlich“ gestiegene Kosten weiter geben darf und umgekehrt „verpflichtet“ ist, Kostensenkungen genauso weiter zu geben und dass mindestens einmal im Jahr eine Überprüfung stattfindet. Soweit so gut.

Entsprechend müsste EWE jetzt eigentlich die im Jahr 2014 stark gesunkenen Bezugspreise bei Strom und vor allem bei Gas an die Kunden weiter geben. Möchte sie aber nicht. Und nun kommt der Coup mit den 450.000 Änderungskündigungen ins Spiel! Allen „Sonderkunden“ sind die alten Verträge ja zum 31.12.2014 gekündigt und „neue“ Verträge aufs Auge gedrückt worden. Die Preise darin sind zwar der Höhe nach die alten – es wurden ja nur die AGB verändert -, aber es sind per Neuvertrag ab 1.1.2015 nun „neu vereinbarte Preise“. Die werden erst wieder in einem Jahr überprüft und weiter gegeben werden müssen dann nur Kostensenkungen, die 2015 eintreten. Alles, was vor 2015 war, zählt nicht mehr. An Kostensenkungen wird es 2015, nachdem der Strompreis an der Leipziger Börse 2014 bereits auf 3 Cent gefallen ist und der Ölpreis sich sogar mehr als halbiert hat, nicht mehr viel geben. Über kurz oder lang wird sich vor allem der Öl- und dann auch der Gaspreis eher wieder erholen. Solche Kostensteigerungen darf EWE ab 2016 dann weiter geben, um die Weitergabe der drastischen Kostensenkungen aus 2014 hat sie sich mit ihren 450.000 Änderungskündigungen jedoch gedrückt.

„Bis auf weiteres“, so hat EWE in den letzten Tagen erklärt, will sie an ihren Preisen festhalten. Auf die erwarteten und geforderten Preissenkungen verzichten muss aber „nur“ die Stammkundschaft im EWE-Versorgungsgebiet Ems-Weser-Elbe. Außerhalb bietet EWE insbesondere Gas sehr viel günstiger an. In Bielefeld für 4,76 Cent je kWh, in Göttingen für 4,28 Cent und im Raum Aschaffenburg für nur 3,89 Cent. Das sind 15% bis 40% weniger als im EWE-Stammgebiet. Hier zahlen wir je nach Tarif 5,57 bis 6,50 Cent. Nur der Stammkunde bei uns ist also der Dumme.

Die Verbraucher können ihren Strom- und Gaspreis durch Anbieterwechsel allerdings selbst senken, bei seriösen Anbietern um 20% bis 30%. Der Verein Bezahlbare Energie bietet im Internet auf www.bezahlbare-energie.de eine kostenlose „Wechselhilfe“, über die das günstigste seriöse Angebot für den eigenen Verbrauch erfragt werden kann.

Bleibt noch anzumerken, dass EWE die 450.000 Änderungskündigungen gar nicht im Wege einer „außerordentlichen Kündigung“ hätte aussprechen dürfen. Außerordentliche Kündigungen sind Versorgern nur bei Gefahr im Verzug gestattet und wenn Kunden sich einer gravierenden Vertragsverletzung schuldig machen, etwa nicht bezahlen. Solange das nicht der Fall ist, darf nur „ordentlich“, zum regulären Ablauf eines Vertrages, gekündigt werden. Für eine AGB-Änderung auf eigenen Wunsch stand EWE kein außerordentliches Kündigungsrecht zu. Aber darauf kam es EWE hier anscheinend nicht mehr an. Der unlautere Zweck, Hunderttausende um anstehende Preissenkungen zu bringen, heiligte hier die Mittel.

Offline khh

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Re: Der Coup mit den 450.000 Änderungskündigungen
« Antwort #1 am: 23. Januar 2015, 23:17:21 »
Die Kündigungen werden unwirksam sein, wofür es noch nicht einmal auf deren Zugang beim Kunden ankommt.

Eine außerordentliche Änderungskündigung ist eine außerordentliche Kündigung.
Unter einer Änderungskündigung versteht man eigentlich eine ordentliche Kündigung unter der Bedingung, dass der andere Teil mit einer zugleich angetragenen Vertragsänderung nicht einverstanden ist.
Hier wird aber gar nicht unter jener (ausnahmsweise zulässigen) Bedingung gekündigt, sondern unbedingt.
Zugleich wird nur ein neues Vertragsangebot unterbreitet, welches stillschweigend durch Weiterbezug von Energie angenommen werden können soll.

Hintergrund mag der sein, dass Änderungsklauseln innerhalb von AGB, welche die einseitige Änderung von AGB zum Gegenstand haben, meist selbst gegen § 307 BGB verstoßen und unwirksam sind. Geänderte AGB erfordern regelmäßig eine Einbeziehungsvereinbarung, wobei der Kunde nach der zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Übersendung der Änderung ausdrücklich zustimmen muss.

Den Weg wird man wohl gewählt haben, weil man dachte, durch den stillschweigenden Neuabschluss des Vertrages wird der bisherige (unwirksam erhöhte Preis) zum vereinbarten Anfangspreis eines neuen Vertrages. Insoweit hätte sich am Preis doch etwas geändert, wenn die bisherigen Preiserhöhungen unwirksam waren.

Die außerordentliche Kündigung ist unzulässig, da keine Gründe zur außerordentlichen Kündigung vorliegen.
Bei Störung des Vertragsgefüges hätte nach §§ 313, 314 BGB vorgegangen werden müssen.
Die Voraussetzungen dafür liegen aber schon nicht vor, wenn sich eine bisher verwendete AGB - Preisänderungsklausel als unwirksam erweist bzw. unwirksam wird.
Vorliegend  war die bisher verwendete Preisänderungsklausel innerhalb der AGB sicher längstens (nämlich von Anfang an) unwirksam (vgl. BGH, Urt. v. 31.07.13 VIII ZR 162/09) und ist nicht erst durch eine Änderung der Grundversorgungsverordnung unwirksam geworden, zumal die Grundversorgungsverordnung für Sonderverträge auch schon gar nicht gilt, vgl. § 1 Abs. 1 GVV.

Die unwirksame außerordentliche Kündigung wird  nicht in eine wirksame ordentliche Kündigung umgedeutet werden können. Ein enstprechender Wille, das Vertragsverhältnis jedenfalls, wenn auch nur ordentlich unter Einhaltung der regulären Kündigungsfrist beenden zu wollen, ist aus der Erklärung nicht ersichtlich.
Der bisherige Vertrag läuft mangels wirksamer Kündigung somit zu ungeänderten Bedingungen ungekündigt weiter.
Weil dadurch aber noch ein ungekündigtes Vertragsverhältnis besteht, kann im schweigenden Weiterbezug von Energie auch keine stillschweigende Annahme eines neuen Vertragsangebotes gesehen werden (weder als Sondervertrag noch als Grundversorgung).

Worauf es deshalb nicht mehr ankommen kann:
Die Fiktion einer stillschweigenden Vereinbarung im Falle eines Schweigens auf ein Angebot  hätte bereits zuvor wirksam vereinbart werden müssen.
Wäre Entsprechendes innerhalb der wirksam einbezogenen AGB vorgesehen gewesen, hätte die entsprechende Klausel dem § 308 Nr. 5 BGB Rechnung tragen müssen.

Die bisherigen Verträge werden ungekündigt unverändert fortbestehen, was man aus genannten Gründen auch gerichtlich feststellen lassen kann, falls EWE auf entsprechendes Verlangen nicht schriftlich  bestätigt, dass das Vertragsverhältnis über den 31.12.14 ungekündigt und zu ungeänderten Bedingungen fortbesteht.

Unabhängig davon, darf man wohl davon ausgehen, dass auch die geänderten AGB auch keine wirksame Preisänderungsklausel enthalten werden (vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.12.06 - VIII ZR 25/06).  Erforderlich wäre, dass bereits bei Vertragsabschluss die Preiskalkulation offen gelegt wird und zwar weiter, als es § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und Satz 3 und 4 StromGVV verlangt.

Kunden werden sich auch noch  nach Jahren darauf berufen können, dass der bisherige Vertrag zum 31.12.14 nicht wirksam gekündigt wurde, es für eine Änderung des Vertragsinhalts an einer wirksamen Änderungsvereinbarung fehlt, insbesondere wenn sie der Kündigung ohne Begründung wiedersprochen haben. Schließlich kam Ihrem Schweigen keinerlei Erklärungswert zu. Einer Erklärung bedurfte es schon nicht, da der bisherige Vertrag nicht wirksam gekündigt wurde.
[Hervorhebungen durch khh]
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Rechtliche Beratung ist allein gesetzlich befugten Personen/Institutionen vorbehalten.

Offline khh

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Re: Der Coup mit den 450.000 Änderungskündigungen
« Antwort #2 am: 13. Februar 2015, 12:17:07 »
Mal abgesehen davon, dass der EWE dieser "Coup" in den nächsten Jahren noch "auf die Füße fallen" dürfte" (unwirksame Vertragskündigungen, unwirksame AGB-Änderung usw. usf.) scheint bei der Abwicklung dieser dubiosen Aktion derzeit reichlich Chaos zu herrschen.

Folgender "Fall" ist mir bekannt geworden:
- ein Stromkunde hat die (unwirksame) "außerordentliche Änderungskündigung" akzeptiert und Anfang Dezember 2014 das Angebot des neuen Vertrages ab 01.01.2015 abgelehnt;
- trotzdem hat sich EWE nicht zum 31.12.2014 beim Netzbetreiber abgemeldet, sondern zu einem Termin in 2015, zu dem eine ordentliche Kündigung wirksam geworden wäre;
- der beauftragte neue Versorger konnte sich daher nicht wie vorgesehen ab 01.01.2015 als neuer Lieferant beim Netzbetreiber anmelden;
- nach Intervention des Kunden erfolgte dann die Ab- und Neuanmeldung verspätet zu einem Termin Mitte Januar 2015;
- obwohl ab 01.01.2015 mit EWE kein Vertragsverhältnis mehr besteht (EWE ist hier auch nicht der zuständige Grundversorger!), wurden im Januar u. Februar 2015 weiterhin Abschlagsbeträge eingezogen und nach Rückbuchung ganz aktuell sogar angemahnt >:( .

Wir sind jetzt mal auf die Schlussrechnung von EWE gespannt und ob man auch die vertragslos erfolgte Belieferung in 2015 abrechnet. Wegen der Wechselbehinderung wird in jedem Fall noch eine Beschwerde bei der Bundesnetzagentur erfolgen!       
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