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EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung

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energienetz:
http://curia.europa.eu/jcms/jcms/P_150864/

RR-E-ft:
Das Urteil vom 23.10.14 ist veröffentlicht:

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=158842&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=93692


--- Zitat ---Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
--- Ende Zitat ---

Nach Auffassung der Kammer waren die Wirkungen des Urteils zeitlich nicht zu begrenzen.

Die gesetzlichen Regelungen über das Preisänderungen hinsichtlich der Allgemeinen Tarife bzw. Allgemeinen Preise der Grund- und Ersatzversorgung verstoßen deshalb seit Ablauf der Umsetzungsfrist der entscheidungserheblichen EU- Richtlinien in 2004 gegen EU- Recht und sind infolgedessen unwirksam.

Für einseitige Preisänderungen der Energieversorger fehlt es in diesem Bereich mithin seit 2004 (seit über 10 Jahren!) an einer wirksamen Rechtsgrundlage, wenn man mit dem BGH davon ausgeht, dass §§ 4 AVBV/ 5 GVV das Preisänderungsrecht regelt.

Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es zu keiner Preisneuvereinbarung, wenn der Energieversorger ohne wirksame Rechtsgrundlage die Preise einseitig ändert und der Kunde die Verbrauchsabrechnungen, mit denen der unwirksam einseitig erhöhte Preis zur Abrechnung gestellt wird, ohne der Preisänderung widersprochen zu haben vorbehaltlos bezahlt.

Fraglich ist nun, ob und ggf. welche ergänzende Vertragsauslgung der BGH findet.

Durch die Unwirksamkeit der Regelungen über Preisänderunegn wird in das Vertragsgefüge womöglich eine planwidrige Regelungslücke gerissen, der sich der Versorger auch nicht durch eine ordnungsgemäße Kündigung entziehen kann.

Denn durch den bestehenden Kontrahierungszwang ist ein Kündigungsrecht für den Versorger regelmäßig ausgeschlossen, vgl. nunmehr auch § 20 Abs. 1 Satz 2 StromGVV/ GasGVV.

Dabei könnte ggf. zu unterscheiden sein, zwischen Kunden, welche den einseitigen Preisänderungen widersprochen hatten und solchen,
welche diese über Jahre hinweg widerspruchslos hingenommen und vorbehaltlos bezahlt hatten.

energienetz:
Europäischer Gerichtshof kippt Preisänderungsklauseln der Grundversorgung und stärkt Verbraucherrechte.


(23. Oktober 2014) Der Bund der Energieverbraucher begrüßt ausdrücklich das am heutigen Tag ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der Rechtmäßigkeit von Preiserhöhungen bei der Gas- und Stromgrundversorgung.
In der Vergangenheit hatten Energieversorger ihre Preiserhöhungen mit dem bloßen Hinweis auf die Vorschrift des § 5 Abs. 2 der Grundversorgungsverordnung StromGVV und GasGVV (zuvor: § 4 Abs. 2 der Allgemeinen Verordnung für Tarifkunden) gegenüber Verbrauchern begründet. Viele Verbraucher verweigerten die Zahlung der Preiserhöhung, weil diese ungerechtfertigt seien. Sie wurden daraufhin regelmäßig durch die Energieversorger auf Zahlung verklagt. Der Bundesgerichtshof hatte zuletzt die Verfahren ausgesetzt, da Zweifel an der Vereinbarkeit der Grundversorgungsverordnung mit Europäischem Recht aufkamen und diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorgelegt.
Durch das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs wurden diese Bedenken  nunmehr ausdrücklich bestätigt. In den Urteilsgründen werden mangelnde Transparenz und Verbraucherschutz der deutschen Verordnungen gerügt, die die Energieversorger bisher nicht verpflichtet haben, ihre Kunden "rechtzeitig über Anlass, Voraussetzung und Umfang" der Preisänderung zu informieren. Der Kunde könne nach der bisherigen Rechtslage  nicht sachgerecht entscheiden, ob er das Vertragsverhältnis beenden oder gegen die Änderung des Preises vorgehen will.
Die entsprechende Klausel in der deutschen Grundversorgungsverordnung verstößt damit gegen Europäisches Recht. Im Ergebnis wird der Bundesgerichtshof diese Wertung des Europäischen Gerichtshofs bei der Beurteilung der bei ihm anhängigen Verfahren berücksichtigen. Es steht zu erwarten, dass die Zahlungsklagen der Energieversorger damit zurück gewiesen und die ausgesetzten Verfahren zugunsten der Verbraucher entschieden werden.
Der Europäische Gerichtshof hat damit die Berechtigung der Forderung auf wirkliche Transparenz bei Preisänderungen in der Grundversorgung, die auch der Bund der Energieverbraucher seit Jahren erhoben hat, bestätigt.
Besonders erfreulich an den Ausführungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ist zudem, dass die Entscheidung auch für Preiserhöhungen in der Vergangenheit gilt.
Der Bund der Energieverbraucher e.V. ist der Meinung, dass allen Verbrauchern in der Grundversorgung mindestens die Rückzahlung der in der Vergangenheit gezahlten Preiserhöhungen zusteht. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof dieses Urteil in deutsches Recht umsetzt. Verbraucher sollten ihren Grundversorger bereits jetzt vorsorglich schriftlich auffordern, auf die Einrede der Verjährung bezüglich der Rückzahlung bereits gezahlter Preiserhöhung zu verzichten.


   
   

tangocharly:
Interessant zu lesen, wie sich der EuGH mit dem dusslichen Vortrag der Versorger zum Thema: schwerwiegende Folgen für die Versorgungswirtschaft und zur Thematik "zeitliche Befristung" auseinander gesetzt hat:

Zitat:
Zur zeitlichen Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils

54      TWS und SWA haben den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass sich aus dem zu erlassenden Urteil ergeben sollte, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung den in den Richtlinien 2003/54 und 2003/55 aufgestellten Anforderungen an die Transparenz nicht genügt, ersucht, die Wirkungen des Urteils zeitlich so zu begrenzen, dass sie um 20 Monate aufgeschoben werden, um dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen dieses Urteils zu ermöglichen. Die deutsche Regierung hat den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen darum ersucht, die Zweckmäßigkeit einer zeitlichen Begrenzung der Wirkungen dieses Urteils zu erwägen.

55      Zur Begründung dieses Antrags haben TWS und SWA auf die schwerwiegenden Folgen für die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland verwiesen. Würden die Tarifänderungen für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt, so wären die Versorger nämlich gezwungen, die von den Verbrauchern im Laufe der Jahre entrichteten Beträge rückwirkend zu erstatten, was für diese Versorger sogar existenzbedrohend sein und negative Folgen für die Versorgung der deutschen Verbraucher mit Strom und Gas haben könne.

56      Die genannten Parteien haben außerdem ausgeführt, dass, wie sich aus dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur für das Jahr 2012 ergebe, 4,1 Mio. Haushaltskunden auf der Grundlage der zwingenden Vorschriften der GasGVV mit Gas versorgt worden seien. Aus diesem Bericht gehe außerdem hervor, dass 40 % der 46 Mio. Haushaltskunden ihren Strom auf der Grundlage der zwingenden Regelung der StromGVV bezögen.

57      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken kann. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil RWE Vertrieb, EU:C:2013:180, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Der Gerichtshof hat auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand (vgl. Urteil Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59      Was die Gefahr schwerwiegender Störungen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass sich TWS und SWA in ihren schriftlichen Erklärungen zwar auf Statistiken der Bundesnetzagentur für das Jahr 2012 berufen haben, in denen die Zahl der Kunden angegeben ist, die unter die allgemeine Versorgungspflicht und die allgemeinen Verpflichtungen in Bezug auf Sicherheit – einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung mit Strom und Gas – fallende Verträge abgeschlossen haben, die der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung unterliegen.

60      Jedoch wurde nicht dargelegt, dass die Infragestellung der Rechtsverhältnisse, deren Wirkungen sich in der Vergangenheit erschöpft haben, rückwirkend die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland erschüttern würde.

61      Im Übrigen hat die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen eingeräumt, dass sie nicht in der Lage sei, die Folgen des zu erlassenden Urteils für die Unternehmen in der Branche der Strom- und Gasversorgung zu beurteilen.

62      Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Rn. 57 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.

63      Da das zweite oben in Rn. 57 genannte Kriterium nicht erfüllt ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.

64      Demnach sind die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu begrenzen.

RR-E-ft:
Hinsichtlich der Frage der Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung erscheint das Urteil des AG Lingen vom 14.10.14 interessant:

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19266.0.html

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