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Autor Thema: AG Bln. Charlottenburg, Urt. v. 20.04.12 zur Formunwirksamkeit einer Kündigung  (Gelesen 4473 mal)

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Offline RR-E-ft

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Das AG Berlin-Charlottenburg hatte sich im Urteil vom 20.04.12 Az. 216 C 523/11 mit der Formunwirksamkeit einer versorgerseitigen Kündigung eines Gasliefervertrages zu befassen.

Die Entscheidung ist veröffentlicht:

http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/2djn/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE204672013&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint

Zitat

    Das Schreiben vom 11.11.2006 (Anlage KR2) bewirkt keine wirksame Kündigung des Sonderkundenvertrages.

27

    Die Kündigungserklärung vom 11.11.2006 ist formunwirksam, §§ 125 S. 2, 126 Abs. 1 BGB.

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    Die Parteien haben für Kündigungen Schriftform vereinbart. Dies folgt aus § 2 Abs. 2 der AGB. Dort heißt es: „Kündigungen haben schriftlich zu erfolgen“. Unter Berücksichtigung von § 305c Abs. 2 BGB wurde damit Schriftform i.S.v. § 126 Abs. 1 BGB vereinbart; hierfür spricht auch, dass gemäß § 2 Abs. 3 der AGB ersatzweise nur eine elektronische Erklärung unter Zuhilfenahme einer digitalen Signatur möglich sein soll, sobald „hierzu gesetzliche Regelungen vorliegen“.

29

    Danach bedurfte die Kündigungserklärung grundsätzlich einer eigenhändigen Unterschrift, welche auf dem beim Beklagten eingegangen Exemplar (Kopie) unstreitig fehlt.

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    § 127 Abs. 2 BGB hilft der Klägerin nicht weiter. Zwar handelt es sich vorliegend um eine rechtsgeschäftliche Formvereinbarung und § 127 Abs. 2 BGB schaffte insofern Erleichterungen zur Einhaltung der Form. Nach § 127 Abs. 2 S. 1 BGB genügt, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form, die telekommunikative Übermittlung und bei einem Vertrag der Briefwechsel.

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    Die Voraussetzungen des § 127 Abs. 2 BGB liegen indes nicht vor.

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    Die postalische Übersendung von Briefkopien oder Briefen mit eingescannter Unterschrift fällt nicht unter die Vorschrift.

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    § 127 Abs. 2 BGB enthält zwei Alternativen. Zum einen befreit § 127 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB vom Unterschriftserfordernis bei der „telekommunikativen“ Übermittlung. Der Begriff „telekommunikativ“ bezieht sich insofern auf die Begrifflichkeit im TKG, d.h. notwendig aber auch ausreichend ist eine Übermittlung der Erklärung durch Telekommunikation mittels Telekommunikationsanlagen i.S.v. § 3 Nr. 22, 23 TKG (vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 20f.). In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass Telegramm, Fax oder eMail zur Wahrung der rechtsgeschäftlich gewählten Schriftform daher genügen (Palandt-Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 127 Rdn. 2f.; für Fax schon BGH, Urt. v. 22,04.1996 – II ZR 65/95, Rdn. 8, juris). Die Übermittlung von ausgedruckten Briefen erfolgt nicht i.d.S. „telekommunikativ“, so dass diese nicht unmittelbar unter die Vorschrift fällt. Zwar hat das BAG in einem besonders gelagerten Fall die Übergabe einer unbeglaubigten Fotokopie des in der Gerichtsakte im Original enthaltenen Kündigungsschreibens in einem Gerichtstermin in Anwesenheit des Erklärenden für formgerecht gemäß § 127 S. 2 BGB a.F. gehalten, und dies mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Erleichterung des Rechtsverkehrs sowie den Besonderheiten des Einzelfalles begründet (BAG, Urt. v. 20.08.1998 - 2 AZR 603/97). Für eine ausdehnende Auslegung des § 127 Abs. 2 S. 1 BGB spräche weiter, dass die gewillkürte Schriftform im Zweifel vorrangig Beweiszwecken dient und unklaren Verhältnissen vorbeugen soll; und die vom Gesetzgeber bei Anordnung gesetzlicher Schriftform intendierte Warnfunktion im Hintergrund steht (vgl. BGH, BGH, Urt. v. 22,04.1996 – II ZR 65/95, Rdn. 8, juris). Der angedachten ausdehnenden Auslegung steht nach Auffassung des Gerichts allerdings der eindeutige Wortsinn entgegen: Briefe per Post werden nicht telekommunikativ übermittelt.

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    Die zweite Alternative des § 127 Abs. 2 BGB ist ebenfalls nicht einschlägig. Denn § 127 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB bezieht sich auf einen Vertragsschluss durch Briefwechsel (Einsele, in: MüKoBGB, 6. Aufl., § 127 Rdn. 11), erleichtert somit gegenüber § 126 Abs. 2 BGB. Für hiesige einseitige Willenserklärungen gibt die Vorschrift unmittelbar nichts her.

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    § 127 Abs. 2 S. 1 BGB ist auch nicht analog auf die postalische Übersendung von Kopien unterschriebener Briefe oder Briefausdrucke mit eingescannten Unterschriften anwendbar. Dies ist allerdings umstritten (wie hier: Palandt-Ellenberger, aaO, Rdn. 3; Staudinger-Hertel, BGB, 2004, § 127 Rdn. 49; a.A. ohne dogmatische Begründung: Einsele, in: MüKoBGB, 6. Aufl., § 127 Rdn. 10). In Betracht kommt einzig eine analoge Anwendung des § 127 Abs. 2 S. 1 BGB. Voraussetzung wäre Vergleichbarkeit und planwidrige Regelungslücke (Palandt-Sprau, BGB, 71. Aufl., Einl Rdn. 48). Vergleichbarkeit zu den von § 127 Abs. 2 S. 1 BGB erfassten eMails, Telefaxen etc. liegt vor. Denn der Schutzzweck von erhöhten Formanforderungen wird bei mechanisch unterschriebenen Briefen oder Briefkopie ebenso gewahrt wie bei übermittelten Telefaxen o.ä., solange der Absender und auch Bindungswillen (Abgrenzung zum Entwurf) in beiden Fällen hinreichend genau ermittelbar ist. Es fehlt indes an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei der Ermittlung einer solchen ist der dem Gesetz zugrunde liegende Regelungsplan im Wege der Auslegung zu ermitteln (Palandt-Sprau, BGB, 71. Aufl., Einl Rdn. 55). Dieser ist hier recht eindeutig: Mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. 7. 2001 (BGBl. I S. 1542) wurde die gesetzliche Erleichterung für die gewillkürte Schriftform von der telegraphischen auf die telekommunikative Übermittlung erweitert. Es ging dem Gesetzgeber um die Entbindung vom Unterschriftenerfordernis über die Fälle telegraphischer Übermittlungen hinaus auf alle Fälle telekommunikativer Übermittlungen (BT-Drucks. 14/4987, S. 20f.). Es finden sich keine Anhaltspunkte, dass auch bei postalischer Übersendung von Briefen das Unterschriftenerfordernis in Frage gestellt werden sollte. Zu berücksichtigen ist insofern, dass schon zu § 127 Hs. 1 Alt. 2 BGB a.F. es ganz herrschender Meinung entsprach, auf die Voraussetzung der eigenhändigen Unterschrift für den Vertragsschluss durch Briefwechsel nicht zu verzichten (Erman-H.Brox, BGB, 9.Aufl., Bd. I, § 127 Rdn. 7). Privilegiert werden sollen mit § 127 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB n.F. also bestimmte (moderne) Übermittlungswege, welche die (Übermittlung der) eigenhändigen Unterschrift mangels Übermittlung verkörperter Schriftstücke ohnehin unmöglich machen. Es geht nicht um die Privilegierung bei der Erstellung von Briefen im Massenverkehr, wo das Erfordernis eigenhändiger Unterschrift eventuell zu (selbst gemachten, da die Schriftform nicht vereinbart werden muss) organisatorischen Problemen führen kann. Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht weiter, dass das Problem bei Neufassung des § 127 BGB bekannt war. Weiter, dass der Gesetzgeber sich gerade entschieden hat, Privilegierungen insofern spezialgesetzlich jeweils in besonderen Fällen zu schaffen (z.B. § 793 Abs. 2 S. 2 BGB, § 13 S. 1 AktG, § 37 Abs. 5 VwVfG).

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    Die Nichteinhaltung der Form hat im Zweifel Unwirksamkeit der Erklärung zur Folge, § 125 S. 2 BGB.


 

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