Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Neustart mit unklaren Preisänderungsklauseln Strom/ Gas (Stand 01.08.13)  (Gelesen 6571 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Neustart bei Thüringer Energie mit unklaren Preisänderungsklauseln Strom/ Gas (Stand 01.08.13)


Viele Kunden der Thüringer Energie AG werden bisher bereits außerhalb der Grundversorgung, also aufgrund von Sonderverträgen beliefert.
Es wurde bereits in der Presse darauf hingewiesen, dass alle bestehenden Verträge der Kunden mit Thüringer Energie unverändert weiter Bestand haben: http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Vertraege-von-Eon-Thueringer-Energie-gelten-weiter-534571700
 
Auch in den  - im Internet veröffentlichten - Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Thüringer Energie für Strom- und Gaslieferverträge außerhalb der Grundversorgung  (Stand 01.08.13) wird zu Preisänderungen nur pauschal auf die gesetzliche Regelungen der § 5 StromGVV bzw. § 5 GasGVV verwiesen:

http://www.thueringerenergie.de/Dateien/Dokumente/the_vm87_tg_classic_0710_ausf.pdf
http://www.thueringerenergie.de/Dateien/Dokumente/the_vm05_ts_privat_0701_web.pdf


Zitat
5. Änderungen der Vertragsbedingungen
Soweit in diesem Vertrag bzw. in den Allgemeinen ...lieferbedingungen, insbesondere in Ziffer 7, keine anderweitigen Regelungen getroffen wurden, ist die Thüringer Energie AG berechtigt, die Vertragsbedingungen anzupassen. Sie wird dem Kunden die Änderung mindestens 6 Wochen vor dem geplanten Wirksamwerden in Textform mitteilen.

Die Parteien sind sich darüber einig, dass Ziffer 7 eine Übernahme gesetzlich bestehender Anpassungsrechte nach § 5 Abs. 2 und 3 GVV beinhaltet. Sollte sich die GVV und die in ihr enthaltenen gesetzlichen Anpassungsrechte ändern, findet automatisch mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderung diese geänderte Regelung in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Die Thüringer Energie AG wird den Kunden auf die gesetzlichen Änderungen hinweisen.
....

7. Änderungen der Preise und Ergänzenden Bedingungen
Änderungen der Preise und der Ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Die Thüringer Energie AG ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen. Im Fall einer Änderung der Preise oder Ergänzenden Bedingungen hat der Kunde das Recht, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen zu kündigen. Änderungen der Preise und der Ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer Kündigung des Vertrages mit der Thüringer Energie AG die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.

Schon Ziff. 5 lässt den Kunden im Unklaren darüber, wann, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Vertragsbedingungen inhaltlich einseitig angepasst (umgestaltet) werden dürfen. Ein Sonderkündigungsrecht für den Fall solcher einseitigen Anpassungen (inhaltlichen Umgestaltungen) der Vertragsbedingungen gem. Ziff. 5  ist erst gar nicht vorgesehen. Ein Sonderkündigungsrecht in Ziff. 7 bezieht sich nur auf die Änderung der "Ergänzenden Vertragsbedingungen". Man kann sich schon fragen, was das wohl für ein Vertrag sein soll, bei dem sich ein Vertragsteil vorbehält, die Vertragsbedingungen und somit den Vertragsinhalt nach Vertragsabschluss weitestgehend uneingeschränkt einseitig umzugestalten, ohne dass dem anderen Vertragsteil aus diesem Anlass auch nur ein Sonderkündigungsrecht vertraglich  eingeräumt wird, geschweige denn, dass vertraglich eine Verpflichtung vorgesehen wird, ihn auf das Bestehen eines solchen Sonderkündigungsrechts besonders hinzuweisen.
Solche Vorbehaltsklauseln benachteiligen den Kunden regelmäßig unangemessen und sind deshalb gem. § 307 BGB wunwirksam.


Auch der Vorbehalt zu einseitigen Preisänderungen in Ziff. 7 ist ausgesprochen unklar.
 
Der Bundesgerichtshof stellte bereits im Sommer 2009 durch Urteil fest, dass eine § 5 Abs. 2 GasGVV nachgebildete vertragliche Preisanpassungsklausel nicht den Anforderungen genügt, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Fällen an die tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts stellt (Vgl. BGH, Urt. v. 15.07.09 Az. VIII ZR 56/08, juris Rn. 26 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 21. April 2009- XI ZR 78/08, WM 2009, 1077, Tz. 25; BGHZ 164, 11, 26 f.; Urteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054, Tz. 21; Urteil vom 21. September 2005, aaO, unter II 2). Der BGH stellte darin ausdrücklich fest:

Zitat
§ 5 Abs. 2 GasGVV regelt nur, dass Änderungen der Allgemeinen Preise (im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG 2005) jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss, und dass das Versorgungsunternehmen verpflichtet ist, zu der beabsichtigten Änderung zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

Die Vorschrift lässt nicht erkennen, dass das Versorgungsunternehmen bei der Preisanpassung das Äquivalenzverhältnis wahren muss und sie nicht dazu nutzen darf, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben, um nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (BGHZ 178, 362, Tz. 25). Sie lässt den Kunden weiter im Unklaren darüber, dass aufgrund der Bindung der Allgemeinen Preise (des Allgemeinen Tarifs) an billiges Ermessen mit dem Recht des Versorgungsunternehmens zur Abwälzung von Kostensteigerungen auf seine Kunden die Pflicht einhergeht, Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und diese nach denselben Maßstäben an die Kunden weiterzugeben (BGHZ 176, 244, Tz. 26)

Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte auf eine entsprechende Vorlage des BGH durch Urteil vom 21. März 2013 (Rs. C-92/11 – RWE Vertrieb) entschieden, dass es für die Frage, ob eine Gaspreisänderungsklausel den Anforderungen der EU- Klauselrichtlinie  und der EU-  Gasrichtlinie an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt, insbesondere darauf ankommt,
ob der Anlass und der Modus der Änderung dieser Entgelte in dem Vertrag so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann, und dass das Fehlen der betreffenden Information vor Vertragsabschluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrags mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte sowie über sein Recht unterrichtet wird, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, und
– ob von der dem Verbraucher eingeräumten Kündigungsmöglichkeit unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr unter Zugrundelegung dieser für die Gerichte der Mitgliedstaaten verbindlichen Auslegung mit Urteil vom 31.07.13 Az. VIII ZR 162/09 entschieden, dass Preisänderungsklauseln in Sonderkundenverträgen, die sich darauf beschränken, das für Tarifkundenverhältnisse vorgesehene Änderungsrecht in Bezug zu nehmen, diesen Anforderungen nicht genügen und deshalb unwirksam sind (vgl. PM Nr. 131/13 des BGH vom 31.07.13) und dass den betroffenen Kunden bei der Verwendung demnach unwirksamer Preisänderungsklauseln hinsichtlich darauf gründender Preiserhöhungen und darauf geleisteter Rechnungsbeträge Rückforderungsansprüche zustehen.

Obschon in fast allen Medien am 31.07.13 über die neue Entscheidung des BGH informiert wurde, eine Pressemitteilung des BGH Nr. 131/13 seit 31.07.13 ab ca. 12.00 Uhr im Internet abrufbar war, wurden bei Thüringer Energie  noch Allgemeine Geschäftsbedingungen (Stand 01.08.13) veröffentlicht, die diese seit dem Urteil des EuGH vom 21.03.13 Rs. C-92/11 bekannten Anforderungen erwartungsgemäß nicht erfüllen, weil die Kriterien über Anlass und Umfang künftiger Preisänderungen für den Kunden darin nicht klar erkennbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 15.07.09 Az. VIII ZR 56/08, juris Rn. 26). 
   
Selbst die Wirksamkeit der gesetzlichen Preisänderungsrechte der §§ 5 StromGVV/ 5 GasGVV, welche gegenüber grund- und ersatzversorgten Kunden unmittelbare Geltung beanspruchen,  ist bisher offen (vgl. BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10; hierzu anhängig EuGH Rs. C- 359/11 und Rs. C-400/11).
 
Verstößt die gesetzliche Regelung gegen einschlägige EU- Binnenmarktrichtlinien, kann  der darauf gestützte, einseitig erhöhte Preis auch dann nicht als vertraglich vereinbart gelten, wenn der betroffene Kunde den einseitigen Preisänderungen nicht widersprochen hatte (vgl. BGH; B. v. 24.01.12 Az. VIII ZR 236/10, juris Rn. 2, 6). Nach einem überzeugenden (nicht rechtskräftigen) Urteil des OLG Düsseldorf vom 13.06.12 Az. VI-2 U (Kart) 10/11 sollen auf das gesetzliche Preisänderungsrecht gestützte Preisänderungen - ohne Rücksicht auf einen etwaigen Widerspruch des Kunden – jedenfalls  dann unwirksam sein, wenn die betroffenen Kunden vor der beabsichtigten Preisänderung nicht individuell brieflich über diese und ein aus diesem Anlass bestehendes Sonderkündigungsrecht informiert wurden. An solchen Hinweisen auf ein bestehendes Sonderkündigungsrecht fehlte es in den Ankündigungsschreiben in der Vergangenheit oftmals.

Allen Kunden der Thüringer Energie ist deshalb zu raten,  vorsorglich jetzt noch allen einseitigen Preiserhöhungen für Strom und Gas, die noch von E.ON stammen, rückwirkend schriftlich zu widersprechen. Dabei sollte man auf einen Zugangsnachweis achten.

Entsprechende unterschriebne Widersprüche sind unter Angabe von Absender, Abnahmestelle, Kunden- und Vertragsnummer zu richten an:

Thüringer Energie AG
vertreten durch den Vorstand
Wolfgang Rampf und Sefan G. Reindl
Schwerborner Straße 30
99087 Erfurt

Fax 03 61-6 52-34 90
info<at>thueringerenergie.de


Soweit das gesetzliche Preisänderungsrecht wirksam ist, so beinhaltet dieses jedenfalls die Verpflichtung, Kostensenkungen mindestens nach gleichen Maßstäben Rechnung zu tragen und auch eine Verpflichtung zu Preisänderungen zugunsten der Kunden (vgl. BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10, juris Rn. 11 m.w.N.). Unter "Preisänderungen zugunsten der Kunden" hat man "Preissenkungen" zu verstehen.
 
Es bestehen Zweifel daran, dass das Unternehmen bisher - noch unter dem Einfluss des E.ON- Konzerns stehend -  Kostensenkungen umfassend  über Preismaßnahmen an die betroffenen Haushaltskunden weitergegeben hat. Die Geschäftspolitik des E.ON- Konzerns, der bisher auch die Vorstände und Mitarbeiter der Thüringer Energie verpflichtet waren, bestand und besteht bekanntlich darin, durch umfassende Kostensenkungsprogramme den shareholder value zu erhöhen. Der shareholder value kann dabei nur dadurch erhöht werden, dass erzielte Kosteneinsparungen nicht umfassend durch Preismaßnahmen an die Kunden weitergegeben werden.

So sind die Stromgroßhandelspreise an der Börse seit Sommer 2008 auch infolge der zunehmenden Einspeisung erneuerbarer Energien drastisch gesunken, wodurch Stromvertriebe erheblich gesunkene Beschaffungskosten zu verzeichnen haben (vgl. F.A.Z. vom 05.02.13 „Energiewende - Strom an der Börse so billig wie seit Jahren nicht“). In dem gennannten Artikel der F.A.Z., welcher auch im Internet unter der Adresse
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/energiepolitik/energiewende-strom-an-der-boerse-billig-wie-seit-jahren-nicht-12051137.html#TOP abrufbar ist, wird die Entwicklung der Börsenpreise eindrucksvoll wie folgt dargestellt:


 
Hiernach sind die Börsenpreise noch weiter gesunken, was insbesondere die Stromerzeuger, die Gaskraftwerke bzw. GuD- Kraftwerke betreiben, in zunehmende wirtschaftliche Bedrängnis bringen soll.

Es erscheint deshalb wohl geboten, bei der Thüringer Energie intern nochmals eingehend zu prüfen, ob  auch gesunkene Strombeschaffungskosten tatsächlich bereits umfassend über Preismaßnahmen an die Haushaltskunden weitergegeben wurden.

Nach der Rechtsprechung des BGH soll das zur Abrechnung stellen (lassen) unbillig festgesetzter Tarife eine Betrugsstrafbarkeit der Verantwortlichen begründen können (vgl. BGH, Urt. v. 09.06.09 Az. 5 StR 394/08, juris).

Der Neustart sollte sich nicht nur in einem neuen Logo und neuen Farben bemerkbar machen, sondern etwa auch darin, dass keine unzulässigen Preisänderungsklauseln Verwendung finden, auf unwirksame einseitige Preisänderungen gestützte Entgeltforderungen nicht mehr beansprucht werden, deshalb bereits geleistete Überzahlungen an die betroffenen Kunden freiwillig und unverzüglich rückerstattet werden, eingetretene Kostensenkungen umfassend über Preismaßnahmen an die Haushaltskunden weitergegeben werden, was den betroffenen Kunden unmittelbar zu Gute kommt. Dies sollte m. E. jedenfalls für ein Unternehmen selbstverständlich sein, welches nach eigenem Selbstverständnis seine Kunden zum Unternehmen zählt.


« Letzte Änderung: 02. August 2013, 22:29:03 von RR-E-ft »

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz