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Autor Thema: Liberalisierung des Strommarktes hebt §315 auf?  (Gelesen 5524 mal)

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Offline WG

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Liberalisierung des Strommarktes hebt §315 auf?
« am: 22. März 2005, 15:54:14 »
Guten Abend,

in seinem Antwortbrief auf das Musterschreiben stellt mein Stromversorger (EON Bayern, Allg. Tarif) die Behauptung auf, dass nach Liberalisierung des Strommarktes ein Nachweis einer Preiserhöhung nach billigem Ermessen nicht erforderlich ist, da der Stromkunde ja auf alternative Anbieter zurückgreifen kann.

Nach Recherche in diesem Forum ist mir klar, dass für die Anwendung von § 315 unerheblich ist, ob ein Monopol vorliegt, sondern dass er immer  dann Anwendung findet, wenn eine einseitige Leistungsbestimmung vorliegt.

Diese Tatsache möchte ich in meiner Gegenantwortan EON gerne irgendwie untermauern. Gibt es entsprechende Urteile o.ä., in denen das so festgelegt wurde?

Vielen Dank für die tolle Unterstützungsarbeit, die hier geleistet wird!

Mit freundlichen Grüßen
Werner

Offline RR-E-ft

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Liberalisierung des Strommarktes hebt §315 auf?
« Antwort #1 am: 22. März 2005, 16:17:01 »
@WG

Die Frage der Liberalisierung des Strommarktes kann allenfalls für die Frage von Belang sein, ob der gesamte Strompreis als solcher auch bei vertraglicher Vereinbarung der Allgemeinen Tarife bei Vertragsabschluss noch insgesamt der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterfällt.

Dabei geht es also um die Frage, ob § 315 BGB auf einen Monopolpreis weiterhin analoge/ entsprechende Anwendung findet. Hierzu gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen.

Von anderen Wettberbssituationen ist die Situation auf dem Elektrizitätsmarkt dadurch zu unterscheiden, dass Wettbewerber des örtlichen Versorgers notwendig dessen Leitungen für die Versorgung der Kunden nutzen müssen. Hierfür verlangen die Netzbetreiber oft überhöhte Netznutzungsentgelte. Sie haben hierdurch direkten Einfluss auf die Kosten und somit auch auf die Preise ihrer Wettbewerber.

Die Stromsteuer, Konzessionsabgabe, EEG- und KWK- Umlage treffen dabei alle Wettbewerber vollkommen gleichmäßig.

Die Netznutzungsentgelte machen mittlerweile den größten Anteil am Strompreis aus. Deshalb können oft Wettbewerber der örtlichen Versorger, die ggf. auch den Strom selbst noch von den konzernen beziehen müssen, weil sie über keine eigenen Kraftwerkskapazitäten verfügen, oft nicht mehr mit den örtlichen Versorgern in Wettbewerb treten oder nur noch Preise anbieten, die nur unwesentlich unter den Preisen der örtlichen Versorger liegen.

Dies behindert gerade einen wirksamen Wettbewerb auf dem deutschen Elektrizitätsmarkt:


http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/536353.html?nv=cp_L2_rt

http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/050228/02/frames.html

http://rbb-online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_1310943.html

http://www.zeit.de/2003/18/E-Strom


Eine solche Situation findet sich ansonsten ersichtlich nirgends, dass ein Wettbewerber selbst Einfluss auf die Kosten und somit auf die Preise seiner direkten Konkurrenten - zumal in einem solchen Umfange- nehmen könnte.

Deshalb ist m. E.  § 315 BGB nach wie vor auch entsprechend/ analog anwendbar, so auch z. B. Joachim Held: \"Strompreise und Verbraucherschutz durch § 315 BGB\" in: Verbraucher und Recht, 8/2003, S. 296 ff..

Aktuelle Gutachten zur Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB zum Beispiel in Bezug auf Netznutzungsentgelte als Monopolbereich der Daseinsvorsorge und notwendiger Teil jeder Stromlieferung finden sich unter:

http://www.neue-energieanbieter.de/aktuelles/schwerpunkt/index.html
 
Dabei stellt sich jedoch das Sonderproblem, ob §§ 6 EnWG, 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB nunmehr jüngere Spezialregelungen gegenüber § 315 BGB sind.

Dieses Problem stellt sich jedoch nur bei der Frage der isolierten Billigkeitskontrolle von Netznutzungsentgelten, die ein Stromhändler an einen Netzbetreiber zahlen soll, nicht jedoch bei den Strompreisen selbst, da es diesbzüglich jedenfalls keine Spezialregelung gibt, so auch Landgericht Rostock, Urteil vom 12.03.2004, Az. 3 O 181/03, in: RdE 7/2004, S. 175 (176).

Auf die genannte (nicht rechtskräftige) Entscheidung des Landgerichts Rostock, wonach für die Billigkeit der Netznutzungsentgelte nun eine Spezialregelung bestehe, beziehen sich alle weiteren Urteile in diesem Bereich.

Gegen eine kartellrechtliche Spezialregelung auch in Bezug auf die Netznutzungsentgelte spricht meines Erachtens schon das Urteil des BGH vom 05.02.2003 - VIII ZR 111/02 (dort am Ende), wonach die Grenzen der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle und der kartellrechtlichen Preismissbrauchsaufsicht und des allgemeinen kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots gerade nicht übereinstimmen.

Daraus folgt m. E. nichts anderes, als dass die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle auch im Bereich der Netznutzungsentgelte vollkommen unabhängig von der kartellrechtlichen Kontrolle weiter Anwendung findet, es sich um zwei vollkommen unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe handelt.  


§ 315 BGB findet jedoch auf einseitige Preiserhöhungen immer schon, vollkommen unabhängig von einem Monopolbereich direkte Anwendung.

Hieran hat sich nichts geändert und diese Billigkeitskontrolle wird auch nicht etwa durch ein eingeräumtes Sonderkündigungsrecht ausgeschlossen, welches vielmehr die notwendige Bedingung dafür ist, dass in einem Vertrag ein einseitiges Recht zur Preisanpassung überhaupt AGB-rechtlich  wirksam vereinbart sein kann, §§ 310 BGB i. V. m. § 32 Abs. 2 AVBEltV.

Die gerichtliche Billigkeitskontrolle von einseitigen Strompreiserhöhungen auch bei sog. Sonderverträgen, bei denen der Preis zwischen den Vertragspartnern ursprünglich individuell vertraglich vereinbart wurde, wurde zuletzt durch das Landgericht Potsdam, Urteil vom 09.07.2004, Az. 52 O 208/02, in: RdE Nr. 12/2004, S. 307 bestätigt.

Dies muss dann erst recht gelten im Bereich der Allgemeinen Tarife, wo nie ein Preis individuell vertraglich vereinbart wurde.

Vgl. auch hier:

aktuelle Urteile zu § 315 BGB

Zu aller erst müssen Sie Ihren Versorger immer auffordern, nachzuweisen, dass er zu einseitigen Preiserhöhungen überhaupt vertraglich berechtigt ist. Die Versorger verweisen dabei auf § 4 AVBV. Aus § 4 Abs. 2 AVBV ergibt sich jedoch nur, wann eine Tarifänderung frühestmöglich wirksam werden kann, nämlich mit der öffentlichen Bekanntmachung. Diese Regelung verhält sich also nur zu einem Zeitpunkt, nicht jedoch zu der Frage, ob der Versorger überhaupt zu einseitigen Preisanpassungen berechtigt ist.

Der Versorger muss ein solches Recht zu einseitigen Preisanpassungen nachweisen, vgl. Palandt, BGB, § 315 Rn. 19. Das kann er schlecht, wenn kein schriftlicher Vertrag besteht.

Einzelne E.on- Unternehmen halten den nichtschriftlichen Vertragsabschluss deshalb schon für sehr zwielichtig, vgl. nur folgende Pressemitteilung der Erfurter Eon- Tochter TEAG:

Quelle: http://www.teag.de Pressemitteilung vom 10.03.2005

TEAG warnt vor unseriösen Haustürgeschäften mit Strom
 
Verträge nur nach gründlicher Prüfung schriftlich abschließen
 
Erfurt (10.3.2005). Die wettbewerbliche Freiheit auf dem Strommarkt wird leider immer wieder in rechtswidriger Weise genutzt. So haben in den vergangenen Wochen vor allem in Südthüringer Gemeinden mehrere Personen versucht, unter dem Vorwand einer Energieberatung an der Haustür Stromlieferverträge abzuschließen. Sie hatten zu diesem Zweck u.a. vorgegeben, mit der TEAG Thüringer Energie AG zusammenzuarbeiten, oder behaupteten fälschlich, daß die TEAG künftig angeblich keinen Strom mehr anbieten wird.

Die TEAG weist diese Falschbehauptungen ausdrücklich zurück. Alle Kunden werden wie bisher zuverlässig und preiswert mit Strom versorgt. Zudem macht die TEAG deutlich, daß sie nicht mit Haustürvertretern zusammenar-beitet.

Das Energiedienstleistungsunternehmen weist in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich auf diese Risiken von Haustürgeschäften hin. Stromlieferverträge sollten nach Meinung des Unternehmens ausschließlich schriftlich und nach ausführlicher und seriöser Beratung zu Detailfragen wie Vertragsdauer, Kündigungsfristen und Modalitäten der Abschlagszahlung abge-schlossen werden.

TEAG-Mitarbeiter führen Hausbesuche ausschließlich zur Klärung technischer Fragen oder zwecks Zählerablesung und damit zusammenhängender Fragen nur nach rechtzeitiger schriftlicher Ankündigung durch. Mitarbeiter der TEAG bzw. von der TEAG beauftragter Partnerfirmen weisen sich zudem bei solchen Terminen mittels einer Plastikkarte aus, auf der das Foto des Besitzers aufgebracht ist. Im Zweifelsfall schafft ein Anruf im Service-Center der TEAG unter der Service-Nummer 0180 / 2 69 69 61 Klarheit.

Die TEAG bittet ihre Kunden sehr herzlich um Mitteilung entsprechender Vorkommnisse unter der angegebenen Telefonnummer, damit man diesen zum Schutze der Kunden und des Wettbewerbs vor unseriösen Stromvertriebspraktiken wirksam rechtlich vorbeugen kann.

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Ich dachte immer, Haustürvertreter verkaufen Haustüren.






Freundliche Grüße
aus Jena


Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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