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Autor Thema: BGH, 18.05.2011, Az.: VIII ZR 71/10 // Vorinstanz LG Ravensburg  (Gelesen 7992 mal)

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Offline tangocharly

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Das nach der Berufungsentscheidung des Landgerichts Ravensburg angerufene Revisionsverfahren (Az.: VIII ZR 71/10) wurde vom BGH am 18.05.2011 gem. § 148 ZPO (analog) ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Das Verfahren beim EuGH wird dort unter dem Az.: C- 359/11 geführt. Termin zur mündlichen Verhandlung wurde noch nicht bestimmt.
« Letzte Änderung: 28. Oktober 2012, 16:15:59 von tangocharly »
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Offline tangocharly

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Re: BGH, 18.05.2011, Az.: VIII ZR 71/10 // Vorinstanz LG Ravensburg
« Antwort #1 am: 18. Januar 2016, 15:48:12 »
Verfahrensfortgang beim BGH, nach Aussetzung des Verfahrens durch EuGH

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle

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Nr. 008/2016 vom 18.01.2016

Verhandlungstermin am 3. Februar 2016, 10.00 Uhr, in Sachen VIII ZR 71/10 (Grenzen der Weitergabe
eigener Bezugskosten-steigerungen des Gasversorgers an den Tarifkunden)


Die Klägerin, ein regionales Energie- und Wasserversorgungsunternehmen, verlangt von der Beklagten, die sie als Tarifkundin (Grundversorgungskundin) leitungsgebunden mit Erdgas beliefert, die Zahlung restlichen Entgelts in Höhe von 2.733,12 € für Erdgaslieferungen in den Jahren 2005 bis 2007. Den in diesem Zeitraum von der Klägerin vorgenommenen Erhöhungen des Arbeitspreises widersprach die Beklagte - erstmals mit Schreiben vom 14. Februar 2006. Die Klägerin macht geltend, Grund für die vorstehend genannten Preisänderungen seien jeweils Änderungen ihrer Bezugskosten gewesen, wobei sie mit den Preiserhöhungen ihre gestiegenen Bezugspreise nicht einmal in vollem Umfang weitergegeben habe. 

Die Beklagte hat die Bezugskostensteigerungen bestritten und in diesem Zusammenhang zusätzlich geltend gemacht, die Klägerin habe die Bezugskostensteigerung unter anderem durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform verursacht. Die Klägerin sei an ihren Vorlieferanten als Gesellschafterin beziehungsweise als Mitglied beteiligt; der Sinn dieser Vertriebsform bestehe darin, die eigenen Bezugspreise künstlich in die Höhe zu treiben, während die Klägerin auf der anderen Seite an den Gewinnen dieser Vorlieferanten beteiligt sei.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Landgericht hat die Preiserhöhungen für wirksam erachtet, da die Klägerin gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV* zur Preisänderung berechtigt gewesen sei und die Preiserhöhungen der Billigkeit entsprochen hätten, weil sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien. Das Bestreiten der Beklagten hat das Landgericht als unbeachtlich angesehen, weil es nicht ausreichend substantiiert sei. Den Vortrag der Beklagten, die Klägerin habe die Bezugskosten durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform künstlich in die Höhe getrieben, hat das Landgericht als unerheblich betrachtet, da die Bezugskosten nicht der gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Der Senat hatte das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 18. Mai 2011 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** vorgelegt. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist 23. Oktober 2014 ergangen. Der Senat hat daraufhin durch seine Urteile vom 28. Oktober 2015 (VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12) seine Rechtsprechung zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen im Bereich der Erdgasversorgung von Tarifkunden (Gasgrundversorgung) geändert und entschieden, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV* und der Nachfolgeregelung in § 5 Abs. 2 GasGVV aF** ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Energieversorgers für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** - nicht (mehr) entnommen werden kann, weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen der genannten Richtlinie vereinbar wäre. Er hat weiter entschieden, dass sich jedoch aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrags ergibt, dass der Versorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV* beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV** aF für möglich erachteten Umfang vornehmen, aber eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen an den Kunden weitergeben darf.

Der Senat wird zu prüfen haben, ob unter Zugrundelegung der vorbezeichneten Grundsätze das Urteil des Landgerichts der rechtlichen Nachprüfung standhält.

Vorinstanzen:

AG Ravensburg - Urteil vom 10. Juni 2009 (10 C 1292/07)

LG Ravensburg - Urteil vom 25. Februar 2010 (1 S 124/09)

* § 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von
    Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV; in Kraft bis zum 7. November 2006)

(1) 1Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. […]

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

[…]

** § 5 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV; in der ab dem 8. November 2006 bis zum 29. Oktober 2014 geltenden Fassung)

[…]

(2) 1Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. 2Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

[…]

*** Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (in Kraft vom 4. August 2003 bis zum 2. März 2011)

Art. 3 - Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden

[…]

(3) 1Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. 2In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. 3Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. 4Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. 5Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. 6Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.

[…]

Anhang A - Maßnahmen zum Schutz der Kunden

Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 93/13/EG des Rates, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden

[…]

b) rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;

c) transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Stan-dardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

[…]

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
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