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Autor Thema: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht  (Gelesen 33642 mal)

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Offline Wolfgang_AW

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #30 am: 02. Januar 2014, 19:50:57 »
EuGH bestätigt erneut hohen Verbraucherschutz

Fazit:
Die Interessen von Unternehmen sind nicht schutzwürdig, wenn sie gegen europarechtliche Obliegenheiten verstoßen haben. Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere die Anwendung transparenter und fairer Klauseln in Verträgen mit Endverbrauchern.

Der Bund der Versicherten schreibt dazu:

Historisches Urteil

Zitat
Der BdV fühlt sich daher nun bestärkt im Kampf für mehr Verbraucherrechte. Er warnt davor, dem Jammern der Versicherer zu viel Gehör zu schenken: „Die Versicherer beginnen, sich als Opfer darzustellen, die Milliarden zu zahlen hätten“, so Kleinlein. Tatsächlich sind aber die Verbraucher die Geschädigten. Es wäre besser, wenn sich die Branche jetzt nüchtern der Diskussion um die Folgen des Gerichtsurteils stellen würde.

Hier kann man die Worte "Die Versicherer" streichen und durch "Die Energieversorger" ersetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang_AW

„Es hat sich bewährt, an das Gute im Menschen zu glauben, aber sich auf das Schlechte zu verlassen.“

(Alfred Polgar)

Offline berghaus

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Was schreibt  W. Zimmerlin in der  Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2014 S. 158 ff. zu diesem Thema?

Wo finde ich den Beitrag im Internet?

berghaus 08.05.2014

Offline RR-E-ft

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In ZNER 2014, S. 158 findet sich der Beitrag "Preissockelrechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) unvereinbar mit EU- Verbraucherrecht" von Wilhelm Zimmerlin, siehe http://www.pontepress.de/pdf/inhalt_201402.pdf.

Nach dem Urteil des BGH vom 31.07.13 Az. VIII ZR 162/09 tritt die Preissockelproblematik wohl nur noch in der Grundversorgung auf.

Die Entscheidungen des BGH vom 14.03.12 betreffen hingegen  Sonderverträge, in welche AGB- Preisänderungsklauseln einbezogen wurden, welche der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB nicht standhalten (siehe auch BGH, Urt. v. 15.01.14 Az. VIII ZR 80/13).
« Letzte Änderung: 09. Mai 2014, 10:44:10 von RR-E-ft »

Offline berghaus

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@RR-E-ft

unter dem Link finde ich nur ein dreiseitiges Inhaltsverzeichnis der ZNEV.

Kann man den Aufsatz von W.Zimmerlein im Internet finden?

berghaus 09.05.14

Offline RR-E-ft

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Den Aufsatz ist soweit ersichtlich nicht im Internet veröffentlicht.
Er knüpft inhaltlich an folgenden Beitrag im Forum an: http://forum.energienetz.de/index.php?topic=17518.0
Es geht dabei also nicht um das Thema des hiesigen Threads "BGH- Richterrecht vom 14.03.2012...."

Offline berghaus

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BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #35 am: 24. November 2014, 01:46:58 »
Auf  Grund der Kritik im Thread http://forum.energienetz.de/index.php/topic,19356.0/topicseen.html
stelle ich meine dortigen Fragen in Antwort #4 hier noch mal neu, weil sie m.E. die obige Diskussion fortsetzen können:

Zitat
Zitat
von Uwes in Antwort #24 am 05. November 2014
http://forum.energienetz.de/index.php/topic,18993.15.html in
Re: EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C-359/11 und C-400/11 Preisänderung Grundversorgung 

"Ich verstehe das Urteil im Hinblick auf die (vom EuGH abgelehnte) Begrenzung der Rückwirkung dahingehend, dass auch der BGH in den Verfahren, in denen die Vorlagebeschlüsse ergangen sind, an diese Entscheidung gebunden ist.
Da sowohl die 3-Jahresfrist (Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 und BGH, Urteil vom 24. September 2014 - VIII ZR 350/13 - LG Lübeck) als auch letztlich die Sockelpreistheorie eine Begrenzung der Rückwirkung herbeiführen sollen, darf diese Rechtsprechung nicht mehr angewandt werden."
(Hervorhebung von mir)

Ich nehme mal an, dass nur relativ wenige Sonderkunden mit Verträgen mit unwirksamer  Preisanpassungsklausel  (von wirksamen habe ich noch nie was gehört!) gibt, die Rückforderungen auf der Basis der 3-Jahresfrist oder des Vertragspreises eingeklagt haben.

Ebenso gibt es im Verhältnis zu der Gesamtkundenzahl wohl auch nur wenige, die kräftig gekürzt haben und dementsprechend von ihrem Versorger verklagt worden sind.

Bisher haben sich die unteren Gerichte um die Argumente von Prof. Markert oder von W.Zimmerlin (s.o.) wenig gekümmert und die 3-Jahresfrist gerne angewendet.

Wenn man der Aussage von Uwes folgt, dass die Begrenzung der Rückwirkung auch bei Sonderkundenverträgen mit EU-Recht nicht vereinbar ist, müsste es doch bald Gerichte geben, die dem BGH nicht folgen. Dementsprechend müsste es auch sinnvoll sein, Rückforderungen auf der Basis des Vertragspreises (u.U. noch aus dem vorigen Jahrhundert) zu stellen, soweit sie nicht verjährt sind.

Es ist klar, dass es wohl nur noch wenige ältere Verträge gibt, die nicht schon vor Jahren gekündigt worden sind, von wem auch immer.

Soweit jemand (kräftig) gekürzt hat und verklagt worden ist, bietet sich ja auch die Möglichkeit,  die  Verjährung durch Aufrechnung nach § 215 BGB um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Da ergeben sich bei einem niedrigen Vertragspreis viel höhere Beträge als bei einem Preis drei Jahre vor dem ersten Widerspruch.

Nun aber meine Frage:

Bietet die (frische) Entscheidung des Eu-GH, im Tarifkundenbereich die ‚Begrenzung der Rückwirkung‘ nicht zuzulassen, auch für Sonderkunden den Ansatz, dass auch hier die 10-jährige Verjährungsfrist gelten wird, wenn es gelingt, die Fristenlösung vor den Eu-GH zu bringen?

Wenn dem so ist, meine ich, brauchen wir auch für Sonderkunden noch einen Musterbrief.

berghaus 24.11.14

Offline uwes

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #36 am: 24. November 2014, 12:01:46 »
@Berghaus

Die Frage stellen Sie zu Recht.
Leider ist sie nicht so einfach zu beantworten.

Im Verfahren C-92/11 hat die Bundesregierung beantragt, die Rückwirkung des Urteils zu beschränken.
Der EuGH hat das abgelehnt, wie später auch in dem Verfahren C-359/11 und C-400/11.

Er führte hierzu aus:

Zitat
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.
(Rd-Nr. 62)

Der Gerichtshof sagt aber auch:

Zitat
Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Urteile VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 44, und Invitel, Randnr. 22).
m Rd-Nr. 60

Meiner  Meinung nach kann die Fristenlösung nicht starr und wie bisher angewendet werden. Wenn der Gerichtshof die Begrenzung der zeitlichen Rückwirkung deswegen nicht für erforderlich erachtet, weil schwerwiegende Störungen im Vertragsgefüge nicht als erwiesen angesehen werden konnten, so kann der VIII. Zivilsenat jetzt nicht kommen und ohne jegliche Beweisführung durch den jeweiligen Versorger eine solche schwerwiegende Störung an- und zum Anlass für einen Vertragsanpassung nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #37 am: 24. November 2014, 12:13:26 »
Der BGH nimmt auch in seinem Urteil vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 für Rückforderungsansprüche von Sondervertragskunden, bei denen eine einbezogene Preisänderungsklausel und deshalb darauf gestützte einseitige Preisänderungen unwirksam waren, eine dreijährige Verjährungsfrist für Rückforderungsansprüche der Kunden an. Schließlich gäbe es bereits seit langem umfangreiche Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit von Preisänderungsklauseln gem. § 9 AGBG bzw. § 307 BGB.

Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.

Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. Einzelheiten hatte ich bereits oben genannt. 


Offline khh

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #38 am: 24. November 2014, 12:39:18 »
... Der BGH verweist auch dabei auf die von ihm gefundene Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung, wenn durch die Unwirksamkeit einer einbezogenen Preisänderungsklausel eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge aufgerissen wird.
Es ist nochmals daran zu erinnern, dass eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung dabei aber weiter zur Voraussetzung hat, dass dem Lieferanten durch die so entstandene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entstehen muss, deren Voraussetzungen in jedem Einzelfall zu prüfen sind, so dass sich jede schematische Anwendung verbieten sollte. ...

Für die Praxis bedeutet das dann wohl: Zumindest der Sondervertragskunde ist so klug wie zuvor, wenn er Rückforderungsansprüche aufgrund der unwirksamen sogen. "GVV-Klausel" in einer Sondervertrags-AGB geltend machen will. Der Versorger wird sich (von anderen gemachten Einwänden mal ganz abgesehen) zumindest auf die 3-jährige Rückwirkungsfrist des erstmaligen Widerspruchs berufen. Und welcher Verbraucher will schon den jeweiligen "Einzelfall" womöglich bis zum BGH auf den Prüfstand bringen. :( 
Aussagen zu Rechtsfragen sind als persönliche Einschätzung/Meinung zu verstehen.
Rechtliche Beratung ist allein gesetzlich befugten Personen/Institutionen vorbehalten.

Offline RR-E-ft

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #39 am: 24. November 2014, 13:06:06 »
@khh

Bitte zuerst das von mir genannte Urteil des BGH vom 14.01.14 Az. VIII ZR 80/13 lesen.
Darin nennt der BGH eine mögliche ergänzende Vertragsauslegung im Falle der Unwirksamkeit einer wirksam einbezogenen Preisänderungsklausel.

Diese ergänzende Vertragsauslegung führt zu keinem Preisänderungsrecht des Versorgers, jedoch zu einer zeitlichen Beschränkung des Kunden,
sich auf die Unwirksamkeit einer einseitigen Preisänderung aus der Vergangenheit zu berufen und deshalb Rückforderungsansprüche zu erheben, zB. auf der Grundlage eines bei Vertragsabschluss 1981 vereinbarten Sonderpreises. Diese ergänzende Vertragsauslegung ist umstritten.

Unabhhängig davon, dass diese ergänzende Vertragsauslegung umstritten ist, hat sie m. E. - wie jede ergänzende Vertragsauslegung - zur weiteren Voraussetzung,  dass dem Versorger durch die in den Vertrag gerissene planwidrige Regelungslücke eine unzumutbare Härte entsteht, was in jedem Einzelfall zu prüfen ist, so dass sich eine Schematisierung verbieten sollte.

Wenn dem Versorger an einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung gelegen ist, die das Berufen des Kunden auf die Unwirksamkeit einseitiger Preisänderungen aus der Vergangenheit zeitlich beschränken soll, so muss der Versorger m. E. im Prozess  die  Umstände darlegen und ggf. beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass ihm ohne eine solche zeitliche  Beschränkung eine unzumutbare Härte erwächst.

Eine solche unzumutbare  Härte kann zB. überhaupt nicht erwachsen, wenn alle einseitigen Preiserhöhungen  ausschließlich immer nur der Erhöhung des Gewinnanteils am Preis dienten, weil es jeweils gar keine zu deckende Kostenerhöhung gab.

Wer als Kunde und Gläubiger eines Rückforderungsanspruchss eine solche unzumutbare Härte als weitere Voraussetzung einer entsprechenden ergänzenden Vertragsauslegung von sich aus zubilligt, ohne dass entsprechende Umstände vom Versorger im Prozess überhaupt vorgetragen und unter Beweis gestellt wurden  oder bewiesen sind, der vergibt sich doch etwas. 

Warum man sich selbst nach Schema F bestehender Rückzahlungsansprüche begeben sollte, leuchtet nicht wirklich ein.   

Offline uwes

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #40 am: 24. November 2014, 13:24:29 »
Nun ist die Fristenlösung für Sondervertragskunden genauso auf dem Prüfstand wie die Sockelpreisrechtsprechung bei Tarifkunden.
Beides bewirkt eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen der Rechtsprechung des EuGH.
Nun ist es schlechterdings nicht vorstellbar, dass die Gerichte Tarif- und Normsonderkunden in diesem Punkt unterschiedlich behandeln könnten.

Wir brauchen also entweder eine klare Absage zu fragwürdigen und juristisch nicht ausreichend begründbaren Theorien zu Begrenzungswirkungen oder aber eine klare Regelung für beide gleichermaßen, die jedoch nicht schematisch angewandt werden darf.

Seit 2013 können die EVUen die gesetzliche "Preisbestimmungspflicht" in den Normsonderkundenverträgen nicht mehr anwenden.
Ab Oktober 2014 geht das auch nicht mehr in Tarifkundenverträgen.

Erstere sind kündbar - auch durch den Versorger.
Letztere nicht.

Eine durchaus schwierige Aufgabe, die es zu lösen gilt.
« Letzte Änderung: 24. November 2014, 16:05:03 von uwes »
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #41 am: 24. November 2014, 14:38:34 »
Nun ist die Frsietnlösung für Sondervertragskunden genauso auf dem Prüfstand wie die Sockelpreisrechtsprechung bei Tarifkunden.

Wo ist denn die umstrittene Fristenlösung auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.14 VIII ZR 80/13)?
Gab es etwa eine Vorlage an den EuGH, die umstrittene Fristenlösung auf ihre Vereinbarkeit mit EU- Recht zu kontrollieren?

Nicht nur Gerichte müssen sauber unterscheiden:

Der Sondervertrag unterfällt der Vertragsfreiheit, welche etwa durch das AGB- Recht Einschränkungen erfährt.
In den Sondervertrag kann eine Preisänderungsklausel wirksam einbezogen sein.
Ist keine Preisänderungsklausel einbezogen, besteht von Anfang an kein Recht zu einseitigen Preisänderungen.
Der Versorger entscheidet, ob er in seine AGB eine Preisänderungsklausel aufnimmt und wie er diese ausgestaltet,
so dass sie ihm nicht zum Vorteil gereicht und nicht die Möglichkeit eröffnet, den Gewinnanteil am Preis durch eine
Preisänderung nachträglich zu erhöhen.

Wenn eine Preisänderungsklausel als AGB wirksam einbezogen wurde, ist ein Preisänderungsrecht nur dann wirksam eingeräumt,
wenn die Preisänderungsklausel der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB standhält.
Ist das nicht der Fall, hat man eine planwidrige Regelungslücke im Vertragsgefüge.
Ein Preisänderungsrecht kann allenfalls dann im Wege ergänzender Vertragsauslegung eingeräumt werden,
wenn dem Versorger durch die Regelungslücke eine unzumutbare Härte entsteht.
Dies ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn sich der Versorger binnen einer überschaubaren Frist bis zu zwei Jahren
durch ordnungsgemäße Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.

Einer Einräumung eines Preisänderungsrechts steht dabei jedoch auch das Verbot geltungserhaltender Reduktion entgegen.

Erst im Anschluss stellte sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Versorger erstmals mit lange zurückliegenden unwirksamen Preisänderungen konfrontiert wird,
denen der Kunde bis dahin nicht widersprochen hatte und wo der Versorger einen Widerspruch gegen die früheren Preisänderungen nicht mehr zur Veranlassung für eine ordentliche Kündigung nehmen kann. Für diese Situation wollte der VIII.ZS die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung aufzeigen.


Der Grundversorgungsvertrag unterfällt nicht der Vertragfreiheit, sondern von Anfang an dem Kontrahierungszwang des Versorgers, der mit einer gesetzlichen Preisbestimmungspflicht und einem Preisspaltungsverbot des Versorgers einhergeht, weshalb ein Preis nicht vertraglich vereinbart wird, sondern vom Versorger für alle vergleichbaren Kunden gem. § 315 BGB jeweils zu bestimmen ist (vgl. auch Markert, FS Säcker 2011 S. 848 ff.).

Der Kontrahierungszwang, das Preisspaltungsverbot und die gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers entfallen gewiss nicht,
wenn sich die bisherigen Bestimmungen der § 4 AVBV/ § 5 GVV als gegen EU- Recht verstoßend und deshalb unwirksam erweisen.
Die gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Versorgers ergibt sich schließlich schon nicht aus diesen Normen.


Selbst wenn man eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht nicht erkennen und diesen Normen ein Preisänderungsrecht entnehmen wollte,
so ließe sich eine ergänzende Vertragsauslegung, die gleichwohl zu einem Preisänderungsbefugnis führt, nicht wie bei Sonderverträgen mit dem Argument ausschließen,
eine unzumutbare Härte könne nicht angenommen werden, weil sich der Versorger im Falle eines Widerspruchs durch ordentliche Kündigung aus dem Vertragsverhältnis lösen kann.
Das kann er nämlich aufgrund des gesetzlichen Kontrahierungszwangs nicht, ausdrücklich § 20 Abs. 1 Satz 3 GVV.
Ein Verbot geltungserhaltender Reduktion besteht bei Gesetzesnormen nicht.

Bereits hier sieht man wohl, dass eine ergänzende Vertragsauslegung in der Grundversorgung vollkommen anders ausfallen müsste, als bei einem Sondervertrag.
Die Problemlage ist eine vollkommen andere.

Man hätte wohl die Bestimmungen über die Durchführung einer Preisänderung gem. § 4 AVBV und des bisherigen § 5 GVV eruoparechtskonform auszulegen, wobei die Erwägungen des EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C- 359/11 und C-400/11 in Rn. 46 f. voll zum Tragen kommen müssen.

Zitat
46       Den Kunden müsste neben ihrem in Anhang A Buchst. b beider Richtlinien verankerten Recht, sich vom Liefervertrag zu lösen, auch die Befugnis erteilt werden, gegen Änderungen der Lieferpreise vorzugehen.

47      Unter den in den Rn. 43 und 44 des vorliegenden Urteils angeführten Bedingungen müssten die Kunden, um diese Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen und in voller Sachkenntnis eine Entscheidung über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung des Lieferpreises treffen zu können, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.

So hätte man wohl zu jeder betroffenen Preisänderung zu fragen, ob der Kunde jeweils mit angemessener Frist  im Vornherein über die beabsichtigte Änderung des Lieferpreises, sein Sonderkündigungsrecht, daneben über sein Recht, gegen die Preisänderung vorzugehen informiert, und ihm volle Sachkenntnis darüber verschafft wurde, warum der Lieferpreis gerade zu diesem Zeitpunkt und  in diese Richtung und gerade um diesen Betrag geändert werden soll, um seine Rechte in vollem Umfang und tatsächlich nutzen zu können.

Wenn Versorger bei den Preisänderungen diesen Erfordernissen nach EU- Recht voll Rechnung getragen hatten, kann man ihnen wohl eine Preisänderungsbefugnis dem Grunde nach nicht absprechen.

Für die stümperhafte Umsetzung der Richtlinien durch den Gesetzgeber kann man sie nicht verantwortlich machen.

Wenn sich Versorger also an die Vorgaben des EU- Rechts gehalten haben, ohne dass jenes Recht den deutschen Verordnungen klar zu entnehmen war,
dann sollte ihnen daraus kein Nachteil erwachsen.

Die einzelnen Preisneufestsetzungen unterliegen dabei - wie bei korrekter Umsetzung durch den Gesetzgeber und Befolgung durch die Versorger -
der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB.

Der Anspruch auf Billigkeitskontrolle des neu festgesetzten Preises, über welches der Versorger den Kunden bereits vor der Preisneufestsetzung informiert hatte,
unterliegt der Verwirkung, wobei eine solche vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden kann.

BGH, Urt. v. 23.01.14 Az. VII ZR 177/13 = NJW 2014, 1230:

Zitat
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, RdE 2013, 369 Rn. 13; Urteil vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 20 - Stromnetznutzungsentgelt IV, jew. m.w.N.). Allein der Ablauf einer gewissen Zeit nach Entstehung des Anspruchs vermag das notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - VII ZR 213/07, BauR 2010, 618 Rn. 25 = NZBau 2010, 236 = ZfBR 2010, 353). Unterliegt ein Rückforderungsanspruch der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, aaO Rn. 13; Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, BauR 2013, 117 Rn. 20 = NZBau 2012, 783 = ZfBR 2013, 39, jew. m.w.N.). Denn dem Gläubiger soll die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch rechtlich geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, aaO Rn. 13).

Bleiben noch die (wenigen?) Fälle, wo die Versorger bei Preisänderungen die -  europrechtskonform ausgelegten - Normen des § 4 AVBV bzw. § 5 GVV a.F. nicht beachtet haben.

Bei denen stellt sich die Frage, ob sich das Recht der Kunden, sich auf die Unwirksamkeit zurückliegender einseitigen Preisneufestsetzungen bis in das Jahr 2004 zurück zu berufen, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zeitlich beschränken lässt, wenn hierfür eine Notwendigkeit besteht.

Aber auch dabei wäre m. E. Voraussetzung, dass der Versorger im Einzelfall darlegt und ggf. beweist, dass ihm ohne entsprechende zeitliche Befristung eine unzumutbare Härte erwächst.

 
   


 



 
« Letzte Änderung: 24. November 2014, 15:43:50 von RR-E-ft »

Offline uwes

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #42 am: 24. November 2014, 16:37:03 »
Der Anspruch auf Billigkeitskontrolle des neu festgesetzten Preises, über welches der Versorger den Kunden bereits vor der Preisneufestsetzung informiert hatte, unterliegt der Verwirkung, wobei eine solche vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist von Rückforderungsansprüchen nur noch unter besonderen Umständen angenommen werden kann.
Dieser Anspruch auf Billigkeitskontrolle setzt voraus, dass einer Vertragspartei das wirksam eingeräumte  Recht (oder meinetwegen auch die Pflicht) zu einer Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen zusteht.

Auch wenn man Ihnen folgend durchaus auch die Bestimmung des Anfangspreises dazu rechnet, so bestehen keinerlei weitere Rechte oder Pflichten des Versorgers zu Preisänderungen im Rahmen der Grundversorgung und zwar zumindest in der Zeit bis zum 30.10.2014 nicht.

Die Fristenlösung gehört meines Erachtens ebenso auf den Prüfstand, auch wenn Sie nicht ganz zu Unrecht auf die diesjährige Entscheidung des BGH hinweisen. Lese ich mir diese durch, sehe ich jedoch keinerlei Bezugnahme auf die vom EuGH abgelehnte Begrenzung der Urteilswirkungen.
Defacto hat der Senat ausschließlich darauf abgestellt, dass ein Widerspruch des Kunden vorgelegenhaben müsse und im Streitfall einen solchen erkannt, weshalb die Fristenlösung nicht zum Tragen kam. Damit kommt dem Schweigen des Kunden der gleiche Erklärungswert zu, wie einem Widerspruch, wenn auch mit verschiedenen Rechtsfolgen.
Damit bricht der VIII. Senat mit dem Grundsatz, dass Schweigen des Verbrauchers eben keinerlei Erklärungswert hat.
Nicht einmal dann,  wenn er (der Verbraucher) eine Rechnung mit z.B. dem Ansatz höhrerer Preise bezahlt, ist dieser Zahlung nicht der "Erklärungswert" zu entnehmen, dass sich der Kunde mit den geänderten Preisen einverstanden erklärt, sondern allenfalls nur, dass er mit der Zahlung eine Rechnung also eine Zahlunsgpflicht erfüllen wollte.

Sehr schön sieht das das OLG Celle Urt. vom 19.5.2011 Az.: 13 U 6/10 kart, in dem es ausführt:
Zitat
Auch gilt in Sondervertragsverhältnissen - wie hier - der Grundsatz, dass einem Schweigen sowie der
widerspruchslosen Hinnahme oder sogar Begleichung von Rechnungen kein darüber hinausgehender
Erklärungswille zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2010, a. a. O.. auch OLG Hamm, a. a. O.,
Rn. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 11.01.2007, VII ZR 165/05, zitiert n.
juris, Rn. 9. vgl. auch Senatsurteil vom 27.01.2011, 13 U 100/10, Ziffer II Nr. 3).
Sähe man dies anders, würde dies zu einer faktischen Wirksamkeit unwirksamer AGB zu Gunsten des Verwenders
und damit zu einem wenig interessengerechten Ergebnis führen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Offline RR-E-ft

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #43 am: 24. November 2014, 20:02:10 »
Auch wenn man Ihnen folgend durchaus auch die Bestimmung des Anfangspreises dazu rechnet, so bestehen keinerlei weitere Rechte oder Pflichten des Versorgers zu Preisänderungen im Rahmen der Grundversorgung und zwar zumindest in der Zeit bis zum 30.10.2014 nicht.

@uwes

Hier liegen wir halt in einem zentralen Punkt auseinander.
Für mich besteht unzweifelhaft eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Preise aus § 36 Abs. 1 iVm. §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG, auf welche § 315 BGB unmittelbare Anwendung findet.

Ihre Auffassung ist wohl  schwerlich mit dem Urteil des EuGH vom 23.10.14 Rs. C-459/11 u. C- 400/11 Rn. 42. vereinbar, wonach aus dem Wortlaut dieser Vorschriften hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden ergreifen und insbesondere dafür Sorge tragen, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht. Ihr Blick richtet sich womöglich irgendwie kurzsichtig wohl nur auf die grundversorgten Kunden, die bereits seit Juni 2004 ununterbrochen in laufenden Grundversorgungsverhältnissen stecken.

Dabei darf man das große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Für die schutzbedürftigen Haushaltskunden besteht nur dann ein angemessener Schutz, wenn sie einen gesetzlichen Anspruch auf Grundversorgung zu angemessenen Allgemeinen Preisen haben. Wenn ein Grundversorger zu hoch kalkulierte Allgemeine Preise veröffentlicht hat und ein schutzbedürftiger Haushaltskunde würde hiernach einen Grundversorgungsvertrag allein durch Energieentnahme aus dem Netz eingehen, so würde der Schutz ersichtlich versagen/ wäre nicht gewährleistet, wenn der Grundversorger nicht zu der ihm möglichen  Preissenkung verpflichtet wäre.

Wie sähe es denn  mit den Kunden in seit 2003 ununterbrochen bestehenden Grundversorgungsverhältnissen aus, hätte im Juni 2004 bereits  ein exzessiv hohes Preisniveau bestanden, die Großhandelspreise wären von da an nur drastisch gefallen und die Versorger hätten keinerlei Preissenkungen vorgenommen, weil sie ja schon  keine entsprechende Verpflichtung trifft.

So hätte der Film schließlich auch ablaufen können. Die Rechtslage muss aber zu jedem erdenklichen Szenario passen und den schutzbedürftigen Haushaltskunden den angemessenen Schutz gewährleisten.

Ich bin mit Prof. Markert (FS Säcker S. 848 ff.) der Auffassung, dass sich die Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers ebenso wie die Preisbestimmungspflicht des Netzbetreibers aus dem EnWG selbst ergibt, als gesetzliche Preisbestimmungspflicht unmittelbar der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt und dabei der Anfangspreis nicht weniger einseitig bestimmt ist wie der Folgepreis, was ssich daraus ergibt, dass mit dem Vertragsabschluss kein Preis vereinbart wird, sondern die vertragliche Preishauptabrede sich vielmehr in der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht hinsichtlich der jeweiligen Allgemeinen Preise, zu denen der Kunden beliefert werden muss,  erschöpft.

Zutreffend verweist etwa auch OLG Oldenburg, Urt. v. 5.9.08 Az. 12 U 49/07 darauf, dass sich aus § 4 AVBGasV kein Preisanpassungsrecht ergibt, was bereits mit der Entstehungsgeschichte begründet wird.

Zitat
Überschrift und unmittelbarer Wortlaut der Vorschrift offenbaren nicht, dass der Verordnungsgeber in § 4 AVBGasV ein Preisanpassungsrecht schaffen wollte. Die Vorschrift trägt die Überschrift "Art der Versorgung". Die Art der Versorgung und die Anpassung von Tarifen sind gänzlich verschiedene Regelungsbereiche. Die Überschrift legt es daher für den unbefangenen Betrachter nicht nahe, dass es in dieser Vorschrift inhaltlich um tarifrechtliche Regelungen gehen soll. Dasselbe gilt für den Wortlaut. Nach §4 Abs. 1 S. 1 AVBGasV stellt das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Hiermit wird eine Pflicht (und nicht ein Recht) begründet, jedermann zu allgemeinen Tarifen zu versorgen. § 4 Abs. 2 AVBGasV macht die Änderung von Tarifen davon abhängig, dass zuvor eine öffentliche Bekanntmachung stattfindet. Auch hierdurch wird nicht ein Recht, sondern eine Verpflichtung geschaffen, nämlich die zur Veröffentlichung von Tarifänderungen als Wirksamkeitsvoraussetzung. Zwar gibt die Regelung in Abs. 2 nur dann einen Sinn, wenn der Versorger tatsächlich das Recht hat, Tarife nicht nur festzusetzen, sondern sie auch während eines bestehenden Vertrages zu ändern. Hieraus folgt aber keinesfalls der Rückschluss, dass der Verordnungsgeber damit dieses Recht zugleich schaffen wollte (so allerdings Ludwig, Recht der Energieversorgung, AVBEltV Rdn. 3 zur gleichlautenden Regelung in der AVBEltV; s.a. Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, § 4 AVBEltV/AVBGasV Rz. 4, 10, 11). Die Vorschrift hat durchaus auch dann einen Sinn, wenn sie lediglich an ein bereits bestehendes Tarifanpassungsrecht anknüpfen und dieses Recht mit der formellen Pflicht zur Veröffentlichung verknüpfen will. Zudem wäre es "gesetzestechnisch" mehr als ungewöhnlich, eine derart bedeutsame Regelung, die einen gewichtigen Eingriff in die beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten darstellt, so zu formulieren, dass sich ihre Bedeutung für das hier in Rede stehende Tarifanpassungsrecht nur über einen Rückschluss erschließt, der zudem noch nicht einmal zu einem eindeutigen Ergebnis führt.

Auch die Entstehungsgeschichte und der Regelungszusammenhang, in dem die Bestimmung steht, rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass der Verordnungsgeber hiermit mittelbar ein Preisanpassungsrecht begründen wollte.

Ermächtigungsgrundlage für die am 1. April 1980 in Kraft getretene AVBGasV war § 7 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 13. Dezember 1935 (RGBl I 1451; BGBl III 752) in der durch § 26 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976 (BGBl I 3317) geänderten Fassung. In § 7 Energiewirtschaftsgesetz 1935 war der damalige Reichswirtschaftsminister ermächtigt worden, "durch allgemeine Vorschriften und Einzelanordnungen die allgemeinen Bedingungen und allgemeinen Tarifpreise der Energieversorgungsunternehmen (§ 6 Abs. 1) …wirtschaftlich (zu) gestalten". Hiermit sollte auf einheitliche vertragliche Regelungen in den Verträgen zwischen Energieversorgern und den Abnehmern hingewirkt werden, die seinerzeit nur in Form von Musterbedingungen existierten, deren Verwendung durch die einzelnen Versorger nicht zwingend war. Ziel der Ermächtigung war es, die Abnehmer durch die Vorgabe von allgemeinen Bedingungen vor einem Missbrauch der Monopolstellung des Versorgers zu schützen. In der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (Darge/Melchinger/Rumpf, Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft, 1936, S. 26,27) heißt es u.a.:

"Der Gesetzgeber kann sich aber nicht damit begnügen, die allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht nur formal festzusetzen. Er muss vielmehr auch materiell auf die Versorgungsbedingungen Einfluß nehmen können, um dafür Sorge zu tragen, daß der Gedanke der Versorgungspflicht durch abnehmerorientierte Fassung der Bedingungen auch verwirklicht wird. Diejenigen Abnehmergruppen, die auf die allgemeinen Versorgungsbedingungen angewiesen sind, stehen zum weitaus größten Teil einem Versorgungsmonopol gegenüber. Sie sind vor Mißbrauch der wirtschaftlichen Machtstellung des Unternehmers zu schützen. Die Erfahrungen der Praxis haben gezeigt, daß auf diesem Gebiet noch erhebliche Mängel bestehen. Daher muß dem Reichswirtschaftsminister eine Eingriffsmöglichkeit gegeben werden (§ 7)".

Die Ermächtigungsgrundlage unterschied zwei getrennte Bereiche. Zum einen betraf sie den Erlass von Vorschriften über die allgemeinen Bedingungen, nach denen ein Versorgungsunternehmen jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hatte. Zum anderen schaffte sie die Befugnis zum Erlass von Regelungen über die allgemeinen Tarifpreise. Die hier in Rede stehende Änderung von Preisen ist zweifelsohne dem zweiten Teil der Ermächtigung, und zwar den Regelungen über die „allgemeinen Tarifpreise“ zuzuordnen. Diese Unterscheidung ist mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes durch das Gesetz vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I 3317) verdeutlicht worden. In Absatz 1 sind die Worte "allgemeine Bedingungen" entfallen, so dass sich die dortige Ermächtigung fortan auf den Erlass von Vorschriften über die allgemeinen Tarifpreise beschränkte. Die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung für die allgemeinen Bedingungen der Energieversorgungsunternehmen ist in Absatz 2 aufgenommen worden.

Zu einer Verordnung über die allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Gas kam es zunächst nicht. Der Generalinspektor für Wasser und Energie erklärte lediglich mit einer Anordnung vom 27. Januar 1942 die Allgemeinen Bedingungen der Gasversorgungsunternehmen (BGBl. III 752-1-7) für allgemeinverbindlich. Im zweiten - hier interessierenden - Bereich der Ermächtigung, also in dem zum Erlass von Regelungen über die Tarifpreise entsprach es bei Erlass des Energiewirtschaftsgesetzes 1935 allgemeiner Auffassung, dass ein Energieversorger auch ohne ausdrückliche Vorgabe des Gesetz- oder Verordnungsgebers ein faktisches Bestimmungsrecht habe und die Tarife nach den jeweiligen Gegebenheiten ändern könne. Der seinerzeit maßgebliche Kommentar von Darge/Melchinger/Rumpf, Energiewirtschaftsgesetz, 1936, führt hierzu in § 6 Ziff. 5e aus:

"Die allgemeinen Tarife gelten als Bestandteile der allgemeinen Versorgungsbedingungen, die den Vertragsinhalt bestimmen, und es besteht daher für sie wie für alle anderen Bedingungen die Möglichkeit der jederzeitigen Abänderung durch das Energieversorgungsunternehmen. Der Grund hierfür liegt in dem dauernden Fortschreiten der technischen Entwicklung, die auch fortlaufend Änderungen der Selbstkosten der Energieversorgungsunternehmen mit sich bringt. Die Änderungsbefugnis wirkt sich fast ausschließlich zugunsten der Abnehmer aus, indem Ersparnisse durch Betriebsverbesserungen in Form von Tarifermäßigungen weitergeben werden. Selbstverständlich sind aber auch Fälle denkbar, in denen die Entwicklung umgekehrt gehen kann, wie es z.B. bei der fortschreitenden Geldentwertung in den ersten Jahren nach dem Kriege der Fall war".

Das Preisanpassungsrecht des Versorgers wurde demgemäß als eine sich aus der Natur der Sache ergebende Befugnis angesehen. Denn wenn der Versorger verpflichtet war, jedermann zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen, ergab sich hieraus zwingend, dass er befugt war, seine Preise bei wirtschaftlichen Veränderungen anzupassen. Dies machte eine ausdrückliche Regelung zur Begründung eines solchen Rechts entbehrlich. Ein Nachteil zu Lasten des Abnehmers wurde hierin nicht gesehen. Zum einen standen seinerzeit in Anbetracht der fortschreitenden technischen Entwicklungen Preisermäßigungen und nicht die hier in Rede stehenden Erhöhungen im Vordergrund. Zum anderen - und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt - geschah die Anpassung der Preise zunächst unter der Kontrolle der Behörden. Während des zweiten Weltkriegs kam es beim Gas zu einer Zwangsbewirtschaftung durch den Reichskommissar für die Preisbildung (Tegethoff/Büdenbender/Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, Präambel BTOGas III C S. 8].

Regelungen zum Preisrecht wurden nach dem Krieg erstmals 1959 in der Verordnung über allgemeine Tarife für die Versorgung mit Gas (Bundestarifordnung Gas, BGBl. I 1959, 46) getroffen. Hierin wurden die Gasversorgungsunternehmen verpflichtet, bis zum 31.3.1960 nach bestimmten Vorgaben allgemeine Tarife zu bilden. Über die Veränderung dieser Tarife bzw. ein Recht des Versorgers, während des laufenden Vertrages die Tarife anzupassen, enthielt diese Verordnung keine Bestimmungen. Zwar wurde im Zusammenhang der BTOGas die Frage problematisiert, unter welchen Voraussetzungen ein Gasversorger seine Preise ändern dürfe, ob es hierfür einer ausdrücklichen Regelung in den Verträgen bedürfe und wie sie inhaltlich ausgestaltet werden müsse. Wegen der hiermit verbundenen Schwierigkeiten wurde aber empfohlen, gegenüber Teuerungszuschlägen und Preisänderungsklauseln in allgemeinen Tarifen Zurückhaltung zu üben (vgl. Tegethoff/Büdenbender/Klinger a.a.O S. 19 - 21). Das grundsätzlich bestehende Recht, die allgemeinen Tarife zu ändern, wurde dagegen nicht in Zweifel gezogen.

Mit der 1979 erlassenen AVBGasV wollte der Gesetzgeber lediglich von der Ermächtigung in § 7 Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetzes in der Fassung vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I, 3317) Gebrauch machen. Geregelt werden sollten nur die allgemeinen Bedingungen für die Belieferung, nicht aber die Tarifgestaltung. Zwar wird in der Eingangsformel nicht zwischen den beiden Absätzen der Ermächtigungsgrundlage unterschieden. Der Regelungsbereich der Verordnung wird aber in § 1 Abs. 1 AVBGasV eingegrenzt. Hiernach betrifft sie die allgemeinen Bedingungen, zu denen Gasversorgungsunternehmen nach § 6 des Energiewirtschaftsgesetzes jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifpreisen zu versorgen haben. Inhalt der Verordnung sollte damit der Anschluss und die Versorgung der Kunden sein, nicht aber die Preisgestaltung bzw. die Anpassung der Preise. Zwar ist in §1 Abs. 1 AVBGasV von "allgemeinen Tarifpreisen" die Rede. Dabei geht es aber ersichtlich nicht um die Bildung dieser Preise, sondern nur die Versorgung der Kunden zu diesen Preisen. Auch in den weiteren Vorschriften der Verordnung finden sich keine Bestimmungen über die Ausgestaltung von Tarifen und ihre spätere Veränderung.

Die Feststellung, dass es bei der AVBGasV nicht um Tarifrecht ging, ergibt sich auch unmittelbar aus der Fassung von §4 Abs. 1 AVBGasV. Vorbild und Grundlage für diese Vorschrift war Ziff. II Nr. 1 der bis dahin maßgeblichen Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung von Gas (BGBl. 752-1-7). Dort hieß es:

„Das Gaswerk stellt im Rahmen des § 6 EnerG zu den Preisen seiner allgemeinen Tarife, die Bestandteil dieser Bedingungen sind, zur Verfügung: Stadtgas …“.

In § 4 Abs. 1 AVBGasV heißt es hingegen:

„Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung“.

§ 4 AVBGasV macht daher im Gegensatz zur früheren Regelung die allgemeinen Tarife nicht zum Bestandteil der Verordnung. Bestimmungen hierzu waren vielmehr - wenn auch nur in Grundzügen - bereits an anderer Stelle getroffen worden, und zwar in der Bundestarifordnung Gas.

Im Übrigen wurde es bis 1980 keinesfalls als Mangel oder als eine Lücke angesehen, dass es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über ein einseitiges Preisanpassungsrecht für Gasversorger bei laufenden Verträgen gab. Das grundsätzliche Recht zur Preisanpassung wurde für den Bereich der Grundversorgung vielmehr allgemein vorausgesetzt, und zwar folgend aus der Natur der Sache. Demgemäß bestand für den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber bei Erlass der AVBGasV nicht einmal Handlungsbedarf. Letztlich hätte die Neubegründung eines solchen Rechts auch zu der zwangsläufigen Feststellung führen müssen, dass sämtliche vor 1980 vorgenommene Tarifänderungen ohne Rechtsgrundlage erfolgt waren.

55Vor diesem Hintergrund spricht daher nichts dafür, dass der Verordnungsgeber mit dem Verweis auf die „allgemeinen Tarife“ in § 4 AVBGasV ein Tarifanpassungsrecht begründen wollte. Er hat es vielmehr stillschweigend als bereits vorhanden vorausgesetzt bzw. es den Versorgern überlassen, dieses Recht jeweils in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen im Einzelnen auszugestalten.

Belegt wird dies schließlich durch die amtliche Begründung (Bundesratsdrucksache 77/79). Zu § 4 AVBGasV heißt es u.a.:

"Nach Absatz 1 sind die GVU verpflichtet, die Kunden zu den "jeweiligen" allgemeinen Tarifen und Bedingungen, wozu auch diejenigen Regelungen gehören, die sie in Ausfüllung der vorliegenden Verordnung vorsehen, zu versorgen. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß sich z.B. Tarifänderungen ohne entsprechende Kündigungen der laufenden Verträge nach öffentlicher Bekanntgabe (Absatz 2) vollziehen können. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich um Massenschuldverhältnisse mit langfristiger Vertragsbindung handelt. Die GVU müssen die Möglichkeiten haben, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit in den Preisen an die Kunden weiterzugeben. Entsprechende Vertragskündigungen, verbunden mit dem Neuabschluss von Verträgen, würden hier vor allem zu praktischen Schwierigkeiten führen, zumal Fiktionen bei Willenserklärungen und ihrem Zugang der Zielsetzung des § 10 Nr. 5 und 6 AGBGB widersprechen".

Regelungshintergrund war demgemäß (nur) die vor Erlass der Verordnung in der Literatur diskutierte Streitfrage, ob eine Tarifänderung ohne Kündigung des Vertrages durchgesetzt werden könne, nicht aber die Frage, ob eine Tarifänderung überhaupt möglich sei. Sinn der Vorschrift war es, sicherzustellen, dass Tarifänderungen ohne Kündigung der laufenden Verträge durchführbar waren (vgl. Schmidt-Salzer/Kommentar zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, 1981, § 4 AVBEltV Rdn. 63- zu der insoweit gleichlautenden Regelung in der AVBEltV). Dagegen ging es nicht um die Tarifgestaltung bzw. um eine Regelung dazu, ob und wie die Tarife zu ändern waren. Es sollte lediglich eine Vorgabe dazu geschaffen werden, wie sich eine Tarifänderung auf den laufenden Vertrag auswirkt. Wäre es dagegen tatsächlich beabsichtigt gewesen, mit dieser Vorschrift auch ein Tarifänderungsrecht zu schaffen, so hätte es sich aufgedrängt, dies in der amtlichen Begründung ausdrücklich klarzustellen. Zum einen wäre dies deswegen geboten gewesen, weil sich ein entsprechender Wille weder aus der Überschrift noch aus dem Wortlaut der Vorschrift mit der für eine gesetzliche Regelung nötigen Klarheit erschließt. Hierzu kann auf die oben genannten Gründe Bezug genommen werden. Zum anderen hätte sich eine klarstellende Kommentierung deswegen aufgedrängt, weil es sich in diesem Fall um eine einschneidende Neuerung gehandelt hätte. Denn geht man davon aus, dass erst mit § 4 AVBGasV ein Preisänderungsrecht für die Gasversorger im Rahmen der Grundversorgung geschaffen worden ist, so zwingt dies zu der Feststellung, dass vor 1980 vorgenommene Preisanpassungen keine ausreichende Rechtsgrundlage hatten. Die Absicht, mit der Regelung eine bis dahin bestehende Lücke zu schließen oder auch nur eine Unklarheit zu beseitigen, wäre einer Erwähnung in der amtlichen Begründung wert gewesen.

Das Preisbestimmungsrecht bzw. die Preisbestimmungspflicht des kontrahierungspflichtigen Energieversorgers ergab sich von jeher zunächst aus der Natur der Sache, später unmittelbar aus dem EnWG (§ 6 Abs. 1 EnWG 1935, § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 36 Abs. 1 EnWG), denn schon immer musste der Versorger die jeweiligen Allgemeinen Tarife zunächst festlegen, um sie dann öffentlich bekannt geben zu können  und hiernach jedermann bzw. jeden Haushaltskunden, der dies wollte, zu diesen jeweiligen Allgemeinen Tarifen bzw. Allgemeinen Preisen zu versorgen, undzwar noch bevor es überhaupt die entsprechenden Verordnungen gab.
Daran hat sich über nunmehr fast 80 Jahre nie etwas geändert.

Folgende Gedanken habe ich mir bisher allein gemacht:

Findet man in der Grundversorgung deshalb schon keinen vereinbarten Preis, sondern nur ein unmittelbar aus dem EnWG sich ergebendes Preisbestimmungsrecht (bei dem es sich bei genauer Betrachtung um eine Bestimmungspflicht iSd. § 315 Abs. 1 BGB  in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Preise handelt), so kommt es überhaupt nicht auf ein Preisänderungsrecht aus § 4 AVBGasV oder § 5 GasGVV an.

§ 4 Abs. 2 AVBV wollte ja kein Preisbestimmungsrecht begründen, sondern sicherstellen, dass die Ausübung der andernorts - nämlich im EnWG bestehenden - Preisbestimmungsrechts (Preisbestimmungspflicht!) als einseitige Willenserklärung für ihre Wirksamkeit nicht auf den Zugang beim einzelnen Bestimmungsgegner ankommt, sondern in Abweichung von  § 130 BGB  vielmehr die öffentliche Bekanntgabe des Versorgers die notwendige wie hinreichende Bedingung darstellt.

Durch eine Unwirksamkeit des § 4 Abs. 2 AVBGasV entfällt deshalb nicht das sich von Anfang an aus dem EnWG ergebende Preisbestimmungspflicht (Preisbestimmungsrecht)  in Bezug bauf die jeweiligen Allgemeinen Tarife/ Preise.

Der Versorger hätte vielmehr dasjenige Bestimmungsrecht, welches aus seiner Bestimmungspflicht in Bezug auf die jeweiligen Allgemeinen Tarife/ Preise  folgt, nur nicht wirksam ausgeübt, jedenfalls dann nicht, wenn man § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV EU- richtlinienkonform auslegt und vom Versorger bei einer Erhöhung des Lieferpreises all jene Informationen nicht mit angemessener Frist im Vornherein den Kunden brieflich zur Verfügung gestellt wurden, auf welche es gem. EuGH, Urt. v. 23.10.14 Rs. C- 359/11 und Rs. C- 400/11 Rn. 46 f. ankommt. In diesem Fall kommt es weder auf Billigkeit noch Verwirkung des Anspruchs auf Billigkeitskontrolle an.

Hätte der Versorger hingegen die Informationspflichten, die sich aus dem EuGH- Urteil vom 23.10.14 Rn. 46 f. ergeben, bei einer einseitigen Tarifneubestimmung vollständig Genüge getan, so hätte er damit sein Bestimmungsrecht wirksam ausgeübt, und der hiergegen bestehende  Anspruch des Kunden auf auf Billigkeitskontrolle der einzelnen einseitigen Preisneufestsetzung (über den der Versorger bereits mit der Änderungsmitteilung vorab brieflich informieren musste!) konnte verwirken (vgl. BGH, Urt. v. 23.01.14 Az. VII ZR 177/13, juris Rn. 13, mwN).

Wenn der jeweilige Allgemeine Preis insgesamt der Billigkeitskontrolle unterliegt, der Anspruch des Kunden auf Billigkeitskontrolle nach den neuen Rechtsprechung des BGH (vgl. Urt. v. 24.01.14 Az. VII ZR 177/13 Rn. 13 mwN) nicht früher verwirkt als der mögliche Rückforderungsanspruch des betroffenen Kunden wegen Unbilligkeit verjährt, so gibt es wohl auch kein Problem.

Sonst  kann man sich noch akademisch darüber streiten, ob die Unwirksamkeit  nur bereits laufende Vertragsverhältnisse betrifft oder auch außnstehende Kunden, deren Vertrag erst später durch Energieentnahme zustande kam. Schließlich müssen alle entsprechenden Kunden zum gleichen jeweiligen Allgemeinen Tarif/ Preis versorgt werden und wenn die Preisänderungen gegenüber den allermeisten Bestandskunden unwirksam waren, wird man den neu hinzugekommenen Neukunden wohl keine höheren Allgemeinen Preise abverlangen können.     

 
« Letzte Änderung: 24. November 2014, 21:48:57 von RR-E-ft »

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BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #44 am: 27. Dezember 2015, 09:56:44 »
Das vom BGH mit Urteil vom 15.11.2015 (VIII ZR 360/14) -hier im Forum besprochen- als wirksam beurteilte Klauselwerk im fraglichen Stromsondervertrag ist lückenhaft und leidet deshalb an einem entscheidenden Mangel:

Das Klauselwerk enthält nämlich keine Verpflichtung des Versorgers, seinen Kunden mitzuteilen, ob, wann und in welchem Umfang die vertragsrelevanten Beschaffungskosten gesunken sind.
Durch diese Lücke wird das Klauselwerk unvollständig; dadurch verstößt es gegen das Transparenzgebot.


Mag im Übrigen das Klauselwerk auch noch so transparent erscheinen. Der Kern des Problems ist: wenn dem Kunden, im Gegensatz zu den betragsmäßig veröffentlichten Preisbestandteilen wie Stromsteuer, EEG-, KWKG-Umlage oder Netzentgelt der Zugang zum Herrschaftswissen des Versorgers, nämlich zu den Informationen über die Entwicklung der vertragsrelevanten Beschaffungskosten verwehrt ist, fehlen ihm jegliche Anhaltspunkte darüber, ob der Versorger seiner Verpflichtung genüge getan hat, seine Preise in billiger Weise zu senken. Verschweigt der Versorger eine Senkung seiner Beschaffungskosten und belässt er seine Verbraucherpreise auf der bisherigen Höhe, verschiebt sich das vertragliche Gleichgewicht zu seinen Gunsten, ohne dass er dies dem Kunden offenbaren muss und ohne dass der Kunde dies erkennen kann. Gemäß Klauselwerk ist der Versorger nämlich nur verpflichtet, Preisänderungen mitzuteilen. Die Möglichkeit der Billigkeitskontrolle von konstanten Preisen trotz gesunkener Beschaffungskosten läuft dadurch ins Leere (BGH, Urt. v. 21.04.09 XI ZR 55/08, juris Tz. 38); s. hier im Forum.

Der 8. Zivilsenat des BGH ist bislang eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie ein Verbraucher unterlassene, jedoch billigerweise gebotene Preissenkungen erkennen und überprüfen kann.

Vielmehr leistet der BGH mit seiner Rechtsprechung Vorschub dafür, dass die Versorger ihre Praxis der unbillig unterlassenen Preissenkungen risikolos fortsetzen können. Unbillig unterlassene Preissenkungen wirken sich auf das vertragliche Gleichgewicht zwischen Verbraucher und Versorger in derselben Weise aus wie unbillige Preiserhöhungen. Der BGH sieht allerdings keine Notwendigkeit, dass Verbraucher über sinkende Beschaffungskosten informiert werden müssen. Dadurch beraubt er sie der Möglichkeit, in voller Sachkenntnis gegen die sie benachteiligende Änderungen im Vertragsverhältnis vorgehen zu können. Damit verstößt der BGH gegen seinen im EU-Verbraucherrecht begründeten Auftrag, einen hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten.

Es passt ins Bild, dass der BGH, obwohl er in seinem Urteil vom 15.11.2015 (VIII ZR 360/14) seine eigene Rechtsprechung wie folgt zitiert, Rn 17,
Zitat
Zwar verstößt eine Allgemeine Geschäftsbedingung gegen das Transparenzgebot, wenn der Vertragspartner durch die unklare, mehrdeutige oder unvollständige Fassung einer Klausel davon abgehalten wird, seine berechtigten Ansprüche oder Gegenrechte dem Verwender gegenüber geltend zu machen, oder wenn eine irreführende Darstellung der Rechtslage es dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren (BGH, Urteile vom 20. Juli 2005 - VIII ZR 121/04, BGHZ 164, 11, 24 f.; vom 9. Juni 2011 - III ZR 157/10, WM 2011, 1678 Rn. 44; vom 8. November 2012 - VII ZR 191/12, WM 2014, 132  Rn. 19, 23).

derselbe BGH die Lückenhaftigkeit des Klauselwerkes nicht erkennen will, nämlich die fehlende Offenbarungspflicht des Versorgers bei sinkenden Beschaffungskosten, wodurch Verbraucher abgehalten werden, ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen.

und weiter unter Rn 35:
Zitat
(1) Wie vorstehend unter II 3 b ausgeführt, folgt aus dem mit dem Transparenzgebot verfolgten Zweck die Verpflichtung der Beklagten, den Anlass und den Modus der die Entgeltänderung prägenden Umstände so transparent darzustellen, dass die Kunden die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen können. Dies verlangt der Beklagten eine so genaue Beschreibung der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ab, dass für sie keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Dazu gehört ferner, dass ihre Preisanpassungsregelungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies - bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses - nach den Umständen, insbesondere auch nach den Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Kunden, gefordert werden kann (Senatsurteile vom 9. April 2014 - VIII ZR 404/12, aaO; vom 28. Mai 2014 - VIII ZR 179/13, aaO; jeweils mwN). Denn nur dann wird der Kunde in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte zu erkennen sowie eine geltend gemachte Preisanpassung nachzuvollziehen und zumindest auf Plausibilität zu überprüfen (vgl. BGH, Urteile vom 26. September 2007 - VIII ZR 143/06, NJW 2007, 3632 Rn. 31; vom 15. Mai 2013 - IV ZR 33/11, VersR 2013, 888 Rn. 45).

Eine der Fehlleistungen des 8. ZS - BGH besteht darin, dass er unter Rn 35 zwar seine eigene Rechtsprechung zitiert, diese jedoch ignoriert und keine Konsequenzen daraus zieht. Denn ohne eine Offenbarungspflicht für gesunkene Beschaffungskosten entstehen genau die ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume, die der Versorger zu seinem einseitigen Vorteil ausnutzen kann. Die Übervorteilung des Verbrauchers durch unterlassene Preissenkungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile kann dieser mangels transparenter Informationen (Rn 35: „Entgeltänderung prägende Umstände“) sowie mangels „klarer und verständlicher Kriterien“ (Rn 35) nicht erkennen. Er wird nicht in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe seine Rechte zu erkennen und die (unterlassene) Preisanpassung - eine unbillig unterlassene Preissenkung wirkt im Ergebnis (ungerechtfertigte Erhöhung der Gewinnspanne des Versorgers) wie eine unbillige Preiserhöhung - zumindest auf Plausibilität zu überprüfen.

Stattdessen verliert sich der 8. ZS - BGH unter den Rn 36 - 45 seines Urteils vom 15.11.2015 in einer weitschweifigen, jedoch am Kern des Problems (unterlassene Preissenkungen) vorbei gehenden Scheinargumentation über das Mögliche, Zumutbare und Verständliche bei der Abfassung von Preisänderungsklauseln. Wie das Beispiel der Thüringer Energie (TEAG) zeigt, ist für Versorger entgegen der Ansicht des BGH bereits ein beachtliches Maß an Preistransparenz sehr wohl umsetzbar ohne dabei angebliche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu verraten.

Nachtrag:
Urteil BGH vom 21.09.2005, VIII ZR 38/05, unter II 3:
Zitat
3. Diesen Anforderungen an den Inhalt einer zulässigen Kostenelementeklausel hält die von der Beklagten verwendete Preisänderungsklausel nicht stand. Die Klausel koppelt die Preisänderung an die Entwicklung bestimmter Betriebskosten, die die Kunden der Beklagten nicht kennen und nicht in Erfahrung bringen können (a). Ferner fehlt es an einer Gewichtung der einzelnen Kostenelemente im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Kalkulation des Gaspreises (b). …

a) … Denn wie das Berufungsgericht weiter mit Recht ausführt, benachteiligt die Kopplung der Preisänderungsbefugnis an die Entwicklung der im Unternehmen der Beklagten entstehenden Kosten die Vertragspartner der Beklagten vor allem deswegen unangemessen, weil es sich dabei - anders als bei Marktpreisen oder Tariflöhnen - um betriebsinterne Berechnungsgrößen handelt, die die Kunden der Beklagten weder kennen noch mit zumutbaren Mitteln in Erfahrung bringen können. Das gilt für die Gestehungspreise (Einkaufspreise) der Beklagten ebenso wie für die bei ihr anfallenden Material-, Lohn-, Transport- und Lagerkosten. Ob, wann, wodurch und in welchem Maße bei diesen Kosten Änderungen eintreten, bleibt den Kunden der Beklagten verborgen. Da es infolge dessen an einer realistischen Möglichkeit der Kunden fehlt, Preiserhöhungen der Beklagten auf ihre Berechtigung zu überprüfen, gibt die Klausel der Beklagten einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum zur Erzielung zusätzlicher Gewinne zu Lasten ihrer Vertragspartner.

Mehr Infos dazu: siehe hier.
« Letzte Änderung: 27. Dezember 2015, 12:21:19 von courage »

 

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