Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht  (Gelesen 33638 mal)

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Offline tangocharly

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Der EuGH hat am 14.03.2013 zu einer -nicht energierechtlichen- Klauselfrage entschieden (lt. Pressemitteilung):

Zitat
[...] Bei der Prüfung des Begriffs der missbräuchlichen Klausel weist der Gerichtshof sodann darauf hin, dass das durch eine solche Klausel verursachte „erhebliche und ungerechtfertigte Missverhältnis“ unter Berücksichtigung derjenigen Vorschriften zu beurteilen ist, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben. Hierbei ist außerdem von Bedeutung, dass die Rechtslage des Verbrauchers vor dem Hintergrund der Mittel untersucht wird, die ihm das nationale Recht zur Verfügung stellt, um der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen. Bei der Frage, ob das Missverhältnis „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht wird, ist zu prüfen, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt.

Im Urteil findet man die entsprechenden Passagen bei Tz. 65 ff. [76];
Nur mal so als Vorgeschmack darauf, was am 21.03.2013 zu erwarten sein dürfte.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Nur mal so als Vorgeschmack darauf, was am 21.03.2013 zu erwarten sein dürfte.
Riecht gut! ;) Sieht nach einem Erfolg aus. Geld bedeutet das ja noch nicht, aber immerhin. Die Experten werden Ratschläge dazu geben.

Das Urteil

Jetzt stellt sich die Frage, wann und wie es mit den zurückgelegten Tarifkundenfällen weitergeht. Viele Verfahren liegen ja bei den Amtsgerichten bis dahin auf Eis. 

Offline bolli

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #18 am: 21. März 2013, 12:58:12 »
Vor allem das hier
Zitat
Die deutsche Regierung hat den Gerichtshof in ihren schriftlichen Erklärungen für den Fall, dass nach dem zu ergehenden Urteil eine Klausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht den Anforderungen des Unionsrechts genügen sollte, ersucht, die Wirkungen seines Urteils zeitlich so zu begrenzen, dass die in diesem Urteil zugrunde gelegte Auslegung nicht auf vor der Urteilsverkündung eingetretene Tarifänderungen anwendbar ist. Nach Ansicht von RWE, die in ihren schriftlichen Erklärungen ebenfalls einen Antrag in diesem Sinne gestellt hat, sollten die Urteilswirkungen um 20 Monate aufgeschoben werden, um den betroffenen Unternehmen und dem nationalen Gesetzgeber eine Anpassung an die Folgen des Urteils zu ermöglichen.
...
Somit ist festzustellen, dass das Bestehen einer Gefahr schwerwiegender Störungen im Sinne der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung, das eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des vorliegenden Urteils rechtfertigen könnte, nicht als erwiesen angesehen werden kann.

Da das zweite oben in Randnr. 59 genannte Kriterium nicht erfüllt ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.

Demnach besteht kein Anlass, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.
Eben in den Medien wurde nämlich schon anderes berichtet.

Edit: Gerade in den Nachrichten wurde es nun richtig berichtet.
« Letzte Änderung: 21. März 2013, 13:04:45 von bolli »

Offline DieAdmin

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #19 am: 21. März 2013, 14:16:18 »
Pressemeldung der Verbraucherzentrale NRW von heut:

Zitat
Europäischer Gerichtshof stärkt Gaskunden: Verbraucherzentrale NRW im Verfahren gegen RWE bestätigt
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seinem heutigen Urteil die Rechte von Gaskunden gestärkt. In der Rechtssache C-92/11 haben die Richter entschieden, dass Energieversorger ihre Preiserhöhungen für Sonderkunden besser begründen müssen.

Sie können sich hierbei nicht allein auf Vorschriften berufen, die nur in der Grundversorgung gelten. Preiserhöhungsklauseln müssen Änderungen so transparent darstellen, dass Verbraucher die Gründe und das Verfahren bei etwaigen Preisänderungen schon bei Vertragsschluss deutlich erkennen können. Weiterhin müssen Kunden bei Preisänderungen die Möglichkeit haben, Verträge zu kündigen.

Damit folgt der EuGH der Ansicht der Verbraucherzentrale NRW. Diese vertritt 25 Gaskunden des Energiekonzerns RWE in einer Sammelklage. In dem seit 2006 laufenden Verfahren fordern die Verbraucherschützer von RWE unrechtmäßige Preiserhöhungen für die Jahre 2003 bis 2006 zurück. Sowohl das Landgericht Dortmund als auch das Oberlandesgericht Hamm hatten die Auffassung der Verbraucherzentrale NRW bestätigt. RWE ging in Revision und der Bundesgerichtshof (BGH) legte dem EuGH daraufhin die Sache zur Klärung einiger Rechtsfragen vor.

"Der EuGH hat uns heute voll und ganz bestätigt und damit die Rechte der Energiekunden erheblich gestärkt". Das sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Den Anträgen der Bundesregierung sowie von RWE, die finanziellen Folgen des Urteils zu begrenzen und es nur auf künftige Preiserhöhungen zu beschränken, hat der EuGH dagegen eine klare Absage erteilt. Die Entscheidung betrifft deshalb auch Altverträge von Sonderkunden. Sonderkunde ist, wer beim Grundversorger einen besonderen Tarif vereinbart oder zu einem anderen Anbieter gewechselt hat. Ein Indiz dafür ist es, wenn im Vertrag Begriffe wie "Sonder-Vertrag, -Preis oder -Tarif" auftauchen.

Nun muss der BGH das Urteil des EuGH umsetzen. Trotzdem hat es schon jetzt Bedeutung auch für nicht an der Klage beteiligte RWE-Kunden sowie für Kunden anderer Unternehmen. Betroffen sind Haushalte, die Gas als Sonderkunden beziehen und nach deren Verträgen Preisanpassungen möglich sind, ohne dass diese begründet werden und die damit intransparent sind. Um mögliche Ansprüche zu wahren, sollten solche Kunden ihrer Jahresrechnung widersprechen. Dies muss allerdings binnen einer Frist von drei Jahren nach Erhalt geschehen. Damit ist ein Widerspruch derzeit nur noch gegen Rechnungen möglich, die Gaskunden ab April 2010 bekommen haben. Die Verbraucherzentrale NRW informiert über Details auf ihrer Internetseite www.vz-nrw.de und stellt einen Musterbrief zum Widerspruch gegen Jahresrechnungen zur Verfügung.

Die Verbraucherzentrale NRW bietet RWE an, in Verhandlungen über die Rückzahlung unberechtigter Preiserhöhungen für alle relevanten Kunden einzutreten.

http://www.vz-nrw.de/europaeischer-gerichtshof-staerkt-gaskunden--verbraucherzentrale-nrw-im-verfahren-gegen-rwe-bestaetigt

und die Meldung:

EuGH stärkt Rechte der Gaskunden

In einem Verfahren der Verbraucherzentrale NRW gegen die RWE Vertrieb AG hat der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil vom 21.03.2013 (AZ: C-92/11) die Rechte von Gassonderkunden gestärkt.

http://www.vz-nrw.de/widerspruch-gaspreiserhoehung

Offline DieAdmin

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #20 am: 21. März 2013, 18:33:32 »
Auch der Bund der Energieverbraucher e.V. hat eine Pressemitteilung veröffentlicht:


EuGH entscheidet: Klauseln müssen klar und verständlich sein. Gaspreiserhöhungen unterliegen strengem EU-Verbraucherrecht

http://www.energieverbraucher.de/de/site/Preisprotest/News__1700/ContentDetail__13300/

Offline PLUS

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...
« Antwort #21 am: 22. März 2013, 00:05:21 »
... und die Interpretation der Stadtwerkevertretung dazu: Verband kommunaler Unternehmen e.V.

Offline Lothar Gutsche

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nach dem EuGH-Urteil vom 21.3.2013: Stunde des BGH schlägt.
« Antwort #22 am: 22. März 2013, 08:28:42 »
@ bolli

Nach meiner Einschätzung haben Sie da ein paar Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und damit leider die Kernaussage zur zeitlichen Begrenzung und zur möglichen Verjährungsfrist verfälscht.

Im vorliegenden Urteil unter Aktenzeichen C-92/11 vom 21.3.2013 muss sich der EuGH nicht damit befassen, ob die Wirkungen des Urteils irgendwie zeitlich zu begrenzen sind. Denn laut Entscheidung zur 2. vorgelegten Frage des BGH aus dem Verfahren VIII ZR 162/09 gilt:
Zitat
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Beurteilung anhand aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, einschließlich aller Klauseln in den allgemeinen Bedingungen der Verbraucherverträge, die die streitige Klausel enthalten.
Damit obliegt es dem BGH im Verfahren VIII ZR 162/09 zu entscheiden, ob in Erdgaslieferungsverträgen mit Sonderkunden die Preisänderungsklauseln, die nur auf § 4 AVBGasV verweisen, "den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen."

Auch bezüglich der Kündigungsmöglichkeit des Kunden spielt der EuGH dem BGH die Befugnis zur Entscheidung zu. In der Randnummer 54 des Urteils betont der EuGH: Es ist
Zitat
von wesentlicher Bedeutung, dass die Kündigungsmöglichkeit dem Verbraucher nicht nur formal eingeräumt wird, sondern auch tatsächlich wahrgenommen werden kann.

Immerhin erläutert der EuGH das noch und nennt in Randnummer 54 mehrere konkrete Kriterien zur tatsächlichen Kündigungsmöglichkeit:
  • Ist der Kunde angemessen und rechtzeitig von der künftigen Änderung benachrichtigt worden und hatte er dadurch die Möglichkeit, zu überprüfen, wie sich die Änderung berechnet, und gegebenenfalls den Lieferanten zu wechseln?
  • Herrscht auf dem betreffenden Markt Wettbewerb?
  • Welche Kosten sind für den Verbraucher mit der Kündigung des Vertrags verbunden?
  • Wie viel Zeit liegt zwischen der Mitteilung und dem Inkrafttreten der neuen Tarife?
  • Welche Informationen werden zum Zeitpunkt der Mitteilung gegeben?
  • Welchen Kosten- und Zeitaufwand erfordert ein Wechsel des Lieferanten?

Unter dem Strich lässt sich festhalten, was der VKU in seiner Stellungnahme unter http://www.presseportal.de/pm/6556/2437938/vku-zur-eugh-entscheidung-ueber-eine-deutsche-gaspreisaenderungsklausel-bundesgerichtshof-muss-nun richtig erkannt hat: Das EuGH-Urteil vom 21.3.2013 lässt dem BGH noch extrem viel Spielraum. Insbesondere ist mit dem EuGH-Urteil noch nichts zu Gunsten der Verbraucher entschieden. Natürlich spielt auch die zeitliche Befristung der Rückforderungsansprüche auf maximal drei Jahre den Versorgern in die Karten und reduziert die möglichen Zahlungen an die Verbraucher beträchtlich. Und mit dieser Frage nach dem Zeitraum landen wir wieder bei dem BGH-Urteil vom 14.3.2012, das Gegenstand dieses Threads ist.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

Offline khh

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #23 am: 22. März 2013, 09:47:07 »
@Lothar Gutsche,

Ihre Einschätzung kann ich eher nicht nochvollziehen [den "Versuch der Abwiegelung" durch den VKU schon ;)]. 

Klar ist, dass es dem BGH obliegt, den vorliegenden Einzelfall zu beurteilen und zu entscheiden. Aber die Vorgaben des EuGH sind doch eindeutig, wo lässt das Urteil dem BGH noch extrem viel Spielraum?  :-\

Und der EuGH hat sich durchaus mit dem Ersuchen der deutschen Regierung und von RWE befasst und zweifelsfrei entschieden, dass kein Anlass besteht, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.

Dass die vom BGH im letzten Jahr entschiedene zeitliche Begrenzung für erstmalig geltend gemachte Rückforderungsansprüche womöglich greift, ist ein anderes Thema.
Aussagen zu Rechtsfragen sind als persönliche Einschätzung/Meinung zu verstehen.
Rechtliche Beratung ist allein gesetzlich befugten Personen/Institutionen vorbehalten.

Offline khh

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #24 am: 22. März 2013, 09:48:31 »
versehentlicher Doppelpost gelöscht
Aussagen zu Rechtsfragen sind als persönliche Einschätzung/Meinung zu verstehen.
Rechtliche Beratung ist allein gesetzlich befugten Personen/Institutionen vorbehalten.

Offline RR-E-ft

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Re: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #25 am: 22. März 2013, 14:12:10 »
In seinem Urteil vom 21.03.13 Az. C -92/11 stellt der EuGH m.E.zum einen klar, dassAGB-  Preisänderungsklauseln in Gaslieferungsverträgen uneingeschränkt der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB unterliegen, und stellt ferner  für die Wirksamkeit einer solchen Preisänderungsklausel mit Rücksicht auf das Transparenzgebot auf die gleichen Kriterien ab, auf die der BGH sonst gem. § 307 BGB in seiner ständigen Rechtsprechung auch abstellt (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.07 Az. III ZR 247/06, juris Rn. 10 ff.).

Zitat
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene sogenannte Kostenelementeklauseln, die wie die
hier in Rede stehende Bestimmung eine Preisanpassung wegen und auf der Grundlage sich verändernder Kosten vorsehen, sind insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Sie sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (Senatsurteil vom 11. Oktober
2007 - III ZR 63/07 - Rn. 19; BGH, Urteile vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05 - NJW-RR 2005, 1717 unter II. 2.; vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06 - NJW 2007, 1054, 1055 Rn. 20; jeweils m.w.N.).

Die Schranke des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wird allerdings nicht eingehalten, wenn die Preisanpassungsklausel es dem Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; BGH, Urteile vom 21. September 2005 aaO und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 21; jeweils m.w.N.).

Dementsprechend sind Preisanpassungsklauseln nur zulässig, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des
Gesamtpreises offen gelegt werden, so dass der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen kann
(Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 aaO; vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 1980 - VIII ZR 174/79 - NJW 1980, 2518, 2519 unter II 2. c); vom 19. November 2002 - X ZR 253/01 - NJW 2003, 746, 747 unter III. 2. a) m.w.N.; vom 21. September
2005 aaO S. 1717 f unter II. 3.b) und vom 13. Dezember 2006 aaO Rn. 23 ff).

b) Diesen Anforderungen wird die beanstandete Preisanpassungsklausel nicht gerecht. Sie verstößt zum einen
gegen das aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Transparenzgebot. Sie ist deshalb zu unbestimmt, weil sie ganz allgemein an eine Erhöhung der nicht näher umschriebenen Bereitstellungskosten anknüpft und weder die Voraussetzungen noch den Umfang einer Preiserhöhung näher regelt. Insbesondere werden die Kostenelemente und deren Gewichtung im Hinblick auf ihre Bedeutung
für die Kalkulation des Abonnementpreises nicht offen gelegt. Für den Abonnenten ist deshalb weder vorhersehbar, in welchen Bereichen Kostenänderungen auftreten können, noch hat er eine realistische Möglichkeit, etwaige Preiserhöhungen anhand der Klausel auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen.

Zum anderen führt die Klausel auch nach ihrem Inhalt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Abonnenten, weil sie Preiserhöhungen nicht auf den Umfang der Kostensteigerung begrenzt und sogar dann gestattet, wenn der Anstieg eines Kostenfaktors durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird. Somit ermöglicht die Bestimmung der Beklagten, die Abonnementpreise ohne jede Begrenzung zu erhöhen und nicht nur insgesamt gestiegene Kosten an ihre Kunden weiter
zugeben, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Gerade eine solche Verschiebung des vertraglichen
Gleichgewichts durch einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum will § 307 BGB verhindern.


Der EuGH hat entschieden, dass sein Urteil nicht - wie von der Bundesrepublik Deutschland und RWE beantragt-  erst Monate nach Verkündung Wirkung entfaltet und die Rechtsprechung des EuGH somit erst auf zukünftige Preisänderungen anwendbar wäre,
sondern das diese Rechtsprechung zeitlich uneingeschränkt gilt, weil sie auf das materielle Recht gründet, welches seit Inkrafttreten der entsprechenden EU- Richtlinien (bzw. nach Ablauf der Umsetzungsfrist) ohnehin unmittelbar gilt. Das Urteil schafft also kein neues, nicht schon bestehendes und in Geltung befindliches Recht.

Dies ändert freilich nichts daran, dass mögliche Rückforderungsansprüche der Kunden infolge unwirksamer Preisänderungsklauseln und somit unwirksamer einseitiger Preisänderungen der regelmäßigen Verjährung unterliegen.

Über die Frage, ob die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zur zeitlichen Beschränkung der Berufungsmöglichkeit des Kunden auf die Unwirksamkeit einzelner einseitiger Preisänderungen mit der Rechtsprechung des EuGH in Übereinklang steht (also dem eigentlichen Gegenstand dieses Threads), hatte der EuGH in seinem Urteil vom 21.03.13 nicht zu befinden.
Der EuGH entscheidet nur über die Rechtsfragen, die ihm - wie vorliegend vom BGH- vorgelegt werden.     

Offline courage

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BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #26 am: 03. Mai 2013, 15:03:16 »
Die Instanzgerichte sind gefordert. Prof. Dr. Markert hält Klärung durch den EuGH für unabdingbar.

Prof. Dr. Kurt Markert bringt es in seinen Anmerkungen zum BGH-Urteil vom 23.01.2013, VIII ZR 80/12, ZNER 2013, 152 ff noch einmal präzise auf den juristischen Punkt, warum die eigenwillige ergänzende Vertragsauslegung des BGH und seine "Fristenlösung" wohl kaum mit EU-Verbraucherrecht nach der RL 93/13 in Einklang steht; so ich könnte, würde ich dies allen Instanzgerichten zur Pflichtlektüre auferlegen.

Die Anmerkungen von Prof. Markert decken sich mit meinen Ausführungen in diesem Forum: BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht sowie BGH benötigt Navigationshilfe vom EuGH.

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BEZUG:
 ( http://forum.energienetz.de/index.php/topic,14551.msg100389.html#msg100389 )
Zitat
Beim enreg- Workshop am 06.05.13 in Berlin war zu erfahren, dass der Senat beabsichtige, im Verfahren Az. VIII ZR 162/09 eine Verhandlung noch vor den "Gerichtsferien" anzuberaumen, mithin noch vor August.
Im Zusammenhang mit der Versorgung von Tarifkunden hat der Senat dem EuGH bereits im Mai 2011 die Frage vorgelegt, ob die Regelungen des § 4 AVBGasV bzw. § 5 GasGVV mit dem Transparenzgebot der Erdgasbinnenmarktrichtlinie vereinbar sind (Az. C-359/11).

http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17423.msg95100.html#msg95100

@RR-E-ft, viele Verfahren liegen bei den Gerichten bis zu dieser Entscheidung auf Eis. Gab es da zum Fortgang Informationen?

Offline RR-E-ft

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Auch in dem Verfahren vor dem EuGH Rs. C- 359/11 soll alsbald terminiert werden. Bekanntlich dauert es jedoch einige Monate von einer mündlichen Verhandlung über die Stellungsnahme des Generalanwalts bis zur Verkündung einer Entscheidung.

Offline courage

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BGH-Richterrecht vom 14.03.2012 verstößt gegen EU-Verbraucherrecht
« Antwort #29 am: 02. Januar 2014, 15:16:11 »
EuGH bestätigt erneut hohen Verbraucherschutz

Was deutsche Zivilgerichte bis hin zum BGH bisher nicht zu leisten imstande sind, nämlich den hohen europarechtlich verankerten Verbraucherschutz zu gewährleisten, gelingt dem EuGH in seinem lesenswerten Urteil vom 19.12.2013, C-209/12 erneut mit einer glasklaren Argumentation; so z.B. unter Rn 30:
Zitat
„Demnach kann sich der Versicherer … nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit … nicht nachgekommen ist …“

Das Urteil betrifft zwar Klauseln in einem Lebensversicherungsvertrag, seine Grundaussagen lassen sich jedoch ohne weiteres auf Energieversorgungsverträge mit Endverbrauchern übertragen.

Der EuGH ist den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 11.07.2013 gefolgt, die den Sachverhalt unter Rn 49 präzise auf den Punkt bringt:
Zitat
„Obwohl der Versicherer seine gesetzliche Verpflichtung zur Belehrung des Versicherungsnehmers nicht erfüllt hat, ist bei einer solchen Regelung die Rücktrittsfrist abgelaufen, weil der Versicherungsnehmer (durch Zahlung der fälligen Prämie) seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.“

Bezogen auf die fragwürdige ergänzende Vertragsauslegung des BGH mit seiner für Energieverbraucher nachteilige Fristenlösung (Erfordernis einer weder gesetzlich noch vertraglich begründeten Beanstandung der Jahresabrechnung als rechtewahrende Obliegenheit und Begrenzung der Beanstandung auf eine maximal dreijährige Rückwirkung mit der Folge, dass der vertragliche Anfangspreis entgegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG nicht mehr gelten soll) würde die Generalanwältin wohl folgendermaßen formulieren:

Obwohl der Energieversorger seine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung transparenter und fairer Preisanpassungsklauseln nicht erfüllt hat, sind bei einer solchen Regelung berechtigte Rückforderungsansprüche weitgehend ausgeschlossen, weil der Endverbraucher seine vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Dieses Ergebnis wäre abwegig.

Warum tun sich deutsche Zivilrichter/innen eigentlich so schwer mit der Anwendung des europäischen Verbraucherrechts? Haben sie das denn nicht gelernt?

Fazit:
Die Interessen von Unternehmen sind nicht schutzwürdig, wenn sie gegen europarechtliche Obliegenheiten verstoßen haben. Zu diesen Obliegenheiten gehört insbesondere die Anwendung transparenter und fairer Klauseln in Verträgen mit Endverbrauchern.

 

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