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Autor Thema: BGH, Urt. v. 28.10.15 VIII ZR 13/12 Gas-Tarifkunden nach EuGH- Entscheidung  (Gelesen 32272 mal)

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Offline uwes

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #15 am: 24. September 2015, 22:48:35 »
Wenn das Orakel am 23.09.2015 spricht, dann wird die Welt der Energieversorgung

Gab es eine Entscheidung? Ich konnte nichts finden.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline tangocharly

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #16 am: 25. September 2015, 16:31:49 »
@uwes

Nein, die Urteilsverkündung wurde vertagt (aus dienstlichen Gründen) bis in den November 2015.

Grüße
KW
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline uwes

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #17 am: 28. September 2015, 20:06:34 »
Lieber Kollege,

darf ich angesichts Ihrer detaillierten Kenntnis von den Terminierungen annehmen, dass Sie an diesen Verfahren beteiligt sind?
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline tangocharly

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #18 am: 23. Oktober 2015, 13:29:19 »
Die Verkündung der Entscheidung des 8. Zivilsenats BGH ist auf den 28.10.2015 mitgeteilt worden, im Nachgang zur Verhandlung vom 08.07.2015.

Die Spannung steigt  8)
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline tangocharly

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #19 am: 26. Oktober 2015, 15:09:46 »
Hier die beteiligten Verfahren:
Zitat
In den ersten beiden "Pilotverfahren" der ausgesetzten Rechtsstreitigkeiten steht – nach einer bereits im Juli 2015 erfolgten Verhandlung – nunmehr Verkündungstermin an. Beide Verfahren betreffen die Energieversorgung mit Gas im Tarifkundenverhältnis.

VIII ZR 158/11

LG Düsseldorf - Urteil vom 28. Januar 2009 - 34 O (Kart) 112/08

OLG Düsseldorf - Urteil vom 13. April 2011 - VI-2 U (Kart) 3/09

und

VIII ZR 13/12

LG Dortmund - Urteil vom 20. August 2009 - 13 O 179/08 Kart

OLG Düsseldorf -Urteil vom 21. Dezember 2011 - VI-3 U (Kart) 4/11

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Offline RR-E-ft

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Re: mdl. Vhdl. 08.07.15 VIII ZR 13/12 Tarifkunden nach EuGH
« Antwort #20 am: 28. Oktober 2015, 11:53:38 »
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2015&Sort=3&nr=72653&pos=0&anz=184

Zitat
Nr. 183/2015

Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen

im Bereich der Erdgasversorgung von Tarifkunden (Gasgrundversorgung)

Urteile vom 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12

Der Bundesgerichtshofs hat sich heute in zwei Grundsatzentscheidungen mit der Frage befasst, ob an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Bestehen eines gesetzlichen Preisänderungsrechts der Gasversorgungsunternehmen gegenüber Tarifkunden (Gasgrundversorgung) festgehalten werden kann. Er hat dies verneint, da die entsprechenden Vorschriften des nationalen Rechts nach einem auf Vorlage des Bundesgerichtshofs ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nicht mit den Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie 2003/55/EG vereinbar sind. Die Gasversorgungsunternehmen bleiben jedoch aufgrund einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrages berechtigt, Steigerungen ihrer eigenen (Bezugs-)Kosten an die Tarifkunden weiterzugeben.

Die klagenden Energieversorgungsunternehmen hatten Steigerungen ihrer eigenen Gasbezugskosten zum Anlass genommen, diese durch entsprechende, in den Jahren 2004 bis 2006 vorgenommene Preiserhöhungen an die beklagten Tarifkunden weiterzugeben. Diese widersprachen den Preiserhöhungen und zahlten die Erhöhungsbeträge nicht oder lediglich zu einem geringen Teil. Mit ihren Klagen haben die Gasversorgungsunternehmen die Zahlung des restlichen Entgelts in Höhe von 813,35 € bzw. 1.533,19 € für die von ihnen erbrachten Erdgaslieferungen begehrt.

Die Klagen haben in den Vorinstanzen Erfolg gehabt. Die von den Berufungsgerichten in beiden Verfahren zugelassenen Revisionen der beklagten Gaskunden hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen.

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den klagenden Gasversorgungsunternehmen ein Recht zur Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen zwar nicht (mehr) aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV*, aber aufgrund einer gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Gaslieferungsvertrages der Parteien zusteht.

Der Senat hat - ebenso wie der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs - bisher aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV** entnommen, dass diese Vorschriften den Gasversorgungsunternehmen im Bereich der - hier gegebenen - Versorgung von Tarifkunden ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewähren, so dass den Gasversorgungsunternehmen das Recht zusteht, Preise nach (gerichtlich überprüfbarem) billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu ändern. Der Senat hat allerdings die in Art. 3 Abs. 3 Satz 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG*** enthaltenen Transparenzanforderungen zum Anlass genommen, durch Beschluss vom 18. Mai 2011 (VIII ZR 71/10) dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen, ob die vorgenannten Bestimmungen der Gas-Richtlinie dahin auszulegen sind, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV als Regelung über Preisänderungen den Anforderungen der Richtlinie an das erforderliche Maß an Transparenz genügt.

Der EuGH hat diese Frage durch Urteil vom 23. Oktober 2014 (Rs. C-359/11 und C-400/11 - Schulz und Egbringhoff) verneint und zur Begründung ausgeführt, der Kunde müsse, um die ihm zustehenden Rechte, sich im Falle von Preiserhöhungen vom Liefervertrag zu lösen oder gegen Änderungen der Lieferpreise vorzugehen, in vollem Umfang und tatsächlich nutzen zu können, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden. Deshalb genüge eine nationale Regelung wie die hier in Rede stehende Vorschrift des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV, die nicht gewährleiste, dass einem Haushaltskunden die vorstehend angeführte Information rechtzeitig übermittelt werde, den in der Gas-Richtlinie 2003/55/EG aufgestellten Anforderungen nicht.

Aufgrund dieses für die nationalen Gerichte bindenden Auslegungsergebnisses des EuGH hat der VIII. Zivilsenat - im Einvernehmen mit dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs - entschieden, dass an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV jedenfalls für die Zeit nach Ablauf der bis zum 1. Juli 2004 reichenden Frist zur Umsetzung der Gas-Richtlinie nicht mehr festgehalten werden kann.

Ein den Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie 2003/55/EG entsprechendes gesetzliches Preisänderungsrecht kann nach Auffassung des Senats auch nicht aus einer - von den nationalen Gerichten sonst im Regelfall vorzunehmenden - richtlinienkonformen Auslegung der einschlägigen nationalen Regelungen hergeleitet werden. Denn eine solche Auslegung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ginge hier in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise über den erkennbaren Willen des (nationalen) Gesetz- und Verordnungsgebers hinaus, der die Grenze für eine richtlinienkonforme Auslegung durch das Gericht bildet.

Die in der AVBGasV hinsichtlich der Transparenzanforderungen bestehende Lücke führt allerdings, da die Regelungen der AVBGasV zwingend Bestandteil des Gaslieferungsvertrages der Parteien sind und letztere daher bei Abschluss ihres Tarifkundenvertrages das Bestehen eines gesetzlichen Preisänderungsrechts als gegeben vorausgesetzt haben, auch zu einer von ihnen unbeabsichtigten Unvollständigkeit des Vertrages in einem wesentlichen Punkt. Diese Vertragslücke ist, wie der VIII. Zivilsenat nunmehr entschieden hat, durch eine gebotene ergänzende Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrags der Parteien zu schließen. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung geht es darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der angewendeten Preisänderungsbestimmung jedenfalls unsicher war. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Parteien als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, dass das Gasversorgungsunternehmen berechtigt ist, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Tarifkunden weiterzugeben, und das Gasversorgungsunternehmen verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen.

Ohne eine solche Berechtigung des Gasversorgungsunternehmens, Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV für möglich erachteten Umfang vorzunehmen, aber (Bezugs-)Kostensteigerungen an den Kunden weiterzugeben, bestünde angesichts des kontinuierlichen Anstiegs der Energiepreise bei langfristigen Versorgungsverträgen regelmäßig ein gravierendes, dem Äquivalenzprinzip zuwiderlaufendes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. Dies wäre unbillig und würde dem Kunden einen unverhofften und ungerechtfertigten Gewinn verschaffen. Dies entspräche auch nicht dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen, zumal in Fällen der Grundversorgung - wie hier - die Energieversorgungsunternehmen gesetzlich verpflichtet sind, zu den Allgemeinen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden mit Gas zu versorgen, sie mithin einem Kontrahierungszwang unterliegen und sie zur (ordentlichen) Kündigung des Tarifkundenvertrages (Grundversorgungsvertrages) nur in sehr eingeschränktem Maße berechtigt sind. Die Bedeutung dieser beiden Gesichtspunkte für das wirtschaftliche Interesse des Grundversorgers hat auch der EuGH in seinem oben genannten Urteil vom 23. Oktober 2014 (Rs. C-359/11 und C-400/11) hervorgehoben.

In den beiden heute entschiedenen Fällen haben die Gasversorgungsunternehmen nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen der Berufungsgerichte lediglich Bezugskostensteigerungen weitergegeben, so dass ihren Zahlungsklagen im Ergebnis zu Recht stattgegeben worden ist. Der Senat hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die Beurteilung, ob die Preiserhöhungen des Gasversorgungsunternehmens dessen (Bezugs-)Kostensteigerungen (hinreichend) abbilden, vom Tatrichter auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Schätzungsmöglichkeit nach § 287 Abs. 2 in Verbindung mit § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO**** vorzunehmen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Weitergabe der Kostensenkungen und Kostenerhöhungen nicht tagesgenau erfolgen muss, sondern auf die Kostenentwicklung in einem gewissen Zeitraum abzustellen ist. Die Bemessung dieses Zeitraums obliegt der Beurteilung des Tatrichters nach den Umständen des Einzelfalls. In den meisten Fällen wird das Gaswirtschaftsjahr ein geeigneter Prüfungsmaßstab sein.

Der Senat hat darüber hinaus entschieden, dass für Preiserhöhungen, die über die bloße Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen hinausgehen und der Erzielung eines (zusätzlichen) Gewinns dienen, die Grundsätze der zu den (Norm-)Sonderkundenverträgen entwickelten Rechtsprechung des Senats zu gelten haben, wonach der Kunde sich bei einem langjährigen Energielieferungsverhältnis, wenn er die Preiserhöhung nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat, nicht mehr mit Erfolg gegen die Preiserhöhung wenden kann. Denn es besteht kein sachlicher Grund, den Grundversorger insoweit anders zu behandeln als den Energieversorger im (Norm-)Sonderkundenbereich, der nicht den mit der Grundversorgung verbundenen wirtschaftlichen Erschwernissen ausgesetzt ist.

VIII ZR 158/11

LG Düsseldorf - Urteil vom 28. Januar 2009 - 34 O (Kart) 112/08

OLG Düsseldorf - Urteil vom 13. April 2011 - VI-2 U (Kart) 3/09

und

VIII ZR 13/12

LG Dortmund - Urteil vom 20. August 2009 - 13 O 179/08 Kart

OLG Düsseldorf - Urteil vom 21. Dezember 2011 - VI-3 U (Kart) 4/11

Karlsruhe, den 28. Oktober 2015

* § 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von
Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV; in Kraft bis zum 7. November 2006)

(1) 1Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. […]

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

[…]

** § 5 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006 (Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV; in Kraft ab dem 8. November 2006)

[…]

(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

[…]

§ 5 Abs. 2 GasGVV (ab dem 30. Oktober 2014 geltende Fassung)

[…]

(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen; hierbei hat er den Umfang, den Anlass und die Voraussetzungen der Änderung sowie den Hinweis auf die Rechte des Kunden nach Absatz 3 und die Angaben nach § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 7 in übersichtlicher Form anzugeben.

[…]

*** Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (in Kraft vom 4. August 2003 bis zum 2. März 2011)

Art. 3 - Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden

[…]

(3) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. 2In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.

[…]

Anhang A - Maßnahmen zum Schutz der Kunden

Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 93/13/EG des Rates, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden

[…]

b) rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;

c) transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Stan-dardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

[…]

**** § 287 ZPO - Schadensermittlung; Höhe der Forderung

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. […]

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

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Interssant ist noch einmal ein Rückblick auf den Aussetzungsbeschluss in der Sache:

BGH, B. v. 17.07.12 VIII ZR 13/12 Aussetzung bei Tarifkunden


Zitat
Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, kann die Frage der Europarechtskonformität der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht im Hinblick auf die vom Berufungsgericht erwogene ergänzende Vertragsauslegung offenbleiben.

Eine ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen. Es geht daher darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der angewendeten Preisänderungsbestimmung jedenfalls unsicher war (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2012 VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 Rn. 24 mwN). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass es bei unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht kommt, an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsbestimmung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2012 VIII ZR 113/11, aaO). Diese Erwägungen lassen sich jedenfalls im Grundsatz auch auf die Fälle übertragen, in denen wie hier die Europarechtskonformität von Verordnungsbestimmungen, nämlich der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 GasGVV, in Frage steht.

Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2012 VIII ZR 236/10, juris Rn. 7 mwN). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.

Auf die genaue Begründung im Urteilstext dazu, warum ein lediglich der Billigkeitskontrolle unterliegendes einseitiges Bestimmungsrecht im Wege der ergänzenden an die Stelle der europarechtlich unzulässigen gesetzlichen Regelung treten soll, darf man deshalb gespannt sein. Schließlich enthielt die europrechtlich unzulässige gesetzliche Regelung nach bisheriger Auffassung des Senats nichts anderes als ein ebensolches lediglich an den Maßstab der Billigkeit gebundenes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB.  Die Entscheidung des EuGH hatte demnach auf den Ausgang der Verfahren tatsächlich keinen Einfluss.

Der BGH hat im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung eine  Klausel in alle betroffenen Verträge implementiert, die ihrerseits aus den vom EuGH genannten Gründen gegen EU- Recht verstößt und deshalb jedenfalls auch als AGB unwirksam ist.

Nicht ersichtlich ist, warum sich ein betroffener Kunde gerade mit einer solchen  Klausel eiverstanden erklären sollte, die ihn gegenüber verbraucherschützenden EU- Normen schlechtertsellt, warum er insoweit auf ihn schützendes EU- Recht verzichten sollte. Mit Rücksicht auf das geltende EU- Recht hätte der betroffene Kunde wohl redlicherweise nur in eine solche Klausel eingewilligt, die diesem Rechnung trägt, so dass der Kunde, um die ihm zustehenden Rechte, sich im Falle von Preiserhöhungen vom Liefervertrag zu lösen oder gegen Änderungen der Lieferpreise vorzugehen, in vollem Umfang und tatsächlich nutzen zu können, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden müsse (siehe auch OLG Düsselsdorf, Urt. v. 13.06.12 Az. VI- 2 U (Kart) 10/11;http://forum.energienetz.de/index.php/topic,17273.msg93960.html#msg93960)

Das OLG Düsseldorf hatte aaO. entschieden:

Zitat
Aufgrund dessen sind die Richtlinienbestimmungen und die darin an Preisanpassungen normierten Anforderungen im Wege richtlinienkonformer Auslegung in die genannten Vorschriften der AVBGasV und der GasGVV hineinzulesen und genauso bei der ergänzenden Vertragsauslegung zu berücksichtigen. Der Verordnungswortlaut steht einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegen. Gegebenenfalls widerstreitende Motive des nationalen Gesetzgebers und der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sind unbeachtlich. Das Richtlinienrecht der Union geht nationalen Rechtsvorschriften und deren Interpretation vor.

Nach der Entscheidung muss sich der betroffene Kunde nicht mehr kurzfristig in angemessener Frist nach der einseitigen Preisänderung auf deren Unbilligkeit berufen, sondern hat - solange die gesetzliche Regelung gegen Europarecht verstieß und deshalb unwirksam war - dafür drei Jahre Zeit, beginnend ab dem Zeitpunkt, zu dem der erhöhte Preis erstmals mit Verbrauchsabrechnung zur Abrechnunmg gestellt wurde, der betroffene Kunde die entsprechende Verbrauchsabrechnung erhalten hat.

 
« Letzte Änderung: 28. Oktober 2015, 19:28:13 von RR-E-ft »

Offline energienetz

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BGH, Urt. v. 28.10.15 VIII ZR 13/12 Gas-Tarifkunden nach EuGH- Entscheidung
« Antwort #21 am: 29. Oktober 2015, 10:10:44 »
Prof. Dr. Kurt Markert


Kurzstellungnahme zu den BGH-Urteilen vom 28.10.2015, VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12

Nach dem EuGH-Urteil vom 23.10.2014, C – 359/11 und C – 400/11, erfüllt ein durch eine nationale Rechtsnorm den Strom- und Gasversorgern eingeräumtes einseitiges Preisänderungsrecht für unter die allgemeine Versorgungspflicht fallende Verbraucherverträge die Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas von 2003 nur dann, wenn es die Verpflichtung des Versorgers einschließt, erstens die Verbraucher vor Inkrafttreten der jeweiligen Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang zu informieren und zwar, zweitens,  so rechtzeitig vorher, dass die Verbraucher in voller Sachkenntnis über eine mögliche Lösung vom Vertrag oder ein Vorgehen gegen die Änderung entscheiden können. Dass diese beiden Anforderungen nicht gelten sollen, soweit sich das Änderungsrecht des Versorgers darauf beschränkt, dass lediglich Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, falls diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an die Kunden weitergegeben werden, lässt sich aus dem Urteil des EuGH nicht entnehmen. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat aber im Gegensatz dazu in seinen beiden Urteilen vom 28.10.15 eine solche Ausnahme durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschaffen. Dies widerspricht jedoch dem Urteil des EuGH, denn auch dieses begrenzte Preisänderungsrecht des Versorgers muss die Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien in der Auslegung des EuGH-Urteils vom 23.10.2014 erfüllen.

In den beiden vom BGH entschiedenen Fällen ging es hauptsächlich um einseitige Gastarifänderungen, die auf das bisher vom Senat aus § 4 Abs. 2 und 3 der bis November 2006 geltenden AVBGasV gefolgerte (gesetzliche) Preisanpassungsrecht gestützt waren. Dieses Recht erfüllte aber nicht einmal die zweite vom EuGH in seinem Urteil genannte Anforderung der rechtzeitigen Vorabinformation der Kunden über geplante Änderungen, denn nach § 4 Abs. 2 AVBGasV wurden diese sofort mit der öffentlichen Bekanntgabe wirksam. Aber auch die erste Anforderung, die Vorabinformation über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der jeweiligen Änderung, wurde durch diese Vorschriften nicht erfüllt. Letzteres gilt auch für die während der Geltungsdauer der an die Stelle der AVBGasV getretenen GasGVV erfolgten Preiserhöhungen. Denn nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GasGVV müssen beabsichtigte Preisänderungen zwar sechs Wochen vorher zum jeweiligen Monatsbeginn öffentlich bekanntgegeben werden. Aber auch hier beinhaltet das aus der Vorschrift vom BGH gefolgerte (gesetzliche) Preisanpassungsrecht keine Verpflichtung des Versorgers zur Information über Anlass, Voraussetzungen und Umfang der jeweils beabsichtigten Erhöhung. Richtigerweise hat daher der Senat daher mit seinen beiden Urteilen vom 28.10.2015 seine bisherige Rechtsprechung, dass sich aus diesen Vorschriften ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Versorgers ergibt, wegen Unvereinbarkeit mit den europarechtlichen Transparenzanforderungen aufgegeben, die sich aus dem Wegfall dieses Rechts entstehende Vertragslücke jedoch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch ein Recht zur Kostenweitergabe ausgefüllt.

Damit hat aber der Senat schon seinen eigenen Entscheidungen widersprochen, die Verfahren in den beiden entschiedenen Fällen im Hinblick auf seine Vorlagen an den EuGH zunächst mit der Begründung auszusetzen, für die von den Versorgern jeweils erhobenen Nachzahlungsforderungen sei die Frage, ob das gesetzliche Preisbestimmungsrecht, auf das die streitigen einseitigen Erhöhungen gestützt waren, mit den Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien vereinbar ist, entscheidungserheblich. Nach den beiden Urteilen vom 28.10.15 ist dies aber gerade nicht der Fall. Denn danach besteht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgers auch unabhängig von den europarechtlichen Transparenzanforderungen, soweit mit den Änderungen nur eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen des Versorgers an die Kunden weitergegeben werden. Dies hatten beide Vorinstanzen nach Ansicht des Senats verbindlich festgestellt.

Die neue Variante der ergänzenden Vertragsauslegung in den Urteilen vom 28.10.2015 widerspricht auch der Rechtsprechung des Senats zur ergänzenden Vertragsauslegung, soweit in Sonderkundenverträgen formularmäßige Preisanpassungsklauseln nach § 307 Abs. 1 BGB z. B. wegen Verstoßes gegen die europarechtliche Transparenzanforderungen unwirksam (Urteil vom 31.7.2013 – RWE Vertrieb). Denn hierzu hat der Senat gerade nicht, wie in den die Tarifkunden- und Grundversorgung betreffenden Urteilen vom 28.10.2015, mittels ergänzender Vertragsauslegung entschieden, dass die streitigen Preiserhöhungen, soweit mit ihnen lediglich (Bezugs-)Kostensteigerungen an die Kunden weitergegeben werden, auch unabhängig von der Erfüllung der europarechtlichen Transparenzanforderungen wirksam sind, sondern die ergänzende Vertragsauslegung darauf beschränkt, dass vom Kunden nicht innerhalb von drei Jahren nach Rechnungsstellung beanstandete Preiserhöhungen für ihn verbindlich werden (Fristenlösung, „t-3“-Rechtsprechung). Diese unterschiedliche Behandlung beider Vertragstypen in der Frage der ergänzenden Vertragsauslegung ist nicht nachvollziehbar, zumal nach den Urteilen vom 28.10.2015 für die über die bloße Kostenweitergabe hinausgehenden Erhöhungsbeträge auch noch die Fristenlösung (“t-3“-Rechtssprechung) in der für die Sonderkundenverträge geltenden Ausgestaltung gilt. Die Folge ist eine weitere Schlechterbehandlung der Tarif- und Grundversorgungskunden im Vergleich zu den Sonderkunden, obwohl sich erstere typischerweise in einer schwächeren Position gegenüber den Versorgern befinden und deshalb stärker schutzbedürftig sind.

Gegen die beiden BGH-Urteile vom 28.10.2015 gibt es kein Rechtsmittel. Es ist damit zu rechnen, dass der Senat auch die noch verbleibenden 11 weiteren Fälle, in denen er das Verfahren ebenfalls im Hinblick auf seine beiden Vorlagen an den EuGH ausgesetzt hatte, nach dem Muster dieser Urteile entscheiden wird, d. h. mittels des gleichen „Kunstgriffs“, an die Stelle des aus den AVBGasV und GasGVV gefolgerten und europarechtlich nicht mehr haltbaren gesetzlichen Preisänderungsrechts mittels ergänzender Vertragsauslegung ein auf die Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen begrenztes Änderungsrecht zu setzen. Die davon benachteiligten Verbraucher können aber in diesen Fällen den Senat auffordern, wegen der Zweifel an der Vereinbarkeit seiner in den Urteilen vom 28.10.2015 vertretenen Rechtsauffassung mit den Transparenzanforderungen der EU-Binnenmarktrichtlinien in der Auslegung des EuGH-Urteils vom 23.10.2015 die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht ist der BGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bei solchen Zweifeln zur Vorlage verpflichtet. Weigerte er sich, dieser Aufforderung zu folgen, entzöge er die betroffenen Verbraucher unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG ihrem gesetzlichen Richter, was mit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angefochten werden könnte.
« Letzte Änderung: 31. Oktober 2015, 12:07:12 von energienetz »

Offline uwes

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Die erste Reaktion, die mir beim Lesen der PM einfiel war die:

Der VIII. Zivilrechtserfindungssenat urteilt ein ohnehin bereits als unwirksam und intransparent anzusehendes Preisänderungsrecht aus, dessen Inhalt in der Anwendung des als nicht rechtskonform beurteilten Gesetzes (AVBGasV i.V.m. §§ 2,1 ENWG 2005) in Form der Berechtigung zur Weitergabe erhöhter Bezugskosten besteht. Danach durften die Versorger weiterhin Preiserhöhungen vornehmen, wenn sie denn ihre Bezugskosten entsprechend erhöht darstellen können und die Verbraucher müssen die Zeitpunkte erahnen, wann Preissenkungen erforderlich gewesen wären, wenn Ihnen die Versorger nicht einen Brief schicken und ihnen die Kostensenkungen mitteilen.

Was ist an dieser Regelung "transparent"? Wie ist es möglich, dass ein deutsches Bundesgericht eine unwirksame Preisänderungsregelung gegen eine identische "im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung" anordnet?

Nennt man das "Rechtsfortbildung" oder brauchen wir für die Richter des VIII. Zivilsenats "Richterfortbildung"?

« Letzte Änderung: 03. November 2015, 20:29:39 von uwes »
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline RR-E-ft

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Offline tangocharly

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Nachdem § 4 Abs. 2 AVB nicht zur Preisänderung heran gezogen werden kann, hat der 8.ZS-BGH des "Trudels Kern" mit einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) gefunden.
Da es sich hierbei um bindende Normen handelt, greifen die Gas-/Stromrichtlinien auch hierauf ein. Diese Normen sind nicht auszulegen. Vielmehr zwingen sie zur Auslegung, in diesem Fall von Willenserklärungen und Verträgen nach Treu und Glauben.
In vorstehender Entscheidung (ebenso in der Parallelsache vom 28.10.2015) hat der BGH eine planwidrige Regelungslücke erkannt (weil § 4 Abs. 2 AVB zur Preisanpassung nicht europakonform ausgelegt werden können) und ein dadurch abgehängtes Interesse, d.h. der Versorger an Kostenweitergabe.
Bei seinem Rückgriff auf die ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) spielen aber -nach Ansicht des 8.ZS-BGH- die Transparenzanforderungen der Richtlinien keine Rolle. Wenn man aber die Urteilsgründe liest, dann reibt man sich bei Tz. 43 f. die Augen:
Zitat
43
Art. 20 Abs. 2 GG, der dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck
verleiht, verwehrt es den Gerichten, Befugnisse zu beanspruchen, die die Verfassung dem Gesetzgeber übertragen hat, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Der Rechtsfortbildung sind deshalb mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) Grenzen gesetzt.

44
 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
gleichermaßen und unabhängig davon, ob das anzuwendende einfache nationale Recht der Umsetzung einer Richtlinie der Europäischen Union dient oder nicht. Dem steht nicht entgegen, dass der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Grundsatz der Unionstreue alle mitgliedstaatlichen Stellen, also auch Gerichte, dazu verpflichtet, diejenige Auslegung des nationalen Rechts zu wählen, die
dem Inhalt einer EU-Richtlinie in der ihr vom Gerichtshof gegebenen Auslegung
entspricht. Denn die unionsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung
verpflichtet das nationale Gericht zwar, durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden ein richtlinienkonformes Ergebnis zu erzielen. Allerdings findet die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege zugleich ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, können nur innerstaatliche Gerichte beurteilen.
Sowohl die Identifizierung als auch die Wahrnehmung methodischer Spielräume des nationalen Rechts obliegt - auch bei durch Richtlinien determiniertem nationalem Recht - den nationalen Stellen in den Grenzen des Verfassungsrechts (BVerfG, NJW 2012, aaO mwN).

45
 (3) Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass eine richtlinienkonforme Auslegung - ebenso wie die verfassungskonforme Auslegung - voraussetzt, dass durch eine solche Auslegung der erkennbare Wille des Gesetz- oder Verordnungsgebers nicht verändert wird, sondern die Auslegung seinem Willen (noch) entspricht (vgl. Senatsurteile vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, aaO Rn. 28; vom 17. Oktober 2012 - VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - II ZB 7/11, NJW 2013, 2674 Rn. 42; vgl. auch Senatsurteil vom 13. April 2011 - VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 Rn. 47; BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - I ZR 130/13, aaO; ebenso BAGE 82, 211, 225 f.; 106, 252, 261; jeweils mwN).
Aha, muss der Bürger jetzt feststellen, wenn die ergänzende Vertragsauslegung (s.o.) bindend, d.h. gesetzlich, nur nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgerichtet werden muß, dann entspricht es nicht dem Willen des (nationalen) Gesetzgebers, eine ergänzende Vertragsauslegung an den europarechtlichen Vorgaben der Richtlinien auszurichten.
Warum ? Weil dann, wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, dann hätte er dies in die Norm (§ 157 BGB) ja auch hinein geschrieben. Hat er aber nicht. Er hat es dort nicht einmal angedeutet. Oder aber, apropos angedeutet, steckt denn vielleicht in dem Grundsatz von Treu und Glauben drin, dass der Bürger darauf vertrauen darf, dass sein Gesetzgeber wenigstens willens und bereit ist, d.h. grundsätzlich, europäische Richtlinien unionskonform umzusetzen. Dann könnte man ja schon auf die Idee kommen, dass der Gesetzgeber gemeint hat, dass in dem dicken großen Sack der Grundsätze von Treu und Glauben auch ein Päckchen europäisches Transparenzgebot steckt.
Leider hat der 8. Zs-BGH dies so nicht gesehen und stand sogleich vor der Wand der Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung. Er hätte ja vielleicht schon das europarechtliche Transparenzgebot in seine "ergänzende Vertragsauslegung" einfließen lassen, wenn der Senat doch eben nicht, weil die bindenden Normen schweigen (§ 157 BGB), so seine Zweifel  hatte. Sonst hätte sich der 8.ZS-BGH am Ende noch schelten lassen müssen (d.h. von den Versorgern), dass er sich zum Gesetzgeberstellvertreter aufgeschwungen hätte.
Mann oh Mann, war das eine schwere Aufgabe für den BGH, diesen Sack der Grundsätze von Treu und Glauben zu heben. Nicht umsonst hat er dazu, für seine Begründung immerhin -44- Seiten gebraucht   :'(
« Letzte Änderung: 05. November 2015, 17:56:35 von tangocharly »
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline DieAdmin

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Kommentar Prof. Markert

Zitat
Fazit

Die europarechtlichen Transparenzerfordernisse sind für die in der deutschen Strom- und Gasversorgung praktizierten Preisanpassungsrechte der Versorger gegenüber Verbrauchern im Sonderkundenbereich durch das EuGH-Urteil vom 21.3.2013 und für die Tarifkunden- und Grundversorgung durch das EuGH-Urteil vom 23.10.2014 mittels Auslegung der einschlägigen EU-Richtlinien präzisiert worden. Diese Vorgaben hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit seinem Urteil vom 31.7.2013 im Fall RWE Vertrieb für den Sonderkundenbereich und mit seinen Urteilen vom 28.10.2015 für die Tarifkunden und Grundversorgung zwar verbal umgesetzt, indem er seine bis dahin angewendete Leitbildrechtsprechung und das aus den genannten AVBV- und GVV-Vorschriften gefolgerte gesetzliche Anpassungsrecht rückwirkend zum Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist für die Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas am 1.7.2004 kassierte. Tatsächlich hat er aber im Ergebnis mit der Zauberformel der ergänzenden Vertragsauslegung die Vorgaben des EuGH für die Sonderkundenverträge durch seine Fristenlösung teilweise und für die Tarifkunden- und Grundversorgung durch das neu geschaffene vertragliche Anpassungsrecht sogar gänzlich unterlaufen. Da angesichts seiner insoweit durch eine größere Zahl einschlägiger Urteile inzwischen bereits als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung nicht zu erwarten ist, dass er selbst wegen der daran auf der Hand liegenden Zweifel an der Europarechtskonformität seiner Verpflichtung aus Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage an den EuGH nachkommen wird, verbleibt zur Lösung des Konflikts mit dem Europarecht nur der in der Sache VIII ZR 13/12 bereits beschrittene Weg der Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und außerdem die Hoffnung, dass sich ein Instanzgericht bereit findet, dem Beispiel des OLG Oldenburg von 2010 zu folgen und von seinem Recht nach Art. 267 Abs. 2 AEUV Gebrauch macht. seinerseits den EuGH anzurufen. Der Streit über die Europarechtskonformität der vom VIII. Zivilsenat des BGH kreierten ergänzenden Vertragsauslegung für das Preisanpassungsrecht der deutschen Strom- und Gasversorger ist folglich noch nicht beendet.

Offline energienetz

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Professor Dr. Karl Riesenhuber kommentiert das BGH-Urteil äußerst kritisch in LMK 2016, Beck-Online. Zitat aus seinem Kommentar:

(...) Ein Preisanpassungsrecht begründet das Gericht aber, viertens, im Wege der „ergänzenden Vertragsauslegung“ (Rn. 66-88). Infolge der EuGH-Entscheidung käme § 4 I und II AVBGasV „nicht (mehr) als Rechtsgrundlage eines Preisänderungsrechts des Gasversorgers in Betracht“. Da die AVBGasV Bestandteil des Vertrags der Parteien sind, führe die „Verordnungslücke“ zugleich zu einer „unbeabsichtigten Unvollständigkeit des Vertrags in einem wesentlichen Punkt“. Diese sei nach dem „mutmaßlichen Parteiwillen“ und nach Treu und Glauben durch ein Preisanpassungsrecht wegen Bezugspreisänderungen zu schließen. Ein entsprechendes Interesse des Versorgungsunternehmens sei sowohl vom nationalen als auch vom Unionsgesetzgeber anerkannt. Das Preisanpassungsrecht entspreche der Zielsetzung des Energiewirtschaftsrechts der europäischen Union und des nationalen Energiewirtschaftsrechts.

Das Ergebnis der Entscheidung leuchtet ein und die Begründung für die ergänzende Vertragsauslegung entspricht einer sorgsamen Interessenabwägung. Die Begründung leidet indes an zwei inneren Widersprüchen. Erstens verkennt der Senat, dass es ein Akt der Auslegung oder Rechtsfortbildung ist, an dem bisher anerkannten Preisänderungsrecht des § 4 I und II AVBGasV nicht mehr festzuhalten und versäumt daher zu prüfen, ob diese richtlinienkonformen Rechtsfindung zulässig ist. Und zweitens begründet er unter dem Mantel der „ergänzenden Vertragsauslegung“, was er sich zunächst scheinbar versagt. Zudem hat der Senat nicht reflektiert, was die Richtlinienvorgaben für eine in den Vertrag inkorporierte Gesetzesvorschrift bedeuten.

Über das bisherige Preisänderungsrecht, das der Senat (in ständiger Rechtsprechung!) § 4 I und II AVBGasV im Wege der Auslegung entnommen hat, setzt er sich jetzt mit zwei lapidaren Sätzen und ohne jede Begründung hinweg: Daran könne nach der Entscheidung des EuGH „nicht mehr festgehalten werden“. Was hier methodisch passiert, bleibt völlig unklar. Möglicherweise meint der Senat, hier frei zu sein, da er es war, der das Preisänderungsrecht dem Gesetz (im Wege der Auslegung) „entnommen“ (Rn.21) hat. Indes ist die Bindung an das Gesetz nicht deswegen schwächer, weil ein Rechtssatz erst im Wege der Auslegung (oder Rechtsfortbildung) begründet ist. Wenn der Senat von dieser Auslegung nun abrücken möchte, so ist das ebenfalls als Auslegung oder Rechtsfortbildung begründungsbedürftig. Es liegt auf der Hand, dass diese „Begründung des Gegenteils“ schwer fällt, zumal der Senat später – sub specie „ergänzende Vertragsauslegung“ – auf die auch nach dem Gesetzgeberwillen fundamentale Bedeutung des Preisanpassungsrechts hinweist.

Unklar und unbegründet ist aber auch, inwieweit die Richtlinie überhaupt eine Korrektur erfordert. Der Senat weist (im Zusammenhang mit der „ergänzenden Vertragsauslegung“) selbst darauf hin, dass ein Preisanpassungsrecht von der Zielsetzung des deutschen und des europäischen Energiewirtschaftsrecht her geboten ist (Rn. 79). Und der EuGH hat nicht das Preisanpassungsrecht an sich, sondern nur den Mangel an Transparenz geprüft. Auch wenn das eine mit dem anderen verbunden ist, ist unter diesen Umständen doch nicht eindeutig klar, welche Folgerungen aus der Unvereinbarkeit des Preisanpassungsrechts („ohne Transparenzgebot“) mit den Richtlinienvorgaben zu ziehen sind.

(....)


Die „ergänzende Vertragsauslegung“, mit der der Senat dann doch ein Preisanpassungsrecht begründet, ist seit langem umstritten (dazu zuletzt und überzeugend Neuner, FS Canaris, 2007, 918ff.). Die Entscheidung des BGH bestätigt die Kritik an dem Begründungstopos besonders nachdrücklich. Wer „ergänzt“, legt nicht aus, sondern unter. Der „mutmaßliche Parteiwille“ ist gerade in der vorliegenden Entscheidung ein allzu fadenscheiniges Mäntelchen. Das wird besonders deutlich, wenn sich der Senat zur Begründung auf Erwägungen des deutschen und des Unionsgesetzgebers beruft und nachgerade volkswirtschaftliche Erwägungen anstellt. Natürlich leuchtet es ein, dass ein System der Energiewirtschaft nur dann stimmig funktionieren kann, wenn der Versorgungszwang mit einem Preisanpassungsrecht kombiniert wird. Vertragspartner brauchen sich aber um das Wirtschaftsystem nicht zu kümmern (vgl. Auch Neuner, FS Canaris, 914 f.), ebensowenig um die Tragfähigkeit des Geschäftsplans ihres Partners. Es ficht den einzelnen Vertrag nicht an, wenn die Summe aller Verträge dazu führt, dass der Partner insolvent wird. Jeder darf (in den Grenzen der guten Sitten) „das Letzte“ für sich herausschlagen. Wenn man den Parteien im Übrigen wirklich die Verinnerlichung der (auch europäischen) Energiepolitik andichtet, dann könnte diese doch nicht „halbseitig“ erfolgen, nämlich nur im Hinblick auf das Preisanpassungsrecht und nicht auch im Hinblick auf die damit verbundene verbraucherschützende Transparenz, die Teil des Gesamtpakets ist.

Ist die Ergänzung aber nicht auf den Parteiwillen zurückzuführen, so kann es sich dabei nur um ein Geschöpf des Gerichts handeln – eben um richterliche Rechtsfortbildung. Sofern es dafür keine spezifische Grundlage gibt, kann sie nur auf § 242 BGB gestützt werden (auf den sich der BGH ja letztlich auch beruft). Damit erweist sich aber, dass der BGH der selbst gestellten Falle nicht entweichen kann: Wenn man – auch bei Erwägung der übersehenen Frage – dabei bleibt, dass das Preisanpassungsrecht nach § 4 Abs. I und II AVBGasV nach der EuGH-Entscheidung richtlinienkonform zu derogieren ist, dann kann man es nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung (hier kaschiert als „ergänzende Vertragsauslegung“) sogleich wieder begründen.

Neuner, FS Canaris, 916 ff. hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die korrekte Verortung der Vertragsergänzung als Rechtsfortbildung (oder im Einzelfall auch als „echte“ Vertragsauslegung) nicht zuletzt mit Blick auf den Rechtsschutz – im Instanzenzug und gegen Grundrechtseingriffe – von Bedeutung ist. Hier sehen wir, dass dem eine weitere, europarechtliche Dimension hinzuzufügen ist. Wenn es im Einzelfall um Vertragsauslegung geht (was hier ersichtlich nicht der Fall ist), kommen die Richtliniengebote grundsätzlich nicht zum Tragen; es gibt keine horizontale Direktwirkung. Geht es aber, wie bei uns, um eine Vertragsergänzung, so ist die Rechtsprechung gehalten, die Richtliniengebote mit ihrem Handwerkszeug zu verwirklichen.

Immerhin anzudeuten ist, daran anschließend, noch ein weiterer Gedanke. Wenn Vertragsparteien eine Rechtsvorschrift in ihren Vertrag einbeziehen, die sich nachträglich als europarechtswidrig erweist, so ist zu prüfen, was genau mit der Einbeziehung gewollt war (§§ 133, 157 BGB). Ging es den Parteien um die Regelung als Gesetz (so wohl regelmäßig bei einer dynamischen Verweisung) oder um ihren sachlichen Gehalt (so wohl regelmäßig bei einer statischen Verweisung). Nur im ersten Fall kann die Unwirksamkeit des Gesetzes auch zu einer Vertragslücke führen. Und selbst das ist nicht zwingend. Jedenfalls kann man nicht ohne weiteres annehmen, dass die Vertragsparteien mit der Norm auch das gesamte darin enthaltene genetische Programm, die verfassungs- und unionsrechtlichen Voraussetzungen, mit aufnehmen wollten. Wiederum illustriert der vorliegende Fall die Problematik, da der BGH (sogar unter Berufung auf den „mutmaßlichen Parteiwillen“!) davon ausgeht, dass die Parteien just das wollten, was europarechtlich nicht geht, nämlich ein Preisanpassungsrecht ohne Transparenzgebot.

3. Praktische Folgen

Für uns standen Methodenfragen und nicht die praktischen Folgen im Vordergrund. Im (vielleicht auch gewünschten, rechtspolitisch durchaus überzeugenden) Ergebnis bleicht es (im vorliegenden Fall) bei dem unionsrechtswidrigen Preisanpassungsrecht ohne Beachtung der richtliniendeterminierten Transparenzanforderungen. Die Begründung überzeugt indes nicht. Die Derogation des vorbestehenden Preisanpassungsrechts wäre näher zu erläutern und möglicherweise abzulehnen gewesen. Und auch die vorgebliche „ergänzende Vertragsauslegung“ erweist sich als Rechtsfortbildung und hätte daher die Richtliniengebote berücksichtigen müssen.

Professor Dr. Karl Riesenhuber, M.C.J., ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handels-und Wirtschaftsrecht an der Ruhr-Universität Bochum und Richter am OLG Hamm.

 

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