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Autor Thema: BGH, Urt.v. 9.12.15 VIII ZR 236/12 Preisänderg. Grundvers. erg. Vertragsauslg.  (Gelesen 7810 mal)

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Offline RR-E-ft

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Mit BGH, Urt.v. 9.12.15 Az. VIII ZR 236/12 wurde eine weitere Entscheidung zum Preisänderungsrecht in der Grundversorgung im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung veröffentlicht:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=1&nr=73650&pos=35&anz=527


Die Entscheidung gründet auch darauf, dass in den Instanzen nicht hinreichend dazu vorgetragen sei, dass der Grundversorger in besonderer Weise mit  Rechten und Pflichten ausgestattet wurde, eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt und deshalb als Teil des staatlichen Handelns angesehen werden kann.

Die Sache wurde zur Neuverhandlung an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen.
« Letzte Änderung: 12. Februar 2016, 13:29:15 von RR-E-ft »

Offline tangocharly

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Zitat
21
 b) Ebenso wenig liegen die in den Senatsurteilen vom 28. Oktober 2015 (VIII ZR 158/11, aaO Rn. 63 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 65 ff.; jeweils mwN) näher dargestellten Voraussetzungen vor, unter denen eine unmittelbare Anwendung der Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie auf die zwischen den Parteien bestehende Lieferbeziehung in Betracht kommt. Denn ungeachtet der Frage, ob die Transparenzanforderungen der Gas-Richtlinie die für eine unmittelbare Anwendung erforderliche inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit aufweisen, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass es sich bei der Klägerin um eine in der dafür erforderlichen Weise dem Staat zuzurechnende Organisation oder Einrichtung handelt, insbesondere dass die Klägerin bei der Erbringung ihrer Versorgungsleistungen mit (besonderen) Rechten und Pflichten versehen sein sollte, die über diejenigen hinausgehen, welche sich aus den ansonsten auf diesem Gebiet für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben (vgl. EuGH, Urteile vom 12. Juli 1990 - C-188/89, Slg. 1990, I-3313 Rn. 17 ff. - Foster u.a.; vom 4. Dezember 1997 - C-253/96 bis C-258/96, Slg. 1997, I-6907 Rn. 46 f.- Kampelmann u.a.; vom 5. Februar 2004 - C-157/02, Slg. 2004, I-1515 Rn. 24- Rieser Internationale Transporte; vom 24. Januar 2012 - C-282/10, NJW 2012, 509 Rn. 39 - Dominguez; jeweils mwN). Übergangenen Tatsachenvortrag zeigt die Revisionserwiderung insoweit nicht auf.

Auch schön und die Denkweise des Senats entlarvend:
Zitat
23
 Der Klägerin steht somit infolge ergänzender Vertragsauslegung des
Gaslieferungsvertrags der Parteien ein Preisänderungsrecht, dessen wirksame
Ausübung nicht an die Unterrichtung der Beklagten über ihr Kündigungsrecht gebunden ist, in dem vorstehend beschriebenen Umfang zu, so dass der berechtigterweise erhöhte Preis zum vereinbarten Preis wird. Ausgangspunkt dafür ist der vor dem 1. Januar 2005 geltende und zuletzt am 3. Dezember 2003 von 4,09 Ct/kWh auf 4,35 Ct/kWh erhöhte Arbeitspreis. Denn zuvor erfolgte Preisanpassungen haben die Beklagte nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts nicht in Frage gestellt (vgl.
Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 84, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 86). Von dem Preisänderungsrecht allerdings nicht erfasst sind Preiserhöhungen,  die über die bloße Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen hinausgehen und der Erzielung eines (zusätzlichen) Gewinns dienen (Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 85, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 87; jeweils mwN). Hierzu hat das Berufungsgericht - nach seinem Standpunkt folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
« Letzte Änderung: 13. Februar 2016, 14:45:45 von tangocharly »
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Offline tangocharly

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Der Tenor der 4.Kammer des Gerichtshof RS C-359/11 lautet:
Zitat
Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die den Inhalt von unter die allgemeine Versorgungspflicht fallenden Verbraucherverträgen über Strom- und Gaslieferungen bestimmt und die Möglichkeit vorsieht, den Tarif dieser Lieferungen zu ändern, aber nicht gewährleistet, dass die Verbraucher rechtzeitig vor Inkrafttreten dieser Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert werden.
Die Vorlagefragen des 8.ZS-BGH waren aber inhaltlich genau formuliert (siehe Tz. 35), nämlich
Zitat
[...] dass das Stromversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
Der 8.ZS-BGH ist offensichtlich der Ansicht, dass seine Frage vom Gerichtshof in dem jetzt geäußerten Sinne entschieden wurde - d.h. kein Hinweis auf ein bestehendes Kündigungsrecht.
(In der Anlage A zu Art . 3 der RiLi ist ja nicht von einem "Kündigungsrecht" sondern von einem "Rücktrittsrecht" die Rede).

Also doch Glasperlenspiel - keine Antwort ist auch eine Antwort.
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Offline tangocharly

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Der BGH hatte in seiner Vorlagefrage nach der Auslegung nationaler Bestimmungen gefragt, welche mit dem Transparenzgebot der RiLi konkordieren müssen und nicht nur nach den Bestimmungen der AVB /GVV zur Preisanpassung.

Der EuGH hat, wie eingangs ersichtlich, diese Frage auch beantwortet, d.h. nicht nur auf die Bestimmungen der AVB/GVV beschränkt.

In seiner Anmerkung zum Beschluss des BGH  v. 29.06.2011 - VIII ZR 211/10 hatte daher Prof. Markert die Problemlage bereits erkannt (vorher gesehen) und beschrieben, welche sich aus diesem Spruch des EuGH für die künftige Rechtsanwendung ergibt:
Zitat
2. Wie schon in der Vorlage vom 18. Mai 2011 beschränkt sich
hier die Formulierung der Vorlagefrage nicht auf die Verordnungsvorschriften, aus denen der Senat das (gesetzliche) Preisänderungsrecht der Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden – hier § 4 Abs. 1 und 2 AVBEltV bzw. § 5 Abs. 2 StromGVV – folgert, sondern erstreckt sich generell auf jede „nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Stromlieferungsverträgen mit Haushaltskunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden).“ Die dem EuGH vorgelegte Auslegungsfrage würde sich damit auch dann stellen, wenn das ge-
setzliche Preisänderungsrecht der Versorger von Tarif- bzw. Grundversorgungskunden bereits aus der gesetzlichen Versorgungspflicht
nach § 36 Abs. 1 EnWG 2005/2011 bzw. den Vorläuferregelungen des § 6 Abs. 1 EnWG 1935 und § 10 Abs. 1 EnWG 1998 gefolgert würde.
Selbst wenn es sich bei der "ergänzenden Vertragsauslegung" nicht um "nationale *gesetzliche* Regelungen handeln würde, dann hätte es seinerzeit  ja auch schon einer weiteren, ergänzenden Vorlagefrage dahingehend bedurft, ob dann, wenn die Vorlagefrage zu verneinen sei, die dann entstehende Vertragslücke hilfsweise durch eine "ergänzende Vertragsauslegung" nach den Bestimmungen gem. §§ 133, 157, 242 BGB und unter welchen Bedingungen geschlossen werden darf.

Dies wird auch von Prof. Markert in seiner Anmerkung problematisiert, wenn auch in einem etwas abweichenden Zusammenhang.  Denn erst, wenn die Nichtanwendung der Bestimmungen der AVB/GVV feststeht, d.h. erst wenn eine Lücke entstanden ist, kommen weitere, etwaige (lückenfüllende) Normen in Betracht.
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Offline uwes

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Meines Erachtens gibt es keine Vertragslücke, bei der ein nationales Gericht eine unwirksame Bestimmung im Hinblick auf ein  Preisänderungsrecht mit geändertem  (reduzierten) Inhalt aufrecht erhalten kann.

Insoweit mag man sich einmal vorstellen, welches Ergebnis man bekäme, wenn die nationalen Gerichte folgerichtig nach der EuGH- Rechtsprechung http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?docid=123843&doclang=DE in Rechtssachen von Normsonderkunden die - dogmatisch falsche Lösung des BGH (Fristenlösung) - nicht mittragen, und die Aufrechterhaltung von unwirksamen Klauseln im Wege einer Lückenfüllung ablehnten und dagegen die grundversorgten Haushaltskunden Preisänderungen des Versorgers in der Vergangenheit ohne Hinweis auf Widerspruchs- und Kündigungsrechte bis zur Höhe von Beschaffungskostenerhöhungen hinnehmen müssten.

Eine Ungleichbehandlugn ersten Ranges.

Das Bemühen des offenbar noch Versorger- freundlicheren VIII Zivilsenats, die Versorger zu schützen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verbraucherinteressen überhaupt nicht berücksichtigt wurden.
« Letzte Änderung: 28. Februar 2016, 09:28:18 von uwes »
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline tangocharly

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Noch einmal die Vorlagefrage in BGH VIII ZR 71/10 (und jetzt komplett:
Zitat
Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie
2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003
über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung
der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche
Regelung
über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
Der 8. ZS-BGH hatte nach einer gesetzlichen nationalen Regelung gefragt und hierauf eine (uneingeschränkte) Antwort vom Gerichtshof erhalten. Somit ist jede nationale Regelung, welche sich mit der angefragten Befugnis zur Preiserhöhung befaßt, vom Auslegungsergebnis des Gerichtshofs erfaßt.

Das "drum-herum-Gerede" des BGH, womit er schließlich bei seiner "ergänzenden Vertragsauslegung" aufschlug, ist daher - will man die Rechtsprechung des Gerichtshofs wirklich Ernst nehmen - völlig überflüssig. Dass dieses Instrument der "ergänzenden Vertragsauslegung" als solches, reines Richterrecht darstellt, vermag die Basis für eine solche Auslegung auch nicht  transparenter zu machen.

Der Versorger ist aus der Transparenzmaxime, welche dem hohen unionsrechtlichen Verbraucherschutz dient, verpflichtet, dem Kunden im Rahmen der Transparenzerfordernisse aus Anlage A zu Art. 3 der RiLi, diese Aufklärung zu liefern.

Völlig klar ist hierbei, dass der Verbraucher nun nicht in der "Hol-Schuld" liegt, sondern der Versorger hat eine "Bring-Schuld".

Wäre es anders, dann müßte der Rechtsberater des Verbrauchers und/oder der Richter diese Aufklärung liefern, was unter dem, durch Richterrecht entwickelten, Kriterium einer "Anpassung ohne Gewinnerhöhung" zu verstehen sei.

Der Verbraucher muss nach den Transparenzerfordernissen bereits bei Ankündigung der Anpassung in der Lage sein, wenigstens in groben Zügen nachzuvollziehen, "wohin die Post geht".  Die Frage, ob ein Prozess zur Prüfung der Anpassung erforderlich wird, stellt sich bis dahin nicht. Und wenn sie sich dann später dennoch stellt, dann steht der Verbraucher, mit dem Modell der "ergänzenden Vertragsauslegung" erneut da, wo er schon bisher stand - d.h. bar jeder Erkenntnis, ob sich ein Prozess gegen den Versorger wirtschaftlich rechtfertigen läßt.
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