Energiepreis-Protest > Gerichtsurteile zum Energiepreis-Protest

BGH, Urt. v. 14.03.12 VIII ZR 93/11 Zahlungsklage E.ON Hanse gegen Gas- Sonderkunde

<< < (3/4) > >>

uwes:
Ich lese aus dieser Entscheidung nicht heraus, dass es in jedem Fall zu einer Vertraganpassung in der hier angewendeten Art und Weise kommen muss. Nicht erfasst sind nämlich diejenigen Fälle, in denen zum Beispiel der Rückforderungsanspruch des Kunden für mehrer Jahre wegen zwischenzeitlich eingetretener Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist und deshalb der Versorger die Beträge, die er aufgrund von unberechtigten Preiserhöhungen in der Zeit vor Eintritt der Verjährung erhalten hat, auch behalten kann. In diesen Fällen fehlt es an einem erheblichen Ungleichgewicht innerhalb des Vertrages, so dass eine Vertraganpassung im Wege ergänzender Auslegung nicht erforderlich ist.

RR-E-ft:
Herauslesen kann man es nur aus der Entscheidung selbst.

Bei Lichte betrachtet prüft der BGH wohl überhaupt gar nicht erst noch, ob im konkreten Einzelfall  überhaupt eine unzumutbare Härte vorliegt.
Auch das erscheint ja so verwirrend an der Entscheidung.

An keiner Stelle ist aus der Entscheidung herauszulesen, dass in diesem Verfahren geprüft wurde, ob überhaupt eine unzumutbare Härte für den Versorger vorliegt und eine solche unzumutbare Härte in den Vorinstanzen festgestellt wurde.

Das schließt freilich nicht absolut aus, dass eine solche Feststellung in den Vorinstanzen

AG Hamburg-Bergedorf, Entscheidung vom 25.05.2010 - 410A C 205/09 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 18.02.2011 - 320 S 129/10 -
 
etwaig - von der Revision unangefochten - getroffen wurde.
Sie ist aber jedenfalls in der Entscheidung des BGH nicht ersichtlich.  
 
Nach Zurückverweisung allein zu prüfen sei vom Berufungsgericht, wann die maßgebliche Rechnung zugegangen war, gegen welche noch kein Widerspruch innerhalb einer Dreijahresfrist erhoben wurde und welcher Preis deshalb nach der geoffenbarten neuen Lehre gelten und deshalb geschuldet sein soll.


--- Zitat ---Welchen Arbeitspreis die Klägerin ihrem Zahlungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Beklagten die einzelnen Jahresabrechnungen der Klägerin zugegangen sind und gegen welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der Widerspruch des Beklagten vom 12. Juli 2005 somit noch rechtzeitig innerhalb der bezeichneten Dreijahresfrist erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
--- Ende Zitat ---

uwes:

--- Zitat ---Original von RR-E-ft
Bei Lichte betrachtet prüft der BGH wohl überhaupt gar nicht erst noch, ob im konkreten Einzelfall  überhaupt eine unzumutbare Härte vorliegt.
--- Ende Zitat ---

Ich meine, der Senat hat in der Entscheidung 93/11 eine Abgrenzung vorgenommen.
Er führt hier aus:

--- Zitat ---Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche -  Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen  ist,  wenn  es  sich  um  ein  langjähriges  Gasversorgungsverhältnis  handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden  Jahresabrechnungen  über  einen  längeren  Zeitraum  nicht  widersprochen  hat  und  nunmehr  auch  für  länger  zurück  liegende  Zeitabschnitte  die  Unwirksamkeit  der  Preiserhöhungen  geltend  macht  (Senatsurteil  vom  14.  Juli  2010  - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist - wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e) näher ausgeführt hat - zu bejahen.
--- Ende Zitat ---

Die Verschiebung des \"Vertragsgefüges\", die zu einer ergänzenden Vertragsauslegung führt wie entschieden, sieht der Senat offenbar darin, dass längere Zeitabschnitte die Fristen der Verjährung deutlich überschreiten.

Würde der Senat auch für Fälle, in denen Kunden nur die Rückforderung nicht verjährter Überzahlungen verlangten mit den gleichen Maßstäben messen, so würde gerade diese Anwendung dieser Ansciht zugunsten des Versorgungsunternehmens und zu lasten des Kunden das Vertragsgefüge völlig verschieben. Der Versorger könnte nämlich die auf ungerechtfertigten Preiserhöhungen basierenden, lange Jahre widerspruchslos geleisteten Überzahlungen des Kunden behalten und könnte darüberhinaus die Rückzahlung für den nicht verjährten Zeitraum auf der Basis des Anfangspreises verweigern, weil ja (nur) derjenige Preis als vereinbart gelten solle, der drei Jahre vor dem ersten Widerspruch galt. Das würde bei Rückforderungen von Gaspreisen, die erst im Jahre 2011 erhoben wurden zumeist dazu führen, dass der Kunde fast gar nichts zurück erhielte, weil die Preise in diesem Zeitraum  besonders hoch waren. Dass dies auch vom insoweit als \"Versorgerrettungssenat\" zu bezeichnenden VIII. Zivilsenat so nicht gemeint gewesen sein konnte, erschließt sich m.E. problemlos. Es kommt daher nach wie vor darauf an, ob das Festahlten am Vertragspreis eine nicht mehr Hinnehmbare Verschiebung des Vertragsgefüges nach sich ziehen würde mit der Folge, dass erst dann über eine Vertragsanpassung nachgedacht werden müsste.

RR-E-ft:

--- Zitat ---Original von uwes
Die Verschiebung des \"Vertragsgefüges\", die zu einer ergänzenden Vertragsauslegung führt wie entschieden, sieht der Senat offenbar darin, dass längere Zeitabschnitte die Fristen der Verjährung deutlich überschreiten.
--- Ende Zitat ---

Das ist eine Hypothese. Man kann möglicherweise eine Vielzahl solcher Hypothesen bilden.

Es erscheint so bedauerlich wie beklagenswert, wenn die Gerichtsentscheidung des höchsten Zivilgerichts für den  Rechtsanwender so wenig transparent und nachvollziehbar erscheint, dass sie ihn auf \"Kafeesatzleserei\" verweist.  

Der Senat lässt in seiner gedruckt vorliegenden Entscheidung den Grund für die ergänzende Vertragsauslegung schon nicht erkennen, ebensowenig, warum das Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung dem hypothetischen Parteiwillen entsprechen und keinerlei andere Auslegung in Betracht kommen soll.


--- Zitat ---Offen gelassen hat der Senat die - im Streitfall entscheidungserhebliche - Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann anzunehmen ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das ist - wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage (VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e) näher ausgeführt hat - zu bejahen.
--- Ende Zitat ---

Der Inhalt der Entscheidung VIII ZR 113/11 unter II 3 b - e), auf die zur Begründung Bezug genommen wird,  ist bisher vom BGH nicht veröffentlicht worden.

Ersichtlich ist bisher allein, dass das Verfahren VIII ZR 113/11 nicht ebenso wie das Verfahren VIII ZR 93/11 den Versorger E.ON Hanse Vertrieb GmbH betraf.
Es kann dabei also wohl denknotwendig nicht um Feststellungen solcher Umstände im konkreten Einzelfall gehen, die für den konkreten Versorger im konkreten Fall eine ihm unzumutbare  Härte bewirken würden.  

Insbesondere warum für den Versorger im konkret entschiedenen Fall einer Zahlungsklage des Versorgers ohne ergänzende Vertragsauslegung eine unzumutbare Härte für den Versorger vorliegen soll, geht aus der Entscheidung selbst jedenfalls nicht hervor.


--- Zitat ---Original von RR-E-ft

Noch bevor ein Rückforderungsanspruch wegen Überzahlung verjährt wäre, könnte er bereits infolge Metamorphose untergegangen sein.

Auch Gerichtsentscheidungen sollen transparent und nachvollziehbar sein.
Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, willkürlich \"gewürfelt\" worden zu sein.

Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Leistung eines Examenskandidaten, dessen gefundene Lösung auf einer ergänzenden Vertragsauslegung gründet, kommt es bisher entscheidend darauf an, ob zuvor die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung gründlich geprüft wurden.

Hierfür kommt es bisher entscheidend darauf an, ob eine  Vertragslücke besteht, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann, und für einen Vertragsteil zu einer unzumutbare Härte führt.

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann soll die Lücke durch den hypothetischen Parteiwillen geschlossen werden.
Gemeinhin: Was hätten die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftiger Weise vereinbart?

Es ist nur allzu verständlich, dass ein nach diesen wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebildeter Jurist diese Grundsätze auch in der Rechtsanwendung eines höchsten Zivilgerichts wiederfinden möchte, anderseits die Frage zu stellen wäre, ob diese wissenschaftlich gelehrten und gelernten Grundsätze etwaig überhaupt noch Geltung beanspruchen.
--- Ende Zitat ---

uwes:
RR-E-ft

ich glaube, Sie sehen das zu pessimistisch.
Der Senat führt doch gerade im Hinblick auf das Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08 aus, dass die juristische Bewertung bisher \"offen gelassen\" wurde, wenn (kumulativ)

[list=1]
[*]es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt,
[*]der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und
[*]nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht.
[/list=1]

Das hat er jetzt entschieden. Damit hat er aber seine bisherige Ansicht, in den Fällen, die die unter 1.-3. genannten Besonderheiten nicht aufwiesen, aber auch nicht aufgegeben, denn er nimmt eindeutig eine Abgrenzung vor, die allerdings nicht sehr konkret ist. Da stimme ich zu. Allerdings sehe ich die Unterschiede im wesentlichen in der Frage der \"Verschiebung des Vertragsgefüges\". Eine solche Verschiebung kann eigentlich nicht wirklich vorliegen, wenn der Kunde für einen Zeitraum von 3 Jahren rückwirkend eine Rückzahlung begehrt, der Vertragsanfangspreis aber schon Jahre zuvor vereinbart war.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln