Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Urteil OLG Nürnberg v. 06.12.11 - Az: 1 U 1480/11  (Gelesen 15577 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline tangocharly

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 1.139
  • Karma: +5/-0
Urteil OLG Nürnberg v. 06.12.11 - Az: 1 U 1480/11
« Antwort #15 am: 08. Januar 2012, 20:42:59 »
Man muss wohl noch auf weitere Denkfehler hinweisen, welchen das OLG bei seiner Analyse der Entscheidung des BGH vom 02.10.1991 (VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183) aufgesessen ist.

Falsus 1
a.) - Im BGH-Fall war ein vertraglich vereinbartes Lieferungsverhältnis durch Kündigung beendet worden. Die Energieentnahme erfolgte aber nach Vertragsbeendigung weiter (BGH spricht von Interimsverhältnis; vergleichbar mit dem konkludenten Vertragsschluss (der nur dann denkbar ist, wenn ein existenter Vertrag fehlt).

b.) - Im OLG-Fall lag ein fortbestehendes Sondervertragsverhältnis ungekündigten Zustandes vor (welches einem konkludenten Vertragsschluss im Wege steht).

Zitat
BGH, 02.10.1991:
I. In Übereinstimmung mit den Parteien ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass nach Auslaufen des früheren Stromlieferungsvertrages seit dem 1. Oktober 1985 ein sogenanntes Interimsverhältnis bestehe, aufgrund dessen die Klägerin entsprechend den §§ 315, 316 BGB berechtigt sei,die Höhe des Strompreises nach billigem Ermessen zu bestimmen.

Falsus 2
a.) - Im BGH-Fall hatte die Klägerin (das Versorgungsunternehmen) ein Kündigungsrecht und hatte den bestehenden Vertrag gekündigt. Ein Kündigungsrecht des Beklagten (ein Verteilungsunternehmen) stand dort nicht zur Debatte.

b.) - Im OLG-Fall drehte sich das OLG um die Frage, dass ein Kündigungsrecht nicht ausgemacht werden könne, dem Versorgungsunternehmen ein Kündigungsrecht also gerade nicht eingeräumt sei. Diese Frage wurde entgegen der bestehenden BGH-Rechtsprechung im OLG-Fall falsch gelöst.

Zitat
BGH, 02.10.1991:
III.2.g) Diese Maßstäbe für die Billigkeit der Ermessensentscheidung gelten allgemein, wenn einem Energieversorgungsunternehmen im Interimsverhältnis entsprechend § 316 BGB die Bestimmung des Entgelts für die Lieferung an ein Verteilerunternehmen übertragen ist. Ihre Anwendung ist im vorliegenden Fall um so mehr gerechtfertigt, als die Klägerin den bestehenden Liefervertrag gerade mit der Begründung gekündigt hat, der darin festgelegte Strompreis sei wegen eingetretener Verteuerung der Stromerzeugung nicht mehr vertretbar, und die erfolgte Bestimmung des neuen, rund 30 % höheren Preises - als der Billigkeit entsprechend damit rechtfertigt, dass er Kosten orientiert sei.

Falsus 3
a.) - Im BGH-Fall ging es wegen des neu entstandenen (geduldeten) Lieferverhältnisses \"durch weitere Entnahme von Energie aus dem Netz\" um die Frage, ob jetzt und in welcher Höhe ein Entgelt für Energielieferungen gefordert werden durfte. Dabei war, nach der positiven Beantwortung dieser Frage, im nächsten Schritt zu der Frage zu gelangen, ob die hieraus resultierenden Entgeltansprüche der Billigkeitsprüfung unterfallen (§§ 316, 315 BGB). Dies hatte der BGH am 02.10.1991 eindeutig bejaht. Der BGH hatte das Gesetz anzuwenden (§§ 316, 315 BGB).

b.) - Im OLG-Fall ging es um die Frage, ob wegen des Fehlens eines Kündigungsrechts (in einem existenten Vertragswerk) eine Vertragslücke bestehe, was zu einem - nicht vereinbarten - Preisanpassungsrecht führen muss, welches über § 315 BGB kontrolliert werden dürfe. Das OLG hatte das Vertragswerk auszulegen , d.h. die bestehenden Vereinbarungen der Parteien (Parteiautonomie).


Falsus 4
a.) - Im BGH-Fall wurde auch über die Prüfung des \"Anfangspreises\" entschieden, d.h. die Entgelthöhe für nicht vereinbarte - aber geduldete - Energielieferungen. Für den BGH gab es dort nichts daran zu deuteln, dass die Entgelthöhe - ab der ersten geduldeten kWh-Lieferung - am Kostenprinzip orientiert und damit von den, das gesamte Energiewirtschaftsrecht beherrschenden Entgeltsgrundsätzen bestimmt werden muss.
Im BGH-Fall lag die Konstellation eines \"marktbeherrschenden Unternehmens\" vor.

b.) - Im OLG-Fall wurde darüber entschieden, was die Parteien angeblich (stillschweigend) vereinbarten und darüber hinaus, was sie vereinbart hätten, wenn etwas zu bedenken gewesen wäre was nach Auffassung des OLG nicht bedacht worden sei, d.h.

aa.) - den Anfangs-/Sockelpreis (mit der Folge dass dieser Sockel damit der Billigkeitskontrolle entzogen sei) und schließlich

bb.) - (trotz bestehenden Kündigungsrechts des Versorgers) ein - nicht vereinbartes - Kontur loses Preisanpassungsrecht.

Eine marktbeherrschende Struktur der Klägerin spielte im OLG-Fall keine Rolle.

Zitat
BGH, 02.10.1991:
II. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe solche Umstände nicht hinreichend dargelegt.  Dazu hat es ausgeführt: Als in ihrem Einzugsgebiet marktbeherrschendes Unternehmen treffe die Klägerin das Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB. Sie dürfe deshalb die Beklagte weder behindern noch gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandeln. Dieses Verbot stelle ein Element der Billigkeit dar. Darüber hinaus müsse bei der Auslegung des Begriffs Billigkeit auf die Interessenlage beider Parteien abgestellt werden, so dass dem § 315 BGB nur eine Abwägung gerecht werde, die die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Parteien berücksichtige.

und

Zitat
BGH, 02.10.1991:
III.2.g) Diese Maßstäbe für die Billigkeit der Ermessensentscheidung gelten allgemein, wenn einem Energieversorgungsunternehmen im Interimsverhältnis entsprechend § 316 BGB die Bestimmung des Entgelts für die Lieferung an ein Verteilerunternehmen übertragen ist. Ihre Anwendung ist im vorliegenden Fall um so mehr gerechtfertigt, als die Klägerin den bestehenden Liefervertrag gerade mit der Begründung gekündigt hat, der darin festgelegte Strompreis sei wegen eingetretener Verteuerung der Stromerzeugung nicht mehr vertretbar, und die erfolgte Bestimmung des neuen, rund 30 % höheren Preises - als der Billigkeit entsprechend damit rechtfertigt, dass er Kosten orientiert sei.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz