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Autor Thema: Terminsberichte BGH VIII ZR 113/11 und BGH VIII ZR 93/11 vom 14.12.2011  (Gelesen 16708 mal)

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Offline ESG-Rebell

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Verhandlungen am 14.12.11 von 9:07 bis 10:50 Uhr.
8. Zivilsenat: Ball, Dr. Frellesen, Dr. Milger, Dr. Hessel, Dr. Achilles, Dr. Schneider

Verfahren 1: VIII ZR 113/11
Kläger: Bergische Energie- und Wasser GmbH, RAin Prof. Ackermann
Beklagte: Müller, RA Prof. Groos
AG Wipperfürth - Urteil vom 12. Januar 2010 – 1 C 251/09
LG Köln - Urteil vom 16. März 2011 – 10 S 66/10

Verfahren 2: VIII ZR 93/11
Kläger: E.ON Hanse Vertriebs GmbH, RA Dr. von Plehwe und RA Dr. Schäfer, RA Dr. Tümmler
Beklagter: Piletzky, RA Dr. Kummer und RA Dr. Wassermann
AG Hamburg-Bergedorf - Urteil vom 25. Mai 2010 – 410A C 205/09
LG Hamburg - Urteil vom 18. Februar 2011 - 320 S 129/10

Der Senat war heute mit sechs Richtern besetzt, da ursprünglich neun Verfahren für 9:00 terminiert waren.
Da alle bis auf zwei durch Rücknahme erledigt wurden, waren nur noch die Richter der Spruchgruppen 10 und 11 anwesend. Beide Verfahren wurden zeitgleich verhandelt.

----- 9:07 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:

Zu Verfahren 1):
Der Kläger verlangt vom Gasversorger Rückzahlung von gezahlten Entgelten wegen Unwirksamkeit der Gaspreisanpassungen für den Zeitraum vom 31.1.2006 bis 2008. Im Jahr 1981 wurde der Vertrag mit einem Formular als Gassondervertrag zum damaligen Arbeitspreis von 4,2 Pf/kWh geschlossen. In §2 heisst es: \"Die Gaspreise ändern sich, wenn sich die allgemeinen Preise ändern\".

Die Unwirksamkeit dieser Preisanpassungsklausel ist in der Revision unstrittig.

In §5.1 heisst es zudem, dass der Vertrag erstmals nach 24 Monaten mit drei Monaten zum Ende des Belieferungsjahres gekündigt werden kann. §6 besagt, dass die AVBGasV gelten, sofern nichts abweichendes vereinbar sei.

Der Versorger hat mehrfach die Preise erhöht und der Kunde hat weiterhin Gas bezogen und die Rechnungen bezahlt ohne Widerspruch einzulegen. Erst im Jahr 2008 wechselte er den Versorger und verlangte erstmalig im Jahr 2009 eine Rückzahlung basierend auf dem vertraglichen Anfangspreis von 1981. Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG hat der Klage teilweise stattgegeben.

Die Klägerin strebt die Wiederherstellung des AG-Urteils an.

Eine konkludente Zustimmung zu Preisänderungen durch den Kunden hat der Senat in diesen Fällen bislang abgelehnt. Es fehlt schon an den Voraussetzungen auf der Angebotsseite. Auf die Reaktion des Kunden kommt es daher schon nicht an. Die Bekanntgabe einer Preiserhöhung ist kein Angebot für eine Vertragsänderung.

Die Klägerin meint, sie habe den Kunden aber doch persönlich angeschrieben. Der Senat bezweifelt allerdings sehr, dass dies schon ausreicht, um von der Unterbreitung eines Angebots auf Vertragsänderung zu sprechen.

Zur ergänzenden Vertragsauslegung fehlte es in den bisher entschiedenen Fällen bereits an den Voraussetzungen dafür, denn der Versorger hatte stets die Möglichkeit, sich durch Kündigung aus den Verträgen zu lösen. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass eine Vertragslücke entsteht, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann und durch die sich das Vertragsgleichgewicht völlig zugunsten des Kunden verschiebt.

Möglicherweise ist dies aber anders zu beurteilen, wenn ein Vertrag lange besteht und ein lange zurückliegend vereinbartes Preisanpassungsrecht angegriffen und der ursprünglich vereinbarte Preis verlangt wird. Dies könnte zu einer starken Verschiebung des Vertragsgleichgewichts führen.

Eine geltungserhaltende Reduktion ist unzulässig. Wie also könnte eine ergänzende Vertragsauslegung dann aussehen?

Der Senat hatte in einem Urteil zur Tagespreisauslegung Grundsätze zur ergänzenden Vertragsauslegung entwickelt. Dort wurde weniger beleuchtet, was die konkreten Vertragsparteien vereinbart hätten, sondern es wurde darauf abgestellt, was redliche Vertragsparteien typischerweise vereinbaren würden, wenn Sie nach den Grundsätzen von Treu und Glauben handeln. Diese Sichtweise ist auf den vorliegenden Fall ggf. anwendbar um die Möglichkeit zur rückwirkenden Geltendmachung von Rückforderungen wegen Preiserhöhungen zu beschränken.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass sich die Bezugskosten seit Vertragsbeginn immerhin verdoppelt haben. Die Vertragsparteien waren sich zudem ja einig darüber, dass der Anfangspreis nicht beliebig lange gelten würde.

Damit wäre nicht der Anfangspreis von 1981 sondern ein anderer Preis (bspw. bis drei Jahre vor dem ersten Widerspruch des Kunden) als Maßstab heranzuziehen. Auch das Energiewirtschaftgesetz kennt ja entsprechende Fristen, damit Vertragsverhältnisse nicht völlig aus dem Gleichgewicht geraten können und Rechtsfriede hergestellt wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Energieversorger mit der Sicherstellung einer zuverlässigen Energieversorgung ja eine volkswirtschaftlich wichtige Aufgabe übernehmen. Dies liegt ja auch im Interesse des Kunden.


Zu Verfahren 2):
In diesem Verfahren verlangt die Klägerin, ein Gasversorgungsunternehmen, von dem Beklagten, einem ehemaligen Normsonderkunden, die Zahlung restlichen Entgelts für Gaslieferungen im Zeitraum vom 20. Januar 2004 bis zum 1. Februar 2008.

Der ursprünglich vereinbarte Arbeitspreis betrug 4,8645 Pf/kWh.

Die Preisanpassungsklausel berechtigte die Klägerin, ihre Preise an die Entwicklung des Wärmemarktes anzupassen.
Ferner verwies der Vertrag auf §5 AVBGasV. Bei Widersprüchen haben die Regelungen des Vertags Vorrang.

Die Klägerin erhöhte mehrfach den Arbeitspreis. Der Beklagte erbrachte bis Mitte 2005 die geforderten Abschlagszahlungen und wandte sich auch nicht gegen die Jahresabrechnungen. Im Juli 2005 erhob er erstmalig schriftlich Widerspruch und berief sich auf die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen. Danach behielt er erhebliche Rechnungsbeträge ein.

Die Klägerin leitet ihr Preisanpassungsrecht auch aus der GasGVV her, die sie dem Beklagten zugeschickt habe.
Der Beklagte bestritt, dieses Schreiben mit der GasGVV erhalten zu haben.

Das AG hat einen Teilbetrag zuerkannt, und die Klage im übrigen abgewiesen.
Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Die Klägerin verlangt weiterhin die Zahlung der Gesamtforderung.

Die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel ist auch hier unstrittig.
Die Revision meint, die GasGVV trete in den Vertrag ein. Der Senat bezweifelt dies.

Zur konkludenten Zustimmung zu Preisanpassungen gibt es hier nichts Neues im Vergleich zum anderen Verfahren.
Es gibt kein Angebot und daher auch keine konkludente Annahme.

Zur ergänzenden Vertagsauslegung gilt auch hier, dass eine geltungserhaltende Reduktion unzulässig ist.
Auch hier ist aber ggf. keine Rückforderung zum vertraglichen Anfangspreis sondern ein Preis aus dem Mittelfeld als Sockelpreis heranzuziehen.

----- 9:27 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 1: Dr. von Plehwe

Der Kläger hat über 28 Jahre hinweg Gas bezogen und erst dann widersprochen. Mit der unwirksamen Regelung hatte er über den gesamten Zeitraum kein Problem. Erst die Überzahlungen von 2006 bis 2008 waren streitig. Die Preisanpassungsklausel war da längst nicht mehr zu retten.

Eine ergänzende Vertragsauslegung ist garnicht erforderlich, da keine Lücke vorhanden ist. Wenn die Regelung §2 des Vertrags unwirksam ist, dann müsste doch die AVBGasV eintreten, wie vereinbart.

In diesem Fall ist zudem die sehr lange Vertragslaufzeit zu berücksichtigen. Die Klägerin hatte doch gar keinen Anlass ihrerseits zu kündigen um das vertragliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Einem durchschnittlichen Bürger ist doch nicht zu vermitteln, dass ein Kunde über Jahre hinweg von den Vergünstigungen eines Sondervertrags - also dem günstigeren Preis - profitieren soll und sich dann auch noch nachträglich von den notwendigen Preiserhöhungen befreien können soll.

Laut der Entscheidung des Senats vom 14.7.10 käme eine konkludente Vertragsänderung bei Sondervertragskunden nicht in Betracht. Dies kann ich der Entscheidung nicht entnehmen. (Anm.: Verweist noch auf eine andere Entscheidung). Auch bei Sondervertragskunden sind konkludente Vertragsänderungen grundsätzlich möglich.

----- 9:37 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 1: Dr. Groos

Auch in diesem Verfahren müssen wir uns doch danach richten, was normalerweise passiert, wenn eine AGB-Klausel unwirksam ist. Müssen wir tatsächlich den Energieversorgern helfen, wenn andernfalls - analog zur Bankenkrise - eine Energiewirtschaftkrise durch die Rückforderungen zu befürchten wäre?

Die Vorschriften zur Verjährung und zu Treu und Glauben sind anzuwenden um die Verträge auszulegen und einen Ausgleich wiederherzustellen.

Die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel ist nicht strittig. Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nicht geboten. Die entstandene Lücke bleibt bestehen. Eine ergänzende Vertragsauslegung könnte aber evtl. doch geboten sein, um zu vermeiden, dass der Klauselverwender weiterhin bewusst unwirksame Klauseln verwendet und sich darauf verlässt, dass der BGH es schon für ihn richten werde.

Vor einer ergänzende Vertragsauslegung ist aber in jedem Fall erstmal zu prüfen, ob Rückforderungen der Kunden die Existenz des Versorger überhaupt gefährden - geschweige denn vernichten - können. Dazu ist zumindest eine Kalkulation der Folgekosten anzustellen. Mehr als die Behauptung, die Rückforderungen seien existenzgefährdend hat die Klägerin nicht vorgebracht.

Zur Verjährung: Rückforderungen für die 28 Jahre können garnicht geltend gemacht werden. Sowohl die Höhe der Ansprüche als auch die Zeiträume sind also sehr überschaubar.

Es gibt also keinen Anlass, die Energieversorger unter einen besonderen Schutz zu stellen.

Die geschilderte Absicht des Senats, einen Sockelpreis aus der Mitte zwischen 1981 und 2008 also praktisch gemäß §242 herauszugreifen und festzulegen, geht in die Richtung der Verjährungsregelung. Davon unabhängig bleibt aber die zugrundeliegende Klausel unwirksam.

----- 9:50 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 2: Dr. Schäfer

Sie dementiert zunächst die unterstellten bösen Absichten der Versorger bei der Gestaltung unwirksamer Preisanpassungsklauseln.

Im vorliegenden Fall ist aber nicht die Situation gegeben, die eigentlich vom BGB geregelt werden sollte, nämlich dass der Klauselverwender von den gesetzlichen Vorschriften zu seinen Gunsten abweicht. Vielmehr schreibt ja das Energiewirschaftsrecht den Versorgern vor, vertragliche Regelungen zu erstellen. Und der Gesetzgeber hat die Versorger dann mit dieser Aufgabe alleine gelassen.

Die Klägerin versuchte doch mit ihren Klauseln, basierend auf §4 AVBGasV eine griffigere und transparentere Regelung zu gestalten und sie hat gerade nicht versucht, das vertragliche Gleichgewicht zu ihren Gunsten zu verlagern.

Im vorliegenden Fall ist der Zahlungsanspruch aber auch noch anders begründet.
Bei dem Widerspruchsschreiben des Beklagten kann man nicht der Auffassung folgen, die Gründe für den Widerspruch seien irrelevant. In einem anderen Verfahren von 1989(?) zu einenm Mieterhöhungsverlangen hat der Senat auch eine Teilzustimmung erkannt.

Das Widerspruchsschreiben ist eine Willenserklärung gemäß §116 BGB, die eine Teilzustimmung zu dem verlangten Preis enthält.
Da das Widerspruchsschreiben ungewöhnlich ausführlich ist, lässt sich dem entnehmen, dass es dem Beklagten dezidiert nur um die Unbilligkeit der Preiserhöhung ging. Es folgen weitere klare Ausführungen und Berechnungen. Gegen Ende des Schreibens fordert er die Klägerin auf, seine Zahlungen nur auf der Basis des von ihm berechneten Preises von xxx Pf/kWh zu verrechnen.

Der Beklagte erklärt also selbst, die Erhöhungen zu bezahlen, wenn ihre Billigkeit bewiesen ist.
Es enthält also ein unbedingtes Einverständnis mit der Preisanpassung von xxx Pf/kWh. Dies ist ein Schuldeingeständnis.

Angesichts seiner Ausführungen kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, sich der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel nicht bewusst gewesen zu sein.

Zur Rz. 50 der Entscheidung des Senats kommt eine ergänzende Vertragsauslegung u.a. nur in Betracht, wenn das Vertragsgefüge sich völlig einseitig zu Gunsten des Kunden verschiebt. Dies ist hier zu bejahen, da das AGB-Recht dem Kunden nicht völlig unangemessene Vorteile zu beschaffen hat. Die Kündigungsmöglichkeit des Versorgers steht dem nicht entgegen.

Eine Kündigung wäre zudem auch nicht im Interesse des Beklagten gewesen, da dieser ja dann in den teureren Allgemeinen Tarif der Klägerin gekommen wäre. Zudem hatte die Klägerin auch nach dem Widerspruch des Kunden keinen Anlass zur Kündigung da das Urteil des Kartellsenats vom 29.4.08 noch nicht ergangen war und sie daher noch keine Kenntnis über die Unwirksamkeit ihrer Klausel hatte.

Zur ergänzenden Vertragsauslegung ist zu sagen, dass neben dem Widerspruchsschreiben auch das Parteiverhalten nach dem Vertragsabschluss zu berücksichtigen ist.

Zur Rz. 53 in der Entscheidung vom 14.7.10 führte der Senat aus, die Entscheidung zur Zinsanpassungsklausel des 11. Senats sei nicht anwendbar, weil ein variabler Preis vereinbart sein. Dies geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. (Sie verweist auf ein Urteil von 1981). Dort war eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.

----- 10:05 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 2: Dr. Wassermann

Die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel ist unstrittig.

Die Regelung des §4 AVBGasV ist ja selbst intransparent, aber die Senatsentscheidung zur unveränderten Übernahme steht ja zur Prüfung durch den EuGH an.

Zum Inhalt des Widerspruchschreibens: Darauf kommt es nicht an, wie auch der Senat bisher bekräftigt hat. Durch den Widerspruch alleine hat der Versorger schon allen Anlass, seinen Vertrag und vorrangig die Wirksamkeit seiner Vertragsklauseln zu prüfen. Es kann nicht Aufgabe des Kunden sein, den Versorger auf seine Fehler hinzuweisen. Dies ist alleine Aufgabe des Versorgers. Andernfalls käme es zu einer Verlagerung des Verwenderrisikos einer Klausel auf die andere Partei.

Selbst wenn die Aussage des Kunden zu dem Preis von xxx Pf./kWh eine Willenserklärung gewesen wäre, dann ist mangels Annahme dieses Angebots durch die Klägerin aber kein Vertrag zu diesem Preis zustandegekommen.

Zum Sockelpreis \"aus der Mitte\". Ausgangspunkt ist ja die Entscheidung vom 14.7.10 zu den Auswirkungen eines fehlenden Widerspruchs. Hier geht es nicht um ein Rückforderungsverlangen sondern um einbehaltene Gelder nach Rüge der Unbilligkeit. Dann sind die Zumutbarkeitsüberlegungen nicht anwendbar, da der Versorger in einem angemessenen Zeitraum kündigen konnte. Der vertraglich vereinbarte Preis ist der Anfangspreis. Dies ist nicht vereinbar mit einer Zeitschranke.

In diesem Fall handelt es sich ausnahmslos um Nachforderungen für Zeiten nach dem ersten Widerspruch. Die Klägerin hätte also kündigen können. Daher ist es für sie nicht unzumutbar, eine Zeit lang noch an den Anfangspreis gebunden zu sein.

Bei langjährigen Verträgen eine Zeitschranke für die Geltendmachung einzuführen, das geht so nicht. Warum? Was ist für Versorger und Kunden zumutbar? Warum noch einen fingierten Preis zusätzlich zur dreijährigen Verjährungsfrist einführen. Die Zumutbarkeit ist hinreichend geklärt.

Dies wäre auch ein gedanklicher Bruch:
Eine unwirksame Preisanpassungsklausel und ein Weiterbezug von Gas soll keine Preisneuvereinbarung darstellen.
Erfolgt plötzlich doch ein Widerspruch, dann sollen nur drei Jahre zurück eine Zeitschranke für den Preis gelten.

Zur Bedeutung des Widerspruchs des Kunden: Darauf alleine kann es nicht ankommen. Auch die Widersprüche andere Kunden und die öffentliche Diskussion hätten der Klägerin genug Grund zur Prüfung aller ihrer Sonderverträge gegeben.

----- 10:28 ---------------------------------------------------------------------------
Ball:

Die Verjährung ist keineswegs immer drei Jahre sondern oft sehr viel länger. Es gibt noch die Ultimoregelung; dann können es vier Jahre sein. Die Verjährung setzt aber die Kenntnis der Umstände voraus; daher können auch 10 Jahre gelten. Nach der alten Regelung ist sogar noch gar keine Verjährung bei den Altfällen eingetreten. Daher sind unsere Überlegungen nicht entbehrlich.

----- 10:29 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 2: Dr. Schäfer

Sie beharkt nochmal das Widerspruchsschreiben und stellt auf die sehr ausführlichen Berechnungen des Kunden ab.
Der Versorger hatte keinen Anlass zur Kündigung.
Das Schreiben ist ein Schuldanerkenntnis.

Der Kunde selbst ging doch von einem variablen Preis aus, ansonsten wären seine umfangreichen Berechnungen und Überlegungen zu den Preisentwicklungen doch völlig gegenstandslos gewesen.

----- 10:32 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 2: Dr. Tümmler

Die Kunden haben die Unbilligkeit der Preisanpassungen gerügt aber nicht das Preisanpassungsrecht in Frage gestellt, da die Verträge ja unbefristet waren. Er verweist auf die Sammelklage der Verbraucherzentrale in Hamburg.

Unmittelbar nach dem Urteil zur Unwirksamkeit konnten die 404.000 Verträge nicht sofort gekündigt werden, da hierfür interne Vorgänge und Entscheidungen des Vorstands erforderlich waren. Es mussten 100 Mitarbeiter befristet eingestellt und eingearbeitet werden. Erst danach konnten die Kündigungen in einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten verschickt werden. Auch die ca. 55.000 Verträge mit Widersprüchen konnten nicht schneller gekündigt werden.

Bis zum Sept. 2009 bestand kein Grund zu kündigen, da das Verfahren ein Musterverfahren war und währenddessen die Preisanpassungsklausel vom Gericht auch als wirksam bezeichnet worden ist.

Die Kartellbehörden haben solche Kündigungen zudem noch am 2.11.2006 als Missbrauch eingestuft. Gegen die Klägerin hat es zudem ein Verfahren des Kartellamts wegen des Verdachts der missbräuchlich überhöhten Preise gegeben, welches eingestellt wurde.

Zu dem Widerspruchsschreiben: Der Versorger hatte nach dessen Empfang kein weitergehendes Wissen, da erst mit Entscheidung des Kartellsenats die kundenfeindlichste Auslegung angewendet wurde. Bis dahin war die Leitbildfunktion der AVB gemäß der Entscheidungen des VIII Senats maßgeblich. Im Sommer 2008 stand noch nicht fest, dass auch der VIII. Senat sich dem anschliessen würde.

Zur geltungserhaltenden Reduktion: Das Verbot soll verhindern, dass der Verwender das nach der Klausel gerade noch Zulässige erhält.
Es geht hier aber darum: Worauf hätten sich die Parteien geeinigt?

Zu dem \"Preis aus der Mitte\": Je nach den Einzelumständen kann dieser sowohl über als auch unter dem Anfangspreis liegen. Eine starre Regelung könnte also auch dazu führen, dass der Kunde noch weniger zahlen müsste als anfänglich vereinbart.

----- 10:47 ---------------------------------------------------------------------------
Zu Verfahren 2: Dr. Wassermann

Das Verwenderrisiko ist unabhängig von der Erkenntnismöglichkeit der Unwirksamkeit.
Es gibt keinen Vertrauensschutz darauf, dass sich die Rechtsprechung nicht ändert.

----- 10:50 ---------------------------------------------------------------------------
Ball

Entscheidungen zu beiden Verfahren werden heute noch ergehen; aber keine Urteile.
Mit diesen ist im Frühjahr zu rechnen.

Anm:
Im Frühjahr wird voraussichtlich auch der neu gestaltete Eingang an der Herrenstraße wiedereröffnet sein.

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline berghaus

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Terminsberichte BGH VIII ZR 113/11 und BGH VIII ZR 93/11 vom 14.12.2011
« Antwort #1 am: 15. Dezember 2011, 03:17:32 »
Danke, danke, danke an ESG-Rebell für diese schöne Berichterstattung!

Das ist ja wie Weihnachten!

Selbst Ball schließt die 10jährige oder gar keine Verjährung mehr aus!

Dann darf ich vielleicht doch die 10.000,00 EUR, die ich seit 2006 einbehalten habe, behalten, die 8.700,00 EUR, die ich darüber hinaus für die Zeit ab 2000 seit 2009 zurückgefordert habe, bekommen und, wenn es sein muss, weitere 15.500, EUR für die Zeit von 1975 - 2000 von der RWE zurückfordern (Vertragspreis1975: brutto 1,26 ct/kWh).

Dazu suche ich noch einen mutigen Energieanwalt, der sich bei mir per PN melden kann.

Vielleicht auch als Musterverfahren des BdE.


berghaus 15.12.11

Offline berghaus

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« Antwort #2 am: 15. Dezember 2011, 10:58:22 »
Zitat
von RR-E-ft gestern 15:54 hier[/URL]

Würde man diese Sicht der Dinge zu Grunde legen, konnten wohl vor dem 31.12.2011 noch keinerlei Rückforderungsansprüche verjährt sein, da der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nicht vor dem 29.04.2008 beginnen konnte, so dass Rückforderungen für Überzahlungen in all der Zeit vor 2008 noch nicht verjährt wären und immer noch gerichtlich durchgesetzt werden könnten, weil die Verjährungseinrede dagegen (bisher noch) nicht greift.


Dann wird es wohl Zeit, zumindest für die Rückforderung der 8.700,00 EUR bis zum Jahresende einen Mahnbescheid zu erlassen.
Wenn die Aufrechnungen in den Jahren 2008 - 2011 nicht zulässig oder mangelhaft formuliert waren, sind es sogar 10.200 EUR, die ich 2009 für die Zeit ab 2000 zurückgefordert habe.

berghaus 15.12.11

Offline ESG-Rebell

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« Antwort #3 am: 15. Dezember 2011, 13:21:30 »
Zitat
Original von berghaus
Das ist ja wie Weihnachten!

Selbst Ball schließt die 10jährige oder gar keine Verjährung mehr aus!
Vielleicht sollten Sie vor Ihrem Frohlocken nochmal die Äußerungen von Herrn Ball insgesamt lesen.

Es hat den Anschein, dass der Senat sich anschickt, eine Zeitschranke von drei Jahren zum Schutze der Energieversorger einzurichten. Alle älteren Preise sollen dann Schnee von Gestern sein; es sei denn sie waren höher als der \"Sockelpreis aus der Mitte\", wenn es nach Dr. Tüngler geht.

Es könnte sich am Ende um eine Neuauflage der Entscheidung vom 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 handeln; diesmal zur Einschränkung von Rückforderungen ehemaliger Sondervertragskunden. Diese würde sicherlich nicht weniger kontrovers diskutiert werden als die zitierte.

Gruss,
ESG-Rebell.

Offline Cremer

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Terminsberichte BGH VIII ZR 113/11 und BGH VIII ZR 93/11 vom 14.12.2011
« Antwort #4 am: 15. Dezember 2011, 13:43:01 »
@ESG-Rebell,

herzlichen Dank für die wie immer sachlichen Terminsberichte.

Dafür dass Sie Zeit und Kosten auf sich nehmen bei den Verhandlungen anwesend zu sein. Das sollte nicht außer Acht gelassen werden.
MFG
Gerd Cremer
BIFEP e.V.

info@bifep-kh.de
www.bifep-kh.de
gerd@cremer-kreuznach.de

Offline bolli

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« Antwort #5 am: 15. Dezember 2011, 14:04:48 »
Zitat
Original von ESG-Rebell
Vielleicht sollten Sie vor Ihrem Frohlocken nochmal die Äußerungen von Herrn Ball insgesamt lesen.

Es hat den Anschein, dass der Senat sich anschickt, eine Zeitschranke von drei Jahren zum Schutze der Energieversorger einzurichten. Alle älteren Preise sollen dann Schnee von Gestern sein; es sei denn sie waren höher als der \"Sockelpreis aus der Mitte\", wenn es nach Dr. Tüngler geht.
Die Diskussion um den \"Preis aus der Mitte\" sehe ich ähnlich kritisch wie Sie, aber diese war doch nach der Formulierung der BGH-Entscheidung vom 14.07.2010 - VIII ZR 246/08 Rdnr. 52 abzusehen.

Zitat
BGH-Urteil vom 14.07.2010 - VIII ZR 246/08 Rdnr. 52
Offen bleiben kann, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat (vgl. dazu auch unten unter II 1) und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen (durch Feststellungsklage oder durch Klage auf Rückzahlung geleisteter Entgelte) geltend macht. Sind in einem solchen Fall die Gestehungskosten des Gasversorgungsunternehmens erheblich gestiegen und ergibt sich daraus für die betroffenen Zeiträume ein erhebliches Missverhältnis zwischen dem Wert der von dem Unternehmen zu erbringenden Leistung und dem vereinbarten Preis, lässt sich die Annahme eines nicht mehr interessenge-rechten Ergebnisses jedenfalls hinsichtlich der länger zurück liegenden Zeitabschnitte nicht ohne weiteres mit der Begründung verneinen, dass eine Kündigungsmöglichkeit bestand. Denn für das Versorgungsunternehmen bestand in einem solchen Fall zunächst kein Anlass, eine Kündigung des Vertrages in Erwägung zu ziehen.
Aber interessant ist, dass man zwar höhere Preise akzeptieren will, nicht aber, wenn der \"Preis der Mitte\" unter dem Vertragsanfangspreis liegt. Da sagt man bei uns: \"Da wrd der Hund in der Pfanne verrückt.\"

Offline Kampfzwerg

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Terminsberichte BGH VIII ZR 113/11 und BGH VIII ZR 93/11 vom 14.12.2011
« Antwort #6 am: 16. Dezember 2011, 18:25:04 »
Zunächst - und vor allem - meinen ehrlichen Dank an ESG-Rebell!


Zitat
Original von ESG-RebellVerhandlungen am 14.12.11 von 9:07 bis 10:50 Uhr.8. Zivilsenat: Ball, Dr. Frellesen, Dr. Milger, Dr. Hessel, Dr. Achilles, Dr. Schneider
[...]
Die Unwirksamkeit dieser Preisanpassungsklausel ist in der Revision unstrittig.
[...]
Der Versorger hat mehrfach die Preise erhöht und der Kunde hat weiterhin Gas bezogen und die Rechnungen bezahlt ohne Widerspruch einzulegen.  
[...]
Eine konkludente Zustimmung zu Preisänderungen durch den Kunden hat der Senat in diesen Fällen bislang abgelehnt. Es fehlt schon an den Voraussetzungen auf der Angebotsseite. Auf die Reaktion des Kunden kommt es daher schon nicht an. Die Bekanntgabe einer Preiserhöhung ist kein Angebot für eine Vertragsänderung.
Die Klägerin meint, sie habe den Kunden aber doch persönlich angeschrieben. Der Senat bezweifelt allerdings sehr, dass dies schon ausreicht, um von der Unterbreitung eines Angebots auf Vertragsänderung zu sprechen.
Zur ergänzenden Vertragsauslegung fehlte es in den bisher entschiedenen Fällen bereits an den Voraussetzungen dafür, denn der Versorger hatte stets die Möglichkeit, sich durch Kündigung aus den Verträgen zu lösen. Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass eine Vertragslücke entsteht, die nicht durch dispositives Recht geschlossen werden kann und durch die sich das Vertragsgleichgewicht völlig zugunsten des Kunden verschiebt.

Möglicherweise ist dies aber anders zu beurteilen, wenn ein Vertrag lange besteht und ein lange zurückliegend vereinbartes Preisanpassungsrecht angegriffen und der ursprünglich vereinbarte Preis verlangt wird. Dies könnte zu einer starken Verschiebung des Vertragsgleichgewichts führen.
[...]
Diese Sichtweise ist auf den vorliegenden Fall ggf. anwendbar um die Möglichkeit zur rückwirkenden Geltendmachung von Rückforderungen wegen Preiserhöhungen zu beschränken.


Hinsichtlich der Äußerungen des Richters Ball erscheint mir wieder einmal eine insgesamt ausgesprochen sorgfältige und differenzierte Lesart angebracht!
Auch hinsichtlich eines von der Gegenseite ins Spiel gebrachte \"Sockelpreises aus der Mitte\".
Eine Formulierung der Versorgeranwälte, die nach meiner Meinung nur deren Verzweiflung symbolisiert. Und ebenfalls einen Versuch, dem Senat \"hilfreich zur Seite\" zu stehen bzw. ggf. erneut eine Fluchtmöglichkeit durch die Hintertüre zu offerieren...


Erstens:

Im Falle der Normsondervertragskunden erscheinen mir vorhergehende Informationen sehr hilfreich und auch gegen selbige Kunden nicht grundsätzlich negativ anzuwenden!

Dagegen stehen auch nicht die Einschränkungen, die, wie Ball angemerkt hat, möglicherweise und ggf. bei der rückwirkenden Geltendmachung von Ansprüchen anwendbar wären!
Es gibt nämlich sehr viele Kunden, die selbst bisher noch gar keine Ansprüche in Gestalt einer Klage geltend gemacht haben! (Allenfalls haben sie gekürzt und/oder aufgerechnet.)
Die jedoch zur Zeit vom Versorger auf Zahlung verklagt werden.
Auf diese Sonderkunden scheinen mir die Einschränkungen nicht zutreffend, soll heissen nicht anwendbar, zu sein.


Zweitens:

Sehr interessant erscheinen ebenfalls die Äußerungen Balls hinsichtlich der Verjährungsfristen.
Der Umstand, dass diese eigentlich (wieder einmal) \"ohne Not\" geäußert wurden, erscheint mir um so bedeutsamer!

Insgesamt betrachtet versucht der Senat hier scheinbar, eine \"eierlegende Wollmichsau\" zu erfinden, um den Versorgern nicht allzusehr auf die Füße zu treten und andererseits den berechtigten Verbraucherinteressen nicht allzusehr nachzugeben.

Das heiss bei uns \"Eiertanz\" oder auch, vornehmer ausgedrückt, \"Tanz auf der heissen Herdplatte.\"
Beides kann einen geneigten Zuschauer durchaus auch belustigen.
Spannend ist es allemal.
Allerdings hat das Motto \"Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass\" wohl noch nie funktioniert.

 

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