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Autor Thema: Befreiungsschlag für Stadtwerke  (Gelesen 6180 mal)

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Offline RR-E-ft

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Befreiungsschlag für Stadtwerke
« am: 07. Oktober 2005, 14:13:56 »
Das sollte auch Hennessy Genugtuung bereiten:


E.ON Ruhrgas auf dem Rückzug



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Hennessy

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Befreiungsschlag für Stadtwerke
« Antwort #1 am: 07. Oktober 2005, 14:50:58 »
Jawohl - dies ist ein Schritt in die richtige Richtung!

Ob im Verhältnis zwischen Vorlieferant und Endverteiler allerdings die gleichen Maßstäbe wie im Haushaltskundenbereich gelten, wird der Fall Dinkelsbühl erst noch zeigen müssen. Im Bereich der Sonderverträge Gas mit expliziter Formelbindung an Heizöl wurden hier bisher keine Fakten geschaffen. Trotz aller schon zitierten Urteile ist das 315er-Milzbrand-Virus in diesem Bereich nicht klar gerichtlich bestätigt.

Schön, dass es auch Schritte in die richtige Richtung gibt (und hierzu zähle ich grundsätzlich auch die Aktion der Verbraucherzentrale NRW)

Offline RR-E-ft

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Befreiungsschlag für Stadtwerke
« Antwort #2 am: 07. Oktober 2005, 15:04:13 »
@Hennessy

Dinkelsbühl liegt anders:

Dort geht der Streit darum, ob ohne N-Ergie- Beteiligung an der Gesellschafterversammlung der Beschluss gefasst werden durfte und wirksam gefasst werden konnte, einen neuen Liefervertrag mit Wingas zu schließen.

Es geht also vornehmlich um Gesellschaftsrecht.



Wir reden hier über Kartellrecht, Energierecht, zivilrechtliche Billigkeitskontrolle.

Lesen Sie in der BGW-Praxisinfo, auch wenn darin einiges auf den Kopf gestellt ist.

Die sog.  Interimsfälle betreffen gerade die Lieferungen an Weiterverteiler!!!

Erst später wurde von der Rechtsprechung § 315 BGB auch auf Kundenverträge (Daseinsvorsorge) ausgeweitet.

Kunth/ Tüngler behaupten statt dessen, das ginge nur bei Tarifkunden, nicht jedoch bei Weiterverteilern (BGW-Praxisinfo, S. 12 unter aa)).

Bei deren Kollegen Stappert in NJW 2003, 3177 kann man es jedoch noch anders nachlesen.

Glücklicherweise kann man nicht wie in \"1984\" alle Bücher gleichzeitig umschreiben.

Sie können hierzu auch im AGFW-Gutachten von Büdenbender (EHP 3/2005, S. 22, 26 unter A II 1 c. aa) und bb) die BGH-Urteile) nachlesen:


Stadtwerke können sich also darauf berufen, dass sie aktuell nicht vertraglich, sondern in einem Interimsverhältnis beliefert werden.


Bekanntlich das Beste, was einem Kunden passieren kann, vgl. nur OLG München, NJW 1999, 421.

Und um die Preisformel brauchen Sie sich keinerlei Gedanken mehr machen:

Diese steht nur im Vertrag, der jedoch nichtig und nicht mehr gültig ist.


In einem Interimsverhältnis gibt es keine Preisformel.

Ich würde eine solche mit HEL- Bindung auch in keinen neuen Vertrag, der irgendwann das Interimsverhältnis beenden wird, mehr aufnehmen.

Das macht ja auch bei kurzfristigen Lieferverträgen schon keinerlei Sinn.


Glückwunsch!!!



Ich hoffe, dass Sie und Ihre Kollegen diese einmalige Chance jetzt nutzen.

Ersichtlich wird:

Es ist kein Milzbrand, auch wenn die Iddee sich entsprechend schnell verbreitet.

Auch für Stadtwerke nicht, sondern auch zu deren Nutzen einsetzbar:

Entgegen anderslauternder Entscheidungen (BGH wird noch in diesem Monat dazu verhandeln), kann man mit § 315 BGB auch die Netznutzungsentgelte des vorgelagerten Netzbetreibers drücken, wiederum letztlich zum Nutzen der Kunden.




Sollten Stadtwerke diese Chance jedoch nicht nutzen, braucht auch keiner mehr zu jammern, wie hilflos er doch sei.

Es gibt keine hilflosen Stadtwerke, sondern aktuell nur hilflose Vorlieferanten, denen die Kunden die Rechnungsbeträge zusammenkürzen, ohne dass hiergegen eine Gegenwehr möglich wäre.

Man möge getrost klagen und seine Preiskalkulation offen legen.



Wenn alle so verfahren, ist auch schnell E.ON Ruhrgas vor Gericht, um die Preiskalkulation zu eröffnen.

Das wird erst was:

Für eine solche Gerichtsverhandlung gäbe es wohl Kartenvorbestellungen wie für die Fussball- WM.

Ich bin gespannt, was E.ON Ruhrgas dann als das \"Marktübliche\" zur Rechtfertigung seiner überhöhten Preise heranziehen will.

Schließlich haben wir einen einheitlichen EU- Binnenmarkt und zum Beispiel russisches Erdgas wird auch nach Polen und Tschechien geliefert, wo die Preise steuer- und abgabenbereinigt weit niedriger sind. Die Erdgaspreise im Baltikum wären auch interessant, wo doch die Russen diesen Ländern bekanntlich nichts schenken.


Schließlich wurden die alten Verträge aus Monopolzeiten bei Demarkation herübergerettet, so dass es sich um Nachwirkungen dieses Monopols handelt. Die Offenlegung der Preiskalkulation wäre wohl fast so spannend wie das Schmökern in der Coca Cola- Rezeptur.


So ändern sich die Verhältnisse in einem deutschen Herbst.

Die Letzten werden die Ersten sein.



@Hennessy

Hier hat niemand etwas gegen starke Stadtwerke, ganz im Gegenteil.

Aber Handlanger der Konzerne, die nur auf ihre Hilflosigkeit verweisen und die Verbraucher immer weiter für die fast berstenden Konzernkassen abkassieren, sind nun einmal nicht das, was man sich als mündiger Energieverbraucher wünscht.

Stadtwerke und deren Kunden sollten partnerschaftlich miteinander umgehen und gemeinsam denen die rote Karte zeigen, die ersichtlich nur schnelles Geld auf Kosten anderer machen wollen.



Freundliche Grüße
aus Jena




Thomas Fricke
Rechtsanwalt

Offline Cremer

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Befreiungsschlag für Stadtwerke
« Antwort #3 am: 07. Oktober 2005, 22:31:10 »
@Forum,

habe heute mit Schreiben an den Präsidenten des Bundeskaretellamt auf die langfristigen Verträge, nach meiner Einschätzung mit Laufzeiten von 20 Jahren,  zwischen den Stadtwerken einerseits und Saar-Ferngas und RWE Rhein-Ruhr andererseits aufmerksam gemacht, mit der Bitte hier aktiv zu werden.
In einem Antwortschreiben der Stadtwerke haben sie die von mir geschätzten Laufzeiten von 20 Jahren weder dementiert noch bestätigt. Das kommt einem Eingeständnis gleich.
MFG
Gerd Cremer
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Befreiungsschlag für Stadtwerke
« Antwort #4 am: 28. Oktober 2005, 12:43:59 »
Es gibt seit langem das eindeutige Urteile OLG Düsseldorf in Sachen Thyssengas gegen STAWAG (Stadtwerke Aachen).

Die andere Entscheidung OLG Stuttgart in Sachen Gasversorgung Süddeutschland gegen Stadtwerke Schwäbisch Hall ging in die Revision zum BGH, wo es für die Stadtwerke wohl zu gut aussah, so dass viel Geld dafür geboten wurde, dass man die Sache auf sich beruhen lasse.

Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des Direktors des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Uni Bonn, Daniel Zimmer, im SPIEGEL 40/2005 vom 01.10.2005 auf Seite 89, wonach sich örtliche Versorger - unabhängig vom Vorgehen des Bundeskartellamtes - auf die Europa- und Kartellrechtswidrigkeit ihrer Verträge berufen können.

Die örtlichen Versorger machen sich deshalb ggf. die Rechtsauffassung von E.ON Ruhrgas/ RWE zu eigen,welche wohl vom BGW kommuniziert wird, gegen welche er sich jedoch gerade zu wenden hätte.

Das mag daran liegen, dass sie möglicherweise auf die gleiche juristische Expertise vertraut wie der Marktbeherrscher, obschon entsprechende Kollegen wohl eindeutig in einer Interessenkollission wären.

Ersichtlich wird der BGW von Freshfields Bruckhaus Deringer beraten, die auch den E.ON- und RWE- Konzern ständig beraten. Jedenfalls eine Tätigkeit der Kollegen Dr. Kunth und Tüngler wurden im Zusammenhang mit der Gaspreisdiskussion und entsprechenden Prozessen immer wieder öffentlich bekannt, vgl. nur SPIEGEL Nr. 41 vom 10.10.2005, S. 108, (110).

http://www.juve.de/cgi-bin/juve/dhb_introtxt.cgi?kapitel=Energiewirtschaftsrecht

Diese Kanzlei hatte wohl auch mit den o.g. Gerichtsverfahren zu tun:

http://www.juve.de/cgi-bin/juve/dhb_eintrag.cgi?ID=2935


Ersichtlich wird, dass es für Gasversorger entscheidend sein kann, von wem man sich gerade auf dem Gebiet des Kartellrechts beraten lässt.



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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