Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen

Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?

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RR-E-ft:
@neutralist

Ihrer Auffassung, dass § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV eine eigenständige Preisbestimmungspflicht des Versorgers isv. § 315 Abs. 1 BGB begründet, wodurch er zu einseitigen Preisänderungen berechtigt wird, die allein der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unterliegen, kann nicht gefolgt werden:

Eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers iSv. § 315 Abs. 1 BGB müsste bei Vertragsabschluss vertraglich vereinbart werden oder sich aus dem Gesetz ergeben.

Im Gasbereich soll sich eine solche Preisbestimmungspflicht des Versorgers laut BGH ausdrücklich nicht aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ergeben (vgl. BGH VIII ZR 36/ 06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Dann kann sie sich bei Fernwärme aus § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV erst recht nicht ergeben.

Nach der M.M. Fricke ZNER 15/2/2011 S. 130 ff. ergibt sich eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers [zugleich vertragliche Preishauptabrede] unmittelbar aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG. Dieser Meinung auch angeschlossen hat sich wohl Markert.

Eine entsprechende gesetzliche Regelung, aus welcher eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers [als vertragliche Preishauptabrede] abgeleitet werden kann, exisitiert für Fernwärme jedenfalls nicht.

Will der Fernwärmeversorger nach Vertragsabschluss den Preis einseitig ändern so bedarf es entweder einer vertraglichen Preishauptabrede in Gestalt einer Preisbestimmungspflicht, auf die § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet (vgl. BGH VIII ZR 36/ 06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16)  oder aber einer entsprechenden vertraglichen Preisnebenabrede, die ihn zur einseitigen Änderung eines mit einer vertraglichen Preishauptabrede zunächst vertraglich vereinbarten Preises berechtigt (vgl. BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).

Zu deutsch:

Es bedarf einer wirksamen Preisänderungsklausel im Vertrag, um einen vertraglich vereinbarten Preis nachträglich einseitig abzuändern (vgl. BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).

Für die Wirksamkeit einer solchen Preisänderungsklausel kommt es jedoch entscheidend darauf an, dass diese den Anforderungen entspricht, die § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV stellt.

Dem Fernwärmeversorger wird es demnach nicht freigestellt, eine Preisänderungsklausel in seinen Allgemeinen Bedingungen zu verwenden, die nicht den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht.

So ist m.E. auch die zitierte Entscheidung des LG Rostock Az. 9 O273/07 zu verstehen.

RR-E-ft:

--- Zitat ---Original von neutralist

Findet hingegen keine Preisanpassungsklausel nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärme Anwendung oder stellt der Versorger sein Preisanpassungssystem auf eine einseitige Anpassung ohne Preisanpassungsklausel nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV um, kann der Versorger seine Preisanpassungen auf § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV stützen.
--- Ende Zitat ---

@neutralist

Ihrem Gedankengang fehlt es wohl an einer klaren Unterscheidung zwischen Preishaupt- und Preisnebenabrede.

Besteht die vertragliche Preishauptabrede darin, dass der Versorger nach Vertragsabschluss den vom Kunden jeweils zu zahlenden Tarifpreis jeweils einseitig bestimmen soll, so bedarf es keiner Preisänderungsklausel (kontrollfähige Preisnebenabrede).

Der vom Versorger aufgrund der vertraglichen Preishauptabrede jeweils einseitig bestimmte Tarifpreis unterliegt dann selbst (insgesamt) der Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).


--- Zitat ---BGH, Urt. v. 11.10.06 Az. VIII ZR 270/05 Rn. 19, juris:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Tarife von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterworfen (BGHZ 73, 114, 116; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828 unter II 2 b; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992, 183 unter I für Interimsverhältnisse bei der Stromlieferung).

Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich der Preisgestaltung eines Fernwärmeversorgungsunternehmens (Senatsurteil vom 28. Januar 1987 - VIII ZR 37/86, WM 1987, 506 = NJW 1987, 1622 unter B II, insofern in BGHZ 100, 1 ff. nicht abgedruckt; Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - VIII ZR 8/89, aaO, unter B I 3 a).

Voraussetzung für eine Überprüfung der Preisgestaltung nach § 315 Abs. 3 BGB ist aber stets, dass das Energieversorgungsunternehmen den entsprechenden Tarif einseitig bestimmt und ihm hierbei ein gewisser Ermessensspielraum zusteht.
--- Ende Zitat ---

Ob bei Vertragsabschluss ein Preis oder aber eine  Preisbestimmungspflicht des Versorgers als vertragliche Preishauptabrede vereinbart wurde, ist Auslegungsfrage (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Wenn der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV spezielle Anforderungen an eine (wo nötige) Preisänderungsklausel stellt, so kann eine (wo nötige) Preisänderungsklausel jedenfalls nicht in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gesehen werden!

Ohne wirksame Preisnebenabrede kann der Versorger im Übrigen die bereits bestehende Preishauptabrede nachträglich nicht einseitig abändern.

Er kann also insbesondere zur Preishauptabrede im laufenden Vertragsverhältnis nicht bestimmen, dass eine bisherige Preisvereinbarung durch eine einseitige Preisbestimmungspflicht ersetzt wird.

neutralist:
@ RR-E-ft: vielleicht habe ich mich in Ihren Augen unklar ausgedrückt: § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ist/enthält (auch) ein gesetzliches Preisanpassungsrecht für den Versorger - wie auch die entsprechende Regelung in den anderen Versorgungssparten (wie es auch der BGH sieht). Mithin ergibt  sich das Preisanpassungrecht (und ggf. auch die Preisanpassungspflicht) aus dem Gesetz. Ein Preisanpassungsrecht nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ist mithin nicht vertraglich vereinbart.

Oder differenzieren Sie nunmehr zwischen dem Preisanpassungsrecht und ggf. einer Preisanpassungspflicht?

BGH KZR 2/07 Rn 26 am Ende:\"Die gesetzliche Regelung umfasst  daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht  hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist, und enthält damit gerade  dasjenige zu einer ausgewogenen Regelung notwendige Element, das der von  der Beklagten vorgegebenen vertraglichen Anpassungsklausel fehlt.\"

Einseitige Preisanpassungen nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV während des laufenden Vertragsverhältnisses sind gemäß § 315 BGB von dem Versorger nach billigem Ermessen vorzunehmen und gerichtlich zu überprüfen, sie unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. vgl. BGH VIII ZR 138/07, BGH VIII ZR 36/06 Rn 13 ff.

Wenn der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 3 AVBWasserV spezielle Anforderungen an - alternative und vertraglich einbezogene - Preisänderungsklauseln als ergänzende Möglichkeit zur - direkten - Preisanpassung nach § 4 Abs. 2 AVB stellt, so kann unbeschwert ein gesetzliches Anpassungrecht in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gesehen werden.

Ich wünsche ein schönes Wochenende!

RR-E-ft:
@neutralist

Auch § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV enthält kein gesetzliches Preisänderungsrecht des Versorgers.

Ich unterscheide klar zwischen Preishauptabrede und Preisnebenabrede, was ich auch Ihnen nur empfehlen kann.

Der BGH sieht in § 4 AVBGasV - m. E. unzutreffend - eine Art  Preisänderungsklausel (Preisnebenabrede), weil dort - anders als in § 4 AVBFernwärmeV (!) - auch ausdrücklich von der Änderung der Allgemeinen Tarife/ Allgemeinen Preise die Rede ist.


--- Zitat ---BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 14 f., 22, juris:

aa) Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB kann einer Vertragspartei nicht nur durch vertragliche Vereinbarung, sondern auch durch Gesetz eingeräumt werden (BGHZ 126, 109, 120 zu § 12 Abs. 3 Gesetz über Arbeitnehmererfindungen; Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 315 Rdnr. 4; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 29; Bamberger/ Roth/Gehrlein, BGB, 2003, § 315 Rdnr. 3; Staudinger/Rieble, BGB (2004), § 315 Rdnr. 255; Erman/Hager, BGB, 11. Aufl., § 315 Rdnr. 10).

So verhält es sich hier. Die Beklagte hat als Energieversorgungsunternehmen, das die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführt, allgemeine Tarife für die Versorgung in Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und zu diesen Tarifen jedermann an ihr Netz anzuschließen und zu versorgen, (§ 10 Abs. 1 des hier anwendbaren Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730, EnWG 1998].

Ferner gilt für die von der Beklagten zum 1. Oktober 2004 vorgenommene Preiserhöhung § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676, AVBGasV; vgl. nunmehr § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006, BGBl. I S. 2396, i. V. m. § 39 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005, BGBl. I S. 1970, EnWG 2005). Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AVBGasV stellt das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Änderungen der allgemeinen Tarife werden gemäß § 4 Abs. 2 AVBGasV nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

§ 4 Abs. 2 AVBGasV beruht insoweit auf den gleichen Erwägungen, mit denen die Wirksamkeit von in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Kostenelementeklauseln bei anderen langfristigen Lieferverträgen begründet wird. Für diese ist anerkannt, dass sie ein geeignetes und zulässiges Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung darstellen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostensteigerungen bereits bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054, unter II 2; Senatsurteil vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05, WM 2005, 2335, unter II 2 m.w.N.).
--- Ende Zitat ---

Warum ich die Auffassung des BGH in diesem Punkt nicht teile, ist in ZNER 15/2/2011 S. 130 ff. veröffentlicht.

Ich meine, dass wegen §§ 10 Abs. 1, 1 Abs. 1  EnWG 1998, §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG für Grundversorgungsverträge Preisvereinbarungen als vertragliche Hauptabrede unzulässig sind, weil die gesetzlichen Regelungen des EnWG eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers im Hinblick auf die Allgemeinen Tarife/ Allgemeinen Preise begründen und auch in den betroffenen Vertragsverhältnissen außerhalb der Vertragsfreiheit eine Preisbestimmungspflicht als Preishauptabrede erfordern und begründen, siehe auch § 6 Abs. 1 GVV.


--- Zitat ---(1) Der Grundversorger ist im Interesse des Kunden verpflichtet, die für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge mit Netzbetreibern abzuschließen. Er hat die ihm möglichen Maßnahmen zu treffen, um dem Kunden am Ende des Netzanschlusses, zu dessen Nutzung der Kunde nach der Niederdruckanschlussverordnung berechtigt ist, zu den jeweiligen Allgemeinen Preisen und Bedingungen Gas zur Verfügung zu stellen.
--- Ende Zitat ---

Dazu zählt zuvörderst auch schon die gesetzlich begründete Verpflichtung zur Bestimmung und Veröffentlichung der jeweiligen Allgemeinen Preise gem. § 36 Abs. 1 EnWG unter Beachtung der §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG (vgl. BGH VIII ZR 138/07 Rn. 43).

Zur Fernwärme findet sich im EnWG keine Regelung zur Versorgungs- und Preisbestimmungspflicht des Versorgers, auf welche § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.

Zudem regelt § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV anders als § 4 Abs. 2 AVBGasV nicht auch die Änderung der jeweiligen Allgemeinen Tarife.
Von einer Tarifänderung ist in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gar keine Rede.


--- Zitat ---§ 4 AVBGasV

(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.
--- Ende Zitat ---


--- Zitat --- § 4 AVBFernwärmeV

(1) Das Fernwärmeversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Versorgungsbedingungen Dampf, Kondensat oder Heizwasser als Wärmeträger zur Verfügung.
(2) Änderungen der allgemeinen Versorgungsbedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.
--- Ende Zitat ---

Der Fernwärmeversorger kann jedoch mit seinen Abnehmern vertraglich vereinbaren, dass er nach Vertragsabschluss den vom Abnnehmer jeweils zu zahlenden Tarifpreis jeweils einseitig bestimmen soll.
Dann besteht die vertragliche Preishauptabrede in einer (dauernden) Preisbestimmungspflicht des Versorgers, die der Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB unterliegt.

In solchen Verträgen ist eine Preisnebenabrede (Preisänderungsklausel), die den Versorger zur einseitigen Änderung der bestehenden vertraglichen Preishauptabrede (vertraglich vereinbarter Preis) berechtigt, schon nicht erforderlich.

Wo der Fernwärmeversorger mit seinen Abnehmern eine solche Preisbestimmungspflicht nicht vertraglich vereinbart hat, geht der Verordnungsgeber offensichtlich wie selbstverständlich davon aus, dass es für einseitige Änderungen eines vereinbarten Preises einer Preisänderungsklausel (Preisnebenabrede) bedarf.

Und für solche Preisänderungsklauseln hat der Verordnungsgeber mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entsprechende Anforderungen aufgestellt.

Black:
Ich sehe schon Folgendes praktische Problem: Wenn § 4 AVBFernwärmeV ein gesetzliches Preisanpassungsrecht begründet, dann läuft § 24 AVBFernwärmeV leer, denn warum sollte der Wärmeversorger mit bestehendem gesetzliche Preisanpassungsrecht noch auf eine eigene Klausel zurückgreifen müssen?

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