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Autor Thema: Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?  (Gelesen 126355 mal)

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Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #210 am: 09. März 2012, 13:01:34 »
@neutralist

Ihrer Auffassung, dass § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV eine eigenständige Preisbestimmungspflicht des Versorgers isv. § 315 Abs. 1 BGB begründet, wodurch er zu einseitigen Preisänderungen berechtigt wird, die allein der Billigkeitskontrolle gem. § 315 Abs. 3 BGB unterliegen, kann nicht gefolgt werden:

Eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers iSv. § 315 Abs. 1 BGB müsste bei Vertragsabschluss vertraglich vereinbart werden oder sich aus dem Gesetz ergeben.

Im Gasbereich soll sich eine solche Preisbestimmungspflicht des Versorgers laut BGH ausdrücklich nicht aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ergeben (vgl. BGH VIII ZR 36/ 06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Dann kann sie sich bei Fernwärme aus § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV erst recht nicht ergeben.

Nach der M.M. Fricke ZNER 15/2/2011 S. 130 ff. ergibt sich eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers [zugleich vertragliche Preishauptabrede] unmittelbar aus §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG. Dieser Meinung auch angeschlossen hat sich wohl Markert.

Eine entsprechende gesetzliche Regelung, aus welcher eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers [als vertragliche Preishauptabrede] abgeleitet werden kann, exisitiert für Fernwärme jedenfalls nicht.

Will der Fernwärmeversorger nach Vertragsabschluss den Preis einseitig ändern so bedarf es entweder einer vertraglichen Preishauptabrede in Gestalt einer Preisbestimmungspflicht, auf die § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet (vgl. BGH VIII ZR 36/ 06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16)  oder aber einer entsprechenden vertraglichen Preisnebenabrede, die ihn zur einseitigen Änderung eines mit einer vertraglichen Preishauptabrede zunächst vertraglich vereinbarten Preises berechtigt (vgl. BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).

Zu deutsch:

Es bedarf einer wirksamen Preisänderungsklausel im Vertrag, um einen vertraglich vereinbarten Preis nachträglich einseitig abzuändern (vgl. BGH VIII ZR 320/07 Rn. 46).

Für die Wirksamkeit einer solchen Preisänderungsklausel kommt es jedoch entscheidend darauf an, dass diese den Anforderungen entspricht, die § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV stellt.

Dem Fernwärmeversorger wird es demnach nicht freigestellt, eine Preisänderungsklausel in seinen Allgemeinen Bedingungen zu verwenden, die nicht den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht.

So ist m.E. auch die zitierte Entscheidung des LG Rostock Az. 9 O273/07 zu verstehen.

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #211 am: 09. März 2012, 13:23:50 »
Zitat
Original von neutralist

Findet hingegen keine Preisanpassungsklausel nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärme Anwendung oder stellt der Versorger sein Preisanpassungssystem auf eine einseitige Anpassung ohne Preisanpassungsklausel nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV um, kann der Versorger seine Preisanpassungen auf § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV stützen.

@neutralist

Ihrem Gedankengang fehlt es wohl an einer klaren Unterscheidung zwischen Preishaupt- und Preisnebenabrede.

Besteht die vertragliche Preishauptabrede darin, dass der Versorger nach Vertragsabschluss den vom Kunden jeweils zu zahlenden Tarifpreis jeweils einseitig bestimmen soll, so bedarf es keiner Preisänderungsklausel (kontrollfähige Preisnebenabrede).

Der vom Versorger aufgrund der vertraglichen Preishauptabrede jeweils einseitig bestimmte Tarifpreis unterliegt dann selbst (insgesamt) der Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Zitat
BGH, Urt. v. 11.10.06 Az. VIII ZR 270/05 Rn. 19, juris:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Tarife von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterworfen (BGHZ 73, 114, 116; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828 unter II 2 b; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992, 183 unter I für Interimsverhältnisse bei der Stromlieferung).

Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich der Preisgestaltung eines Fernwärmeversorgungsunternehmens (Senatsurteil vom 28. Januar 1987 - VIII ZR 37/86, WM 1987, 506 = NJW 1987, 1622 unter B II, insofern in BGHZ 100, 1 ff. nicht abgedruckt; Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - VIII ZR 8/89, aaO, unter B I 3 a).

Voraussetzung für eine Überprüfung der Preisgestaltung nach § 315 Abs. 3 BGB ist aber stets, dass das Energieversorgungsunternehmen den entsprechenden Tarif einseitig bestimmt und ihm hierbei ein gewisser Ermessensspielraum zusteht.

Ob bei Vertragsabschluss ein Preis oder aber eine  Preisbestimmungspflicht des Versorgers als vertragliche Preishauptabrede vereinbart wurde, ist Auslegungsfrage (BGH VIII ZR 36/06 Rn. 32, VIII ZR 138/07 Rn. 16).

Wenn der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV spezielle Anforderungen an eine (wo nötige) Preisänderungsklausel stellt, so kann eine (wo nötige) Preisänderungsklausel jedenfalls nicht in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gesehen werden!

Ohne wirksame Preisnebenabrede kann der Versorger im Übrigen die bereits bestehende Preishauptabrede nachträglich nicht einseitig abändern.

Er kann also insbesondere zur Preishauptabrede im laufenden Vertragsverhältnis nicht bestimmen, dass eine bisherige Preisvereinbarung durch eine einseitige Preisbestimmungspflicht ersetzt wird.

Offline neutralist

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #212 am: 09. März 2012, 14:09:11 »
@ RR-E-ft: vielleicht habe ich mich in Ihren Augen unklar ausgedrückt: § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ist/enthält (auch) ein gesetzliches Preisanpassungsrecht für den Versorger - wie auch die entsprechende Regelung in den anderen Versorgungssparten (wie es auch der BGH sieht). Mithin ergibt  sich das Preisanpassungrecht (und ggf. auch die Preisanpassungspflicht) aus dem Gesetz. Ein Preisanpassungsrecht nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ist mithin nicht vertraglich vereinbart.

Oder differenzieren Sie nunmehr zwischen dem Preisanpassungsrecht und ggf. einer Preisanpassungspflicht?

BGH KZR 2/07 Rn 26 am Ende:\"Die gesetzliche Regelung umfasst  daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht  hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist, und enthält damit gerade  dasjenige zu einer ausgewogenen Regelung notwendige Element, das der von  der Beklagten vorgegebenen vertraglichen Anpassungsklausel fehlt.\"

Einseitige Preisanpassungen nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV während des laufenden Vertragsverhältnisses sind gemäß § 315 BGB von dem Versorger nach billigem Ermessen vorzunehmen und gerichtlich zu überprüfen, sie unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. vgl. BGH VIII ZR 138/07, BGH VIII ZR 36/06 Rn 13 ff.

Wenn der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 3 AVBWasserV spezielle Anforderungen an - alternative und vertraglich einbezogene - Preisänderungsklauseln als ergänzende Möglichkeit zur - direkten - Preisanpassung nach § 4 Abs. 2 AVB stellt, so kann unbeschwert ein gesetzliches Anpassungrecht in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gesehen werden.

Ich wünsche ein schönes Wochenende!

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #213 am: 09. März 2012, 14:23:23 »
@neutralist

Auch § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV enthält kein gesetzliches Preisänderungsrecht des Versorgers.

Ich unterscheide klar zwischen Preishauptabrede und Preisnebenabrede, was ich auch Ihnen nur empfehlen kann.

Der BGH sieht in § 4 AVBGasV - m. E. unzutreffend - eine Art  Preisänderungsklausel (Preisnebenabrede), weil dort - anders als in § 4 AVBFernwärmeV (!) - auch ausdrücklich von der Änderung der Allgemeinen Tarife/ Allgemeinen Preise die Rede ist.

Zitat
BGH, Urt. v. 13.06.07 VIII ZR 36/06 Rn. 14 f., 22, juris:

aa) Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB kann einer Vertragspartei nicht nur durch vertragliche Vereinbarung, sondern auch durch Gesetz eingeräumt werden (BGHZ 126, 109, 120 zu § 12 Abs. 3 Gesetz über Arbeitnehmererfindungen; Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 315 Rdnr. 4; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 315 Rdnr. 29; Bamberger/ Roth/Gehrlein, BGB, 2003, § 315 Rdnr. 3; Staudinger/Rieble, BGB (2004), § 315 Rdnr. 255; Erman/Hager, BGB, 11. Aufl., § 315 Rdnr. 10).

So verhält es sich hier. Die Beklagte hat als Energieversorgungsunternehmen, das die allgemeine Versorgung von Letztverbrauchern durchführt, allgemeine Tarife für die Versorgung in Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und zu diesen Tarifen jedermann an ihr Netz anzuschließen und zu versorgen, (§ 10 Abs. 1 des hier anwendbaren Energiewirtschaftsgesetzes vom 24. April 1998, BGBl. I S. 730, EnWG 1998].

Ferner gilt für die von der Beklagten zum 1. Oktober 2004 vorgenommene Preiserhöhung § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676, AVBGasV; vgl. nunmehr § 5 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006, BGBl. I S. 2396, i. V. m. § 39 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005, BGBl. I S. 1970, EnWG 2005). Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AVBGasV stellt das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Änderungen der allgemeinen Tarife werden gemäß § 4 Abs. 2 AVBGasV nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

§ 4 Abs. 2 AVBGasV beruht insoweit auf den gleichen Erwägungen, mit denen die Wirksamkeit von in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Kostenelementeklauseln bei anderen langfristigen Lieferverträgen begründet wird. Für diese ist anerkannt, dass sie ein geeignetes und zulässiges Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung darstellen. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostensteigerungen bereits bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2006 - VIII ZR 25/06, NJW 2007, 1054, unter II 2; Senatsurteil vom 21. September 2005 - VIII ZR 38/05, WM 2005, 2335, unter II 2 m.w.N.).

Warum ich die Auffassung des BGH in diesem Punkt nicht teile, ist in ZNER 15/2/2011 S. 130 ff. veröffentlicht.

Ich meine, dass wegen §§ 10 Abs. 1, 1 Abs. 1  EnWG 1998, §§ 36 Abs. 1, 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG für Grundversorgungsverträge Preisvereinbarungen als vertragliche Hauptabrede unzulässig sind, weil die gesetzlichen Regelungen des EnWG eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers im Hinblick auf die Allgemeinen Tarife/ Allgemeinen Preise begründen und auch in den betroffenen Vertragsverhältnissen außerhalb der Vertragsfreiheit eine Preisbestimmungspflicht als Preishauptabrede erfordern und begründen, siehe auch § 6 Abs. 1 GVV.

Zitat
(1) Der Grundversorger ist im Interesse des Kunden verpflichtet, die für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge mit Netzbetreibern abzuschließen. Er hat die ihm möglichen Maßnahmen zu treffen, um dem Kunden am Ende des Netzanschlusses, zu dessen Nutzung der Kunde nach der Niederdruckanschlussverordnung berechtigt ist, zu den jeweiligen Allgemeinen Preisen und Bedingungen Gas zur Verfügung zu stellen.

Dazu zählt zuvörderst auch schon die gesetzlich begründete Verpflichtung zur Bestimmung und Veröffentlichung der jeweiligen Allgemeinen Preise gem. § 36 Abs. 1 EnWG unter Beachtung der §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 EnWG (vgl. BGH VIII ZR 138/07 Rn. 43).

Zur Fernwärme findet sich im EnWG keine Regelung zur Versorgungs- und Preisbestimmungspflicht des Versorgers, auf welche § 315 Abs. 3 BGB unmittelbare Anwendung findet.

Zudem regelt § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV anders als § 4 Abs. 2 AVBGasV nicht auch die Änderung der jeweiligen Allgemeinen Tarife.
Von einer Tarifänderung ist in § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV gar keine Rede.

Zitat
§ 4 AVBGasV

(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

Zitat
§ 4 AVBFernwärmeV

(1) Das Fernwärmeversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Versorgungsbedingungen Dampf, Kondensat oder Heizwasser als Wärmeträger zur Verfügung.
(2) Änderungen der allgemeinen Versorgungsbedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

Der Fernwärmeversorger kann jedoch mit seinen Abnehmern vertraglich vereinbaren, dass er nach Vertragsabschluss den vom Abnnehmer jeweils zu zahlenden Tarifpreis jeweils einseitig bestimmen soll.
Dann besteht die vertragliche Preishauptabrede in einer (dauernden) Preisbestimmungspflicht des Versorgers, die der Billigkeitskontrolle in unmittelbarer Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB unterliegt.

In solchen Verträgen ist eine Preisnebenabrede (Preisänderungsklausel), die den Versorger zur einseitigen Änderung der bestehenden vertraglichen Preishauptabrede (vertraglich vereinbarter Preis) berechtigt, schon nicht erforderlich.

Wo der Fernwärmeversorger mit seinen Abnehmern eine solche Preisbestimmungspflicht nicht vertraglich vereinbart hat, geht der Verordnungsgeber offensichtlich wie selbstverständlich davon aus, dass es für einseitige Änderungen eines vereinbarten Preises einer Preisänderungsklausel (Preisnebenabrede) bedarf.

Und für solche Preisänderungsklauseln hat der Verordnungsgeber mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entsprechende Anforderungen aufgestellt.

Offline Black

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #214 am: 09. März 2012, 16:39:33 »
Ich sehe schon Folgendes praktische Problem: Wenn § 4 AVBFernwärmeV ein gesetzliches Preisanpassungsrecht begründet, dann läuft § 24 AVBFernwärmeV leer, denn warum sollte der Wärmeversorger mit bestehendem gesetzliche Preisanpassungsrecht noch auf eine eigene Klausel zurückgreifen müssen?
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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« Antwort #215 am: 09. März 2012, 17:07:05 »
@Black

Dass § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV kein gesetzliches Preisanpassungsrecht begründet,
wird ja bereits an § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV deutlich.

Es wäre wohl nahezu idiotisch, wenn der Gesetzgeber
mit § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV eine Art Preisänderungsklausel einräumen würde,
die ihrerseits ganz offensichtlich nicht den Anforderungen genügt,
denen eine Preisänderungsklausel nach dem Willen des Gesetzgebers
gem. § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV jedenfalls entsprechen muss.


Zitat
Amtliche Begründung zu § 4 AVBFernwärmeV (abgedruckt in Theobald/ Danner, Energierecht- Kommentar,  Bd. II)

Nach Abs. 1 sind die Fernwärmeversorgungsunternehmen verpflichtet,
die Kunden zu den jeweiligen allgemeinen Bedingungen,
zu denen auch diejenigen Regelungen gehören,
die sie in Ausfüllung der vorliegenden Verordnung vorsehen,
zu versorgen.

Auf diese Weise wird sichergestellt,
dass Änderungen der Versorgungsbedingungen,
soweit die Verordnung diese zulässt (zB. technische Anschlussbedingungen),
ohne entsprechende Kündigungen nach öffentlicher Bekanntgabe (Absatz 2) vollziehen können.

Preisanpassungen können sich über Preisgleiklauseln vollziehen (vgl. § 24 Abs. 3).

Dies spricht auch gerade in Ansehung der § 4 AVBEltV/ AVBGasV dafür,
dass Preisanpassungen von § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV bewusst ausgenommen wurden.


Zitat
Amtliche Begründung zu § 24 AVBFernwärmeV (abgedruckt in Theobald/ Danner, Energierecht- Kommentar,  Bd. II)

Die Langfristigkeit der Versorgungsverträge macht es erforderlich,
dass sich notwendige Preisanpassungen im Rahmen von Preisänderungsklauseln, d. h. ohne Kündigung der Vertragsverhältnisse vollziehen können.

Absatz 3 schreibt die Kriterien vor, die in Preisgleitklauseln berücksichtigt werden müssen. Sie tragen sowohl der Zielsetzung kostenorientierter Fernwärmepreise als auch dem Umstand Rechnung, dass sich die Fernwärmepreisgestaltung nicht losgelöst von den Preisverhältnissen am Wärmemarkt vollziehen kann. Im Rahmen der kartellbehördlichen Aufsicht wird darauf geachtet, dass die Fernwärmeversorgungsunternehmen Preisgestaltungsspielräume nicht missbräuchlich ausschöpfen.  

Offline neutralist

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« Antwort #216 am: 09. März 2012, 17:32:46 »
@ RR-E-ft...(trotz Wochenende ;-): Wieso sollte etwas in der Fernwärmeversorgung idiotisch sein, wenn es das in der Wasserversorgung offensichtlich nicht ist? Wieso sind verschiedene Möglichkeiten der Preisanpasung idiotisch? Nicht eher modern?

Wahlmöglichkeiten sind doch etwas schönes: Entweder gesetzliches PReisanpassungsrecht mit den vom BGH entwickelten Anforderungen oder vertragliches Anpassungsrecht mit den Gestaltungsräumen, die § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV bietet. Insgesamt noch übersichtlicher als Handy-Telefontarife..
...und können bedeutet eben nicht müssen...

@Black: Wieso liefe § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV leer? Ich erinnere an BGH VIII ZR 270/05:
1. Leitsatz \"Eine Billigkeitskontrolle der Preisgestaltung eines Fernwärmeversorgungs-unternehmens gemäß § 315 Abs. 3 BGB ist ausgeschlossen, wenn die Berechnungsfaktoren für eine Preisänderung vertraglich so bestimmt sind, dass bei der Berechnung des geänderten Preises ein Ermessensspielraum nicht besteht (sog. automatische Preisgleitklausel).\"

Möglicherweise wid von einigen ja auch ein Vorteil in der Verwendung einer vertraglichen Preisanpassungsklausel nach  § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV gesehen...

Offline RR-E-ft

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« Antwort #217 am: 09. März 2012, 17:40:23 »
@neutralist

Immerhin werden in § 4 AVBWasserV die Preise ausdrücklich benannt.

Zitat
§ 4 AVBWasserV

(1) Das Wasserversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Versorgungsbedingungen einschließlich der dazugehörenden Preise Wasser zur Verfügung.

(2) Änderungen der allgemeinen Versorgungsbedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam. Dies gilt auch für die dazugehörenden Preise, sofern sie nicht dem Kunden im Einzelfall mitgeteilt werden.

Es könnte im Bereich der öffentlichen Wasserversorgung zumeist so sein, dass sich schon durch Auslegung ergibt, dass bei Vertragsabschluss vereinbart wurde, dass der Wasserversorger nach Vertragsabschluss die vom Abnehmer zu zahlenden jeweiligen Preise jeweils bestimmen soll.

Offline RR-E-ft

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« Antwort #218 am: 09. März 2012, 18:11:31 »
Der BGH wendet auf Wasserpreise § 315 Abs. 3 BGB nicht unmittelbar an, was dafür spricht, dass eine gesetzliche Preisbestimmungspflicht des Wasserversorgers nicht besteht.

Denn sonst wäre § 315 BGB unmittelbar anwendbar.

Man muss zwischen unmittelbarer Anwendung des § 315 BGB aufgrund einer vertraglich vereinbarten oder gesetzlich begründeten Preisbestimmungspflicht des Versorgers einerseits und einer analogen Anwendung des § 315 BGB infolge einer Monopolstellung des Versorgers unterscheiden.

Clifford Chance Rechtsgutachten zur Anwendbarkeit von § 315 BGB auf Fernwärmepreise
Prof. Büdenbender stellt am Schluss seines Rechtsgutachtens nach umfassenden Untersuchungsgang die abschließende These auf:

\"Insgesamt ist festzustellen, dass eine Preiskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB in der Fernwärmewirtschaft - von Sonderfällen abgesehen - rechtlich nicht möglich ist.\"

Die unmittelbare Anwendung des § 315 BGB setzt nämlich voraus, dass die Parteien bei Vertragsabschluss vereinbart haben, dass der Versorger die Preise nach Vertragsabschluss einseitig bestimmen soll.

§ 315 Abs. 1 BGB setzt tatbestandlich die Verpflichtung eines Vertragsteils voraus, die Leistung gegenüber seinem Vertragspartner einseitig zu bestimmen.

Vgl. Gemeinschaftsaufsatz Berkner/Topp/Kuhn/Tomala, et 2005 S. 952 (955)

Das eindrucksvolle Gemeinschaftswerk sollte belegen, dass ein einseitiges Bestimmungsrecht des Fernwärmeversorgers, auf welches § 315 BGB unmittelbare Anwendung findet, nicht besteht.  

Zitat
Berkner/Topp/Kuhn/Tomala/ et 2005, S. 952 (955):

Für die unmittelbare Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB auf Fernwärmelieferverträge müsste daher beim Abschluss des Vertrages ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des FVU ausdrücklich vereinbart werden (§ 315 Abs. 1 BGB) oder aber ein Einigungsmangel hinsichtlichder Bestimmtheit der Gegenleistung vorliegen (§§ 316, 315 Abs. 1 BGB).

Vor diesem Hintergrund scheidet eine Anwendungdes § 315 Abs. 3 BGB auf Fernwärmelieferverträge regelmäßig aus:

Bei der Fernwärmeversorgung einigen sich die Parteien im Rahmen des Vertragsschlusses auf einen Preis. Dabei wird entweder der Preis individuell ausgehandelt oder es wird auf gemäß § 1 Abs. 4 AVBFernwärmeV veröffentlichte Preisregelungen und Preislisten Bezug genommen.

Ein einseitiges Preisbestimmungsrecht zugunsten des FVU wird üblicherweise gerade nicht vereinbart; ebenso wenig lassen die Parteien den Preis offen.

Die Leistungsbestimmung findet vielmehr innerhalb des Vertrags statt [19].Allein die Tatsache, dass Vertragsbedingungen von einem – häufig wirtschaftlich stärkeren – Vertragspartner„vorgegeben“ werden, kann den Schluss auf dessen einseitiges Leistungsbestimmungsrecht nicht rechtfertigen.

Wie in sonstigen Kaufverträgen auch unterbreitet das FVU dem Kunden ein Angebot. Der Kunde akzeptiert den darin enthaltenen Preis mit Abschluss des Fernwärmeversorgungsvertrages und macht ihn so zum Vertragsgegenstand oder lehnt ihn ab.

Gelingt es den Parteien nicht, sich auf einen Preis zu einigen, muss der Kunde auf einen anderen Wärmeträger ausweichen.




Bei einer analogen Anwendung des § 315 BGB infolge einer Monopolstellung unterliegt der Gesamtpreis der Billigkeitskontrolle, nur bei Strom und Gas soll es anders sein.

Zitat
BGH, Urt. v. 13.07.11 Az. VIII ZR 342/09 Rn. 36 f., juris:

b) Hinsichtlich der zu beurteilenden Festsetzung des bis Ende 2006 geforderten Wasserpreises bestehen ebenfalls Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, auch dieser unterliege als vereinbarter Preis keiner gerichtlichen Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB.

Zwar nimmt der Senat bei einer Anpassung von Gaspreisen an, dass bei von den Parteien bei Vertragsschluss oder später vereinbarten Preisen für eine auf eine Monopolstellung des Energieversorgungsunternehmens gestützte Billigkeitskontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB kein Raum ist.

Diese Beurteilung beruht jedoch auf Besonderheiten der auf dem Gebiet der Energiewirtschaft bestehenden Gesetzgebung für die Elektrizitäts- und Gasversorgung, für die der Gesetzgeber hat erkennen lassen, überhöhte Preise ausschließlich durch eine Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht und nicht im Wege zivilrechtlicher Auseinandersetzungen bekämpfen zu wollen, was für diesen Bereich einer analogen Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB die Grundlage entzieht (Senatsurteile vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 17 ff.; vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957 Rn. 17; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, aaO Rn. 45).

Für den Bereich der Wasserversorgung ist hingegen eine vergleichbare Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfungsbefugnisse nicht erkennbar.

Insoweit gilt vielmehr, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, im Falle einer Monopolstellung des Versorgungsunternehmens, wie sie hier vom Berufungsgericht unangegriffen festgestellt worden ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind.

Demgemäß sind in diesen Fällen, zu denen auch die Tariffestsetzung auf dem Gebiet der Wasserversorgung zählt, die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entsprechen (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04, WuM 2005, 589 unter II 1, insoweit in BGHZ 163, 321 nicht abgedruckt; vom 21. September 2005 - VIII ZR 7/05, NJW-RR 2006, 133 unter II 1; vom 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 33; vom 4. März 2008 - KZR 29/06, NJW 2008, 2175 Rn. 22 ff.).

Soweit das Berufungsgericht von einer Verwirkung des Rechts des Beklagten ausgegangen ist, eine gerichtliche Nachprüfung der Festsetzung des Wasserpreises in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB zu beantragen, bestehen mit der Revision des Beklagten auch Bedenken, ob die hierzu notwendigen Voraussetzungen sowohl hinsichtlich eines erforderlichen Zeitablaufs als auch hinsichtlich eines Hinzutretens ganz besonderer Umstände, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (dazu BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, NJW 2011, 212 Rn. 22 mwN), in zureichender Weise festgestellt sind.

Zudem bestehen Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, es sei Sache des Beklagten gewesen, im Einzelnen darzulegen, dass sich zumindest seit Januar 2006 die für eine Beurteilung der Billigkeit der Preisbestimmung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert hätten.

Vielmehr liegt, soweit eine auf eine Monopolstellung gestützte Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB stattfindet, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der verlangte Preis der Billigkeit entspricht, jedenfalls außerhalb eines Rückforderungsprozesses nach allgemeinen Grundsätzen bei demjenigen, der die Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen hat (vgl. BGH, Urteile vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, aaO Rn. 28; vom 18. Oktober 2007 - III ZR 277/06, NVwZ 2008, 110 Rn. 29, insoweit in BGHZ 174, 48 nicht abgedruckt; vom 5. Februar 2003 - VIII ZR 111/02, BGHZ 154, 5, 8 f.; jeweils mwN).

Analoge Anwendung des § 315 BGB auf Fernwärmepreise


Zitat
BGH, Urt. v. 11.10.06 Az. VIII ZR 270/05 Rn. 18 f., juris:

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt hier eine Überprüfung der von der Klägerin vorgenommenen Preisanpassung am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB nicht in Betracht. Zwar ist das Bestreiten der Billigkeit einer Preisbestimmung nicht schon durch § 30 AVBFernwärmeV ausgeschlossen (Senatsurteil vom 30. April 2003 - VIII ZR 279/02, WM 2003, 1730 = NJW 2003, 3131 unter II 2 zu § 30 AVBWasserV).

Die Klägerin hat jedoch bei der Änderung der Preise für die gelieferte Fernwärme kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB ausgeübt. Ein solches war ihr nach dem Servicevertrag für den Wärmebezug auch nicht eingeräumt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Tarife von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterworfen (BGHZ 73, 114, 116; BGH, Urteil vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828 unter II 2 b; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 - VIII ZR 240/90, WM 1991, 2065 = NJW-RR 1992, 183 unter I für Interimsverhältnisse bei der Stromlieferung).

Dies gilt grundsätzlich auch hinsichtlich der Preisgestaltung eines Fernwärmeversorgungsunternehmens (Senatsurteil vom 28. Januar 1987 - VIII ZR 37/86, WM 1987, 506 = NJW 1987, 1622 unter B II, insofern in BGHZ 100, 1 ff. nicht abgedruckt; Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - VIII ZR 8/89, aaO, unter B I 3 a).

Voraussetzung für eine Überprüfung der Preisgestaltung nach § 315 Abs. 3 BGB ist aber stets, dass das Energieversorgungsunternehmen den entsprechenden Tarif einseitig bestimmt und ihm hierbei ein gewisser Ermessensspielraum zusteht.

Offline neutralist

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #219 am: 14. März 2012, 15:06:21 »
Das OLG Naumburg wendet § 315 BGB offenbar direkt an, OLG Naumburg, 6 U 63/08: Leitsatz des Gerichts:
\"1. Einseitige Tariferhöhungen eines Trinkwasserversorgungsunternehmens nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 AVBWasserV unterliegen gem. § 315 Abs. 1 BGB gerichtlicher Billigkeitskontrolle (vgl. BGH Urteil vom 13. Juni 2007 – VIII ZR 36/06 – Rn 13 zitiert nach juris).\"

Darüber hinaus ergibt sich auch aus der Begründung zur AVBWasserV, dass sich auch Preisänderungen nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBWaserV vollziehen können (aber offensichtlich nicht müssen, denn alternativ gibt es die Möglichkeit zur Preisanpassung mittels einer Preisänderungsklausel nach § 24 Abs. 3 AVBWasserV, vgl. Begründung zu § 24 AVBWasserV:\"...Sofern die Anpassung von Preisen an geänderte wirtschaftliche Verhältnisse mit Hilfe von Preisänderungsklauseln erfolgen soll...\" (mithin offenbar nicht muss).

Es spricht also weiterhin vieles für ein gesetzliches Preisanpassungsrecht auch in der Fernwärme, wenn die Versorgung auf der Grundlage der AVBFernwärmeV erfolgt, es wäre m. E. auch schon recht seltsam, wenn nahezu gleichlautende AVB der verschiedenen Sparten gerade für den wichtigen Bereich der Preisanpassung so unterschiedliche Wege gehen sollten, ohne weitergehende Begründung.

Die Häufigkeit der Verwendung von - vertraglichen - und häufig mathematisch-formelhaften Preisanpassungsklauseln im Gegensatz zur Preisanpassung aufgrund der gesetzlichen Grundlage des § 4 AVBFernwärmeV mag nachvollziehbare Gründe (jedenfalls bis vor 1/2 Jahren) auf Seiten der Versorger gehabt haben - ohne gleich Prof. Büdenbender zitieren zu wollen....

Offline RR-E-ft

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« Antwort #220 am: 14. März 2012, 15:39:53 »
OLG Naumburg, Urt. v. 13.11.08 Az. 6 U 63/08 verweist auf BGH, Urt. v. 13.06.07 Az. VIII ZR 36/06.

In der Entscheidung BGH, Urt. v. 13.07.11 Az. VIII ZR 342/09 führt der BGH aus,
dass seine Rechtsprechung zur Versorgung von Gas- Tarifkunden nicht auf die Versorgung von Wasser- Tarifkunden übertragen werden könne.

Aus § 4 Abs. 2 AVBWasserV ist insbesondere eine Preisbestimmungspflicht des Versorgers und eine Pflicht zur Anpassung zugunsten der Kunden nicht ersichtlich.

§ 4 Abs. 1 AVBWasserV ließe sich möglicherweise dahingehend auslegen,
dass bei Abschluss des Liefervertrages kein Preis vereinbart wird, vielmehr der Versorger berechtigt und verpflichtet sein soll,
den vom betroffenen Kunden zu zahlenden, jeweiligen Preis festzulegen.

Zitat
§ 4 AVBWasserV

(1) Das Wasserversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Versorgungsbedingungen einschließlich der dazugehörenden Preise Wasser zur Verfügung.

(2) Änderungen der allgemeinen Versorgungsbedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam. Dies gilt auch für die dazugehörenden Preise, sofern sie nicht dem Kunden im Einzelfall mitgeteilt werden.

In § 4 AVBFernwärmeV ist demgegenüber von Preisen schon keine Rede.

Offline neutralist

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #221 am: 14. März 2012, 17:16:15 »
Na ja, BGH VIII ZR 342/09 macht m. E. nur deutlich, dass im Bereich der Wasserversorgung sowohl § 315 BGB direkt als auch analog Anwendung (wegen der zusätzlichen Monopolstellung) findet. Die Gas-Rechtsprechung kann nur insoweit nicht auf die Wasserversorgung Anwendung finden, als dass im Gasbereich für eine auf eine Monopolstellung des Energieversorgungsunternehmens gestützte Billigkeitskontrolle des vereinbarten Preises in entsprechender Anwendung von § 315 BGB kein Raum ist.

Mehr ist dem Urteil nicht zu entnehmen, insbesondere nicht, dass  § 4 AVBWasserV kein gesetzliches Preisanpassungsrecht beinhaltet.

Warum muss denn in § 4 AVBFernwärmeV zusätzlich von Preisen die Rede sein? Muss man auf Selbstverständlichkeiten immer hinweisen?

Jedes Quadrat ist ein Viereck, mithin vom Viereck mitumfasst, so wäre eine Bestimmung \"jedes Viereck, einschließlich der Quadrate\" nicht falsch, aber eigentlich auch überflüssig und dient ggf. nur dem besseren Verständnis und der Verdeutlichung, ein Erkenntnisgewinn ist damit aber nicht verbunden.

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #222 am: 14. März 2012, 18:10:30 »
Wieso sollte es denn eine Selbstverständlichkeit sein, dass § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV auch Preise umfasst?

Preise sind dort nicht genannt und m. E. auch nicht gemeint.

Wenn der Gesetzgeber auch die Änderung von Preisen bzw. Tarifen meint, so führt er diese deshalb jedenfalls immer ausdrücklich auf vgl. §§ 4 Abs. 2 AVBGasV/AVBEltV/AVBWasserV.

Offline RR-E-ft

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Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #223 am: 14. März 2012, 18:18:28 »
@neutralist

§ 315 Abs. 1 BGB setzt tatbestandlich die Verpflichtung eines Vertragsteils voraus, die Leistung gegenüber seinem Vertragspartner einseitig zu bestimmen. Lässt sich aus § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV eine Verpflichtung des Wärmeversorgers entnehmen, die Preise zu bestimmen und im Interesse der Kunden anzupassen?

Hat Prof. Büdenbender Seminarthemen ausgegeben?  ;)

Offline sternenmeer

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Re: Kündigung des Fernwärmevertrages kartellrechtlich wirksam?
« Antwort #224 am: 06. Juli 2013, 15:14:27 »
Kündigung Fernwärmevertrag
Die Berufung beim OLG Stuttgart (Az.:2 U 122/11) wurde auf Empfehlung des Senats in der mündlichen Verhandlung am 15.03.2012 zurückgenommen.
Die 1,5 stündige Verhandlung führte jedoch zu wesentlichen Erkenntnissen über die rechtliche Beurteilung des nunmehr seit dem 01.01.2010 bestehenden
"konkludenten Vertragsverhältnisses" nach der rechtswirksamen Kündigung.

 

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