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Autor Thema: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?  (Gelesen 7784 mal)

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Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« am: 29. August 2005, 13:45:19 »
Der Billigkeitskontrolle unterliegen bei Energiepreisen nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung nur die Gesamtpreise.

Eine Billigkeitskontrolle einer einzelnen Preiserhöhung als solcher kann es deshalb gar nicht geben.

Es wird dringend dazu geraten, immer gegen den Gesamtpreis die Unbilligkeit einzuwenden und auch die alten Preise nur unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle und Rückforderung zu leisten.

Der Erdgaslieferant ist so lange Monopolist, wie dem Kunden kein anderer Erdgasversorger zur Verfügung steht, vgl. Prof. Salje et 2005, 278, 280:


Trotz rechtlicher Öffnung der Gasmärkte seit dem Jahre 2003 fehlt es für Tarifkunden und kleinere Sondervertragskunden noch an der faktischen Gasmarktöffnung. Diese Kunden müssen deshalb, auch wenn sie mittelfristig auf eine andere Versorgungsart (z.B. Heizöl) übergehen könnten, einstweilen weiter wie monopolgebundene Kunden behandelt werden.


Wie erfolgt die gerichtliche Billigkeitskontrolle von Erdgaspreisen nun?


Hierzu das Urteil des

Landgerichts Mannheim

vom 16.08.2004, Az. 24 O 41/04 (nicht rechtskräftig)

im Wortlaut:

 
Landgericht Mannheim
4. Kammer für Handelssachen

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit



-  Klägerin -

Prozessbevollmächtigte:

gegen



- Beklagte -
       
Prozessbevollmächtigte:


 
wegen Forderung

hat die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Mannheim auf die mündliche Verhandlung vom 16.08.2004 unter Mitwirkung

Vors. Richter am Landgericht xxx Handelsrichter xxx Handelsrichter xxx

für        Recht      erkannt:

1 Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreite.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des    
    jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten restliche Vergütung für Erdgaslieferungen
 
 
Die Klägerin betreibt ein regionales Energieversorgungsunternehmen; jedenfalls bis 30.05.2004 hatte sie in ihrem Einzugsbereich eine Monopolstellung auf dem Markt für Gaslieferungen.

Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Energiedienstleistungsunternehmen, welches sich auf die Energieversorgung von Unternehmen der Contracting-Branche spezialisiert hat. Die Beklagte ist für ihre Kunden Lieferant von Öl, Fernwärme und Erdgas. Im leitungsgebundenen Bereich ist sie dabei auf die Energielieferung der kommunalen Verorger angewiesen.

Mitte des Jahres 2002 bestanden zwischen der Klägerin einerseits und der xxx sowie der xxx andererseits Gaslieferungsverträge, aufgrund deren 19 Abnahmestellen in Weinheim versorgt worden sind. Mit Schreiben vom 26.07.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie „als Geschäftsbesorger mit Wirkung zum 01.09.2002 in die zwischen ... (der Klägerin) und ... (ihren) Kunden (entsprechend nachfolgender Liste) geschlossenen Verträge für die nachstehenden Anlagen\" eintrete. Die weiteren Einzelheiten, insbesondere die 19 Abnahmestellen, sind aus der Anlage B 1 ersichtlich.

Die Klägerin stellte der Beklagten am 01.09.2002 ihren günstigsten Erdgastarif abzüglich 5 % Preisnachlass in Rechnung; entsprechende Preise stellt sie allen Kunden mit vergleichbarer Abnahmestruktur in Rechnung.

Mit Schreiben vom 24.10.2002 (B 2) teilte die Beklagte dar Klägerin insbesondere folgendes mit:

„Als Energiebezugsmanager liegt unser Augenmerk auf der Erhöhung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses bei den Energiekosten unserer Kunden. Über ein entsprechendes Angebot würden wir uns freuen und werden diesbezüglich kurzfristig auf Sie zukommen. Bereits erfolgte oder künftige Abschlagszahlungen bzw. Zahlungen auf Rechnungen stellen wir deshalb unter den Vorbehalt der zu verhandelnden Energie- Bezugskosten.\"
 
Auf die Rechnungen der Klägerin leistete die Beklagte Abschlagszahlungen.

Nach Beendigung des Gaslieferungsvertrages zum 31.10.2003 errechnet die Klägerin Zahlungsrückstände in Höhe der Klagesumme; insoweit wird auf die Aufschlüsselung vom 17.12.2003 Bezug genommen (K 2).

Mit Schreiben vom 03.12.2003 ( K 4 ) bestätigte die Beklagte die Vertragsbeendigung und gab insbesondere die folgende Erklärung ab:

„ 1.

Bereits mit Schreiben vom 24.10.2002 haben wir die Unbilligkeit Ihrer Preisstellung gerügt. Wir bedauern, dass Sie auf unsere Bitte, uns wettbewerbsfähige Energiepreise einzuräumen, nicht eingegangen sind.

2.

Wir sehen uns deshalb nach Beendigung der Vertrage gezwungen, Sie in Bezug auf die aus der Anlage ersichtlichen Abnahmestellen aufzufordern, die Angemessenheit und Üblichkeit Ihrer Preisstellung durch eine Darlegung Ihrer Preiskalkulation in geeigneter Weise bis zum 05.01.2004 nachzuweisen \"


Die Klägerin wies dieses Verlangen durch Anwaltsschreiben vom 05.01.2004 zurück (K 3) .

Die Klägerin ist der Auffassung, ungeachtet der Problematik der Anwendbarkeit des § 315 BGB entsprachen die der Beklagten in Rechnung gestellten Preise der Billigkeit.

Dies zeige sich schon daran, dass ihre Gaspreise um 4,38 % bzw. 2,92 % unter dem für Baden-Württemberg von der Landeskartellbehörde ermittelten Durchschnittswert lagen. Ergänzend wird auf K 7 bis K 1 0 Bezug genommen. § 315 BGB sei eine Verbraucherschutzvorschrift, die der Beklagten gar nicht zugute kommen könne.

Eine Offenlegung der eigenen Preiskalkulation sei inakzeptabel und gegenüber den kommunalen Aufsichtsorganen schwer vermittelbar. Gleiches gelte für die Rolle der Beklagten, die - insoweit unstreitig - zahlreiche Prozesse führe (B 6; ABI. 48 f.), ihren Endkunden aber die Vorteile ihrer Aktivitäten nicht weitergebe.
 

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 25.031,59 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszins seit 17.01.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung,
die Klageforderung sei nicht fällig, ihr stehe die Einrede des § 315 BGB entgegen.


In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei seit langem anerkannt, dass von monopolistischen Energieversorgungsunternehmen einseitig festgelegte Preise der Billigkeits-Prüfung gemäß § 315 BGB unterliegen (BGHZ115, 311. 31B; BGHZ 73,114,116; RdE 2003,189).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Diese waren Gegenstand der ausführlichen Erörterungen im Kammertermin.
 

Entscheidungsgründe

Die auf § 433 Abs. 2 BGB gestützte Klage ist zulässig (§ 38Abs. 1 ZPO i.V.m §§ 1 Abs. 1,34 Abs. 1 AVBGasV), aber zur Zeit unbegründet.

Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass ihre einseitig vorgegebenen Preise i.S.v. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB der Billigkeit entsprechen.

1.

Unstreitig besaß die Klägerin jedenfalls im Vertragszeitraum auf dem Gasmarkt ihres Versorgungsbereichs eine Monopolstellung. Sie hat deshalb die Preise für ihre Gas-Lieferungen der Beklagten einseitig gestellt, eine individuelle Preisverhandlung fand mit der Beklagten genau so wenig wie mit den früheren Vertragspartnern xxx statt.

Damit unterliegen die Tarife der Klägerin nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB (BGH, Urt, v. 04.12.1986, NJW 87,1829 - B 5; BGH, Urt. V. 10.10,1991, Z115, 316 = B 4; BGH, Urt. v. 05.022003, RdE 2003.189 = B 3. Palandt-Heinrichs, BGB, 63.Auflage, Rdnr. 4 zu § 315 BGB; Gottwald in: Münch.Komm., 4.Auflage 2003, Rdnr, 22 zu § 315 BGB; Erman-Battes, 10.Auflage 2000, Rdnr. 19 und 2 zu § 315 BGB; etwas abweichend: Staudinger-Rieble 2000, Rdnr. 48 zu § 315 BGB, jeweils m.w N.).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingetreten ist (BGH NJW 87, 1829; BGHZ 115, 314).

§ 315 BGB hat in Fällen der vorliegenden Art die Funktion, die der einen Vertragspartei Übertragene Rechtsmacht, den Inhalt eines Vertrages, hier die Höhe des Gaspreises, einseitig festzusetzen, einzugrenzen (BGH, Urt v. 02.10.1991, NJW-RR 92.185 = B 9).
Unter diesem Zweckgesichtspunkt besteht kein sachlich gerechtfertigter Unterschied zwischen einem sog. \"lnterimsverhättnis\" nach Vertragskündigung (a.a.O., 184) und einem intakten Vertragsverhältnis.

Wie im Kammertermin erörtert, hat § 315 BGB jedoch keine Verbraucherschutzfunktion.

2.

Die Billigkeitskontrolle setzt eine Offenlegung der Preiskalkulation voraus (vgl. etwa Erman-Battes, a.a.O., Rdnr. 19), Die tatsächlichen Umstände, welche die Billigkeit rechtfertigen sollen, sind in Fällen der vorliegenden Art vom Monopolisten, hier der Klägerin, darzulegen und ggf. zu beweisen (BGH NJW-RR 92,184,186; BGHZ115, 323).


Dies bedeutet hier u.a., dass der geforderte Gaspreis die Deckung der Kosten für den Erwerb und die Weiterleitung des Erdgases sowie für die Vorhaltung der dazu notwendigen Anlagen ermöglichen muss.

Außerdem steht der Klägerin ein Gewinn zu, aus dem sie die erforderlichem Rücklagen und Investitionen tätigen kann; zudem eine angemessene Verzinsung zur Aufnahme von Fremd- und Anlagekapital (BGH NJW-RR 92. 185).

Die Darlegung, im Verhältnis zu anderen Monopolunternehmen auf dem Erdgasmarkt unterdurchschnittliche Preise zu fordern (K 7 bis K 10) genügt dem gegenüber offenkundig nicht. Dieser relative Preisvergleich schließt nicht die Möglichkeit aus, dass alle Monopolisten mehr als das fordern, was nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angemessen ist.

Angesichts unterschiedlicher geographischer Gegebenheiten und Kundenstrukturen, welche die einzelnen Gasversorger vorfinden, spricht ein unterdurchschnittlicher Preis nicht ohne weiteres dafür, dass der betreffende Versorger nur den angemessenen Preis i.S.v. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB fordert.

3.

Die dargestellten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung waren jedenfalls aufgrund der umfangreichen Literatur- und Rechtssprechungsnachweise der Klageerwiderungsschrift (B 3 bis B 10) auch der Klägerin im Detail bekannt.

Dies hat zudem die intensive Erörterung aller rechtlichen und tatsächlichen Aspekte des Falles im Kammertermin verdeutlicht.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin sich nicht in der Lage sieht, die praktischen Anforderungen der Rechtsprechung des BGH zu akzeptieren, da ihr diese im Hinblick auf ihre sonstigen Kunden ungerecht und im kommunalpolitischen Bereich schwer vermittelbar erscheinen.

Da die Klägerin durch einen erfahrenen und sachkundigen Rechtsanwalt vertreten war, lässt ihr Prozessverhalten den Schluss zu, dass sie zu ihrer Preiskalkulation nicht näher vortragen will (vgl. BGH, Urt. v. 05.06.2003, NJW 2003. 3628). zumal sie auch ein wirtschaftliches Bedürfnis nach Geheimhaltung verspürt.





Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1ZPO abzuweisen.


Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging nach § 709 ZPO.


******

Aus dem Urteil des BGH vom 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II. 1


1.

Den Kunden eines Versorgungsunternehmens steht grundsätzlich die Einrede der unbilligen Tariffestsetzung zu.

a)

Es ist in der Rechtsprechung des BGH seit langem anerkannt, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Bennutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.01.1983 - VIII ZR 81/82, NJW 1983, 659; Urt. v. 03.11.1983, aaO, BGHZ 115, 311, 316 m.w.N.; Urt.v. 30.04.2003 - VIII ZR 279/02, NJW 2003, 3131). Dies ist zum Teil aus der Monopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet worden (BGH, Urt. v. 04.12.1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9.A., § 8 Rdn. 15; dagegen und für eine Kontrolle über § 138, 305 f. BGB Staudinger/ Rieble, BGB (2004), § 315 Rdn. 51 f.)....

b)

Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, dass die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur dann verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB).

Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. Staudinger/Rieble, aaO., Rdn. 294 f.).

Erst die vom Gericht neu festgesetzten geringeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v. 24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4.Aufl.,§ 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64.Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO.,Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.

c)

Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzlich auch dann, wenn die Tarifbestimmung mit Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörden getroffen worden ist. Denn die rein öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und ist für die privatrechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts anhand des § 315 BGB nicht präjudizell ( vgl. nur BGHZ 115, 311, 315; BGH, Urt. v. 02.07.1998 - III ZR 287/97, NJW 1998, 3188, jeweils m.w.N.; vgl. auch Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, § 30 AVBEltV Rdn. 56).


2.

Entegegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte nicht darauf beschränkt, die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung im Rahmen eines Rückforderungsprozesses geltend zu machen.

Und weiter

Im Rahmen der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB trifft nach ständiger Rechtsprechung des BGH den Bestimmungsberechtigten die vollständige Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht (vgl. nur BGH, Urt.v. 30.04.2003, aaO, m.w.N.; so auch die herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. nur MüchKomm./Gottwald, aaO, Rdn. 53, Staudinger/Rieble,aaO, Rdn. 288 f.; a.A. Palandt/Sprau, aaO., Rdn. 19).


Weil viele Versorgungsunternehmen immer noch auf die Berliner Rechtsprechung verweisen, unbedingt deshalb auch das Urteil des Kammergerichts Berlin (Berliner OLG) vom 15.02.2005, Az. 7 U 140/04 zum Parallelfall lesen:

http://www.kammergericht.de/entscheidungen/7_u_140-04.pdf

Hiernach bleiben wohl nur wenige Fragen offen.


Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
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Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #1 am: 13. Februar 2014, 14:46:22 »
Bezug:
http://forum.energienetz.de/index.php/topic,18685.msg107252.html#msg107252

Zitat
Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Auffassung des Klägers, bei streitigen Preiserhöhungen werde auch eine unabhängig davon bestehende Teilforderung des Versorgers nicht fällig, darauf hinausliefe, dass der Kunde über lange Zeit Strom beziehen könnte, ohne hierauf irgendwelche Zahlungen leisten zu müssen. Das wäre mit dem Zweck der §§ 17 ff. StromGVV, dem Stromversorger als Korrelat für den ihm auferlegten Kontrahierungszwang und seine grundsätzliche Vorleistungspflicht ein zügiges Inkasso zu ermöglichen, nicht zu vereinbaren.
Richterentscheidungen sind nicht unantastbar und dürfen kritisiert werden. Das "zügige Inkasso" ist noch lange kein Grund die Billigkeitsprüfung des Gesamtpreises zu verweigern. Man könnte das "zügige Inkasso" nach der Billigkeitsprüfung gegebenfalls zügig umkehren.

Offline RR-E-ft

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #2 am: 13. Februar 2014, 15:43:17 »
@PLUS

Lange nach dem Posting aus dem Jahr 2005 hat der BGH in Grundsatzsentscheidungen in Abänderung der bis dahin herrschenden Rechtsprechung  für Recht erkannt und entschieden, dass dann, wenn dem Versorger rechtsgeschäftlich oder durch Gesetz das Recht eingeräumt wurde, den Preis einseitig abzuändern, [nur] die darauf gründende Preisänderung der Billigkeitskontrolle unterliegt, soweit sie nicht nach widerspruchsloser Bezahlung der darauf gründenden Verbrauchsabrechnung als nachträglich vereinbart gilt (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.07Az.  VIII ZR 36/06; B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10, juris Rn. 10 f.; B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10; juris Rn. 17).

Ferner hatte sich der BGH in seinen Urteilen v. 13.06.07 Az. VIII ZR 36/06; vom 19.11.08 Az. VIII ZR 138/07 und v. 08.07.09 Az. VIII ZR 314/07 mit der Darlegungs- und Beweislast innerhalb einer solchen Billigkeitskontrolle befasst, was in anderen Threads bereits umfassend ausgeführt wurde.

Die Entscheidung des BGH, Urt.v. 11.12.13 Az. VIII ZR 41/13 besagt nichts anderes, nämlich dass lediglich die Preisänderungen der Billigkeitskontrolle unterliegen sollen, der sog. Preissockel jedoch verbindlich und fällig sei, so dass wegen einer Verletzung der Zahlungspflicht eine Versorgungseinstellung in Betracht kommt, wenn der vereinbarte Preissockel vom Kunden nicht bezahlt wird.

Mindermeinung: Gesamtpreis unterliegt Billigkeitskontrolle bei gesetzlicher Preisbestimmungspflicht (Fricke, ZNER 2011, S. 130 ff.)

In solchen Prozessen ist derzeit nicht die Frage vordringlich, ob die Preisänderung, welcher widersprochen wurde, gem. § 315 Abs. 3 BGB der Billigkeit entsprach, sondern ob dem Versorger überhaupt wirksam ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSv. § 315 Abs. 1 BGB (Preisänderungsrecht) eingeräumt wurde (vgl. BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10 und B. v. 29.06.11 Az. VIII ZR 211/10, juris). Hierüber muss der EuGH erst noch entscheiden.

 
« Letzte Änderung: 13. Februar 2014, 16:16:29 von RR-E-ft »

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #3 am: 13. Februar 2014, 16:00:21 »
@RR-E-ft, ist bekannt, "Richterrecht", das ich kritisiere, das steht so nicht ganz im Gesetz (§315 BGB).

Zu Monopolzeiten, wie das Posting aus dem Jahr 2005 war die Preisbestimmung durch den Versorger von Beginn an Fakt und der Verbraucher hatte oft kaum eine Wahl. Mancher Verbraucher wurde vom Eigentümer (Stadt) des Versorgers (Stadtwerk) geradezu zur Gasheizung verpflichtet (Satzung & Co.). Heute sieht die Situtation etwas anders aus.

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #4 am: 13. Februar 2014, 16:10:46 »
Zu Monopolzeiten, wie das Posting aus dem Jahr 2005 war die Preisbestimmung durch den Versorger von Beginn an Fakt und der Verbraucher hatte oft kaum eine Wahl. Mancher Verbraucher wurde vom Eigentümer (Stadt) des Versorgers (Stadtwerk) geradezu zur Gasheizung verpflichtet (Satzung & Co.). Heute sieht die Situtation etwas anders aus.

@PLUS

Hätte man sich mit den einschlägigen Entscheidungen befasst, diese gelesen, hätte man wohl erkannt, dass es auf eine Monopolstellung des Versorgers überhaupt nicht ankommt (vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 30.12.10 Az. 2 U 94/10 = ZNER 2011, 69 http://www.pontepress.de/pdf/u10_201101.pdf; BGH, B. v. 18.05.11 Az. VIII ZR 71/10, juris Rn. 10 f.; B. v. 29.06.11. Az. VIII ZR 211/10, jurios Rn. 17; Fricke ZNER 2011, S. 130 ff.)

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #5 am: 13. Februar 2014, 16:17:46 »
@RR-E-ft, ist bekannt, "Richterrecht", das ich kritisiere, das steht so nicht ganz im Gesetz (§315 BGB).

????

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #6 am: 13. Februar 2014, 16:22:45 »
@RR-E-ft, ist bekannt, "Richterrecht", das ich kritisiere, das steht so nicht ganz im Gesetz (§315 BGB).

????
Steht da etwas von einem Sockel?
Dass das Monopol nicht Voraussetzung ist, ist auch bekannt, ändert aber nichts an meiner Kritik. Die Billigkeitskontrolle ist zwar auch ohne Monopolsituation zulässig, aber eben so oder so nach Richterrecht begrenzt (Sockelpreis).

PS:Die Sockeltheorie ist unter Monpolbedingungen gemessen an der Wirklichkeit noch abwegiger. 
« Letzte Änderung: 13. Februar 2014, 16:30:50 von PLUS »

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #7 am: 13. Februar 2014, 16:33:11 »
Ich habe mich mit der Veröffentlichung meines Aufsatzes in ZNER 2011/ S. 130 ff. umfassend mit der "Sockelpreis"-Rechtsprechung des BGH auseinandergesetzt und versucht, nachvollziehbar darzulegen, dass diese Rechtsprechung unter anderem mit der gesetzlichen Preisbestimmungspflicht des § 36 Abs. 1 EnWG unvereinbar ist.

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #8 am: 13. Februar 2014, 17:06:06 »
@RR-E-ft, ja, Sie vertreten da, wie immer schön betont eine Minderheitenmeinung, die aber im Gegensatz zur herrschenden Meinung für mich stimmig ist. Im Bereich der Grundversorgung werden weder Anfangspreise noch Folgepreise vertraglich vereinbart. Es handelt sich um eine über § 315 BGB gerichtlich zu kontrollierende generelle Preisbestimmungspflicht des Grundversorgers. Was denn sonst!

Die Sockelgeschichte ist an den Haaren herbeigezogen. Aber vielleicht beendet das EuGH den Spuk ja noch, indem es feststellt, dass da für den Grundversorger überhaupt kein Recht besteht.

Offline RR-E-ft

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #9 am: 13. Februar 2014, 18:06:48 »
BGH, Urt. v. 11.12.13 Az. VIII ZR 41/13, juris Tz. 19 zeigt deutlich eine Sorge des Senats auf, die ihn schlussendlich erst zur Kreation seiner Sockelpreistheorie veranlasst haben könnte:

Der Senat lässt erkennen, dass für ihn zu besorgen stünde, dass jeder grundversorgte Kunde den Gesamtpreis unter Berufung auf die Unverbindlichkeit gem. § 315 Abs. 3 satz 1 BGB als unbillig rügt und seine Zahlungen (vorläufig) vollständig einstellt, der kontrahierungspflichtige Grundversorger ihn jedoch weiter beliefern muss (vgl. auch Fricke, WuM 2005, 549 [550] unter VII. unter Verweis auf LG Köln, RdE 2004, 306 in Fußnote 48 ).

Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Billigkeit und damit über den Zahlungsanspruch des Versorgers könnten Jahre ins Land gehen....
Schließlich mag auch die Sorge mitschwingen, dass die Gerichte der Fallzahlen nicht mehr Herr werden, eine sehr hohe Anzahl komplexer Klageverfahren nicht mehr bewältigen könnten.

All so etwas schreibt man als Richter jedoch nicht  in ein Urteil.     

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #10 am: 13. Februar 2014, 18:36:17 »
..
All so etwas schreibt man als Richter jedoch nicht  in ein Urteil.
Wohl aus gutem Grund! Die beschriebenen Motive treffen sicher zu, aber solch opportunistische Entscheidungen sind für mich gerade auch deshalb contra legem. Kein an Verfassung und Gesetz gebundener Richter dürfte hier folgen.
« Letzte Änderung: 13. Februar 2014, 18:40:23 von PLUS »

Offline bolli

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Re: Wie erfolgt Gas- Billigkeitskontrolle vor Gericht ?
« Antwort #11 am: 14. Februar 2014, 10:30:00 »
BGH, Urt. v. 11.12.13 Az. VIII ZR 41/13, juris Tz. 19 zeigt deutlich eine Sorge des Senats auf, die ihn schlussendlich erst zur Kreation seiner Sockelpreistheorie veranlasst haben könnte:
Das will ich doch nicht hoffen. Die Gerichte und auch nicht der VIII. Senat des BGH sollen kein Korrektivum der Politik sein sondern Recht sprechen. Wenn die gesetzliche Grundlage nicht mehr hergibt, haben die Gerichte auch nur in sehr engen Grenzen die Berechtigung, mit einer "sinnvollen" Auslegung quasi eigenes ergänzendes Recht zu schaffen. Alles andere bleibt mit gutem Grund der Legislative überlassen. Sollte diese Defizite erkennen oder auf solche hingewiesen werden (ggf. auch durch die Gerichte), kann sie ja nachbessern. Aber das was da teilweise an "eigenen Kreationen" vor manchen Gerichten läuft, ist manchmal schon abstrus und lässt einen genauso erschaudern wie manche politisch getroffenen Entscheidungen.

 

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