Die Implikation des VIII. BGH-Senats (wer widerspricht bleibt; wer nicht widerspricht geht) ist im Gesetz nicht geregelt.
Werden aber im Gesetz keine Grundlagen ausfindig gemacht, dann wählt man einen, wenn auch auf Holzkrücken gehend, selbstgestrickten anderen Weg. So ließ der VIII. BGH-Senat für seinen gezogenen Schluß einfach „eine Masche fallen“ und schlußfolgerte, dass der unwidersprochen gebliebene Preis zum Vereinbarten wird.
Er argumentierte am 13.06.2007, unter Berufung auf die Vorgängerentscheidung vom 28.03.2007 (VIII ZR 144/06), jetzt allerdings zur Thematik „Preisänderung“:
„Nicht anders kann es liegen, wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer gemäß § 10 Abs. 1 EnWG 1998, § 4 Abs. 2 AVBGasV öffentlich bekannt gegebenen einseitigen Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung des Versor-gungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden. In diesem Fall wird der zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif zu dem zwischen den Parteien vereinbarten Preis. Er kann deshalb im Rahmen einer weiteren Preiserhöhung nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit überprüft werden.“ (vgl. BGH, 13.06.2007, Az.: VIII ZR 36/06, Tz. 36;)
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Zunächst war es dem VIII. BGH-Senat allerdings nur um den „Anfangs“-Preis (28.03.2007 - VIII ZR 144/06) gegangen. Am 13.06.2007 folgte dann die Geburtsstunde des „Sockelpreises“. Dieser sollte immer dann ins Spiel kommen, sobald der Anfangspreis in der Veränderung der Preisgestaltung durch den Versorger untergehen würde (Az.: VIII ZR 36/06, Tz. 36;).
Wenn diese Annahme (sil.:
„nicht anders kann es liegen“) richtig sein sollte, dann hätte diese Annahme des VIII. BGH-Senats folgende weitere Implikation zur Folge (
wird weiterhin Energie bezogen, dann sind auch alle späteren Preise vereinbart).
Der Abschluß des Versorgungsvertrages in der Grundversorgung (also ganz zu dessen Beginn) hatte für die Vertragsparteien ab diesem Zeitpunkt die Geltung der Verordnungen (u.a. § 4 Abs. 1 u. 2 AVBGasV/AVBEltV bzw. § 5 Abs. 2 Gas-/StromGVV) zur Folge. Die hieraus dem Versorgungsunternehmen durch Gesetz bezw. Verordnung gestattete Möglichkeit zur einseitigen künftigen Preisänderung bedarf also weder des Abschlusses eines neuen Vertrages, noch zwingt dies zu einer neuen Vereinbarung künftiger Preise.
Folglich bedarf es über den Anfangspreis hinaus schon gar keiner weiteren Vertragserklärungen der Vertragsparteien, wenn der Abnehmer, in einem Dauerschuldverhältnis mit wechselseitigen Pflichten und Rechten stehend, weiterhin Energie bezieht. Durch den fortdauernden Energiebezug wird ja schließlich auch kein neuer Versorgungsvertrag geschlossen.
Wenn aber in der Folgezeit keine weiteren Vereinbarungen der Vertragsparteien erforderlich sind, welche über den schlichten Vertragsschluß hinausgehen, dann bedarf es schon einer Begründung dafür, weshalb geradewegs auch künftige Preisvereinbarungen bereits mit Vertragsabschluß antezipiert werden sollen.
Dieser Vorgriff auf die Zukunft (der durch Auslegung von Willenserklärungen gewonnen werden muß, § 157 BGB) müßte also lauten:
wer durch Entnahme von Energie einen Vertrag schließt und dadurch die zu diesem Zeitpunkt geltenden veröffentlichen Tarife vereinbart hat, der will auch für die Folgezeit im Fall des Weiterbezugs sämtliche späteren veröffentlichen Tarifpreise vereinbaren.
Dies kollidiert allerdings mit den Auslegungsregeln der §§ 316, 315 BGB, wonach der einen Seite Rechtsmacht zugestanden wird und der anderen Seite im Gegenzug Kontrollmacht.
Auslegung ist dadurch begrenzt, dass sie auch mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nicht gegen Treu und Glauben verstößt (§ 157 BGB).
Welche Argumente hat der VIII. BGH-Senat für seine Auffassung:
(1) Besteht eine Verkehrssitte dahingehend, Energiepreisen der Daseinsvorsorge nicht zu widersprechen ?
(2) Widerspricht es Treu und Glauben, zunächst Energie zu beziehen und später zu widersprechen ?
Selbst wenn diese Kriterien in Betracht zu ziehen wären; nicht jedes widersprüchliche Verhalten ist rechtsmissbräuchlich.
Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu (vgl. BAG, 4.12.2002, Az.: 5 AZR 556/01 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 104, 86). Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen.
Der Urheber widersprüchlichen Verhaltens muss erkennen können, dass die Gegenpartei sein Verhalten als vertrauensbegründend werten durfte. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es dabei nicht an.
Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. BAG, 18.11.2003, Az.: 9 AZR 173/03 - zu II 2 b der Gründe; BAG, 04.12.2002, Az.: 5 AZR 556/01 - zu II 4 b der Gründe, aaO).
Damit stellt sich die Frage, ob ein Versorgungsunternehmen darauf vertrauen kann, dass der Abnehmer als Inhaber (eines gesetzlichen) Kontrollrechts sich an der Festlegung von Zahlungspflichten festhalten lassen will, die über das gesetzlich gebotene Maß hinausgehen (§§ 36 Abs. 1, 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 EnWG) ?
Weiter wäre zu fragen, ob irgendwo Anhaltspunkte dafür existieren, dass Versorgungsunternehmen im Vertrauen auf die Nichtbeanstandung der Jahresschlußrechnung durch den Abnehmer Vermögensdispositionen getroffen oder zu treffen unterlassen haben, die auch für die Zukunft nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht bzw. nachgeholt werden können ?
Nur in letztgenanntem Fall sind nach der Rechtsprechung des BGH etwaige Nachteile zu ersetzen, die sich in Folge eines relevanten Verhaltens der anderen Partei ergeben haben könnten (vgl. BGH, 03.02.1986, Az.: II ZR 54/85 - zu 1 c der Gründe, AP BetrAVG § 9 Nr. 4; BAG, 29.09.2010, Az.: 3 AZR 546/08, Tz. 20 ff.;).
Kann es überhaupt ein schützenswertes Interesse der Versorgungswirtschaft daran geben, unbillige Preisbildungen zu zementieren, so wie der VIII. BGH-Senat dies sieht ?