Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?  (Gelesen 4392 mal)

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Offline RR-E-ft

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« am: 18. Februar 2011, 13:06:56 »
Das Problem

Das Gesetz kennt nur den einheitlichen Begriff des Haushaltskunden, § 3 Nr. 22 EnWG.
Entweder ist man Haushaltskunde oder man ist kein Haushaltskunde.
Wenn man kein Haushaltskunde ist, ist man entweder ein ander Kunde oder gar kein Kunde.

Alle Haushaltskunden sollen in der Grundversorgung gem. § 36 Abs. 1 EnWG zu dem aufgrund gesetzlicher Preisbestimmungspflicht vom Grundversorger einseitig festgesetzten Allgemeinen Preis versorgt werden.

Preissegmentierungen sind grundsätzlich unzulässig, es sei den es bestehen sachlich rechtfertigende Gründe (BGH KZR 5/10).

Für die Strombelieferung in der Grundversorgung sind keine sachlichen Gründe für eine Preisspaltung ersichtlich, wenn sich die Kosten der Belieferung nicht unterscheiden.

Die Kosten der Strombeliefrung unterscheiden sich jedoch bei einem Jahresverbrauch bis 10.000 kWh (siehe § 3 Nr. 22 EnWG) grundsätzlich nicht danach, ob die Strombelieferung für einen privaten Haushalt oder etwa für das Büro eines Freiberuflers erfolgt, dem man versorgerseitig unterstellt, er handle gewerblich.

Die Preissegmentierung betrifft dabei ausdrücklich auch nicht Staffelpreise, sondern für ein und den selben Abnahmefall (Jahresverbrauch bis 10.000 kWh) werden unterschiedlich hohe  Preise verlangt, undzwar unabhängig davon,  in welcher Höhe der Jahresverbrauch anfällt.

Die Rechtsprechung stellt sogar die Preisspaltung innerhalb eines Versorgungsgebietes gegenüber Haushaltskunden innerhalb und außerhalb der Grundversorgung in Frage (BGH KZR 5/10 Rn. 54 ff.).

Offline tangocharly

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #1 am: 24. Februar 2011, 21:22:21 »
Wer auf einen neuen Markt vorstoßen will, darf sich 15%-ig billigere Preise leisten, wenn er damit auf dem Zweitmarkt auf Kundenfang geht.

Zitat
Tz. 30
Die Interessen der Kunden des Versorgungsunternehmens auf dem von ihm beherrschten, angestammten Markt sind insoweit für die Abwägung erheblich, wie die ihnen berechneten Preise durch die auf dem Zweitmarkt gewährten Markteintrittspreise ungünstig beeinflusst werden, wobei der Grad der Interes-senbeeinträchtigung maßgeblich auch davon abhängt, inwieweit diese Kunden auf andere Bezugsmöglichkeiten ausweichen können. Den Interessen der Altkunden stehen die Interessen der Verbraucher im Zweitmarkt gegenüber, die von günstigeren Preisen profitieren wollen. Bei der erforderlichen Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Geset-zes fällt ferner das Interesse an der Schaffung funktionsfähigen Wettbewerbs in bisher durch monopolistische Versorgungsstrukturen gekennzeichneten Versorgungsgebieten ins Gewicht, dem grundsätzlich auch durch den Marktzutritt eines Unternehmens Rechnung getragen werden kann, das auf einem Nachbarmarkt marktbeherrschend ist. Würde ein solches Unternehmen gezwungen, den für einen Zweitmarkt vorgesehenen günstigen Preis auf seinen Heimatmarkt auszudehnen, wären Preisvorstöße für dieses Unternehmen mit so erheblichen Kosten verbunden, dass sie kaum zu erwarten wären. Eine andere Bewertung kommt in Betracht, wenn der mit einer Preisspaltung verbundene Preisangriff auf dem Zweitmarkt gezielt auf die Verdrängung eines dort neu in den Markt eingetretenen, nicht mit dem herkömmlichen Netzbetreiber dieses Marktes verbundenen Wettbewerbers gerichtet ist.

Tz. 31
Unter den beschriebenen, besonderen Umständen wird regelmäßig selbst ein gegenüber dem beherrschten Markt um bis zu 15% günstigerer Preis auf dem Zweitmarkt noch keinen Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken geben.
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #2 am: 24. Februar 2011, 22:49:21 »
@tangocharly

Wer in einen beherrschten Markt als Newcomer vordringen will, muss oft erst einmal Geld in die Hand nehmen und solches mitbringen. Selbst das Problem des sog. Predatory Pricing (Anbieten nicht kostendeckender Preise zum Zwecke der Marktverdrängung) war im Forum schon mehrfach angesprochen.

In diesem Thread soll es jedoch nicht um Markteintritts- und -durchdringungsstrategien auf einem Zweitmarkt gehen.

Es geht um die Preissegmentierung (Preisspaltung)  marktbeherrschender Unternehmen gegenüber Haushalts- und Nichthaushaltskunden, Haushaltskunden innerhalb der Grundversorgung und Haushaltskunden innerhalb und außerhalb der Grundversorgung auf dem sog. Erstmarkt, also dem vom Grundversorger beherrschten auf das regionale Netz beschränkten Markt des Absatzes von leitungsgebundener Energie an sog. Letztverbraucher.

Offline Lothar Gutsche

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #3 am: 25. Februar 2011, 16:52:28 »
@ RR-E-ft

In dem Tread \"BGH, Urt. v. 07.12.10 KZR 5/10 Entega II Kartellrechtswidrige Preisspaltung Gas\" schreiben Sie:

Zitat
Original von RR-E-ft, 16.02.2011 20:53
Der BGH stärkt den Schutz der Verbraucher vor willkürlicher Marktsegmentierung und Preisspaltung zu Lasten der Verbraucher durch ein marktbeherrschendes Gasversorgungsunternehmen (Rn. 54 ff.).

Dieser Schutz war bisher zweifelhaft. Er betrifft auch Preisdifferenzierungen zwischen Haushaltskunden und Großkunden, die sachlich gerechtfertigt sein müssen, wobei der Missbrauch prima faci bei bestehender Preisspaltung vermutet wird.

Tatsächlich heißt es in dem BGH-Urteil KZR 5/10 vom 7.12.2010 unter juris-Randnummer 54:

Zitat
§ 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB erfasst allerdings nach seinem Wortlaut nur Preisspaltungen zwischen einem Erstmarkt und einem vergleichbaren Zweitmarkt. Es kann dahinstehen, ob Vergleichsmarkt im Sinne dieser Vorschrift aufgrund einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung gleichwohl auch ein Teil des Erstmarkts sein kann (in diesem Sinne BGH, WuW/E DE-R 2739 Rn. 20 - Entega - und ihm folgend das Berufungsurteil). Jedenfalls liegt ein Missbrauch i.S. von § 19 Abs. 1 GWB vor, wenn ein Normadressat auf dem von ihm beherrschten Markt Endkunden durch Preisspaltung diskriminiert.

Wo findet sich darin ein Verbot, unterschiedliche Preise für Haushaltskunden und Großkunden festzusetzen? Ein Großkunde mit wesentlich höherem Verbrauch könnte z. B. umgerechnet pro KWh geringere Vertriebskosten oder Messkosten oder Abrechnungskosten als ein Haushaltskunde verursachen. Die Preisspaltung gerade zwischen Haushaltskunden und Großkunden ließe sich dadurch eventuell sachlich rechtfertigen.

Außerdem könnte der Versorger damit argumentieren, beide Kundentypen gehören verschiedenen Märkten an und beide Märkte wären einfach nicht vergleichbar. Ein Großkunde und ein Haushaltskunde sind im allgemeinen nicht gleichartige Abnehmer, da sie sehr unterschiedliche Gasmengen verbrauchen. In dem einen Markt für Haushaltskunden könnte der Versorger noch marktbeherrschend sein, während er in dem anderen Markt für Großkunden durch starken Wettbewerb schon nicht mehr als marktbeherrschend gilt.

Könnten Sie bitte erläutern, wie Sie zu Ihrer Urteilsanmerkung gekommen sind? Auf welche Passage der Entega II-Entscheidung stützen Sie Ihre von mir zitierte Aussage zur Preisdifferenzierung zwischen Haushaltskunden und Großkunden?  

Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

Offline RR-E-ft

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #4 am: 25. Februar 2011, 17:01:31 »
Ach, Herr Dr. Gutsche. :rolleyes:

Vor willkürlichen Marktsegmentierungen und willkürllichen Preisdifferenzierungen werden auch Verbraucher geschützt, war meine Aussage, die ich ersichtlich fachlich einwandfrei nachvollziehbar auf BGH KZR 5/10 Rn. 54 ff. stütze.

Ich habe nicht behauptet, dass Marktsegmentierungen und Preisdifferenzierungen generell (per se) unzulässig wären.

Habe ich etwa behauptet, es gäbe keine sachlich begründbaren Preisdifferenzierungen, etwa wegen unterschiedlich hoher Netzentgelte oder aber wegen einer unterbrechbaren Gasversorgung bei Großkunden gegenüber einer nicht unterbrechbaren Gasversorgung von Kleinkunden?

Der konkrete Preisabstand muss sich jedenfalls sachlich rechtfertigen lassen.

Was aber jedenfalls wohl nicht geht, sind unterschiedliche Preisentwicklungen, ceteris paribus für Großkunden und Kleinkunden, also sinkende Großkundenpreise bei zeitgleich steigenden Kleinkundenpreisen nur in Abhängigkeit von den Bezugskosten unter sonst gleichen Bedingungen. Eben solches war jedoch zu beobachten.

Wenn man auf den Markt geht, um Kirschen zu kaufen, gibt es auch unterschiedliche Preise für Großkunden und Kleinkunden. Die Preise entwickeln sich jedoch auch dabei nicht für Groß- und Kleinkunden gegensätzlich.

Für den Bereich der Grundversorgung mit Elektrizität  habe ich ein Beispiel aufgezeigt, worin eine willkürliche Marktsegmentierung gesehen werden kann.

Zitat
Original von Lothar Gutsche
Könnten Sie bitte erläutern, wie Sie zu Ihrer Urteilsanmerkung gekommen sind?

Zu meiner Urteilsanmerkung bin ich anders gekommen als Guttenberg zu seiner Doktorarbeit.
Könnten Sie bitte erläutern, wie Sie zu Ihrer Doktorabeit gekommen sind?

Offline Lothar Gutsche

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #5 am: 25. Februar 2011, 23:06:04 »
@ RR-E-ft

Es gibt Volljuristen, z. B. Richter am Kartellsenat des Landgerichts Nürnberg-Fürth, für die eine sachliche Rechtfertigung bei Preisspaltungen nach § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB entbehrlich ist. Diesen Volljuristen genügte es laut Urteil vom 16.2.2011 im Verfahren 3 O 3188/10, dass der Energieversorger Haushaltskunden und ein Gaskraftwerk für nicht vergleichbar hält und deshalb beiden Kundengruppen höchst unterschiedliche Gaspreise in Rechnung stellen darf. Vor dem Hintergrund interessierte mich, wie Sie in Ihrer ersten Urteilsanmerkung zu der Einsicht gelangt sind, eine Preisdifferenzierung zwischen Großkunden und Haushaltskunden müsse sachlich gerechtfertigt werden. Im Gesetz steht das zwar so, aber in der Praxis und im Einzelfall gilt das offenbar nicht. Speziell die im Gesetz vorgesehene Beweislastumkehr \"es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist\" hat das Kartellgericht nicht gekümmert.

Zum Thema meiner Doktorarbeit bin ich 1991 durch ein Stahlwerk in Bremen gekommen, das ein weltweit einmaliges Dispositionsproblem beim Gießen un Walzen von Stahl lösen wollte. Das Ergebnis ist unter dem Titel \"Einige Aspekte zur Disposition einer Stranggießanlage und einer Warmbreitbandstraße\" als Buch verfügbar.

Viele Grüße
Lothar Gutsche
Email: Lothar.Gutsche@arcor.de

Offline RR-E-ft

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Preisspaltung in der Grundversorgung noch zulässig?
« Antwort #6 am: 25. Februar 2011, 23:38:20 »
Herr Dr. Gutsche, die Frage nach Ihrer Doktorarbeit war rein rhetorisch, wie auch die Bemerkung:   Auch als Buch verfügbar. ;)

Scheint wohl so, als wenn die Kartellrichter am LG Nürnberg-Fürth bei ihrem Urteil vom 16.02.11 die jüngste Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH noch nicht ausgewertet hatten.

Die Entscheidungen KZR 4/10 und KZR 5/10 vom 07.12.10 stehen auf den Seiten des BGH seit dem 30.12.10 online.

Aus diesen ergibt sich, dass sämtliche Preisdifferenzierungen eines marktbeherrschenden Gasversorgers gegenüber (jedweden) Endkunden, also auch Groß- und Kleinkunden, einer sachlichen Rechtfertigung bedürfen, der Missbrauchsverdacht zunächst allein aufgrund der Tatsache der Preisspaltung prima faci gegeben ist und deshalb vom marktbeherschenden Gasversorgungsunternehmen durch eine sachliche Rechtfertigung auszuräumen ist.  

Vielleicht wäre es möglich gewesen, mit diesen jüngsten Entscheidungen des BGH noch vor dem Verkündungstermin am 16.02.11 schriftsätzlich zur Rechtslage weiter vorzutragen und somit noch Einfluss zu nehmen auf die Kartellkammer des Landgerichts und deren Entscheidung. Da Letztere nicht bekannt ist, lässt sich von hier aus auch nicht beurteilen, ob die jüngste Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung des LG Nürnberg- Fürth hätte haben können bzw. müssen.

Mir waren diese Entscheidungen des BGH, die zum Jahreswechsel veröffentlich wurden, auch zunächst \"durch die Lappen gegangen\", weshalb ich meine kurze Anmerkung erst am 18.02.11 ins Netz gestellt habe. Ich wurde erst durch einen Beitrag lieber Kollegen darauf aufmerksam, dass diese Entscheidungen in der Welt sein müssen.

Zudem sind die Entscheidungen des BGH  sehr lang, so dass man erst einmal durchsteigen und die uns interessierenden wesentliche Punkte herauskristallisieren muss.

Es verwundert denn auch nicht, dass Entega diese Entscheidungen zunächst ganz anders gedeutet in der Öffentlichkeit \"verkaufen\" konnte.

 

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