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Autor Thema: Erfordert die ersatzweise Billigkeitsfestsetzung durch das Gericht einen gesonderten Antrag?  (Gelesen 4909 mal)

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Offline Black

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Zitat
Original von RR-E-ft
@Black

Die gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt doch nicht von allein, sondern sie bedarf eines entsprechenden Klageantrages, der die [hier: durch den Versorger] festgestellte Unbilligkeit voraussetzt (so BGH VIII ZR 240/90 am Ende).

In der Praxis wird dies teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. Interessant bei der Leistungsklage des Versorgers.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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Dass die Ersatzbestimmung einen entsprechenden Klageantrag voraussetzt, ergibt sich aus §§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB, 308 ZPO.

Dafür, dass ein solcher besonderer Klageantrag erforderlich ist, siehe nur BGH VIII ZR 240/90 am Ende und BGH X ZR 60/04 unter II.1).

Der Streitgegenstand einer Leistungsklage (Zahlungklage) ist jedenfalls mit dem Streitgegenstand einer entsprechenden Feststellungsklage (Ersatzbestimmung) nicht identisch.

Erkennt der Versorger die Unbilligkeit seiner getroffenen Tarifbestimmung, so weiß er um deren Unverbindlichkeit gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB und sollte selbst ein Interesse an einer Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB gegenüber allen davon betroffenen Kunden haben.

Offline Black

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Gegenargument:

Im Rahmen einer Leistungsklage stellt der Versorger einen Antrag auf Zahlung eines bestimmten Betrages X.

Wenn ein Gericht im Rahmen der Prüfung jedoch feststellt, dass statt des vom Kläger beantragten Betrages X vom Beklagten nur ein geringerer Betrag Y geschuldet ist, dann weist es die Klage nicht vollständig ab, sondern verurteilt zur Zahlung des nach Auffassung des Gerichtes zulässigen Betrages Y. Hierfür bedarf es auch keines besonderen (weiteren) Antrages des Klägers.

Nichts anderes gilt für eine Klage auf Zahlung von Lieferentgelten. Dass die Ersetzung von Amts wegen automatisch durch das Gericht zu treffen ist, stellt ja gerade der § 315 Abs. 3 BGB dar.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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@Black

Sie verkennen womöglich, dass die Ersatzbestimmung nicht nur die Abrechnungsperiode betrifft und deshalb auch nicht allein die bisher unbegründet eingeklagte Zahlungspflicht betrifft.

So lange die getroffene Tarifbestimmung unbillig ist, entseht erst mit der Rechtskraft des Gestaltungsurteils über den Feststellungsantrag eine gerichtlich durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens (BGH X ZR 60/04 unter II.1).

Bis dahin ist die Leistungsklage (Zahlungsklage) deshalb jedenfalls unbegründet (BGH, aaO.).

Logischerweise können der Antrag auf Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB und die Zahlungsklage mit Rücksicht auf § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB niemals zugleich begründet sein.

Offline RR-E-ft

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@Black

So oft wie ich jetzt schon vor Gericht in Zivilprozessen tätig war, habe ich eines erfahren.

Es gibt keine Sachentscheidungen von Amts wegen, §§ 137, 308 ZPO. Das Gericht darf nur über die von den Parteien in mündlicher Verhandlung gestellten Sachanträge entscheiden, ist an diese gebunden.
Wo kein Kläger, da kein Richter.

Richter, die anderes entscheiden, sind abzulehnen!

Offline Black

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Ich gebe zu, in dieser Frage noch keine eindeutige Meinung zu haben, aber ich werde jetzt gleichwohl  mal für die Gegenposition weiter argumentieren:

Die Ersatzbestimmung wäre in der Tenorierung des verbleibenden Zahlungsanspruches enthalten. Statt wie vom EVU gefordert z.B. den Beklagten zur Zahlung von 1.000 Euro zu verurteilen, wird der Kläger zur Zahlung von 500,- Euro verurteilt und nicht etwa die Klage in voller Höhe abgewiesen.

Daher ist das auch keine Sachentscheidung von Amts wegen, sondern eine Sachentscheidung über den Zahlungsantrag des Klägers. Die Ersetzung durch das Gricht ist  Teil der notwendigen Anspruchsprüfung.

Ohne den § 315 Abs. 3 BGB müßte eine unbillige Zahlungsklage tatsächlich abgewiesen werden, weil dann eine Ersetzung nicht möglich wäre. Gerade weil es aber die Festlegung des § 315 Abs. 3 BGB gibt, kann das Gericht vollständig über den Zahlungsanspruch entscheiden und im Rahmen der Entscheidung über diesen Antrag ggf. die Ersetzung vornhmen.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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@Black

Die Ansprüchsprüfung der Zahlungsklage ergibt mit Rücksicht auf § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB, dass diese jedenfalls unbegründet ist (BGH VIII ZR 240/90 am Ende).

Denn dem Gericht ist ja - einen Antrag des Versorgers zur Ersatzbestimmung vorausgesetzt - bekannt, dass die getroffene Bestimmung nicht der Billigkeit entspricht und deshalb unverbindlich ist, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB.
Nur deshalb und mit dieser Begründung wird ja die Ersatzbestimmung vom Versorger beantragt (BGH X ZR 60/04 unter II 1).

Offline Black

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Aus BGH VIII ZR 240/90 (am Ende) ergibt sich nicht, dass ein gesonderter Antrag auf Ersetzung bei unbilligem Preis notwendig ist. Der BGH sagt dort ja nur, dass dort eine Ersetzung nicht möglich war, weil gar nicht feststellbar war, ob überhaupt  Unbilligkeit vorliegt.

Es ist ein Unterschied, ob das Gericht die Unbilligkeit feststellt und sich dann fragt, ob es nun selbst ersetzen darf oder dafür einen Antrag benötigt oder aber ob das Gericht mangels ausreichendem Vortrag schon gar nicht die Billigkeit prüfen kann.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline RR-E-ft

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@Black

Bei BGH VIII ZR 240/90 hatte der RWE den dafür notwendigen Antrag auf Ersatzbestimmung gestellt.


Zitat
BGH VIII ZR 240/90

Auf die Klage, mit der die Klägerin neben den beiden genannten Differenzbeträgen zwischen gefordertem und gezahltem Entgelt aufgelaufene Zinsen von 146.060,81 DM sowie weitere Zinsen verlangte, hat die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits 49.947,30 DM gezahlt, weil sie eine Erhöhung des Strompreises auf 13,82 Pf/kwh für berechtigt hält.
Die dementsprechend ermäßigte Klage hat das Landgericht abgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und hilfsweise begehrt, ihr den Klagebetrag als angemessenes und billiges Entgelt für die Stromlieferungen gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zuzusprechen.
Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.

Diesem konnte jedoch nur dann Erfolg beschieden sein, wenn RWE die Unbilligkeit seiner getroffenen Preisbestimmung (und somit die Unbegründetheit seines primär verfolgten Zahlungsklageantrages) eingeräumt hätte.
Dies hatte RWE jedoch ganz offensichtlich verabsäumt.

Mit entsprechendem Tatsachenvortrag  war RWE jedenfalls wegen der Verspätungsvorschriften der ZPO  präkluduert.

Zitat
Zu Recht hat es das Berufungsgericht auch abgelehnt, die Preisbestimmung selbst durch Urteil zu treffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Das ist nur zulässig, wenn die Bestimmung durch die dazu befugte Partei nicht der Billigkeit entspricht oder verzögert wird und eine hinreichende tatsächliche Grundlage für eine ersetzende gerichtliche Bestimmung vorhanden ist. Eine Verzögerung liegt ersichtlich nicht vor. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Preisfestsetzung der Klägerin unbillig ist, kann dagegen wegen des zur Nachprüfung ungeeigneten Vortrags der Klägerin nicht beurteilt werden.

Der Versorger muss sich entscheiden, ob er seine getroffene Tarifbestimmung gem. § 315 Abs. 1 BGB für verbindlich hält oder ob er diese gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB für bisher unverbindlich hält.
Mit widersprüchlichem Vortrag zu diesem streitentscheidenden Punkt darf er dem Gericht jedenfalls  nicht kommen, § 138 Abs. 4 ZPO.

Gerichte sind an die gestellten Sachanträge gebunden, § 308 ZPO.

Der Zahlungsklageantrag stellt maßgeblich darauf ab, dass die getroffene Tarifbestimmung der Billligkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB und deshalb eine verbindliche Forderung bereits besteht.

Dies will der Versorger mit seinem Zahlungsklageantrag entschieden haben.

Dann darf das Gericht nicht unterstellen, der Kläger unterstelle die bisherige Unverbindlichkeit (das genaue Gegenteil) und strebe deshalb ein vollkommen  anderes Klageziel an, nämlich eine gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB.

Zudem:

Unterschiedliche Klageanträge bedeuten eine Klagehäufung und wirken sich auch auf den Streitwert aus.

Offline Black

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Ja und?

RWE hat hilfsweise die Ersetzung beantragt und das Gericht hat abgelehnt, weil es mangels ausreichendem Vortrag schon gar nicht feststellen konnte ob eine Ersetzung notwendig wäre und es dem Haupt- oder eher dem Hilfsantrag stattgeben muss.

Das belegt aber nicht, dass ein Antrag auf Ersetzung gestellt werden muss. Zur Notwendigkeit des Hilfsantrages ist in der Entscheidung nichts zu finden.
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@Black

Reicht denn ein Blick in § 137, 308 ZPO nicht aus, um sich die Frage selbst zu beantworten?

Fragt doch mal den Rechtsreferendar, worüber ein Zivilgericht sachlich nur  entscheiden darf (ne eat judex ultra petita).

Offline Black

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Original von RR-E-ft
@Black

Reicht denn ein Blick in § 137, 308 ZPO nicht aus, um sich die Frage selbst zu beantworten?
Fragt doch mal den Rechtsreferendar, worüber ein Zivilgericht sachlich nur  entscheiden darf (ne eat judex ultra petita).

Ganz so einfach scheint es nicht zu sein.

Zitat
AG Pinneberg, 04.09.2009, 65 C 271/07

I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 314 Euro zu zahlen.

II. Die Kosten tragen die Klägerin zu 64 % und die Beklagte zu 36 %

(...)

Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung des Restbetrages von 314,98- Euro  zu

(...)

Da die einseitig vorgenommenen Bestimmungen der Tarifpreise gegenüber der Beklagten unbillig sind, ist der zwischen den Parteien geltende Preis durch Urteil zu bestimmen, § 315 Abs. 3 BGB.

Hierfür sind (...)

Insgesamt sind daher vom Rechnungsbetrag und damit vom Klagebetrag (872,75- EUR)  557,76 - EUR abzuziehen, so dass Restbetrag von 314, 98 verbleibt
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Offline RR-E-ft

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Ja, es gibt durchaus Gerichte, welche  die Zivilprozessordnung nicht beachten, willkürlich eigene Regeln aufstellen.

Ganz krass:

Ich war neulich bei einem Termin beim AG Pößneck, rügte dessen sachliche Zuständigkeit gem. §§ 108, 102 EnWG.

Im Termin stellte die Klägervertreterin keinen Sachantrag, sondern beantragte lediglich Schriftsatznachlass.
Kann jeder machen, wie er möchte.

Das Gericht gewährte diesen und diktierte im wahrsten Sinne des Wortes zu Protokoll einen Verkündungstermin und den Schluss der Verhandlung. Mir fiel der Stift aus der Hand, weil ich Klageabweisung gegen die im Termin säumige Klägerin (§§ 137, 333, 330 ZPO) wie schriftsätzlich angekündigt stellen sollte, wollte und musste und protestierte unter Verweis auf § 137 ZPO, ungewohnt laut. Der Vorsitzende meinte, beklagtenseits könnne gar kein Antrag auf Klageabweisung gestellt werden, die Sitzung sei geschlossen, was dem Vorsitzenden einen Befangenheitsgesuch einbrachte. Bei  Lichte betrachtet kann der abgelehnte Richter nichts entscheiden, weil im Termin kein Sachantrag gestellt wurde, von der Klägerin, weil sie nicht wollte, von den Beklagten, weil man sie nicht ließ, § 308 ZPO. Größere Willkür als eine versagte Stellung eines Sachantrages im Termin kann  einer Partei wohl nicht widerfahren. Natürlich wurde ein klageabweisendes Urteil, auf welches die Beklagten Anspruch haben, mindestens verzögert.

Warum soll es in Pinneberg bei Gericht  besser zugehen als in Pößneck?
Selbst bei Landgerichten gibt es teils Skurriles zu erleben.

Willkürentscheidungen besagen doch aber nichts darüber, wie es regelkonform sein muss, § 308 ZPO.

Wir haben die Parteien vor Gerichtswillkür in Schutz zu nehmen.

 

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