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Autor Thema: BGH, B. v. 07.12.10 KZR 21/09 zur Klage gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB  (Gelesen 3967 mal)

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Offline RR-E-ft

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Offline tangocharly

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BGH, B. v. 07.12.10 KZR 21/09 zur Klage gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB
« Antwort #1 am: 22. Dezember 2010, 12:37:47 »
Hier die Entscheidung des Berufungsgerichts (OLG Saarbrücken). Ein merkwürdiger Schmusekurs, den der Kartellsenat da mit dem VIII. Senat geht ......

Zitat
Tz. 84
bb) Im Übrigen hat aber – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat – die Klägerin auch ihr Klagerecht verwirkt.  

Tz.85
Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BGHZ 97, 212, 220 f.).  

Tz. 86
Was das Zeitmoment betrifft, so hätte die Klägerin die Unbilligkeit der Entgelte für 2002 schon im Jahre 2002 geltend machen können. Sie hat dies aber erst Ende 2006 getan. Es ist damit seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen. Entsprechendes gilt für die Geltendmachung der Entgelte für 2003 und 2004. Letztere sind erst Ende 2007 angegriffen worden.  

Tz. 87
Auch das Umstandsmoment liegt vor. Die Beklagte durfte hier aus dem Verhalten der Klägerin entnehmen, dass die Klägerin sich nicht mehr auf die Unbilligkeit der Leistungsbestimmung berufen würde.  

Tz. 88
Zwar hat die Klägerin die Verträge unter dem Vorbehalt der energie- und kartellrechtlichen Überprüfung der Nutzungsentgelte unterzeichnet. Auch die Zahlungen sind unter Vorbehalt erfolgt. Die Klägerin hat auch nach Abschluss der Verträge in der Folgezeit immer wieder Vorbehalte erklärt und teilweise mit und teilweise ohne Erfolg Verjährungsverzichtserklärungen verlangt, sie hat aber, worauf es hier entscheidend ankommt, erst nach vielen Jahren Taten folgen lassen und die Unbilligkeit der Nutzungsentgelte gegenüber der Beklagten erstmals 2006, also 6 Jahre nach Vertragsbeginn geltend gemacht. Die Klägerin räumt selbst ein, dass branchenbekannt gewesen sei, dass sie in zahlreichen Verfahren versucht habe, ihre Gestaltungsrechte gegenüber Netzbetreibern durchzusetzen. Die Beklagte durfte daraus, dass die Klägerin wohl gegen zahlreiche Konkurrenten aber über 6 Jahre nicht gegen sie gerichtlich vorgegangen ist, schließen, dass die Klägerin gegen sie nicht gerichtlich vorgehen werde. Das vor allem auch deswegen, weil die Klägerin ihre vermeintlichen Ansprüche für die Jahre 2000, 2001 nicht eingeklagt hat. Die Klägerin hat also – wie das Landgericht formuliert – ihre Rückzahlungsansprüche verjähren lassen. Auch daraus durfte die Beklagte schließen, dass die Klägerin nicht gegen sie gerichtlich vorgehen würde. Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, erst die Entscheidung des BGH vom 18.10.2005 habe sie in die Lage versetzt, ihre Gestaltungsrechte erfolgreich durchzusetzen. Der gerichtlichen Inanspruchnahme der Beklagten hätte nichts im Wege gestanden, was sich schon daraus ergibt, dass die Klägerin – nach eigenem Vortrag – schon vor dem Urteil des BGH vom 18.10.2005 viele Konkurrenten der Beklagten verklagt hat.  

Tz. 89
Die Beklagte durfte sich also trotz der von der Klägerin erklärten Vorbehalte darauf einrichten, dass die Klägerin die Unbilligkeit der Netznutzungsentgelte nicht mehr geltend machen würde. Durch die verspätete Durchsetzung des Rechts der Klägerin würde der Beklagten auch ein unzumutbarer Nachteil entstehen, weil sie – was erfahrungsgemäß stets mit besonderem Aufwand verbunden ist – längst abgeschlossene Sachverhalte wieder aufgreifen und die Netzentgelte für die Jahre 2002 bis 2004 rückwirkend neu berechnen, und ggf. in erheblichem Umfang Netznutzungsentgelte zurückzahlen müsste. Die Vorstellung der Klägerin liegt insoweit bei 30 %.  

Tz. 90
c) Hat die Klägerin ihr Klagerecht aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB verwirkt [bzw. ist die Klage aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB verfristet - Anm.: diese Auffassung hat der Kartellsenat am 07.12.2010 verworfen] so hat dies zur Folge, dass die Unbilligkeit der Leistungsbestimmung nicht mehr gerügt werden kann, die Leistungsbestimmung ist wirksam (vgl. BeckOK-BGB/Gehrlein, Stand: 1.02.2007, § 315 Rdn. 10).  

Tz. 91
Das ergibt sich – folgt man der h.M. zur Wirkung des Leistungsbestimmungsrechts – schon daraus, dass die getroffene Bestimmung wirksam bleibt und den Verpflichteten bindet, bis im Klageweg die getroffene Bestimmung durch eine anderweitige Bestimmung ersetzt worden ist (vgl. dazu die Nachweise oben aa). Aber auch, wenn man der Mindermeinung folgen wollte, nach der die unbillige Leistungsbestimmung unverbindlich ist (vgl. dazu die Nachweise oben aa), wird man als Folge der Rechtskraft des die Klage abweisenden Urteils davon ausgehen müssen, das die Billigkeit der Leistungsbestimmung nunmehr feststeht.

Die nachfolgend wiederholte Passage des Urteils OLG SB ....
Zitat
Tz. 90  c) Hat die Klägerin ihr Klagerecht aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB verwirkt [bzw. ist die Klage aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB verfristet - Anm.: diese Auffassung hat der Kartellsenat am 07.12.2010 verworfen] so hat dies zur Folge, dass die Unbilligkeit der Leistungsbestimmung nicht mehr gerügt werden kann, die Leistungsbestimmung ist wirksam (vgl. BeckOK-BGB/Gehrlein, Stand: 1.02.2007, § 315 Rdn. 10).

... veranlaßt zu nachfolgendem memento (abgesehen davon, dass der BGH hierzu nichts sagen mußte):

§ 315 Abs. 3 Satz 2, HS. 2 BGB spricht immer noch (und nicht von mehr als) von dem Leistungsbestimmungsrecht des Berechtigten (und Verpflichteten). Auch wenn Abs. 3 Satz 2, HS 2 von der Verzögerung der Leistungsbestimmung spricht, wodurch das Gericht in die Lage versetzt werden kann, die Leistungsbestimmung vorzunehmen, so bedarf es hierzu eines Antrags (§ 308 ZPO).
Folglich richtet sich das Klageziel eines Bestimmungsgegners zum Einen auf die Billigkeitsfeststellung und zum Anderen gegen die Untätigkeit des Bestimmungspflichtigen; Letzteres jedoch in erster Linie.

Wenn also das Klagerecht verwirkt werden kann, dann nur dahin, dass dem Bestimmungsgegner der eigene Anspruch auf Feststellung der Billigkeit durch das Gericht aus der Hand geschlagen ist.

Dass damit eine rechtskraftfähige Feststellung zur Billigkeit getroffen worden sei, ist zivilprozessual völlig unhaltbar. Denn gerade hierüber wurde nichts festgestellt und/oder entschieden.

Dies ist auch unlogisch. Denn wenn sich das Verhalten einer Partei als illegal erweist (die Verzögerung der Bestimmung), dann kann sich der Bestimmungspflichtige nicht mit seinem eigenen Verhalten (welches offenkundig auf Zeit spielt) seinem Vertragspartner ggü. verteidigen wollen (§ 242 BGB).
<<Der Preis für die Freiheit ist die Verantwortung>>

Offline RR-E-ft

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BGH, B. v. 07.12.10 KZR 21/09 zur Klage gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB
« Antwort #2 am: 22. Dezember 2010, 13:37:28 »
Zunächst bedarf es der Leistungsbestimmungspflicht eines Vertragsteils gem. § 315 Abs. 1 BGB [für Altfälle bejaht = BGH Netznutzungsentgelte I - IV].

Wird die Leistung demnach vom dazu Verpflichteten bestimmt, kann sich der andere Teil auf Unbilligkeit berufen, muss es jedoch nicht.
Er kann die Bestimmung auch gegen sich gelten lassen.
Wenn er sich nicht darauf beruft, kann die zur Leistungsbestimmung verpflichtete Partei deshalb davon ausgehen und sich darauf einrichten, dass ihre Leistungsbestimmung Bestand haben werde.

Beruft sich indes der andere Vertragsteil auf Unbilligkeit, so ist die einseitige Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.

Für das Berufen dürfte die Erklärung entsprechender Vorbehalte ausreichen, Argument § 320 BGB.

Die Frage stellt sich, ob eine Vorbehaltszahlung überhaupt eine Vertragserfüllung darstellt bzw. § 320 Abs. 2 BGB unterfällt.

Der erklärte Vorbehalt bewirkt, dass für den Zahlungsempfänger jedenfalls erkennbar die Leistung nicht unwiderruflich und endgültig erfolgen soll, so wie es für die Erfüllung vertraglicher Zahlungsverpflichtungen eigentlich notwendig wäre. Erfolgen Vorbehaltszahlungen, muss sich der Zahlungsempfänger immer auf die Möglichkeit der (teilweisen) Rückforderung einstellen, zB. durch Bildung entsprechender Rückstellungen aus Gründen kaufmännischer Vorsicht. Er steht deshalb schlechter als bei Erfüllung.    

Deshalb fehlt es bei Vorbehaltszahlungen m.E. jedenfalls am Umstandsmoment für eine Verwirkung.
Der Zahlungsempfänger durfte sich nämlich gerade nicht darauf einrichten, die geleistete Zahlung endgültig behalten zu dürfen, sondern hatte sich aus Gründen kaufmännischer Vorsicht auf einen anderen Fall einzustellen.


Eine Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB hat hingegen zur Voraussetzung, dass

a) die getroffene und beanstandete bzw. in Zweifel gezogene Leistungsbestimmung nachweislich bzw. unstreitig  nicht der Billigkeit entspricht, ferner
b) einen Antrag auf Ersatzbestimmung, ferner
c) dass das Gericht genügend Anhaltspunkte für die Bestimmung des der Billigkeit entsprechenden Entgelts hat

(so ausdrücklich BGH, Urt. v. 02.10.91 VIII ZR 240/90 = NJW-RR 92, 183 ff. am Ende).

Die Ersatzbestimmung scheidet deshalb aus, wenn sich nicht klären lässt, ob die Leistungsbestimmung der Billigkeit entsprach oder nicht, so dass auch im Falle nicht nachgewiesener Billigkeit ein Antrag auf Ersatzbestimmung vom Gericht abgewiesen werden muss (BGH, aaO.)

Wenn die von dem Beschluss vom 07.12.10 betroffene Partei fix ist, hilft ihr womöglich eine Gehörsrüge gem. § 321a ZPO gegen den Beschluss weiter.

 

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