Energiepreis-Protest > Grundsatzfragen
Ausschluß der Gaspreiskontrolle über § 315 BGB
Black:
--- Zitat ---Original von Jagni
--- Zitat --- von tangocharly
Wo findet sich der verfassungskonforme Ansatz für einen auf § 315 BGB gestützten \"Anfangspreis\" oder die sog. \"Sockelpreistheorie\"?
--- Ende Zitat ---
Offen gesagt, habe ich dieses Problem noch nicht ausreichend durchdacht. Bei erster Betrachtung erscheint es mir aber auch der schwierigere Weg zu sein, einen verfassungskonformen Ansatz zu suchen, um diese Sockelpreistheorie zu rechtfertigen oder anzugreifen.... Vielleicht greift hier aber auch @Black, der abseits des schlichten Gemüts argumentierende Versteher der Materie ein und löst die Frage auf.
--- Ende Zitat ---
Der Preissockel basiert auf dem Grundgedanken des Schuldrechts, dass sich zwei Parteien bei Vertragsschluss auf die wesentlichen Inhalte des Vertrages einigen. Dazu gehört auch der Preis.
Insoweit geht der BGH von einem vereinbarten Anfangspreis aus. Wenn der Versorger sich von diesem ursprünglich vereinbarten Preis lösen möchte, um einseitig einen neuen Preis zu bestimmen, dann muss diese Bestimmung der Billigkeit entsprechen.
Ich sehe daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
RR-E-ft:
Der VIII.Zivilsenat verkürzt das gesetzliche Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht (BGH KZR 2/07 Rn. 29) auf ein Tarifänderungsrecht.
--- Zitat ---BGH KZR 2/07 Rn. 29
Die Verordnung gibt dem Versorger kein allgemeines Preisanpassungsrecht, sondern das Recht zur Bestimmung (und Änderung) derjenigen allgemeinen Tarife und Bedingungen, zu denen der Versorger nach § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (1998] jedermann an sein Versorgungsnetz anzuschließen und zu versorgen hat (§ 1 Abs. 1 AVBGasV).
--- Ende Zitat ---
Dies kollidiert m.E. mit der gesetzlichen Bindung Allgemeiner Tarife an den Maßstab der Billigkeit, die den Versorger gesetzlich auch zu Tarifanpassungen zugunsten der Kunden - also Tarifsenkungen - verpflichtet (BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18], welche ihrerseits eine - die Billigkeitskontrolle ausschließende - (individuelle) Preisvereinbarung (BGH VIII ZR 246/08 Rn. 58] schon denknotwendig ausschließen muss. Es liegt wohl zuvörderst ein Verstoß gegen zu beachtende Denkgesetze vor.
--- Zitat ---BGH VIII ZR 246/08 Rn. 59
nicht zweifelhaft, ob das Versorgungsunternehmen den Preis überhaupt anpassen durfte; es besteht lediglich Ungewissheit darüber, ob die Preisanpassung der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB standhält. Diese gerichtliche Billigkeitskontrolle findet nur statt, wenn der Kunde die Unbilligkeit der Leistungsbestimmung durch Klage geltend macht oder wenn er gegenüber der Leistungsbestimmung des Versorgers den Einwand der Unbilligkeit erhebt undder Versorger im Wege der Leistungsklage vorgeht (vgl. MünchKomm BGB/Gottwald, 5. Aufl., § 315 Rdnr. 47; Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl.,§ 315 Rdnr. 17; jeweils m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hält der Senat es weiterhin für gerechtfertigt, das Verhalten des Kunden, der nach Übersendung einer auf einer einseitigen Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden, dahin auszulegen, dass er die Billigkeit der Preiserhöhung nicht in Frage stellt und ihr unter diesem Aspekt zustimmt. Hingegen kommt eine weiter gehende Auslegung des Kundenverhaltens dahin, dass er nicht nur die Billigkeit der jeweiligen einseitigen Preisänderung, sondern - soweit es darauf ankommt - auch die Berechtigung des Versorgungsunternehmens zur einseitigen Preisänderung an sich akzeptiert, nicht in Betracht.
--- Ende Zitat ---
Der Kartellsenat des BGH unterscheidet hingegen wohl deutlich zwischen einem Allgemeinen Tarifpreis, der gesetzlich an den Maßstab der Billigkeit gebunden ist, und einem vereinbarten Preis.
--- Zitat ---BGH KZR 2/07 Rn. 29:
Der Preis, den sie zu zahlen haben, ergibt sich nicht aus dem allgemeinen, für jedermann geltenden Tarif der Beklagten, sondern aus der vertraglichen Vereinbarung des Gasbezugsvertrages. Auf einen solchen vereinbarten Preis findet das Tarifbestimmungsrecht des Versorgers weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.
--- Ende Zitat ---
--- Zitat ---BGH KZR 2/07 Rn. 26:
Hiernach kommt § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV Leitbildfunktion für die streitige Preisänderungsklausel nicht zu.
Die Vorschrift bestimmt, dass das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Zwar ergibt sich auch aus dem Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht entgegen der Auffassung der Kläger ein (gesetzliches) Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB (BGHZ 172, 315 Tz. 17). Dass die Norm keine Vorgaben zu Zeitpunkt und Inhalt von Preisänderungen nennt, ist jedoch eine unmittelbare Folge des Umstandes, dass Tarifkunden zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen beliefert werden und beliefert werden müssen. Aus der gesetzlichen Bindung des allgemeinen Tarifs an den Maßstab der Billigkeit (BGHZ 172, 315 Tz. 16 f.) ergibt sich nicht nur die Rechtspflicht des Versorgers, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Der Versorger ist vielmehr auch verpflichtet, die jeweiligen Zeitpunkte einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen, so dass Kostensenkungen mindestens in gleichem Umfang preiswirksam werden müssen wie Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist
--- Ende Zitat ---
Der in Verbrauchsabrechnungen ausgewiesene Allgemeine Tarif gründet nicht nur auf Tariferhöhungen in der laufenden Abrechnungsperiode, sondern immer auch auch auf unterlassenen Tarifabsenkungen in der laufenden Abrechnungsperiode und ist deshalb wohl insgesamt Ergebnis der einseitigen Bestimmungen des Versorgers und dessen einseitige Tariffestsetzungen, an denen der grundversorgte Tarifkunde nicht beteiligt ist.
Die gesetzliche Bindung der Allgemeinen Tarife an den Maßstab der Billigkeit und die Rechtspflicht zur Tarifabsenkung steht also schon gedanklich einer (individuellen) Preisvereinbarung entgegen, die der VIII.Zivilsenat jedoch fingiert.
--- Zitat ---BGH VIII ZR 246/08 Rn. 65
Wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer öffentlich bekannt gegebenen einseitigen Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung des Versorgungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden, wird der zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif zu dem zwischen den Parteien vereinbarten Preis. Er kann deshalb nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit überprüft werden (BGHZ 172, 315, Tz. 36; vgl. auch BGHZ 178, 362, Tz. 15 f.).
--- Ende Zitat ---
Die gesetzliche Rechtspflicht zur Tarifabsenkung würde dadurch ausgehebelt. Die richterliche Fiktion infolge dieser Auslegung läuft damit jedoch wohl ganz offenbar der gesetzlichen Regelung zuwider. Die Auslegung des Senats erscheint deshalb mit der gesetzlichen Regelung schlicht unvereinbar.
Grundversorgte Kunden müssten - um keine Rechtsnachteile in Kauf zu nehmen - Verbrauchsabrechnungen immer zeitnah insbesondere auch dann widersprechen, wenn keine Tarifänderung in der Abrechnungsperiode eingetreten war.
Dies deshalb, weil nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Versorger gerade hierdurch seiner gesetzlichen Rechtspflicht zur Tarifabsenkung zuwider gehandelt hatte.
Der zur Abrechnung gestellte Tarifpreis könnte sich gerade auch deshalb als unbillig und mithin gem. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB als unverbindlich erweisen. Hat der Versorger entgegen gesetzlicher Rechtspflicht den Allgemeinen Tarif nicht abgesenkt, muss erst eine gerichtliche Ersatzbestimmung gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zu einer verbindlichen Tariffestsetzung führen, also der Festsetzung eines geringeren Tarifs.
--- Zitat ---BGh X ZR 60/04 unter II 1 b):
Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, daß die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der rich-terlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 294 f.). Erst die vom Gericht neu fest- gesetzten niedrigeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsun- ternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH, Urt. v.24.11.1995 - V ZR 174/94, NJW 1996, 1054; MünchKomm./Gottwald, BGB, 4. Aufl., § 315 Rdn. 49; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 315 Rdn. 17; Staudinger/Rieble, aaO Rdn. 276); erst von diesem Zeitpunkt an besteht mithin eine im gerichtlichen Verfahren durchsetzbare Forderung des Versorgungsunternehmens.
--- Ende Zitat ---
Was für eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB bereits gilt, muss wohl bei direkter Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf das gesetzliche Tarifbestimmungs- und -änderungsrecht erst recht gelten.
Black:
Was dem Preissockel demnach entgegengehalten werden könnte ist also nicht die Verfassung sondern möglicherweise die Rechtsprechung des Kartellsenates.
Da der Kartellsenat dem VIII. Senat aber nicht übergeordnet ist, handelt es sich damit um (nur) eine gleichrangige Rechtsauffassung.
Wenn man die Auffassung des VIII. Senates nicht als absolute Wahrheit ansehen möchte, dann kann das auch nicht für den Kartellsenat gelten. Das Argument taugt also nicht um irgendeinen \"Verstoss\" des VIII. Senates gegen die Verfassung oder auch nur gegen \"Denkgesetze\" zu rechtfertigen.
RR-E-ft:
Letztere luftige Argumentation errinert mich an Kollegen Dr. Schulz-Gardyan.
Nicht ersichtlich, ob Denkgesetze Verfassungsrang genießen.
Sie sind jedoch unzweifelhaft von der Rechtsprechung zu beachten.
Auch gesetzliche Regelungen sind von der Rechtsprechung zu beachten.
Und wenn die gesetzliche Regelung nun einmal eine Rechtspflicht zur Tarifabsenkung zugunsten der grundversorgten Tarifkunden statuiert, so darf die Rechtsprechung sich hierzu nicht in Widerspruch stellen, deren Durchsetzbarkeit vereiteln.
Der VIII.Zivilsenat erkennt auch die gesetzliche Rechtspflicht zur Tarifabsenkung an (BGH VIII ZR 81/08 Rn. 18], schaltet jedoch die Gedanken daran wohl in einer Art Multitasking und von durchschnittlich Verständigen logisch nicht mehr nachvollziehbaren Art und Weise ständig an und aus.
Normalerweise würde man BGH VIII ZR 246/08 Rn. 65 und VIII ZR 81/08 Rn. 18 als sich logisch ausschließende Auffassungen zu verstehen und deshalb wohl eine Art schizophrener Störung zu attestieren haben.
Eine Preisvereinbarung gem. §§ 145 ff. BGB und ein einseitiges Leistungsbetimmungsrecht gem. § 315 BGB (gleichviel, ob gesetzlich oder vertraglich eingeräumt) schließen sich gegenseitig denknotwendig aus.
Sie stehen sich bereits vom Gesetzgeber als gleichwertige Alternativen geschaffene Institute des Vertragsrechts und allgemeinen Schuldrechts gegenüber, wie sich bereits aus den Motiven zum BGB ergibt. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht geht nach der gesetzlichen Regelung immer mit der Verpflichtung einher, die Leistungsbestimmung nach Vertragsabschluss der Billigkeit entsprechend zu treffen.
Motive des Gesetzgebers
In einem Dauerschuldverhältnis besteht diese Verpflichtung zur Leistungsbestimmung fortlaufend. Nach der gesetzlichen Regelung soll der Allgemeine Preis der Grundversorgung, zu dem die Belieferung erfolgen muss, gerade nicht von einer individuellen Preisabrede mit einzelnen Kunden abhängen, sondern vom Grundversorger immer wieder neu der Billigkeit entsprechend festgesetzt werden. Der Grundversorgung ist nicht nur zur Festsetzung der Billigkeit entsprechender Allgemeiner Preise der Grundversorgung berechtigt, sondern hierzu gesetzlich verpflichtet, §§ 1, 2, 36 EnWG.
Der Gesetzgeber geht eben nicht davon aus, dass die Allgemeinen Preise der Grundversorgung, die vom grundversorgten Tarifkunden zu zahlen sind, auf einseitigen Leistungsbestimmungen des Grundversorgers beruhen können, die der grundversorgte Kunde gerichtlich auf ihre Billigkeit kontrollieren lassen kann, sondern dass die Allgemeinen Preise des Grundversorgers, die vom grundversorgten Tarifkunden zu zahlen sind, auf der einseitigen Leistungsbestimmung des Grundversorgers beruhen, weil dieser gesetzlich zur einseitigen Festlegung der selben verpflichtet ist.
Bei einem vereinbarten Preis gibt es kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht und auch keine gesetzliche Rechtspflicht zur Absenkung.
Black:
Wer einen Verstoss gegen Denkgesetze monieren muss, kann wohl auf formelle Gesetze nicht mehr zurückgreifen.
Die Rechtspflicht zur Tarifabsenkung findet sich in § 5 GVV nicht niedergeschrieben. Es handelt sich um einen Rechtsgrundsatz der erst von der Rechtsprechung des BGH entwickelt wurde.
Das bedeutet natürlich nicht, dass dieser Rechtsgrundsatz falsch wäre. Es verstößt aber ebenso gegen Denkgesetze, wenn man einerseits richterliche Rechtsfortbildung kritisiert und sich gleichzeitig darauf berufen möchte.
Für die schlichteren Gemüter: Man kann die Rechtsprechung des BGH nicht mit anderer Rechtsprechung des BGH als \"falsch\" widerlegen. Man kann damit maximal eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung belegen.
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