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Autor Thema: BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB  (Gelesen 9247 mal)

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Offline Graf Koks

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BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB
« am: 02. November 2005, 20:54:21 »
[ VIII-ZR-8-05 21-09-2005 ]
http://www.energieverbraucher.de/de/site/Hilfe/Container-Urteilssammlung/site__1620/

In einer aktuellen Entscheidung zu Baukostenzuschüssen bei Wasseranschlüssen (BGH VIII ZR 8/05) legt der 8. Senat nochmals mit großer Deutlichkeit klar, was insbesondere privatrechtlich organisierte, aber in öffentlicher Hand befindliche Unternehmen der Wasserversorgungswirtschaft bei Ihrer Tarifgestaltung zu beachten haben. Aufhorchen lässt die Entscheidung, soweit der BGH ganz eindeutig die Erschließung gesetzwidriger Einnahmequellen durch Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip im Auge hat. Hier erinnere ich mich an einige Beiträge, in denen es um die Aufbesserung von Kommunaletats durch Überschüsse aus kommunalen Betrieben geht.

Wörtlich schreibt der BGH wie folgt:

"Gleichwohl unterliegt die Bestimmung des Baukostenzuschusses durch
den Kläger, auch wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgt, einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass Tarife und sonstige Entgeltregelungen von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und auf ihre Billigkeit hin entsprechend § 315 Abs. 3 BGB zu überprüfen sind (Urteil vom 4. Dezember 1986, aaO, unter II 2 b; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 – VIII ZR 240/90, NJW-RR 1992,
183, unter I; BGHZ 115, 311, 316; Urteil vom 5. Juli 2005 – X ZR 60/04, WuM 2005, 589, unter II 1 a). Dies ist zum Teil aus der Monopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet worden, gilt aber auch im Fall des Anschlussund Benutzungszwangs (Urteil vom 5. Juli 2005, aaO), der hier durch die §§ 4 ff. der Satzung des Klägers vom 28. Januar 1997 (veröffentlicht im R. Amtsblatt vom 12. März 1997, S. 3) begründet worden ist."

Und weiter nun zur Frage der Kostendeckung :

"Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass die öffentliche Hand, wenn sie sich
entschließt, Leistungsverhältnisse im Rahmen der Daseinsvorsorge in privatrechtlicher Form zu regeln, bei der Festsetzung der Tarife und Entgelte auch öffentlich-rechtliche Vorgaben zu beachten hat. Sie hat neben den Grundrechten jedenfalls die grundlegenden Prinzipien öffentlichen Finanzgebarens zu beachten (Urteil vom 5. Juli 2005, aaO, unter II 2 c bb (1); BGHZ 115, 311, 318; 91, 84, 96 f.). Entscheidend dafür ist die Schutzbedürftigkeit des einzelnen Bürgers gegenüber der Erschließung gesetzwidriger Finanzquellen durch die öffentliche
Verwaltung, die dem Bürger nicht Entgelte für Leistungen abverlangen
soll, für die bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Abgaben nicht erhoben werden dürften (BGHZ 115, 311, 318; 91, 84, 97).
 
Öffentlich-rechtliche Vorgaben können jedoch insoweit nicht gelten, als
die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser ausdrücklich abweichende Vorschriften enthält. Die Verordnung regelt speziell die öffentliche Wasserversorgung in der Form des Privatrechts (§ 1 Abs. 1 AVBWasserV). Sie enthält in § 9 AVBWasserV eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung von Baukostenzuschüssen durch das Versorgungsunternehmen und zugleich den Maßstab für die Verteilung der Baukosten auf die einzelnen Anschlussnehmer. Soweit dieser Maßstab unvereinbar ist mit demjenigen, den das kommunale Abgabenrecht für die Erhebung von Beiträgen vorsieht, können nicht beide gleichzeitig zur Anwendung kommen. § 9 AVBWasserV verfolgt das Ziel einer möglichst kostengünstigen Finanzierung kapitalintensiver Investitionen im Bereich der Wasserverteilung und soll erreichen, dass die Anschlussnehmer möglichst verursachungsgerecht zu den Verteilungskosten herangezogen werden (Amtliche Begründung, abgedruckt in Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Stand: Juni 2005, Bd. 2, § 9 AVBWasserV). Die Regelung ist also kostenorientiert und strebt eine verursachungsgerechte Kostenzuordnung an (Morell, AVBWasserV, Stand: April 2004, § 9 Abs. 2 a). Im Gegensatz dazu ist für die Erhebung von Beiträgen nach dem Kommunalabgabenrecht das Vorteilsprinzip maßgeblich, das von anderen Bemessungs- und Zuordnungskriterien
ausgeht (Hempel in Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, aaO, AVBWasserV,
Einführung Rdnr. 91). Beiträge werden nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG von
Grundstückseigentümern als Gegenleistung dafür erhoben, dass ihnen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen oder Anlagen wirtschaftliche Vorteile geboten werden, und sind entsprechend nach den Vorteilen zu bemessen (§ 8 Abs. 6 Satz 1 KAG). Das Vorteilsprinzip des Kommunalabgabenrechts ist mit der Kostenzuordnung nach § 9 AVBWasserV unvereinbar, soweit der Verursachung von Kosten kein entsprechender Vorteil gegenüber
steht.
In einem solchen Fall muss – wenn die Rechtsbeziehungen zwischen
dem Versorgungsunternehmen und dem Anschlussnehmer wie hier privatrechtlich ausgestaltet sind – die auf die Ermächtigungsgrundlage des § 27 AGBG (jetzt Art. 243 EGBGB) gestützte bundesrechtliche Spezialregelung der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser den allgemeinen landesrechtlichen Regelungen des Kommunalabgabenrechts vorgehen.

Anders ist die Auflösung eines Widerspruchs zwischen der Verordnung und dem Kommunalabgabenrecht nur für das rein öffentlich-rechtlich ausgestaltete Versorgungsverhältnis geregelt: Dafür nimmt § 35 Abs. 1 AVBWasserV, der grundsätzlich eine Verpflichtung zur Anpassung der einschlägigen öffentlichrechtlichen Rechtsvorschriften an die Bestimmungen der Verordnung begründet, die gemeinderechtlichen Vorschriften zur Regelung des Abgabenrechts ausdrücklich von der Anpassungspflicht aus, so dass sie Vorrang haben (Morell,
aaO, § 35 Abs. 1 Anm. e).
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers, nach dem
der Aufwand für den Anschluss von einem Grundstück mit zwei Wohneinheiten identisch sei mit demjenigen bei Anschluss eines Grundstücks mit nur einer Wohneinheit, könne keine Berücksichtigung finden, weil trotz der Verursachung gleicher Kosten im letztgenannten Fall jedenfalls der Vorteil geringer sei, ist danach von Rechtsfehlern beeinflusst.

b) Ob – wie die Revision meint – § 9 Abs. 3 AVBWasserV für sich genommen eine Bemessung des Baukostenzuschusses aufgrund einer Mindestgröße von zwei Wohneinheiten zulässt, wenn der Anschluss von zwei Wohneinheiten auf einem Grundstück dieselben Kosten verursacht wie der Anschluss nur einer Wohneinheit, ist nicht eindeutig. Anders als Absatz 2 der Vorschrift, der bei Wahl des Frontmetermaßstabs die Möglichkeit vorsieht, der Berechnung des Baukostenzuschusses eine Mindeststraßenfrontlange von bis zu 15 Metern zu Grunde zu legen, lässt Absatz 3 die Anordnung eines bestimmten Mindestmaßes oder einer Mindestzahl bei anderen kostenorientierten Bemessungseinheiten
wie der Grundstücksgröße, der Geschossfläche oder der Zahl der Wohnungseinheiten jedenfalls nicht ausdrücklich zu. Das könnte dafür sprechen, dass § 9 Abs. 3 AVBWasserV nur eine lineare Bemessung, ausgehend von einer Einheit der gewählten Bemessungsgröße, erlaubt. Die Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung.

c) Denn das Berufungsgericht hat die Bestimmung des Baukostenzuschusses durch den Kläger auch deshalb als unbillig bewertet, weil die Einhaltung des Kostendeckungsprinzips nicht hinreichend gewährleistet sei. Diese Beurteilung ist frei von Rechtsfehlern und trägt das Berufungsurteil. Das Kostendeckungsprinzip gehört zu den grundlegenden Prinzipien öffentlichen Finanzgebarens, die die öffentliche Hand auch dann zu beachten hat, wenn sie öffentliche Aufgaben in den Formen des Privatrechts wahrnimmt (BGHZ 115, 311, 318). § 9 Abs. 1 Satz 2 AVBWasserV bestimmt darüber hinaus, dass Baukostenzuschüsse nur höchstens 70 vom Hundert der bei wirtschaftlicher Betriebsführung notwendigen Kosten für die Erstellung oder Verstärkung von der örtlichen Versorgung dienenden Verteilungsanlagen abdecken dürfen. Diese Vorgaben hat das Berufungsgericht bei der Festlegung der Baukostenzuschüsse durch den Kläger zutreffend als nicht gewahrt angesehen.
 
Und weiter:

Dass Baukostenzuschüsse von mehr als 2.800 DM je Grundstück aufgrund der tatsächlichen Bebauungsstruktur im Versorgungsbereich im Ergebnis nicht nennenswert ins Gewicht fielen, hat der Kläger nicht dargelegt. Da nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 4. Dezember 1986, aaO, unter II 3 a; Senatsurteil vom 2. Oktober 1991, aaO; BGHZ 115, 311, 322; 154, 5, 8) das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit seiner Bestimmung der Baukostenzuschüsse trägt, geht dies zu seinen Lasten.


M.f.G. aus Berlin
Graf Koks

Offline enerveto

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BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB
« Antwort #1 am: 05. November 2005, 23:48:21 »
Sehr geehrte MitstreiterInnen,

@Graf Koks
hat im Beitrag „BHG VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB“
m.E. einen wichtigen Hinweis in der Preis-Auseinandersetzung mit den örtlichen Versorgern gegeben.

http://forum.energienetz.de/viewtopic.php?t=1751

Preise der Energieversorgung sind „Kostenpreise“.
„Das Kostendeckungsprinzip gehört zu den grundlegenden Prinzipien öffentlichen Finanzgebarens, die die öffentliche Hand auch dann zu beachten hat, wenn sie öffentliche Aufgaben in den Formen des Privatrechts wahrnimmt (BGHZ 115, 311, 318).“
„... Tarife und sonstige Entgeltregelungen von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten ...“
„... auch deshalb als unbillig bewertet, weil die Einhaltung des Kostendeckungsprinzips nicht hinreichend gewährleistet sei...“

„Im Gegensatz dazu ist für die Erhebung von Beiträgen nach Kommunalabgabenrecht das Vorteilsprinzip maßgeblich, das von anderen Bemessungs- und Zuordnungskriterien ausgeht.“

„Entscheidend dafür ist die Schutzbedürftigkeit des einzelnen Bürgers gegenüber der Erschließung gesetzwidriger Finanzquellen durch die öffentliche Verwaltung, die dem Bürger nicht Entgelte für Leistungen abverlangen soll, für die bei öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Abgaben nicht erhoben werden dürften (BGHZ 115, 311, 318; 91, 84, 97).“

Mit freundlichen Grüßen

Offline energienetz

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BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB
« Antwort #2 am: 06. November 2005, 16:18:39 »
Lieber Graf,

aus welchem BGH-Urteil zitieren Sie bitte, Datum, Az?

Gruss u Dank!

Offline RR-E-ft

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BGH VIII. Senat spricht einmal mehr Klartext zu § 315 BGB
« Antwort #3 am: 06. November 2005, 18:13:04 »
@Energienetz

Es handelt sich um folgende Entscheidung vom 21.09.2005 VIII ZR 8/05:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=6e1071e96ed1ca8f75384bbbdb5a873e&client=2&nr=34108&pos=0&anz=1



Freundliche Grüße
aus Jena



Thomas Fricke
Rechtsanwalt

 

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