Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: BGH, B. v. 09.06.2009 - 5 StR 394/08 - Betrug durch überhöht kalkulierte Tarife  (Gelesen 4676 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
BGH, B. v. 09.06.2009 - 5 StR 394/08 - Betrug durch überhöht kalkulierte Tarife

Zitat
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit Dezember 1995 Mitglied des Vorstands der B. S. (im Folgenden: BSR) und dabei intern für die Ressorts „kaufmännische Dienstleistungen“ und „Reinigung“ zuständig. Die BSR war im tatrelevanten Zeitraum eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die neben dem Vorstand auch über einen Aufsichtsrat verfügte und der Rechtsaufsicht des Berliner Senats unterstand. Der BSR oblag in ihrem hoheitlichen Bereich die Straßenreinigung mit Anschluss- und Benutzungszwang für die Eigentümer der Anliegergrundstücke. Die Rechtsverhältnisse waren privatrechtlich ausgestaltet; für die Bemessung der Entgelte galten die öffentlich-rechtlichen Grundsätze der Gebührenbemessung, wie etwa das Äquivalenz- oder das Kostendeckungsprinzip. Insoweit unterlagen die von der BSR festgesetzten Entgelte richterlicher Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.

Zitat
Die Entgelte, die sich nach der Häufigkeit der Reinigung in vier Tarifklassen unterteilten, wurden für den Tarifzeitraum auf der Grundlage einer Prognose der voraussichtlichen Aufwendungen festgesetzt. Die Tarifbestimmung erfolgte durch eine Projektgruppe „Tarifkalkulation“. Infolge eines Versehens wurden bei der Berechnung der Entgelte in der Tarifperiode 1999/2000 auch die Kosten für die Straßen zu 75 % einbezogen, für die es keine Anlieger gab und die das Land Berlin vollständig hätte tragen müssen. Verantwortliches Vorstandsmitglied war der Angeklagte, der – als die Tarife bereits in Kraft waren – über den Berechnungsfehler informiert wurde, diesen jedoch nicht korrigieren ließ.

Für die Tarifperiode 2001/2002, den Tatzeitraum, wurde vom Gesamtvorstand der BSR eine neue Projektgruppe eingesetzt, die zunächst den Berechnungsfehler aus der vergangenen Tarifperiode beheben wollte. Auf Weisung des Angeklagten wurde dies jedoch unterlassen. Der Angeklagte beabsichtigte, zumal die BSR durch eine am 6. Juli 2000 geschlossene Zielvereinbarung mit dem Land Berlin sich zu Effizienzsteigerungen und erheblichen Zahlungen verpflichtet hatte, den Fehler fortzuschreiben, um Kostenrisiken auszugleichen und um den von ihm zu verantwortenden Fehler bei der vorherigen Tarifkalkulation zu vertuschen. Der Tarif, in dessen Berechnungsgrundlage auch die anliegerfreien Straßen einbezogen worden waren, wurde vom Vorstand und Aufsichtsrat der BSR gebilligt. Der Angeklagte stellte als verantwortlicher Vorstand den Tarif dort jeweils zumindest in Grundzügen vor, ohne jedoch die Entscheidungsträger auf die Einbeziehung der anliegerfreien Straßen hinzuweisen. Die Senatsverwaltung genehmigte den Tarif. Dabei verpflichtete sie die BSR allerdings im Wege einer Auflage zu einer Nachkalkulation. Auf der Grundlage des genehmigten Tarifs wurden von den Eigentümern der Anliegergrundstücke höhere Entgelte in Höhe von insgesamt etwa 23 Mio. Euro verlangt. Die geforderten Entgelte wurden zu 98 % bezahlt. Die BSR machte mit einem vom Angeklagten unterzeichneten Schreiben gegenüber dem Senat ebenfalls Reinigungskosten in Höhe von 35 Mio. DM für Straßen ohne Anlieger geltend.

Zitat
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im Hinblick auf die gesamte Tarifperiode 2001/2002 als (einheitlichen) Betrug in mittelbarer Täterschaft gewertet. Der Angeklagte habe sich dabei der Mitarbeiter der Rechnungsstelle als gutgläubiger Werkzeuge bedient, als diese in Unkenntnis der Unrichtigkeit der Tarifberechnung die Entgelte von den Anliegern anforderten. Die Eigentümer der Anliegergrundstücke bzw. deren Verwalter seien getäuscht worden, weil sie davon ausgingen, dass die Tarife ordnungsgemäß festgesetzt worden seien. Damit hätten sie sich in einem Irrtum befunden, weil ihnen die Höhe der Reinigungstarife nicht gleichgültig gewesen sei. Durch die Bezahlung der überhöhten Tarife sei der Schaden eingetreten. Auch die noch notwendige Nachkalkulation habe diesen nicht entfallen lassen, sondern berühre lediglich die Kalkulation der nachfolgenden Tarife.

II.
Die Revision des Angeklagten ist nur im Hinblick auf die Strafzumessung erfolgreich.

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Grundversorger sind gesetzlich zu einer möglichst preisgünstigen, effizienten leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität und Gas verpflichtet.  Aus der gesetzlichen Bindung der Allgemeinen Preise der Grundversorgung an den Maßstab der Billigkeit folgt, dass die Preise nur im Umfange seit der letzten Tariffestsetzung insgesamt gestiegener Kosten unter Berücksichtigung aller preisbildenden Faktoren erhöht werden dürfen.  Zugleich sind Grundversorger deshalb bei rückläufigen Kosten zu Preisanpassungen zugunsten der Kunden nach gleichen Maßstäben verpflichtet.  

Zitat
BGH, Urt. v. 15.07.2009 VIII ZR 225/07 Rn. 26, juris:  

§ 4 AVBGasV ermöglicht die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an Tarifkunden nur insoweit, als die Kostensteigerung nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26; 178, 362, Tz. 39). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Preisanpassungsbefugnis das Äquivalenzverhältnis wahren muss und dem Berechtigten nicht die Möglichkeit geben darf, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (BGH, Urteil vom 21. April 2009, aaO, Tz. 25; Urteil vom 17. Dezember 2008, aaO, Tz. 18; BGHZ 176, 244, Tz. 18; Urteil vom 13. Dezember 2006, aaO, Tz. 21; Urteil vom 21. September 2005, aaO, unter II 2).

Zitat
BGH, Urt. v. 19.11.2008 VIII ZR 138/07 Rn. 43, juris:

Das schließt allerdings nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher Kostensteigerungen im Verhältnis zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AVBGasV kann, wie die Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, angesichts der sich aus § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 EnWG ergebenden Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens zu einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas nicht dazu dienen, dass es zu beliebigen Preisen einkauft, ohne günstigere Beschaffungsalternativen zu prüfen (Markert, RdE 2007, 263, 265; Säcker, ZNER 2007, 114, 115), und im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und -steigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist (vgl. zu einer entsprechenden Einschränkung des Änderungsrechts von Banken bei Zinsänderungsklauseln in Kreditverträgen BGHZ 97, 212, 217 ff., 222; 158, 149, 155).


Zitat
BGH, Urt. v. 19.11.2008 VIII ZR 138/07 Rn. 39, juris:  

Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings - wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet - unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26). Unter diesem Gesichtspunkt müssen jedenfalls die Kostenbestandteile des Preissockels in die Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung einbezogen werden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit, wie ausgeführt (oben unter 1), einer Billigkeitskontrolle entzogen ist (vgl. Dreher, ZNER 2007, 103, 107).


Zitat
BGH, Urt. v. 18.10.2009 VIII ZR 320/07 Rn. 29, juris:

Denn aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu, wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (Senatsurteil vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, aaO, Tz. 28 m.w.N.).

Nicht alle Grundversorger halten sich an die gesetzlichen Regelungen zur Tarifbestimmung und deshalb sind nicht selten unbillige Energiepreise für die Grundversorgung zu verzeichnen.

So soll es etwa im thüringischen Jena einen Grundversorger geben, der seine Gaspreise zum 01.10.2008 um satte 1,50 Ct/ kWh erhöhte und seit dem nicht wieder absenkte, obschon andernorts 2009 - entsprechend Marktlage -  erhebliche Preissenkungen zu verzeichnen waren, was folglich wohl grob unbillig erscheinen muss.

Zitat
Presseerklärung \"Forum Erdgas\" vom 29.10.2009

Das Forum Erdgas, der  Zusammenschluss der ostdeutschen Gaswirtschaft, zieht 2009 eine positive Bilanz für die Gaskunden: „Insbesondere die Preisentwicklung mit bis zu vier Preissenkungen allein im Jahr 2009 ist für die Kunden eine gute Sache.  

Den Kundenwünschen entgegen kommt auch die Entwicklung der Erdgaspreise im Verlaufe des Jahres 2009. Im Durchschnitt haben die Preise das Niveau von 2007 erreicht - teilweise sogar wieder das Niveau von 2005. Grund dafür sind bis zu vier Preissenkungen, die die Gasversorger im Laufe des Jahres vorgenommen haben. Zu Beginn der Heizperiode haben erneut rund 300 Versorger im Okto-ber und November ihre Preise gesenkt. „Die häufige und schnelle Anpassung der Preise zeigt, dass die Erdgasversorger Preisvorteile umgehend an die Verbraucher weitergeben.

Oder auch nicht. Im thüringischen Jena ist diese positive Entwicklung für Gaskunden in der Grundversorgung schlicht vollständig ausgefallen, obschon dem betreffenden Grundversorger (Gründungsmitglied des \"Forum Erdgas\") die Marktpreisentwicklung für Gas keinesfalls entgangen war, wie eine Pressemitteilung vom 31.03.2009 deutlich zeigt.

Zitat
Pressemitteilung der Stadtwerke Jena-Pößneck GmbH vom 31.03.2009:

Wirtschaftkrise sorgt Thüringenweit für sinkende Gaspreise

Zum 1. April senken thüringenweit einige Gasversorger ihre Preise für Erdgas. Hintergrund ist die globale Wirtschaftskrise, die eine weltweit schwache Nachfrage nach Energie und somit sinkende Preise nach sich zieht.  

Vollkommen unerfindlich bleibt, was Verantwortliche sich wohl dabei denken, die Pressemitteilungen solchen Inhalts auf den Weg bringen und selbst die Gastarifpreise nicht absenken.

Werden Tarife entgegen der gesetzlichen Verpflichtung zu hoch kalkuliert und zur Abrechnung gestellt, können sich die dafür Verantwortlichen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wohl eines Betruges schuldig machen, wobei der Schaden bereits dadurch eintritt, dass die Rechnungen zu den zu hoch kalkulierten und abgerechneten Tarifen bezahlt bzw. per Lastschrift eingezogen werden.

So könnte es sich auch verhalten, wenn gegenüber Sondervertragskunden aufgrund unwirksamer Preisänderungsklauseln (unwirksam) erhöhte Preise weiter zur Abrechnung gestellt und eingefordert werden.

Zitat
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dem Rechnungsschreiben der BSR die (konkludent miterklärte) Aussage entnommen, dass die Tarife unter Beachtung der für die Tarifbestimmung geltenden Rechtsvorschriften ermittelt und sie mithin auch auf einer zutreffenden Bemessungsgrundlage beruhen. Der Verkehr erwartet nämlich vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne weiteres überprüfen kann (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 22).

Eine solche Möglichkeit, die geltend gemachten Straßenreinigungsentgelte auf die Richtigkeit ihrer Bemessungsgrundlage überprüfen zu können, hat der Adressat der Rechnung praktisch nicht. Die BSR nimmt deshalb zwangsläufig das Vertrauen der Adressaten in Anspruch. Dies prägt wiederum deren Empfängerhorizont. Da die Eigentümer damit rechnen dürfen, dass die Tarife nicht manipulativ gebildet werden, erklärt der Rechnungssteller dies in seinem Anspruchsschreiben konkludent. Für die BSR gilt dies im besonderen Maße, weil sie als öffentlich-rechtlich verfasster Rechtsträger wegen ihrer besonderen Verpflichtung zur Gesetzmäßigkeit gegenüber ihren Kunden gehalten ist, eine rechtskonforme Tarifgestaltung vorzunehmen.

Dass sie diese Pflicht eingehalten hat, versichert sie stillschweigend, wenn sie gegenüber ihren Kunden auf der Grundlage der Tarife abrechnet.  

Einem entsprechenden Irrtum unterlagen auch die Adressaten der Rechnungen.

Der im Rahmen der Täuschungshandlung maßgebliche Empfängerhorizont spiegelt sich regelmäßig in dem Vorstellungsbild auf Seiten der Empfänger wider. Deshalb kommt es – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – nicht darauf an, ob die Adressaten sich eine konkrete Vorstellung über die Berechnung der Reinigungsentgelte und die in Ansatz gebrachten Bemessungsgrundlagen gemacht haben. Entscheidend ist vielmehr, dass die Empfänger der Zahlungsaufforderungen sich jedenfalls in einer wenngleich allgemein gehaltenen Vorstellung befanden, dass die Tarifberechnung „in Ordnung“ sei, zumal die Höhe der Tarife ihre eigenen finanziellen Interessen unmittelbar berührte (vgl. BGHSt 2, 325; 24, 386, 389; Fischer, StGB 56. Aufl. § 263 Rdn. 35).

Damit gingen sie – jedenfalls in der Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins (vgl. BGHSt 51, 165, 174) – davon aus, dass die Bemessungsgrundlage zutreffend bestimmt und die Tarife nicht manipulativ zu ihren Lasten erhöht wurden. Insofern ist bei ihnen ein Irrtum erregt worden, weil sie auf eine ordnungsgemäße Abrechnung vertrauten und in diesem Bewusstsein auch die Rechnungen der BSR als gesetzeskonforme Zahlungsanforderung ansahen.

Die grundversorgten Kunden können gar nicht anders, als darauf vertrauen, dass die Allgemeinen Preise der Grundversorgung vom leistungsbestimmungsberechtigten und -verpflichteten Grundversorger entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen der Billigkeit entsprechend kalkuliert wurden.

Die Möglichkeit der Unbilligkeitseinrede gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 Grundversorgungsverordnung (wie sie auch den BSR- Kunden offen stand, vgl. BGH X ZR 60/04 und BGH X ZR 99/04) ändert hieran nichts.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz