Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: Fallstudie Gas- Preisspaltung eines kommunalen Gasversorgers zu Lasten der Haushaltskunden  (Gelesen 3789 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.


Offline Lothar Gutsche

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 182
  • Karma: +2/-0
Ein weiteres konkretes Beispiel zur kartellrechtswidrigen und damit unbilligen Preisspaltung findet sich bei den Stadtwerken Würzburg sowohl in der Stromversorgung als auch in der Gasversorgung. Belege dazu finden sich Der Ansatz \"Preisvergleich von Haushaltskunden mit Geschäftskunden\" bzw. der Ansatz \"Preisvergleich der eigenen Strom- bzw. Gasrechnung mit dem Stadtwerke-Durchschnitt\" müsste sich bei vielen anderen Energieversorgern wiederholen lassen. Mit dem Nachweis der Preisspaltung verschiebt sich nach § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB auch im Kartellzivilprozess die Darlegungs- und Beweislast vom Verbraucher zum Stadtwerk, vgl. ausfürlicher Abschnitt 3.2 auf Seite 33/34 im Schriftsatz vom 21.1.2010 unter http://www.ra-bohl.de/SS_vom_21.01.2010.pdf.

Viele Grüße
Lothar Gutsche

Offline courage

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 116
  • Karma: +0/-0
Zitat
Original von RR-E-ft
Fallstudie Gas-  Preisspaltung eines kommunalen Gasversorgers zu Lasten der Haushaltskunden
Einfach genial, weil genial einfach.

Jeder kann jetzt ausrechnen, um wieviel der Gewinnanteil in seinem Gaspreis im Laufe der letzten Jahre mindestens erhöht wurde. Die (kleine) Mühe, die Umsatzdaten des Versorgers (jährliche Gasabsatzmengen und Gaserlöse) rauszufinden, muss man halt auf sich nehmen: unter http://www.ebundesanzeiger.de den Versorgername in die Suchmaske eingeben. Die eigenen Zahlen hat man in seinen Abrechnungen; und schon kanns losgehen. Ich war über meine Ergebnisse recht erstaunt; insbesondere wenn ich daran denke, dass mein Versorger stets beschworen hat, seine Kunden fair zu behandeln.

Angesichts deren Einfachheit frage ich mich, was an der Berechnung falsch oder unlogisch sein könnte, denn die Versorger werden nach den möglichen Fehlern suchen und, sofern vorhanden, auch finden. Ich habe noch keine Fallstricke entdeckt.  Sofern jemand doch Kritik hat, möge er sie vortragen. Denn falls dieser einfache Rechengang korrekt ist und die Unbilligkeit von Preisänderungen ans Licht befördert, wovon ich ausgehe, könnte man damit die Versorgervorträge und teuren Wirtschaftsprüfertestate vom Tisch fegen.

Offline Lothar Gutsche

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 182
  • Karma: +2/-0
@ courage
Die Fallstudie Stadtwerke K. (Niederrhein) unter \"Fallstudie Gas- Preisspaltung eines kommunalen Gasversorgers zu Lasten der Haushaltskunden\" nennt leider nicht alle Randbedingungen, die der Versorger vorbringen könnte und die möglicherweise einen Teil der Preisdifferenzen zwischen dem Haushaltskunden und dem Durchschnittskunden erklären. Der Nutzer „bolli“ wies gestern im Thread Stadtwerke Kleve / Niederrhein – Nachrechnen unter http://forum.energienetz.de/thread.php?postid=71114#post71114 auf Sonderverträge und nicht monetäre Vereinbarungen hin, die auch den Preis beeinflussen können. Mit dem Stichwort Sonderverträge verbinde ich spontan drei Größen, die den Umsatz und die Kosten beeinflussen:
•   Forderungsausfall
•   Konzessionsabgaben
•   Langfristbezug

Forderungsausfall
Die Stadtwerke Würzburg argumentierten als Klägerin in dem Prozess mit mir am Landgericht Würzburg auf Seite 7 ihrer Berufungsbegründung vom 8.9.2009 zu den Preisunterschieden zwischen Grundversorgung und Sondertarifen wie folgt:
Die Klägerin hat den Status einer Grundversorgerin. Dies bedeutet, dass jeder Kunde akzeptiert werden muss, d.h. auch Kunden, die – dies gilt nicht für den Beklagten – eine schlechte Bonität aufweisen und bei denen von vornherein Forderungsausfälle drohen. Ein Energiegrundversorger wie die Klägerin hat jährliche Forderungsausfälle im deutlich sechsstelligen Euro-Bereich. Dies schlägt sich auch auf die Kalkulation durch, so dass die Klägerin sowohl bei Strom als auch bei Gas gegenüber sogenannten freien Anbietern, die teilweise Vorauskasse oder Kaution verlangen, ungünstiger anbieten muss.

Konzessionsabgaben
Für Sondervertragskunden sind die gezahlten Konzessionsabgaben niedriger als in der Grundversorgung. Damit reduzieren Sonderverträge sowohl den Umsatz als auch die Kosten.

Langfristbezug
Der Versorger fordert bei Sondervertragskunden eine längere Vertragslaufzeit und reduziert die Kündigungsmöglichkeiten. Dadurch kann der Versorger seinen Gasbedarf entsprechend besser planen und Gas in längerfristigen Verträgen günstiger als für die jederzeit kündbaren Grundversorgungsverträge einkaufen.


Wenn bei Ihrem Versorger viele Kunden von der Grundversorgung in Sonderverträge wechseln, dann wirken die drei Effekte auf die Umsatz- und Kostenstruktur, die der Fallstudie zu Grunde liegen. Ob die genannten Effekte die Preisspaltung auch der Höhe nach rechtfertigen können, ist im konkreten Einzelfall im Prozess zu klären. Ohne vom Gericht beauftragte Gutachter dürfte sich das nicht endgültig klären lassen.

Viele Grüße
Lothar Gutsche

Offline courage

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 116
  • Karma: +0/-0
@Lothar Gutsche
Ihre Beispiele liefern mögliche Erklärungen für den Preisunterschied zwischen Grundversorgung und Sonderverträgen. Darum geht es in der Fallstudie aber nicht.

Es geht vielmehr um den Nachweis, dass in einer Zeitabfolge von mehreren Jahren der Gewinnanteil innerhalb des Grundversorgungstarifs (oder innerhalb des Sondertarifs) zu Lasten des Haushaltskunden erhöht wurde. Ihr Vortrag kann m.E. die Plausibilität des Rechengangs in der Fallstudie (gottseidank  ;)) nicht erschüttern. Trotzdem danke für die Mühe.

Anmerkungen zum Forderungsausfall:
Wieviel Prozent macht denn der Forderungsausfall am Gesamtumsatz mit dem Grundversorgungstarif aus? Wieviel Preisaufschlag wäre somit gerechtfertigt?

Zum Langfristbezug:
ein eher schwaches Argument; gerade Grundversorgungskunden sind versorgertreu und wenig preissensibel, sonst wären sie nämlich nicht im teuersten Tarif.

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Randbedigungen:

Das betreffende Stadtwerk hat - in Kenntnis der Wahrheitspflicht -  in mindestens einem Gerichtsverfahren erklärt, alle Kunden bis zu einem Jahresverbrauch von 100.000 kWh ausschließlich zu den veröffentlichten Allgemeinen Tarifen, Haushaltskunden mithin ausschließlich in der Grundversorgung zu beliefern, Normsonderverträge für Haushaltskunden würden überhaupt nicht angeboten.

Neben den Kunden, die zu den veröffentlichten Allgemeinen Tarifen beliefert werden, muss es (denknotwendig) eine  zweite Kundengruppe geben. Und die Preise dieser anderen Kundengruppe haben sich (denknotwendig) anders entwickelt. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus den Zahlenwerken, die jeweils durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt sind. Die Zahlen in den Jahresabschlüssen müssen stimmen. Die Beherrschung der Grundrechenarten darf man selbst bei Juristen noch erwarten.

Dass Kunden mit verschiedenen Abnahmemengen zu unterschiedlichen Preisen beliefert werden, ist noch nicht zu beanstanden. Preisabstände können zB. durch verschieden hohe Konzessionsabgaben sachlich gerechtfertigt sein. Keine Frage. Klar ist auch, dass Grundversorgung etwas teurer sein muss. (Den Vortrag zu den Forderungsausfällen gilt es indes mit Nichtwissen zu betreiten. Gerade Grundversorger haben die Möglichkeit, von Kunden neben Abschlagszahlungen gem. § 13 GVV unter bestimmten Voraussetzungen Vorauszahlungen/Sicherheitsleistungen gem. §§ 14, 15 GVV zu verlangen. Die Möglichkeit der Versorgungseinstellung gem. § 19 GVV begrenzt das Risiko ebenfalls.).

Zu beanstanden ist jedoch, wenn sich die Preise verschiedener Kundengruppen unterschiedlich (gegenläufig!) entwickeln (Preisspaltung).

Und es gibt nur einen, der dafür verantwortlich zeichnen kann, dass sich diese Preise unterschiedlich entwickelt haben, die betreffenden Stadtwerke selbst.

Voraussetzung für eine solche Preisspaltung ist Marktbeherrschung. Auf einem Wettbewerbsmarkt würden sich die Preise für alle Kunden auf der Zeitschiene gleich entwickeln.

Man stelle sich vor, man kommt an die Tankstelle und die Preise für Pkw- Tankfüllungen steigen, währen die Preise für Lkw- Tankfüllungen zeitgleich deutlich sinken, wenn Pkw und Lkw mit qualitativ vollkommen gleichwertigen Kraftstoff betankt werden und die unterschiedliche Preisentwicklung keinerlei Ursache in unterschiedlicher Abgabe- und Besteuerungssituation hat. Es gäbe womöglich einen Aufruhr.

Nicht anders verhält es sich jedoch bei den Gaspreisen eines Stadtwerks für verschiedene Kundengruppen mit unterschiedlichen Abnahmemengen.

Offline bolli

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 2.396
  • Karma: +23/-11
Zitat
Original von courage
@Lothar Gutsche
Ihre Beispiele liefern mögliche Erklärungen für den Preisunterschied zwischen Grundversorgung und Sonderverträgen. Darum geht es in der Fallstudie aber nicht.
Nein, aber die Fallstudie behandelt den Fall, dass Haushaltskunden NUR in der Grundversorgung beliefert werden. Daneben gibt es dann noch andere Kunden (Industriekunden) die zu anderen Preisen in Sonderverträgen beliefert werden. In der Fallstudie konnten die Abgabemengen zwischen Haushaltskunden und sonstigen Kunden verifiziert werden und somit war eine Differenzierung der Kosten möglich. Bei vielen Versorgern gibt es neben grundversorgten Haushaltskunden, die die Billigkeit der Preise rügen können, aber auch noch Sondervertragskunden im Haushaltsbereich, die dieses eben nicht können, da die Preise vereinbart sind. Hier kann höchstens eine unwirksame oder nicht wirksam eingebundene Preisanpassungklausel die Berechtigung zur Preiserhöhung verhindern.

Wenn dem soist, ist jedoch diese Kostendifferenzierung nicht mehr so einfach möglich. Hierfür muss dann das Mengenverhältnis zwischen Grund- und Sondervertragskunden bekannt sein, da ansonsten eine genaue Aufteilung bestimmter Kosten nicht sauber möglich ist und somit dem Versorger die Höhe seiner unzulässigen Gewinnerhöhung nicht nachgewiesen werden kann.

Und selbst in der Fallstudie war ja z.B. der \"glückliche Umstand\" beschrieben, dass der Versorger in einem Schreiben an einen Haushaltskunden mitgeteilt hatte, wie hoch sein Bezug von Gas aus dem Markt für diese Haushaltskundengruppe war. Damit war eine Mengenaufteilung zu berechnen. Ohne solche Zusatzangaben wird die Aufteilung ungleich schwieriger und somit steigt die Möglichkeit der Fehlerbehaftetheit.

Offline RR-E-ft

  • Rechtsanwalt
  • Forenmitglied
  • ***
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
In vielen publikationspflichtigen Spartenabschlüssen Gas gem. § 9a EnWG 2003 iVm. § 114 EnWG, 110 EnWG sowie in den Angaben innerhaalb   der  Veröffentlichungenen des Netzbetreibers sind für die einzelnen Jahre Angaben zur Versorgungsstruktur nach Kundensegmenten (Standardlastprofilkunden, leistungsgemessene Kunden, Haushaltskunden/ Nichthaushaltskunden/ Tarifkunden/ Sondervertragskunden) enthalten.

Offline bolli

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 2.396
  • Karma: +23/-11
Zitat
Original von RR-E-ft
In vielen publikationspflichtigen Spartenabschlüssen Gas gem. § 9a EnWG 2003 iVm. § 114 EnWG, 110 EnWG sowie in den Angaben den Veröffentlichungen der Netzbetreiber sind für die einzelnen Jahre Angaben zur Versorgungsstruktur nach Kundensegmenten (Standardlastprofilkunden, leistungsgemessene Kunden, Haushaltskunden/ Nichthaushaltskunden/ Tarifkunden/ Sondervertragskunden) enthalten.
Bei unserem Gasversorger ist dieses leider nicht der Fall. Dort wird nur zwischen Haushaltskunden, öffentlichen Einrichtungen und Industriekunden unterschieden. Schade.  ;)

Ob mir die Netzbetreiberzahlen an dieser Stelle was nützen, bleibt möglicherweise auch fraglich, wenn der Versorger in diesem Netzgebiet kein MONOPOL hat,  da ansonsten doch auch andere Versorger ihre Lieferung durch diese Netze leiten und die Zahlen des Netzbetreibers dürften kaum nach einzelnen Versorgern aufgeschlüsselt sein. Lediglich die Anzahl der grundversorgten Kunden KÖNNTE sich daraus ergeben, da ja  immer nur ein Versorger Grundversorger ist. Ob ich aber die Anzahl der Sondervertragskunden dieses Grundversorgers rausbekomme, bleibt abzuwarten.

Trotzdem sei nochmals für die übersichtliche und verständliche Darstellung des Fallbeispiels gedankt.

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz