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Autor Thema: OLG Celle, B. v. 01.06.10 Az. 13 AR 2/10 zu § 87 GWB  (Gelesen 3774 mal)

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Offline RR-E-ft

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OLG Celle, B. v. 01.06.10 Az. 13 AR 2/10 zu § 87 GWB
« am: 25. Juni 2010, 23:01:17 »
OLG Celle, B. v. 01.06.10 Az. 13 AR 2/10 zu § 87 GWB

Zitat
Das Amtsgericht Göttingen ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 € liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagte im dortigen Gerichtsbezirk wohnt. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ist weder durch § 87 GWB noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen.  a) Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hannover nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz (früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a. F.) ist nicht gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 GWB) oder teilweise von einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Abs. 1 Satz 2 GWB). Die kartellrechtliche Vorfrage müsste auf einem entsprechenden Tatsachenvortrag beruhen (Karsten Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB 4. Aufl., § 87 Rdnr. 24) und zudem entscheidungserheblich sein. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin stützt sich weder auf kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen noch wird das Kartellrecht in irgendeiner Form zur Begründung des geltend gemachten Klageanspruchs herangezogen. Auch die Beklagte beruft sich nicht auf einen Einwand aus dem Kartellrecht. Sie verlangt lediglich eine vollständige und nachvollziehbare Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen der Klägerin, um deren Berechtigung zur einseitigen Preisanpassung überprüfen zu können, und macht damit die Unbilligkeit der von der Klägerin vorgenommenen einseitigen Anpassung des Arbeitspreises für Gas nach § 315 Abs. 3 BGB geltend.  b) Die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ergibt sich auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen, weil diesem keine Bindungswirkung zukommt.  Zwar sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und für das Gericht, an das die Verweisung erfolgt, bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Das entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338, 340). Ausnahmsweise besteht aus rechtsstaatlichen Gründen aber dann keine Bindung, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, sodass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2003 - X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201, und vom 27. Mai 2008 – X ARZ 45/08, NJWRR 2008, 1309).  Nach diesen Grundsätzen entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen keine Bindungswirkung. Das ergibt sich schon daraus, dass der Verweisungsbeschluss keine Begründung enthält und daher nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit den Voraussetzungen für die Annahme einer kartellrechtlichen Frage überhaupt auseinandergesetzt hat (vgl. OLGR Brandenburg 2007, 277). Auf die von der Klägerin dazu zitierte Rechtsprechung geht das Amtsgericht mit keinem Wort ein. Darüber hinaus sind dem Parteivorbringen keine Anhaltspunkte für einen kartellrechtlichen Bezug zu entnehmen.

Offline tangocharly

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OLG Celle, B. v. 01.06.10 Az. 13 AR 2/10 zu § 87 GWB
« Antwort #1 am: 02. Juli 2010, 11:03:16 »
Beim OLG Celle ist halt alles anders, wie sich auch in der Entscheidung vom 08.03.2010 (Az.: 4 AR 16/10) zeigt. Dort vermeinte das OLG Celle auch, den Willen des Gesetzgebers in einer Fallkonstellation zu § 102 EnWG ignorieren zu müssen.

Aus den BT-DrSachen ist klar und deutlich ersichtlich, dass die (neugeschaffenen) Bestimmungen gem. §§ 102 ff. EnWG sich an dem Leitbild gem. §§ 87 ff. GWB orientiert haben, weil man eine Entscheidungskonzentation bei besonderen (mit einer besonderen Materie) befassten Gerichten wollte.

Dass dies gerechtfertigt ist / war, zeigt sich schon zu allererst an dem inkompetenten Umgang mit der Materie gem. §§ 36, 39 EnWG i.V.m § 5 GasGVV. Eben dies spiegelt sich in vielen Entscheidungen wider, soweit dort die Relevanz einer Vorfrage zur Entscheidung steht, d.h. wie man zu einer Vereinbarung der geforderten Gegenleistung kommen will (§ 433 Abs. 2 BGB) wenn gerade eine Vereinbarung fehlt (und dies durch gesetzliche Fiktionen ersetzt werden muß, § 36 Abs. 1 EnWG, § 5 Abs. 2 GasGVV). Auch das Argument, es gehe nur um die Anwendung des § 315 BGB kommt auf Holzkrücken daher. Denn selbst der VIII. BGH-Senat beantwortet die Frage, woher das einseitige Leistungsbestimmungsrecht denn herkomme (weil es die Parteien eben gerade nicht vereinbart haben) mit seinen Hinweisen auf §§ 36, 39 u. §§ 1 u. 2 EnWG sowie § 5 Abs. 2 GasGVV.

Also wenn das keine Vorfragen sind, dann ist das OLG Celle eben nur der Meinung, dass es sich einen feuchten Kehrricht um die Gesetzesmaterialien kümmern muß. Das gilt dann auch für die von den Versorgern gerne zitierten Entscheidungen des OLG München und OLG Frankfurt. Und wenn dann zwei, drei OLG`s der Meinung sind, es ginge in den Prozessen, die das \"Wie\" der Versorgung beträfen, nur um reines BGB, dann krönen Zitathinweise diese Auffassung mit dem Attribut einer \"herrschenden Rechtsprechung\".

Selbst das OLG Stuttgart hat mit seiner Entscheidung vom 19.11.2008 (Az.: 2 U 33/08 ) die Zuständigkeit nach § 102 EnWG nicht in Abrede gestellt, sondern (als Kartellsenat) einen Sachverhalt der Allg. Versorgung entschieden (Zitat: Wegen Billigkeit von Gaspreisen).

Mit dieser Entscheidung hat der Kartellsenat des OLG Stuttgart die Auffassung des Landgerichts Ravensburg v. 13.03.2008 (die Land auf Land ab in allen erstinstanzlichen Entscheidungen zitiert wird) - Az.: 4 O 350/07 - schlicht und ohne weitere Begründung vom Tisch gewischt.
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Offline uwes

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OLG Celle, B. v. 01.06.10 Az. 13 AR 2/10 zu § 87 GWB
« Antwort #2 am: 05. Juli 2010, 19:52:28 »
Zitat

Selbst das OLG Stuttgart hat mit seiner Entscheidung vom 19.11.2008 (Az.: 2 U 33/08 ) die Zuständigkeit nach § 102 EnWG nicht in Abrede gestellt, sondern (als Kartellsenat) einen Sachverhalt der Allg. Versorgung entschieden

Das Urteil kenne ich nicht. Wo kann ich das nachlesen?
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
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