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Autor Thema: LG Ulm, Urt. v. 27.01.10 Az. 1 S 107/09 Gastarif EV Filstal - Verspätetes Bestreiten in der Berufung  (Gelesen 5925 mal)

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Offline RR-E-ft

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LG Ulm, Urt. v. 27.01.10 Az. 1 S 107/09

Das Landgericht geht in seiner Berufungsentscheidung von einem gesetzlichen Preisänderungsrecht gegenüber dem Tarifkunden aus. Anders als das AG Göppingen weist die Kammer zutreffend darauf hin, dass es genügt, dass der Tarifkunde die Billigkeit rügt und Zahlungen kürzt, er nicht selbst klagen muss. Zutreffend wird auch ausgeführt, dass der Billigkeitsnachweis nicht durch einen Preisvergleich erbracht werden kann.

Die Tarifänderungen hätten der Billigkeit entsprochen:

Der Beklagte habe in der Klageerwiderung den behaupteten Bezugskostenanstieg nicht bestritten. Mit einem entsprechenden Bestreiten sei er deshalb gem. § 531 Abs. 2 Ziff. 3  ZPO auch in der Berufungsinstanz  ausgeschlossen.

Er habe lediglich bestritten, dass der - demnach unbestrittene - Kostenanstieg durch Kostensenkungen an anderer Stelle der Gassparte nicht ausgeglichen werden konnte.

Hierüber hat die Kammer Beweis aufgenommen durch Zeugenvernehmung zur Entwicklung der Kosten der gesamten Gassparte, wobei die Klägerin neben Tarifkunden auch Sondervertragskunden beliefert.

In einer solchen Situation, in welcher das Unternehmen Kunden zu verschiedenen kostenbasierten Preisen beliefert, kommt es indes nicht allein auf die Kosten der gesamten Gassparte, sondern auf die Entwicklung der weiteren preisbildenden Kostenfaktoren des konkreten Preissockels an, wie der BGH klargestellt hatte (BGH VIII ZR 138/07).

Das Landgericht Ulm ist demnach wohl methodisch unzutreffend vorgegangen.

Es geht bei der Billigkeitskontrolle auch nicht darum, wie sich der Gewinn des Unternehmens entwickelt hat, sondern darum, wie sich der Gewinnanteil am konkreten Vertragspreis je abgesetzter Mengeneinheit (Marge) entwickelt hat und hierfür kommt es auf die konkrete Entwicklung aller preisbildenden Kostenfaktoren des konkreten Vertragspreises zwischen den eizelnen Tarifbestimmungszeitpunkten an.

Die Revision gegen die für den beklagten Gaskunden ungünstige Entscheidung wurde nicht zugelassen.



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Die Entscheidung macht deutlich, wie wichtig es ist, bereits in der I. Instanz undzwar dort innerhalb der gesetzten Klageerwiderungsfrist alles erdenkliche Bestreiten zu bringen, weil man sonst damit ausgeschlossen ist.

Deshalb sollten sich betroffene Kunden auch nicht zunächst selbst verteidigen in der Hoffnung, ein Anwalt könne es später noch richten.

Ebenso wie verspätetes Bestreiten in der Berufung unberücksicht bleibt, bleiben auch verspätete Angriffsmittel unberücksichtigt.

Offline tangocharly

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.... so lautet die Formulierung des BGH in der genannten Entscheidung:

Zitat
Tz 39
c) Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings - wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet - unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26). Unter diesem Gesichtspunkt müssen jedenfalls die Kostenbestandteile des Preissockels in die Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung einbezogen werden, auch wenn dieser in seiner Gesamtheit, wie ausgeführt (oben unter 1), einer Billigkeitskontrolle entzogen ist (vgl. Dreher, ZNER 2007, 103, 107). Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen und ebenfalls durch (sachverständige) Zeugen unter Beweis gestellten Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 28. April 2006 haben sich jedoch die Vertriebskosten in der Sparte Gas (ohne Bezugskosten) in dem maßgeblichen Berechnungszeitraum nicht nennenswert verändert und konnten die Erhöhungen auf der Beschaffungsseite nicht durch anderweitige Kostensenkungen kompensiert werden.

Doch Vorsicht:
Dabei wurde nicht, jedenfalls nicht explizit, argumentiert, dass der Versorger hierzu zunächst einmal vortragen müsse, welche einzelnen Vertriebskosten in genau welcher Höhe und mit welchem Gewicht in den Arbeitspreis eingeflossen sind, als sich der Preissockel gebildet hatte.

Man kann dem Sachvortrag der Tatsacheninstanz nicht hinlänglich entnehmen, was im einzelnen konkret vorgetragen wurde. Anzunehmen bleibt aber, dass der Vorsorger so argumentierte, dass einfach alle Vertriebkosten den Preis bildeten.  So versteht sich allenfalls der Hinweis des wiedergegebenen Berufungsurteils. Und der BGH setzte dann \"seinen Haken\" darunter, indem  \"sich jedoch die Vertriebskosten in der Sparte Gas (ohne Bezugskosten) in dem maßgeblichen Berechnungszeitraum nicht nennenswert verändert\" haben.

Das was sich da in der Beweisaufnahme in der Tatsacheninstanz abgespielt hat und worunter der BGH \"seinen Haken\" setzte, ist bzw. war, wie leider allzu oft \"Onkel Ollis Märchenstunde\" und das Ergebnis nennt der BGH, der sich hierzu auch noch auf den Willen des Gesetzgebers stützt, \"Billigkeitsprüfung\"
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Offline RR-E-ft

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Dem einzelnen Tarifpreis liegt eine Kostenkalkualtion zu Grunde, in welchen die entsprechenden preisbildenden Kostenfaktoren Eingang finden und die auch die berühmten Preissockel (Plural) der jeweiligen Tarife bilden.

Werden verschiedene kostenbasierte Tarife angeboten oder bestehen neben Tarifkundenverträgen auch noch Sonderverträge mit Haushaltskunden oder Weiterverteilern/ Industriekunden, so unterscheiden sich die Kostenkalkulationen für diese unterschiedlichen Preise denknotwendig deutlich voneinander.

Die gesamten Kosten der Sparte Gas fließen somit in vollkommen unterschiedliche Kostenkalkulationen zu verschiedenen Vertragspreisen ein.

Auch der BGH spricht von den Kostenbestandteilen des Preissockels. Mag sein, dass der BGH einen Fall vor Augen hatte, bei dem nur Tarifkunden zu einem bestimmten Allgemeinen Tarif beliefert wurden. Die Ausführungen in BGH VIII ZR 138/07 Tz. 39 sind etwas undifferenziert. Die genannten Behauptungen, wonach die Erhöhungen auf der Beschaffungsseite nicht durch anderweitige Kostensenkungen kompensiert werden konnten, könnten sich im konkreten Fall auf die konkreten Preisbestandteile bezogen haben.

Den konkreten Preissockel können jedoch - bei Belieferung zu unterschiedlichen Tarifpreisen und sonstigen Sondervertragspreisen etwa mit Industriekunden oder bei einem Gasbezug für versorgereigne Kraftwerke - nicht die gesamten Kosten der Sparte Gas bilden, sondern nur eben jene, die den konkreten Preissockel bilden und ausmachen.  So können sich allein die mit den einzelnen Tarifpreisen abzudeckenden Netzkosten (bei verschiedenen Abnahmefällen/ Lastprofilen) durch die Regulierung derselben vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Für bestimmte Kundengruppen können die Netzentgelte gesunken sein, wohingegen sie für andere stiegen, was Auswirkungen auf die Kostenkalkulationen der einzelnen Tarife haben muss.

Es kann deshalb nur um die preisbildenden Kostenfaktoren gehen, die in den konkreten Tarifpreis Eingang finden und die auch den konkreten Preissockel bilden (siehe auch LG Gera, Hinweisbeschluss vom 16.12.09 Az. 2 HK O 123/09). Meine Erfahrung ist die, dass die betreffenden Kammern für Handelssachen jedenfalls am LG Erfurt und am LG Gera dies von sich aus zutreffend erkannt haben, weil sie eben über Erfahrungen hinsichtlich kaufmännischer Preiskalkulationen verfügen. In dieser Richtung nichts zu erwarten war allerdings bei einer KfH am LG Augsburg.

Offline tangocharly

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Zitat
(siehe auch LG Gera, Hinweisbeschluss vom 16.12.09 Az. 2 HK O 123/09).

Fundstelle ?
Könnten Sie den Beschluß ins Forum stellen ?
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Offline RR-E-ft

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Offline tangocharly

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@RR-E-ft
Den konkreten Preissockel können jedoch - bei Belieferung zu unterschiedlichen Tarifpreisen und sonstigen Sondervertragspreisen etwa mit Industriekunden oder bei einem Gasbezug für versorgereigne Kraftwerke - nicht die gesamten Kosten der Sparte Gas bilden, sondern nur eben jene, die den konkreten Preissockel bilden und ausmachen. So können sich allein die mit den einzelnen Tarifpreisen abzudeckenden Netzkosten (bei verschiedenen Abnahmefällen/ Lastprofilen) durch die Regulierung derselben vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Für bestimmte Kundengruppen können die Netzentgelte gesunken sein, wohingegen sie für andere stiegen, was Auswirkungen auf die Kostenkalkulationen der einzelnen Tarife haben muss.

Und genau dabei hat das Landgericht Ulm den Sack zugemacht, indem es ins Urteil (Seite -9- a.E.) die Passage gesetzt hat:

Zitat
\"Die vom Bekl. geforderte Aufteilung der sonstigen Kosten nach Tarifkunden und Sondervertragskunden, um eine etwaige Quersubventionierung zu Gunsten der Großkunden offen zu legen, ist im Rahmen der Billigkeitsprüfung nicht vorzunehmen (...) Maßgeblich sind alle sonstigen Kosten aus dem Segment Gassparte insgesamt
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Offline RR-E-ft

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Und genau dies erscheint aus den genannten Gründen methodisch unzutreffend, weil es mit den jedenfalls in die Beurteilung einzubeziehenden weiteren Kostenbestandteile des Preissockels nichts zu tun hat.

Natürlich ist der Versorger ebenso wenig verpflichtet, eine Quersubventionierung offen zu legen, wie er auch im Übrigen nicht zur Offenlegung verpflichtet ist.

Um eine solche Verpflichtung geht es auch nicht, sondern allein darum, dass der entsprechende Vortrag aus genannten Gründen schon methodisch untauglich ist, zu beurteilen, ob der Gewinnanteil am konkreten Vertragspreis pro Mengeneinheit erhöht wurde oder nicht. Wenn dies jedoch wegen des Vortrages nicht beurteilt werden kann, muss dies zu Lasten des darlegungs- und beweisblasteten Versorger gehen.

Offline tangocharly

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Zitat
@RR-E-ft
So können sich allein die mit den einzelnen Tarifpreisen abzudeckenden Netzkosten (bei verschiedenen Abnahmefällen/ Lastprofilen) durch die Regulierung derselben vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Für bestimmte Kundengruppen können die Netzentgelte gesunken sein, wohingegen sie für andere stiegen, was Auswirkungen auf die Kostenkalkulationen der einzelnen Tarife haben muss.

Sind Ihnen hierzu konkrete Fälle (Beispiele) bekannt, in denen zwischen bestimmten Kundengruppen ein und desselben Versorgers differenziert wurde ?
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Offline RR-E-ft

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Die Netzentgelte für Kleinkunden (Standardlastprofilkunden/ SLP- Bereich ) entwickeln sich zuweilen anders als die Netzentgelte der leistungsgemessenen Kunden wie Industriekunden im selben Netzbereich.

Siehste hier.
Insbesondere hier.

 

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