Forum des Bundes der Energieverbraucher

Autor Thema: OLG Oldenburg, Urt. v. 12.02.10 Az. 6 U 164/09 Erhöhungen unwirksam (GEW) [Abgrenzung Tarifkunde]  (Gelesen 4694 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
OLG Oldenburg, Urt. v. 12.02.10 Az. 6 U 164/09 Gaspreiserhöhung unwirksam (GEW)

Die Entscheidung erscheint in einzelnen Punkten in sich widersprüchlich.

So wird zB. zutreffend dargestellt, dass dem Schweigen kein Erklärungsgehalt zukommt. Gleichwohl geht der Senat von Preisneuvereinbarungen durch Angebot/ Annahme aus, obschon es weder jeweils eine Angebotserklärung, noch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gegeben haben soll.

Zutreffend erscheinen die Feststellungen, dass der Sondertarif ES kein Allgemeiner Tarif im Sinne des EnWG war.

Zutreffend erscheinen auch die Ausführungen zur fehlenden Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in die Sonderverträge.

Soweit der Senat die Auffassung vertritt, bei wirksamer Einbeziehung der Bedingungen der AVBGasV als Allgemeine Geschäftsbedingungen ergäbe sich aus § 4 AVBGasV keine Preisänderungsklausel ist dies wohl zutreffend, steht aber wohl im Gegensatz zur Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH.

Zitat
OLG Oldenburg,aaO.

Soweit man eine wirksame vertragliche Einbeziehung der AVBGasV als allgemeine Geschäftsbedingungen zu Gunsten der Klägerin annehmen würde, so genügt eine § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nachgebildete vertragliche Preisanpassungsklausel nicht den Anforderungen, die die Rechtssprechung des BGH an die tatbestandliche Konkretisierung von Anlass, Voraussetzungen und Umfang eines einseitigen Leistungsbestimmungsrecht stellt (vgl. BGH NJW 2009, 2662 (2665)).  Die Klägerin hat aber das einseitige Preisanpassungsrecht – anders als in den zitierten Entscheidungen des BGH (NJW 2009, 2662 ff und 2667 ff) - in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich geregelt, sondern in den Vertragsbestätigungen ganz allgemein auf die AVBGasV hingewiesen. Für diesen speziellen Fall der Geltung von AGB ist an der notwendigen Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB festzuhalten (vgl. dazu BGH NJW 2009, 578 ff, Urteil vom 17.12.2008 – VIII ZR 274/06 in juris Rn 12, 13. BGH NJW 2009, 2662 (2664) Hanseatisches OLG Bremen, aaO, in juris Rn 40). Die Anwendung des § 307 Abs. 1 BGB ist nicht nach Maßgabe des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Existenz der AVBGasV deshalb ausgeschlossen, weil die AVBGasV eine gesetzliche Regelung darstellen. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kommt nämlich nur dann zur Anwendung, wenn die Rechtsvorschrift, mit der die Klausel übereinstimmt, auf den Vertrag anwendbar wäre, wenn man die betreffende Klausel wegdenkt (vgl. OLG Hamm RdE 2008, 183 ff, aaO, in juris Rn 30). Das ist nicht der Fall, weil die AVBGasV unmittelbar nur für Tarifkunden gilt. Gegenüber den Beklagten als Sondervertragskunden kämen sie nur bei wirksamer vertraglicher Einbeziehung in den jeweiligen Sonderkundenvertrag zur Anwendung.  Grundsätzlich ist bei langfristigen Vertragsverhältnissen (Dauerschuldverhältnisse) wie bei den Gaslieferungsverträgen das Interesse des Verwenders anzuerkennen, die bei Vertragsschluss zugrunde gelegte Relation von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten und Kostensteigerungen nachträglich auf den Kunden abwälzen zu können. In Verträgen mit Verbrauchern sind an die Ausgewogenheit und Klarheit einer Änderungsklausel hohe Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Hamm RdE 2008, 183 ff, aaO, in juris Rn 34. Hanseatisches OLG Bremen, aaO, in juris Rn 40). Die durch Bezugnahme auf die AVBGasV in den schriftlichen Vertragsbestätigungen enthaltene Preisanpassungsklausel ist jedoch nicht hinreichend klar und verständlich, sie verstößt gegen das sog. Transparenzgebot. Sie benachteiligt deshalb die betreffenden Beklagten als Kunden unangemessen. Selbst der juristisch vorgebildete Kunde kann aus aus § 4 AVBGasV nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass das EVU hiermit ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu seinen Gunsten begründen will. Aus der Überschrift und dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nicht, dass der Verordnungsgeber in § 4 AVBGasV ein Preisanpassungsrecht schaffen wollte (vgl. dazu im einzelnen OLG Oldenburg, 12 U 49/07 – Seiten 16 bis 22). Ferner gelten die Regelungen der AVBGasV allein für Tarifkunden (§ 1 Abs. 2 AVBGasV). Die Bestimmungen sagen zudem nichts darüber aus, nach welchen Regeln eine Preisanpassung vollzogen werden soll. Das Transparenzgebot verpflichtet aber den Verwender, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Soweit eine Klausel – wie hier – wirtschaftliche Belastungen begründet, ist es ein Gebot von Treu und Glauben, die Nachteile so klar zu formulieren, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. OLG Oldenburg 12 U 49/07, Seite 27, 28 unter Hinweis auf BGH NJW 2001, 2014 (2016)).  Die fehlende Transparenz wird auch nicht durch ein Kündigungsrecht gegenüber den Beklagten, denen eine Vertragsbestätigung zugegangen ist, kompensiert. Auch insoweit gilt, dass nicht einmal feststeht, ob die betreffenden Beklagten von der in § 32 AVBGasV geregelten Kündigungsmöglichkeit Kenntnis hatten. Ferner ist nicht ersichtlich, ob für diese Beklagten unter Berücksichtigung der nach § 32 AVBGasV geltenden zweiwöchigen Kündigungsfrist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntmachung folgenden Monats gemäß § 32 Abs. 2 AVBGasV eine rechtzeitigte Kündigungsmöglichkeit bestand. Ein angemessener Ausgleich einer benachteiligenden Preisanpassungsklausel erfordert aber, dass der Kunde vorab über die beabsichtigte Preiserhöhung informiert wird und sich rechtzeitig vom Vertrag lösen kann, bevor sie wirksam wird (vgl. BGH NJW 2009, 2662 (2666)). Ferner ergab sich aus der vorzeitigen Kündigung für diese Beklagten ein weiterer Nachteil, der sie von einer Kündigung abhalten konnte. Ein Ausweichen auf einen anderen Energieträger ist in aller Regel mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden bzw. für Mieter ohnehin unmöglich (vgl. Oldenburg 12 U 49/07, Seite 31 m. w. N.).  Die intransparente Preisanpassungsklausel wird auch nicht durch die Möglichkeit einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB kompensiert. Der Kunde hat mangels Kenntnis der Preiskriterien keine realistische Möglichkeit, eine Erhöhung der vereinbarten Preise auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Deshalb kann er auch nicht beurteilen, ob eine gerichtliche Billigkeitsprüfung überhaupt Aussicht auf Erfolg hat. Das aus § 307 Abs. 1 BGB folgende Transparenzgebot soll auch gerade verhindern, dass es im Einzelfall zu gerichtlichen Entscheidungen kommt und der Kunde eine Preiserhöhung nur deshalb hinnimmt, weil sich das zulässige Ausmaß nicht beurteilen lässt (vgl. OLG Hamm RdE 2008, 183 ff in juris Rn 45, 47). Eine Überprüfung der Billigkeit scheidet dabei von vorneherein für die vertraglich vereinbarten Preise aus. die vor den Preiserhöhungen geltenden Tarife sowie die akzeptierten erhöhten Tarife können auf ihre Billigkeit nicht (mehr) überprüft werden, weil es sich um zwischen den Parteien vereinbarte Preise handelt (vgl. BGH NJW 2007, 2540 (2543)). Durch ihre Widersprüche haben die Beklagten deutlich gemacht, dass sie sich lediglich gegen die Preiserhöhungen ab 01.10.2004 bzw. teilweise zu späteren Zeitpunkten wenden wollen.  Schließlich setzt die Anwendung des § 315 BGB voraus, dass die Parteien wirksam eine einseitige Befugnis zur Leistungsbestimmung vereinbart haben (vgl. OLG Hamm aaO, in juris Rn 58], woran es ebenfalls fehlt.



Zitat
BGH VIII ZR 225/07 Tz. 24

Dies steht der unveränderten Übernahme von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV in einen Sonderkundenvertrag unter dem Gesichtspunkt einer unangemessenen Benachteilung des Sonderkunden (§ 307 Abs. 1 BGB) indes nicht entgegen.

Wie oben ausgeführt, soll es den Versorgungsunternehmen nach dem Willen des Gesetzgebers freistehen, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten, und soll der Schutz der Sonderabnehmer nicht weitergehen als derjenige der Tarifabnehmer. Der Gesetzgeber hat deshalb mit § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV selbst den Maßstab gesetzt, nach dem zu beurteilen ist, ob Sonderkunden durch eine Preisanpassungsklausel im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB unangemessen benachteiligt werden. Mit einer unveränderten Übernahme von § 4 AVBGasV in das Sonderkundenverhältnis wird das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel erreicht, Sonderkunden nicht besser, aber auch nicht schlechter zu stellen als Tarifkunden. Es ist nicht ersichtlich, dass dafür im Bereich von Sonderverträgen höhere Anforderungen an die Bestimmtheit und die Konkretisierung einer Preisanpassungsregelung gestellt werden müssten, als sie im Bereich der Tarifkundenversorgung durch § 4 AVBGasV unmittelbar erfüllt werden. Dem Sonderkunden steht ebenso wie dem Tarifkunden eine Überprüfung von einseitigen Preisänderungen nach § 315 BGB offen. Stimmt die vertragliche Preisanpassungsklausel mit § 4 AVBGasV inhaltlich überein,   das heißt, weicht sie davon nicht zum Nachteil des Abnehmers ab, liegt danach eine unangemessene Benachteiligung des Sonderabnehmers nicht vor (ebenso Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 310 BGB Rdnr. 97, 101, 106; Graf von Westphalen, ZIP 2008, 669, 673; Rosin/Mätzig, RdE 2008, 225, 227 ff.).

Dem wollte sich wohl das OLG Oldenburg ersichtlich nicht anschließen. Leider hat der Senat jedoch verabsäumt, sich mit den entsprechenden obiter dicta  Entscheidungen des BGH inhaltlich weiter auseinanderzusetzen.
 
Die klagenden Kunden hatten ihre Anschlussberufung zurückgenommen.
Revision wurde nicht zugelassen.

Offline uwes

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 677
  • Karma: +7/-2
Es ist klar ersichtlich, dass der Senat - völlig zu Recht - dem BGH die Gefolgschaft verweigert und ebenfalls völlig zu Recht feststellt:

Zitat
Die durch Bezugnahme auf die AVBGasV in den schriftlichen Vertragsbestätigungen enthaltene Preisanpassungsklausel ist jedoch nicht hinreichend klar und verständlich, sie verstößt gegen das sog. Transparenzgebot. Sie benachteiligt deshalb die betreffenden Beklagten als Kunden unangemessen.

Die Entscheidung ist dogmatisch wesentlich eher haltbar als die Entscheidung des BGH in VIII ZR 225/07. Sie ist vor allen Dingen konsequent und legt die Bestimmungen des § 4 AVBGasV europarechtskonform aus. Gemessen an dem Tranzparenzgebot für die Preisgestaltung in der EG Richtlinie 2003/55 (Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG) kann eine solche Regelung nicht den Maßstäben an eine transparente verbraucherfreundliche Preisgestaltung und -findung genügen.

In der Tat lässt die Entscheidung des OLG Oldenburg aber eine ausführliche Auseinandersetzung mit BGH VIII ZR 225/07 vermissen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
____________________________________________________
Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

Offline RR-E-ft

  • Moderator
  • Forenmitglied
  • *****
  • Beiträge: 17.078
  • Karma: +15/-2
  • Geschlecht: Männlich
Die Entscheidung des OLG Oldenburg erscheint in diesem einen Punkt dogmatisch besser begründet. Wenn es mit der Begründung der europarechtskonformen Auslegung den obiter dicta des BGH die Gefolgschaft verweigert hätte, wäre dies zu begrüßen gewesen. Dann hätte jedoch die Revision zugelassen werden müssen, auf dass der BGH selbst seine Spruchpraxis überprüfen kann. Dazu hätte wohl allein deshalb Veranlassung bestanden, weil das OLG Oldenburg in diesem Punkt wohl auch von der zitierten Entscheidung   OLG Frankfurt vom 13.10.2009 (11 U 28/09(Kart) abweicht. Es weicht aber auch von von der Entscheidung des OLG Hamm vom 29.05.09 ab.

Offline uwes

  • Forenmitglied
  • Beiträge: 677
  • Karma: +7/-2
Das Urteil aus Oldenburg ist in dem Punkt inkonsequent.
Wenn sich das Gericht mit den von Ihnen soeben zitierten Entscheidungen- insbesondere VIII ZR 225/07 auseinandergesetzt hätte und zu dem gleichen Ergebnis - wie ausgeurteilt - gekommen wäre, dann wäre es nur folgerichtig gewesen, die Sache zur Vorabentscheidung dem euGh vorzulegen mit dem Prüfungsauftrag, die Vereinbarkeit der Regelungen des § 4 AVBGasV mit der Gasrichtlinie zu überprüfen. Immerhin ist auch zu berücksichtigen, dass viele Gasversorgungsunternehmen nach wie vor staatlich beherrscht sind und die Richtlinie entweder unmittelbar anwendbar ist oder aber eine europarechtskonforme Auslegung stattfinden muss.

Die unmittelbare Wirkung einer nicht umgesetzten Richtlinienbestimmung ist von
Rechtsprechung und Verwaltung von Amts wegen zu berücksichtigen (Stichwort:
objektive Wirkung von Richtlinienbestimmungen; vgl. hierzu beispielsweise
Klein, in FS für Everling, S. 641, 647).

Ich will hier zunächst nur auf das Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung hinweisen.  Der BGH hat schon 2004 festgestellt, dass den Gerichten bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Rechtsfortbildungskompetenz zusteht, das nationale Recht entsprechend auszulegen. BGHZ 138, 55 (59 ff.); so auch: Sack, Die Berücksichtigung der Richtlinie 97/55/EG über irreführende und vergleichende Werbung bei der Anwendung der §§ 1 und 3 UWG, WRP 1998, 241 (242 f.).

Zintat aus BVerfG vom 13.3.2007 1 BvF 1/05
Zitat
Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sind die Fachgerichte verpflichtet, solche gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen und gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG durchzuführen.

Letzteres wäre konsequent gewesen.
Mit freundlichen Grüßen

Uwes
____________________________________________________
Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten

 

Bund der Energieverbraucher e.V. | Impressum & Datenschutz