[ 24-O-41-04 16-08-2004 ; 7-U-140-04 15-02-2005 ; 17-C-260-05 05-08-2005 ]
Zum Urteil des AG Euskirchen vom 05.08.2005, Az. 17 C 260/05
und zur Pressemitteilung des BGW vom 16.08.2005 hierzu:
http://www.bgw.de/de/presse/pressemitteilungen/article_2005_8_16.htmlStellungnahmeDas Urteil ist berufungsfähig und bisher nicht rechtskräftig.
Das AG Euskirchen hatte über den Zahlungsanspruch des Versorgungsunternehmens nach dem Unbilligkeitseinwand nicht zu entscheiden und hat hierüber auch nicht entschieden.
Insoweit ist die entsprechende Presseinformation des BGW offensichtlich falsch, wonach der Kläger zur Zahlung des vollen Rechnungsbetrages verpflichtet sei:
Zahlungen werden frühestens mit der
Rechtskraft eines Urteils fällig, welches die Billigkeit der Preiserhöhung feststellt (BGH, Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04 und X ZR 99/04; BGH NJW 2003, 3131).
Hierzu ist nur auf das BGH- Urteil vom 05.07.2005 - X ZR 60/04 unter II. 1. a bis c und 2. zu verweisen, vgl.
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=00acc6d041af2e6456d3f3d8efbeba49&nr=33507&pos=0&anz=1Ebenso schon BGH- Urteil vom 30.04.2003 - VIII ZR 278/02 unter II. 2.:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=660bcaaa8029d5e058c4e254cd5bd4bd&client=2&nr=26256&pos=0&anz=1Diese
höchstrichterliche Rechtsprechung ist offensichtlich
langjährig gefestigt und in der Frage
vollkommen eindeutig.
Bisher gibt es nur ein nicht rechtskräftiges Urteil, welches die Unbilligkeit nicht feststellt.
Für die Fälligkeit der Preisforderung fehlt nicht nur ein entsprechendes Urteil mit dem Tenor, dass die Preiserhöhung der Billigkeit entspricht. Es gibt noch nicht einmal eine entsprechende Klage des Versorgungsunternehmens. Insoweit rückt eine Fälligkeit in weite Ferne. Wie man deshalb zu der Auffassung gelangen wollte, der Kunde sei nunmehr zur vollständigen Zahlung verpflichtet, bleibt rätselhaft:
Würde der Kunde nunmehr von Vorbehaltszahlungen auf Zahlungskürzungen übergehen, müsste der Versorger auf Zahlung klagen und dabei seine Kalkulation offen legen.
Die Zulässigkeit der Klage belegt allein, dass die Preiserhöhung einer Billigkeitskontrolle unterfällt. Andernfalls wäre die Feststellungsklage schon unzulässig, vgl. AG Koblenz, Urt. v. 02.06.2005 – 141 C 403/05.
Zum Urteil des Amtsgerichts Koblenz gibt es einige Parallelen ,
vgl. insoweit hier:
Urteil des AG Koblenz wegen EVM (Fake?)Durch die Abweisung der Feststellungsklage des Kunden steht das prozessuale Gegenteil noch nicht fest. Die Forderungen des Versorgungsunternehmens werden
erst mit der Rechtskraft eines entsprechenden Urteils auf eine Feststellungsklage des Versorgers im Falle dessen Obsiegens hin fällig. (BGH, Urt. v. 05.07.2005 – X ZR 60/04 und X ZR 99/04, BGH NJW 2003, 3131).
Das Gericht verkennt weiter, dass auch einseitige Preisanpassungen in Sonderverträgen der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle
in direkter Anwendung des § 315 BGB unterfallen (LG Potsdam, RdE 2004, 304).
Bei einer direkten Anwendung der Norm kommt es überhaupt nicht darauf an, ob die Möglichkeit zu einem Ausweichen besteht.
Die Schutzbedürftigkeit des Bestimmungsopfers ergibt sich allein daraus, dass dem anderen Vertragsteil das Recht eingeräumt ist, die Leistung
einseitig neu zu bestimmen. Dabei ist das Äquivalenzprinzip im konkreten Vertragsverhältnis zu wahren.
Das Gericht verkennt, dass
Preisanpassungsklauseln in Gaslieferungsverträgen selbst der
Inhalts- und Billigkeitskontrolle gem. §§ 307, 315 BGB unterliegen (OLG Rostock, RdE 2005, 171).
Irrig geht das Gericht davon aus, die Erdgaslieferungen ständen bei Haushaltskunden und Kleinabnehmern in einem Substitutionswettbewerb ( LG Mannheim, Urt. v. 16.08.2004 – 24 O 41/04; AG Heilbronn, RdE 2005, 176 ff.; Salje et 2005, 278, (280); Ehricke, JZ 2005, 599, (605); Derleder/Rott, WM 2005, 423, (425 f.) ).
Nach Auffassung des Bundeskartellamtes und der herrschenden Literatur und Rechtsprechung besteht schon
kein einheitlicher „Wärmemarkt“ (BKartA, B. v. 22.07.2004 – B 8 – 40200 – Fa – 27/04, Tz. 28
Deshalb unterliegen Erdgaspreise darüber hinaus auch einer zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle
in analoger Anwendung der Norm (LG Frankenthal, VuR 2004, 23; LG Frankenthal, ZNER 2005, 79 f.; LG Mannheim, aaO., AG Heilbronn, aaO.).
Vollkommen abwegig sind die Überlegungen des Gerichts, Solarzellen bzw. Fotovoltaik oder Wärmepumpen (allesamt Strom) seien Wärmeenergieträger, die in einem Wettbewerb mit Erdgas stünden.
Das Gericht hat eine Billigkeitskontrolle der Preiserhöhung vorgenommen, dabei jedoch den falschen Maßstab gewählt:
Zunächst verkennt das Gericht offenbar, dass bei Energiepreisen nach der Rechtsprechung und der herrschenden Literatur immer nur der
Gesamtpreis einer Billigkeitskontrolle unterfällt, nicht jedoch Teile davon wie etwa aktuelle Preiserhöhungen (LG Mannheim, aaO.; AG Heilbronn, aaO; LG Hannover RdE 2004, 54 (55), LG Magdeburg RdE 2005, 22 (24); LG Kiel RdE 2005, 53 (55); AG Heilbronn RdE 2005, 176 ff.; Salje, et 2005, 278 (280)).
Weiter verkennt das Gericht offenbar, dass ein Vergleich mit den Monopolpreisen anderer Gasanbieter ausscheidet (LG Mannheim, aaO.) und der BGH zur Billigkeitskontrolle von Energiepreisen mit Rücksicht auf die Verpflichtung zu einer möglichst preiswerten Versorgung
ganz besondere Kriterien herausgearbeitet hat, die eine
Kosten- und Gewinnkontrolle erfordern (BGH NJW-RR 1992, 183, (186); OLG München, NJW-RR 1999, 421; LG Berlin, NJW-RR 2002, 992; LG Mannheim, aaO.; AG Heilbronn, aaO ).
Zur Erinnerung:
Im Gaspreisurteil des LG Mannheim vom 16.8.2004 (Aktenzeichen 24 O 41/04) heißt es in erfrischender Klarheit: "Die tatsächlichen Umstände, welche die Billigkeit rechtfertigen sollen, sind vom Monopolisten darzulegen und ggf. zu beweisen. (...) Die Darlegung, gegenüber anderen Monopolunternehmen auf dem Erdgasmarkt unterdurchschnittliche Preise zu fordern, genügt dem gegenüber offenkundig nicht. Dieser relative Preisvergleich schließt nicht die Möglichkeit aus, dass alle Monopolisten mehr als das fordern, was nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung angemessen ist".Dabei ist die
Preiskalkulation offen zu legen (OLG München, aaO.; LG Mannheim, aaO, AG Heilbronn, aaO.; KG Berlin, Urt. v. 15.02.2005 – 7 U 140/04):
http://www.kammergericht.de/entscheidungen/7_u_140-04.pdfAus diesem Urteil des KG Berlin geht auch eindeutig hervor, dass die Gerichtsentscheidung darüber, ob die Tariffestsetzng billig oder unbillig ist, für andere Kunden keinerlei Präjudiz darstellt.
Das bedeutet, dass das Gericht in jedem einzelnen Verfahren vollkommen neu zu entscheiden hat, die Entscheidung ganz wesentlich vom individuellen Vortrag der Parteien abhängt.Im Falle der Verweigerung der Offenlegung der Preiskalkulation ist die Klage des Gasversorgers abzuweisen:
http://www.raepower.de/PDF/20040816%20LG%20Mannheim%2024%20O%2041-04.pdf So auch schon OLG München, NJW- RR 1999, 421.
Es geht auch nicht darum, ob auch Preissenkungen weitergegeben wurden, sondern ob diese
im selben Umfange wie Preiserhöhungen weitergeben wurden (vgl. Tätigkeitsbericht BKartA, BT- Drs. 15/5790; S. 138 ff.):
http://dip.bundestag.de/btd/15/057/1505790.pdfRechtsirrig verkennt das Gericht die
unterschiedlichen Maßstäbe von Kartellrecht und zivilrechtlicher Billigkeitskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1991, Az. VIII ZR 240/90 = NJW-RR 1992, 183, 186 unter III 2 d; BGH, Urt. v. 06.03.2001, Az. KZR 37/99 = NJW 2001, 2541 unter II 2 d bb) (2) (a) und (b); BGH, Urt. v. 05.02.2003, Az. VIII ZR 111/02 = NJW 2003, 1449, 1450 unter II 2.):
Für das Einschreiten der Kartellbehörden ist das Überschreiten der Eingriffsschwelle erforderlich.
Hierzu müssen die vom marktbeherrschenden Unternehmen geforderten Preise mindestens zehn Prozant über den Preisen liegen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit herausbilden.
Ein kartellrechtswidriger Preishöhenmissbrauch hat einen Preis zur Folge, der gem. § 134 BGB
verboten ist. Ein solcher Preis kann niemals im Rahmen des billigen Ermessens liegen, ist also per se unbillig.
Jedoch ist nicht erst ein so drastisch überzogner Preis, der gesetzlich verboten ist, unbillig. Die "Unbilligkeit" setzt viel früher ein.
Weiter verkennt das Gericht, dass ein Nichteinschreiten der Kartellbehörden für die zivilrechtliche Billigkeitskontrolle
keinerlei Bedeutung hat (Säcker/Jaecks, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 1 GWB Rn. 168).
Nach alldem wird eine Berufung gegen das Urteil zu erwägen sein.
Mail an wesche@bgw.de vom 16.08.2005:
Sehr geehrter Herr Kollege Wesche,
ich denke, wir stimmen darin überein, dass die Zahlungen erst mit der Rechtskraft eines Urteils fällig werden, welches die Billigkeit der Preiserhöhung feststellt (BGH, Urt. v. 05.07.2005 - X ZR 60/04 und X ZR 99/04; BGH NJW 2003, 3131).
Bisher gibt es nur ein nicht rechtskräftiges Urteil, welches die Unbilligkeit nicht feststellt.
Für die Fälligkeit der Preisforderung fehlt nicht nur ein entsprechendes Urteil mit dem Tenor, dass die Preiserhöhung der Billigkeit entspricht.Es gibt noch nicht einmal eine entsprechende Klage des Versorgungsunternehmens. Insoweit rückt eine Fälligkeit in weite Ferne.
Wie man deshalb zu der Auffassung gelangen wollte, der Kunde sei nunmehr zur vollständigen Zahlung verpflichtet, bleibt rätselhaft.
Um den Eindruck zu vermeiden, der Branchenverband sei beim Überblick über die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ganz auf der Höhe der Zeit, sollten die Presse- Informationen Ihres Verbandes m. E. ggf. juristisch noch fundierter erarbeitet werden, um Missverständnisse der Medien hiernach zu vermeiden.Anmerkung:
Neben den Urteilen der Amtsgerichte Koblenz und Euskirchen wurden die viel bedeutenderen Gaspreisurteile der Landgerichte Frankenthal und Mannheim, wie auch die Gerichtsentscheidungen zur Unzulässigkeit von Versorgungseinstellungen bis heute nicht vom Lobbyverband der deutschen Gaswirtschaft veröffentlicht.
Offensichtlich scheut man eine Auseinandersetzung mit der für die Gasversorger ungünstigen Gerichtsentscheidungen und möchte man die Öffentlichkeit Glauben machen, die Gaswirtschaft habe vor den Schranken der Justiz die besseren Karten.
Tatsächlich ist die langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig auf Seiten der Verbraucher.
Freundliche Grüße
aus Jena
Thomas Fricke
Rechtsanwalt