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Autor Thema: § 1 EnWG - Fiktion?  (Gelesen 2649 mal)

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Offline Wolfgang_AW

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« am: 18. November 2009, 18:01:37 »
Wohin führt uns die Auseinandersetzung um den Sockelbetrag in der Grundversorgung?
Anders gefragt: Was soll die Grundversorgung eigentlich leisten?

Scheinbar ist die Antwort klar ---> § 1 EnWG, eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas.

Schön wäre es, aber so klar ist es derzeit eben nicht.

Verkommt die Grundversorgung zu einem Relikt aus Monopolzeiten?
Ist sie nunmehr nur noch Auffangbecken für gekündigte Sondervertragskunden, damit diese für eine Übergangszeit nicht der Stromlosigkeit anheim fallen?

Diese Fragen stellen sich doch bei Betrachtung des derzeitigen Standes § 315 BGB vs. Sockelbetrag.

Es stellt sich mehr und mehr die Situation ein, dass hinsichtlich des \"unüberprüfbaren\" Sockelbetrages (VIII. Zivilsenat BGH) sich völlig zersplitterte Allgemeine Preise herausbilden.

Schon das Wort \"Allgemein\" dürfte bei der Betrachtung nicht mehr verwendet werden, denn jeder Kunde hat seinen eigenen Einstiegspreis.

Beispiele die ich auf ein und denselben Grundversorger beziehe

1.) Kunde rügt Billigkeit des Preises / der Preiserhöhungen seit 2004
BGH (ich verkürze) sagt, nur Preiserhöhung kann der Überprüfung unterliegen ---> Sockelpreis 2004
Gleicher Kunde zieht in 2008 2 Straßen weiter, wobei der Versorger keine Anschriftenänderung bei gleichem Vertrag vornimmt, sondern einen neuen Vertrag in der GV zu Stande kommt.
----> Sockelpreis 2008

2.) Stromversorger kündigt im Mai 2009 einem Kunden den Sondervertrag, bei keinem neuen Sondervertrag fällt der in die Grundversorgung ---> Sockelpreis erstes Halbjahr 2009

3.) Versorger hat zum 01. Juli Preise erhöht (genehmigt und veröffentlicht) und kündigt im Oktober einem Kunden den Sondervertrag.
Kunde fällt in die Grundversorgung ----> Sockelpreis Juli 2009

und so weiter und so fort!

das führt dazu, dass in der Grundversorgung innerhalb kürzester zeit zig verschiedene Sockelpreise Gültigkeit hätten und von einem Allgemeinen Tarif keine Rede mehr sein kann.

siehe auch hier

Zitat
Original von reblaus
Eine Preisspaltung ist nur dann zu verhindern, wenn die Ermessensentscheidung des Gerichts einheitlich vorgenommen wird, und dies ist nur dann gewährleistet, wenn eine zentrale Zuständigkeit nach § 102 EnWG gegeben ist.

Allerdings muss dazu zunächst einmal der gesamte Preis auf Billigkeit überprüft werden, denn sonst kann kein einheitlicher /Allgemeiner Preis entstehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EU (Richtlinie 2003/54/EG) als auch unser Gesetzgeber (EnWG) nicht an einen Grundpreis für alle Grundversorgten gedacht haben.

Der Gesetzgeber hat sich ja weitgehende Möglichkeiten (§ 39 EnWG) eingeräumt und auch der Regulierungsbehörde Instrumente an die Hand gegeben.

Ist es denn denk-/wünschbar, dass im Falle der Grundversorgung der Gesetzgeber/die Regulierungsbehörde nach eingehender Prüfung aller relevanten Fakten den Allgemeinen Tarif festlegt?


Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang_AW
„Es hat sich bewährt, an das Gute im Menschen zu glauben, aber sich auf das Schlechte zu verlassen.“

(Alfred Polgar)

Offline Black

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« Antwort #1 am: 18. November 2009, 18:34:48 »
Zitat
Original von Wolfgang_AW
Ist es denn denk-/wünschbar, dass im Falle der Grundversorgung der Gesetzgeber/die Regulierungsbehörde nach eingehender Prüfung aller relevanten Fakten den Allgemeinen Tarif festlegt?

Das gab es vor der Liberalisierung (beim Strom) und hieß Tarifgenehmigung. Fand sich nachzulesen in § 12 BTOElt http://www.verivox.de/power/gesetze/BTOElt.pdf

Zitat
§ 12 BTOElt Tarifgenehmigung

(1) Tarife und ihre einzelnen Bestandteile bedürfen der Genehmigung der Behörde. Der genehmigte Preis ist ein Höchstpreis, der die Ausgleichsabgabe auf Grund des Dritten Verstromungsgesetzes und die Umsatzsteuer nicht einschließt.

(2) Die Preisgenehmigung wird nur erteilt, soweit das Elektrizitätsversorgungsunternehmen nachweist, daß entsprechende Preise in Anbetracht der gesamten Kosten- und Erlöslage bei elektrizitätswirtschaftlich rationeller Betriebsführung erforderlich sind. Dabei ist die Kosten und Erlöslage bei der Versorgung der einzelnen Bedarfsarten besonders zu berücksichtigen.

Der Gesetzgeber hat diese Tarifgenehmigung zugunsten des Wettbewerbes gerade abgeschafft.
Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline Wolfgang_AW

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« Antwort #2 am: 18. November 2009, 18:52:30 »
@Black

und wie bezeichnen Sie das, was sich gerade auf Grund der des VIII Zvilsenats BGH/der AG einstellt?

Wettbewerb?

Den Versorgern bleibt doch unbenommen, unabhängig der Grundversorgung Sonderverträge abzuschließen.

Wettbewerb stellt sich in Hauptsache dadurch ein, dass anderen Marktteilnehmern der Zugang zum Markt erleichtert wird und er die Möglichkeit hat seine Preise zu bilden.

Die Preise in der Grundversorgung zerfasern aber derzeit mit jedem Urteil was in Sachen § 315 gesprochen wird.


Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang_AW
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(Alfred Polgar)

Offline Black

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« Antwort #3 am: 18. November 2009, 18:58:49 »
Zitat
Original von Wolfgang_AW
Die Preise in der Grundversorgung zerfasern aber derzeit mit jedem Urteil was in Sachen § 315 gesprochen wird.

Mir ist bislang noch kein Grundversorgungstarif bekannt, der durch Urteil für unbillig befunden und durch einen billigen Preis ersetzt wurde. Eine Zerfaserung kann ich nicht erkennen. Verschiedene Sockelpreise bedeuten nicht, dass die Kunden verschiedene Preise zahlen, sondern dass der individuelle rückwirkende Kontrollzeitraum einer Preiskontrolle nach § 315 BGB verschieden ist.
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Matthäus, Kapitel 10, Vers 34

Offline reblaus

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« Antwort #4 am: 18. November 2009, 19:23:25 »
@Black

Bad Honnef AG von LG Köln Urt. v. 14.08.2009 Az. 90 O 41/07
Stadtwerke Quickborn GmbH von AG Pinneberg Urt. v. 4.09.2009 Az. 2 C 272/09
Stadtwerke Esslingen von LG Stuttgart Urt. v. 29.04.2009 Az. 5 S 179/08

Die Ausbeute ist zwar noch gering, aber die Ernte hat erst begonnen.

Allerdings glaube auch ich, dass der Wettbewerb dazu führen wird, dass die Grundversorgung zukünftig nur noch als Auffangbecken für \"unattraktive\" Kunden dient, die aufgrund der Bonität, geringem Verbrauch etc. wirtschaftlich weniger interessant sind. Angesichts des Phlegmas der Verbraucher wird sich dieser Wandel jedoch nur langsam vollziehen. Bis dahin werden auch die Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Unbilligkeitseinrede entschieden werden.

Offline Wolfgang_AW

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§ 1 EnWG - Fiktion?
« Antwort #5 am: 18. November 2009, 19:39:07 »
@ Black

Zitat
Original von Black
Mir ist bislang noch kein Grundversorgungstarif bekannt, der durch Urteil für unbillig befunden und durch einen billigen Preis ersetzt wurde.

Dank dem \"Ballschen Senat\"

Zitat
Orginal von Black
... sondern dass der individuelle rückwirkende Kontrollzeitraum einer Preiskontrolle nach § 315 BGB verschieden ist.

Wenn beispielsweise zwei verschiedene Amtsgerichte zu Kunden Recht sprechen, die beide bei dem gleichen Versorger sind und beide nach § 315 die Preiserhöhungen z.B. seit 2004 wg Unbilligkeit gerügt haben, das eine Amtsgericht die Klage des Versorgers auf Zahlung abweist, das andere aber bei dem anderen Kunden keine Unbilligkeit erkennen kann, dann sind bereits zwei unterschiedliche Sockelpreise in der Welt.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang_AW
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(Alfred Polgar)

 

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